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Während den Erinnerungsmustern bei Paul Celan bereits viel Aufmerksamkeit zuteil wurde, bleibt das Vergessen als poet(olog)ische Strategie immer noch wenig beachtet. Schließlich scheint es zum Hauptanliegen dieser Lyrik – dem Gedenken an die Shoah – geradezu entgegengesetzt. Dabei spielt das Vergessen bei Celan gerade in den poetischen Prozessen des Erinnerns eine konstitutive Rolle. Indem es durch Schweigen bzw. Löschen von Sprach(zeichen) oder durch eine ins Extremum geführte Bildlichkeit zum Ausdruck kommt, wird es paradoxerweise zu einer Strategie, die Erinnerung im Gedicht ermöglicht. Der Beitrag zeigt an ausgewählten Gedichten der poet(olog)ischen Wende Celans, wie diese paradoxe Umkehrung, d.h. eine radikale Aktualisierung der Erinnerung durch Versuche von Vergessen, sprachlich realisiert wird. Den Ausgangspunkt bildet das Gedicht „Unten“ aus dem Band Sprachgitter, das diese Strategie poetologisch entwickelt und reflektiert, gefolgt von den Interpretationen der Gedichte „Stehen“ und „Einmal“ (beide aus dem Band Atemwende). Die Frage nach Celans Paradoxien des Vergessens wird mit Blick auf die zeitgenössisch in Frankreich geführte Debatte über das Vergessen behandelt, so wie sie etwa in den Schriften Maurice Blanchots, insbesondere in seinem dialogischen Bericht L’attente, l’oubli (1962), ihre Widerspiegelung findet. Es stellt sich heraus, dass Blanchots Auffassungen von Vergessen für das Verständnis der von Celan entwickelten Vergessens-Strategien in vielerlei Hinsicht fruchtbar sind.