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Gesammelte Studien
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Die politisch ›verspätete Nation‹ (Helmuth Plessner) ist auch literarisch ein Nachzügler. Drei Jahrhunderte nationalsprachiger Literatur liegen hinter den westeuropäischen Kulturnationen, bevor Deutschland zu Beginn des 17. Jahrhunderts den Anschluss an die weitfortgeschrittenen Nationen der Romania, Englands und der Niederlande findet.
Zwischen Celtis und Lessing wird mehr als dreihundert Jahre unter dem Einfluss der Antike und der europäischen Renaissance gedacht und gedichtet. Der ständige Vergleich mit den europäischen Vorgängern macht die geschichtliche Rekonstruktion der deutschen frühneuzeitlichen Literatur zu einem faszinierenden Kapitel europäischer Kulturgeschichte. Die vorliegenden Essays beschreiben diesen Weg in der einzig gemäßen Art: als Formanalyse einzelner Werke. Ob es um die calvinistisch beeinflusste Formation der deutschen Literatur oder ihre Stellung im historischen Kontext der Deutschen, die Assimilation der europäischen Arkadienutopie im deutschen Gewande, die Stellung des frühneuzeitlichen Autors im Spannungsfeld von Stadt und Hof, Zunftbürgertum und Patriziat, Adel und Fürstentum geht – immer tritt die spezifisch deutsche Variante im europäischen Kontext nur durch den Blick über die Grenzen hervor.
Zur Poetik der Oberfläche bei Adalbert Stifter
Die Literatur Adalbert Stifters (1805–1868) ist durch das ästhetische Phänomen der Oberfläche geprägt. Dieser Begriff gewinnt durch die in diesem Band vorgenommenen Konstellationen zwischen Malerei, Visualität und Literatur an Kontur. Während im Epochenkontext des Realismus um 1850 ,Oberfläche‘ sich vor allem als Kategorie der Mimesis von Wirklichkeit behauptet, werden bei Stifter vornehmlich gestaltlose Oberflächenphänomene wie Fleck, Glanz und Finsternis aufgerufen. In dem Maße, wie diese Phänomene im Sinne einer Verschränkung von Erscheinen/Sichtbarmachen und Verlöschen/Verschwinden literarisch verarbeitet werden, trägt sich, wie sich im Kontext der Beiträge abzeichnet, ein moderner Zug in Stifters Prosa des 19. Jahrhunderts ein.
Zur deutschsprachigen Literatur 2000–2015
Welche Themen und Schauplätze werden von deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern seit 2000 in Szene gesetzt und diskutiert? Wie korrespondiert die aktuelle Gegenwartsliteratur mit dem Zeitgeschehen und gesellschaftlichen Diskursen?
Die 20 Beiträge des Bandes erkunden den literarischen Umgang mit politischen und historischen Krisen, sie befragen interkulturelle Bezüge und analysieren die literarische Gestaltung der neuen Mehrsprachigkeit, wobei insbesondere innovative Schreibverfahren und Autorschaftsmodelle im Fokus stehen. Besprochen werden zudem neue Formen der Literaturvermittlung.
Wolfgang Hilbig und die Romantik
Wolfgang Hilbigs Beziehung zur Romantik ist facettenreich – der vorliegende Band geht anlässlich des
10. Todestages des Autors unterschiedlichen Spuren nach, die ihn mit der Zeit um 1800 ins Gespräch bringen.
Auch wenn die Einflüsse der symbolistischen und klassischen Moderne prägend gewesen sein mögen – ohne den Bezug zur Romantik lässt sich das Werk Hilbigs nur schwer verstehen. Noch vor der Rehabilitation romantischer Schreibweisen in der DDR-Literatur der 1970er Jahre und in seiner Radikalität einzigartig entdeckt Hilbig Autoren wie E.T.A. Hoffmann und Novalis für sich und anverwandelt deren Stimmen in seiner Lyrik und Prosa. Im Ergebnis spiegelt Hilbigs hier erstmalig ausführlich diskutierte Geisteshaltung und Lebensform der Asozialität die identitätsskeptische und gesellschaftskritische Attitüde der Romantiker um 1800 in den deutsch-deutschen Abenteuern des späten
20. Jahrhunderts: grotesk, sprachbewusst und bildversessen.
Vierzigster Band 2016–2017
Das Hölderlin-Jahrbuch 40, 2016-2017, dokumentiert die 35. Jahresversammlung der Hölderlin-Gesellschaft 2016 in Bad Homburg vor der Höhe, deren Thema das Homburger Folioheft war. Zu diesem wichtigsten Manuskript Hölderlins erscheinen weitere Aufsätze, darüber hinaus Abhandlungen zu Hero, Heidelberg, Am Quell der Donau und Andenken. Rezensionen, darunter ein Kurzessay zu Dieter Henrichs Sein oder Nichts, sowie Berichte aus den Arbeitsgesprächen runden den Band ab.
Zum Verhältnis von Ethik und Ästhetik bei W. G. Sebald
W. G. Sebalds Ruhm beruht auf der Annahme, er setze eine sensible und hochreflexive Erinnerungskunst ins Werk, die der Opfer der Geschichte respektvoll gedenkt. Diese Annahme muss revidiert werden. Sie hält einer eingehenden Untersuchung seines Schreibethos nicht stand.
Genaue Analysen von Sebalds Schriften zeigen, dass seine Interpretationen von einem rigorosen Moralismus beeinflusst sind. Sein ›abschließendes Vokabular‹, das ihm zur Lektüre und Deutung fremder Texte dient, ist über 30 Jahre konstant. Es offenbart ein verhärtetes und problematisches Weltbild, das sich gegenüber den interpretierten Autoren als hermeneutische Gewalt manifestiert. Insofern Sebald dieses Vokabular auch literarisch gebraucht, überträgt sich die Problematik seiner Literaturkritik auf seine Literatur und unterminiert seine Poetik der Restitution. Die Bedingung einer narrativen Ethik, die den Anderen in seiner je eigenen Identität respektiert, wäre ein Ethos, das zu einer dialogischen Beziehung zum und zu einer unvoreingenommenen Wahrnehmung des Anderen fähig ist. Der Autor Sebald lässt dieses vermissen, seine Form literarischer Historiographie – ›böse‹ Täter, ›gute‹ Opfer – bleibt unterkomplex.
Höfische Galanterie als Ursprung der bürgerlichen Empfindsamkeit
In den Literaturwissenschaften geht man bis heute davon aus, dass die literarische Empfindsamkeit aus der »Emanzipation des Bürgertums im 18. Jahrhundert« (Sauder) entstanden sei. Diese These einer genuin bürgerlichen Gefühlskultur ist höchst problematisch.
Die Begriffsgeschichte der Zärtlichkeit begann bereits um 1650 mit Madeleine de Scudéry. Dieses Zärtlichkeitsideal entstand innerhalb der noblesse de robe, dem neuartigen französischen Amtsadel zur Zeit des Ancien Régime. Das vorliegende Buch rekonstruiert die Geschichte empfindsamer Zärtlichkeit anhand des europäischen Theaters des 17. und 18. Jahrhunderts. Dieses durchläuft unter dem Eindruck einer »tendresse amoureuse« (Daumas) signifikante Transformationen sowohl im Bereich der Tragödie (von Racine über Voltaire bis hin zu Lessing und Lenz) als auch der Komödie (von den sentimental plays über die comédie larmoyante bis hin zum rührenden Lustspiel). So entsteht ein völlig neuer Blick auf diese wichtige Epoche der Aufklärung.
Robert Walsers Poetik des Sozialstaats
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Robert Walsers Institutionenportraits und Lebensläufe verkrachter Adliger, unsteter Angestellter und müßiggängerischer Drifter erzählen in besonderer Weise von der Entstehung des Sozialstaats um 1900.
In Geschwister Tanner, Der Gehülfe und Jakob von Gunten zeigt sich, wie Wissen und Praktiken der Sozial-
verwaltung – Personenidentifikation, Datenverarbeitung und architektonische Beherrschung von Menschenmengen – den Arbeitsmarkt als Feld eines versicherbaren Risikos konstituieren. Die dafür notwendigen bürokratischen Innovationen finden sich in Walsers Romanen aber nicht einfach nur dargestellt. Sie sind vielmehr noch in ihren Schreibszenen nachweisbar und hinterlassen in ihrer episodischen und ausschweifenden Form Spuren. So weist sich die Literatur eines ehemaligen kleinen Angestellten ein Stück weit selbst als Effekt bürokratischer Prozeduren aus, über deren Aufstieg zur zentralen Regierungstechnik des 20. Jahrhunderts sie Buch führt.
Studien
Die Humanisierung von Religion ist die Grundintention von Lessings letztem Drama. Das bedeutet: Religion ist unsere eigene Aufgabe. In der autonomen Kunst findet diese Humanisierung ihren angemessenen symbolischen Ausdruck.
Heute ist es notwendiger denn je, sich auf eine zentrale Idee der Aufklärung zu besinnen, für die in der Moderne die autonome Kunst das größte kulturelle Symbol darstellt: auf die ›Sakralität der Person‹ (H. Joas). Wolfgang Braungarts Studien, die von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwartsliteratur reichen, haben nicht nur im Blick, was man die moderne Kunstreligion nennt: die Sakralisierung der Kunst selbst. Vor allem betrachten sie ein spezifisches, im 18. Jahrhundert begründetes Verhältnis von Kunst und Religion und ein spezifisches Verständnis des Menschen. Wir müssen Religion so machen, dass sie ihrer Wahrheit, die der Mensch selbst ist, dient. Dabei muss der Gedanke der Transzendenz keineswegs notwendig verlorengehen. Die Kunst, wie sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gedacht wird, ist nach beiden Richtungen offen: zum radikal Humanen wie zur Transzendenz.
Literarische und filmische Imaginationen
Alter(n) ist nicht nur eine biologische Größe. Altersvorstellungen sind in erster Linie wandelbare kulturelle Konstrukte, die in einer Gesellschaft, in der der demographische Wandel den Generationenvertrag belastet, Transformationen unterliegen. Als anthropologische Universalie ist das Alter seit der Antike z.B. in Form des Motivs der Altersweisheit ein Thema literarischer Repräsentationen. Unter dem Eindruck des fortschreitenden Altersstrukturwandels transformieren sich positiv konnotierte Altersbilder solcherart und werden angesichts einer wachsenden gesellschaftlichen Herausforderung, die das Missverhältnis der Lebensalter zeitigt, umfassenden Abwertungsmechanismen unterworfen. Leonie Süwolto untersucht ausgehend vom Paradigma des demographischen Wandels aus diskursanalytischer und gendertheoretischer Perspektive die Konstruktionsmechanismen gängiger Altersbilder. Sie zeigt, wie literarische und filmische Fiktionen des Alter(n)s diese Konstruktionsmechanismen offenlegen und dekonstruieren, um ein Bewusstsein für alternative Vorstellungen des Alter(n)s zu schaffen und so eine ethische Funktion erfüllen.