The senses of diverse men are diversely affected by the same objects according to the diversity of their constitution. To them of Java pepper is cold.1
Tout tend à nous faire croire qu’il y a une chaîne d’êtres qui s’élèvent par degrés. Nous ne connaissons qu’imparfaitement quelques anneaux de cette chaîne immense, et nous autres petits hommes, avec nos petits yeux et notre petite cervelle, nous distinguons hardiment toute la nature en matière et esprit, en y comprenant Dieu, et en ne sachant pas d’ailleurs un mot de ce que c’est au fond que l’esprit et la matière.2
Mais en général, il n’y a point de sens plus trompeur que celui de la vue; mille illusions rendent ses impressions fausses; l’Observateur doit-être toujours en garde contre ses prestiges, il doit craindre sans cesse ses mensonges; & quand il aura pris toutes les précautions possibles; s’il n’est pas probable qu’il se trompe beaucoup, il ne peut pas être parfaitement sur d’avoir trouvé la vérité.3
Qu’on juge par-là des bornes étroites & du peu de certitude de nos connoissances, qui consistent à voir une partie des choses par des organes infideles & à deviner le reste.4
2.1 Ausschnitt, Blickwinkel und Oberfläche
Das mechanistische Weltbild, die Kritik an der Zuverlässigkeit der Sinne und die durch die Erfindung des Fernrohrs beförderte Anerkennung des heliozentrischen Weltbildes aktualisieren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die moraltheologische Annahme, die entscheidenden Aspekte nicht nur der geistigen, sondern auch der materiellen Welt seien für das menschliche Auge unsichtbar.5 Frühe sensualistische Schriften stellen außerdem die Vorstellung angeborener Ideen in Frage und gehen davon aus, dass das Wissen über die Welt auf dem Erfahrungsweg jedes Einzelnen beruht und damit nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich begrenzt ist. Zugleich versuchen sie, dem über die Sinne vermittelten Wissen einen Erkenntniswert zuzusprechen und ihre Position damit von derjenigen des radikalen Pyrrhonismus abzugrenzen, der ab 1562 mit der lateinischen Übersetzung der erhaltenen Schriften des griechischen Arztes Sextos Empeirikós aus dem 2. Jahrhundert wieder an Bedeutung gewinnt.6 Hierfür werden die skeptizistischen Positionen intensiv diskutiert und mit den neueren Erkenntnissen über den Sehvorgang verbunden. Die Annahme, die Sinnesempfindung beruhe auf einem Entwicklungs- beziehungsweise Lernprozess wird dabei zu dem entscheidenden Argument gegen die grundsätzliche Infragestellung der Sinne, da es erlaubt, Vertrauen und Skepsis in die sinnliche Erkenntnis der Welt zu verbinden.
Mersenne setzt diese Problematik schon 1625 in seinem tausend Seiten starken Dialog zwischen einem Anhänger des Pyrrhonismus, einem Alchemisten und einem ‚christlichen Philosophen‘ in Szene. Der christliche Philosoph – der allem Anschein nach Mersennes Auffassung vertritt, da er die ‚neue Philosophie‘ mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens zu vereinen sucht – positioniert sich zwischen dem gleichsam magischen Materialismus des Alchimisten und dem fundamentalen Skeptiker, der in jeglicher Materie nur Illusion zu erkennen vermag. In La Vérité des Sciences. Contre les Sceptiques ou Pyrrhoniens diskutieren die drei Protagonisten die wesentlichen Argumente, die der Skeptiker gegen den Alchimisten und gegen die Möglichkeit der menschlichen Erkenntnis ins Feld führt.7 Die Bewertung der sinnlichen und besonders der visuellen Empfindung steht dabei im Mittelpunkt und wird im späteren Verlauf der Diskussion mit einer fundamentalen Sprachskepsis verknüpft. Die menschliche Erkenntnis der materiellen Welt sei – so der Skeptiker – von der Sinnesempfindung des Einzelnen abhängig. Diese werde mit einer ans Unendliche grenzenden Anzahl von sich je nach Blickwinkeln und Umständen wandelnden Erscheinungen konfrontiert.8 Ein Großteil der Welt befinde sich außerdem – wie der Meeresgrund oder entfernte Gestirne – gänzlich außerhalb des Gesichtsfeldes. Diese Vielfalt und unendlich scheinende Wandelbarkeit der Phänomene sei aufgrund der Abhängigkeit von der raumzeitlichen Verortung des Beobachtenden unmöglich fassbar beziehungsweise zu einem überindividuellen Wissen verallgemeinerbar, und der Skeptiker verschärft dieses Argument mit dem Hinweis, dass von der Beobachtung der Oberfläche nicht auf den Ursprung, das Wesen oder die Eigenschaften der gesehenen Objekte geschlossen werden könne:
[N]ous ne pouvons sçavoir s’il n’y a point d’autres étoilles, & d’autres sistemes, que ceux que nous voyons. Qui se peut vanter de sçavoir ce qui est dans la mer; quelle est la nature de ses poissons & de ses écailles? quelle est son origine, & toutes ses proprietez […]; nous ne sçavons aussi que c’est que la terre, car nous n’en voyós qu’une parcelle, non plus qu’un pou ne voit qu’une partie de la teste, & la formy qu’une partie d’une montagne, ou d’un chêne: nous ne pouvons non plus cognoistre toute la terre ne l’ayant pas toute veuë, que sçavoir ce que c’est qu’un homme, n’en ayans veu que le nez. Ce n’est pas assez de dire que nous la cognoissons par les histoires, car cela n’est point sçavoir, non plus que de manger par la bouche d’un autre n’est pas se nourrir: en fin toutes les choses passées sont hors de nostre science, les futures ne nous sont point presentes, & les presentes nous sont entierement incognuës: car ce que nous voyons n’est que comme un point au respect de toute la terre, sur laquelle nous vivons comme de pauvres petis vermisseaus.9
Der Skeptiker greift nicht nur auf die antike und moraltheologische Kritik an den Sinnen zurück, sondern verbindet diese mit den Erkenntnissen der zeitgenössischen Optik. Auf der Retina bilde sich keine qualitative, sondern nur eine zweidimensionale Kopie der äußeren Welt ab, die wenig mehr als die Oberfläche der Dinge vermittle: „Jettez les yeus par tout ou vous voudrez, nous ne voyons que la surface, & la couleur des choses: nous ne goûtons que leur saveur, pour ce qui est du dedans, nous n’y voyons goutte […].“10 Platons Höhlengleichnis aufgreifend argumentiert er, der Mensch lebe in seinem Körper wie in einer dunklen Höhle und sehe von der Welt nur deren undeutliche Schatten: „[N]ous sommes tous comme celuy qui auroit été nourry dans une profonde caverne, lequel n’auroit iamais veu que l’ombre de tout ce qui passeroit par un petit trou […].“11
Der christliche Philosoph widerlegt – entgegen der eindeutigen Ankündigung im Titel der Schrift – die Argumente des Skeptikers nicht. Er erkennt sie sogar explizit an, bewertet sie jedoch anders. Der Schlussfolgerung einer definitiven Unmöglichkeit sinnlicher Erkenntnis stellt er eine vorläufige und quantitative Beschränkung entgegen, innerhalb derer jedoch der Mensch durchaus zu wahrer Erkenntnis gelangen könne. Der Philosoph begründet dies mit der Möglichkeit, Täuschungen und Fehlurteile mithilfe optischen und anatomischen Wissens aufzuklären.12 Dem vom Skeptiker formulierten unmittelbaren und vollkommenen Wissensanspruch setzt er eine Epistemologie entgegen, welche auf dem kritischen Abstand sowohl zu den verwendeten Instrumenten und Methoden als auch zu den eigenen Wissensansprüchen beruht. Hierfür müsse zwischen den von den Sinnen abhängigen und den von ihnen unabhängigen Wissenschaften unterschieden werden.13 Letzere – wie die Metaphysik und die Physik – beschäftigten sich mit dem Wesen der Dinge und folglich nicht mit deren sinnlicher Erscheinung. Auch in den von den Sinnen abhängigen Wissenschaften – wie der Mechanik – sei durchaus praktisch nutzbares Wissen über die Funktionsweise und Verwendung materieller Dinge zu erlangen.14
Dieser pragmatischen und methodologischen Aufwertung der Sinne stellt der Skeptiker die Arbitrarität der Zeichen entgegen und verlagert so die Diskussion von der Sinnes- auf die Sprachkritik: „De plus vous n’avez rien opposé à ce que i’avois dit touchant les noms, sçavoir est qu’ils sont mal imposez à chaque chose; lors que vous m’aurez contenté sur cecy, i’abbandonneray le Pyrrhonisme pour embrasser ce que ie pourray recognoistre de veritable en chaque science.“15 Wie beim Sehvorgang, dessen Täuschungen durch das optische Wissen ausgeglichen werden, sieht der christliche Philosoph auch im Bemühen um einen klaren Sprachgebrauch die Möglichkeit, in einem bestimmten Rahmen schrittweise zu verlässlichen Erkenntnissen zu gelangen:16
La Perspective discourt des couleurs des grandeurs, & des figures selon qu’elles nous apparoissent: enfin la plus part du monde parle de ce qu’il voit, selon qu’il tombe sous les sens, & suivant son affection, & son inclination, c’est pourquoy les Rhetoriciens loüent si hautemét les paroles de Ciceron, & de Virgile, & blâment celles des Philosophes, & des Theologiens, bien que mal a propos, car ceus-cy s’étudient a treuver des mots plus significatifs, & plus clairs.17
Ebenso wie der Sprachgebrauch sich verbessern könne, indem die Philosophen sich ein Beispiel an antiken Vorbildern nehmen, könne auch die Naturforschung Fehleinschätzungen durch die Zusammenarbeit verschiedener Forscher korrigieren. Die Sprache diene dabei der Verständigung und dem Austausch und müsse nicht zu einer unmittelbaren Erkenntnis führen – wenngleich der christliche Philosoph onomatopoetischen Wörtern eine größere Nähe zu den Dingen zugesteht und einräumt, dass viele Wörter schlecht zu den von ihnen bezeichneten Dingen passen.18 Der Philosoph erkennt damit die Indirektheit und Ungenauigkeit sowohl des Sehvorgangs als auch der Sprache an. Er geht jedoch davon aus, dass ihre Nachteile durch den sprachlichen Austausch ebenso wie durch die Zusammenarbeit der Sinne und ihre schrittweise selbstkritische Verbesserung zumindest teilweise behoben werden können. Zudem müssten die Voraussetzungen für ein fehlerfreies Funktionieren der Sinnesorgane bekannt und gegeben sein.19 Das grundsätzliche Eingeständnis der Beschränkung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und der Fokus auf das nützliche Wissen schützen außerdem gegen allzu überhöhte Erwartungen. Diese pragmatische und kompromissbereite Haltung – die sich auch in der Frage nach der Möglichkeit einer universellen Sprache der Wahrheit spiegelt20 – beruht bei Mersenne im Wesentlichen auf der theologischen Annahme, die vollständige Erkenntnis der Welt bleibe Gott vorbehalten.21 Der Mensch könne sie nur in Teilen und schrittweise erkennen: „N’importe qu’il y ait tant de diverses opinions touchát les principes de la nature, car tous ont sceu quelque chose de veritable, bien qu’ils ayent meslé quelques erreurs, parce qu’ils n’ont pas consideré toutes les causes, les circonstances, & les effets.“22
Diese Möglichkeit einer schrittweisen und partiellen Erkenntnis ebenso wie der Fokus auf das für den Menschen nützliche Wissen stehen auch im Zentrum des frühen Sensusalismus, der sich dabei aber weniger auf theologische als vielmehr auf philosophisch-anthropologische Argumente stützt. Vor allem in seiner ersten Schrift (Exercitationes paradoxicæ adversus Aristoteleos, 1624) vertritt Pierre Gassendi noch eine radikal skeptizistische Position, die nicht einmal der Geometrie einen sicheren Erkenntniswert zugesteht.23 Er verbindet dort die Kritik an den Sinnen mit einer grundlegenden Sprachskepsis, die die Arbitrarität der sprachlichen Zeichen mit der Individualität der Sinnlichkeit24 und ihrer Beschränkung auf die äußere, materielle Erscheinung der Dinge zusammenführt.25 Niemand könne mit Sicherheit sagen, ob der Schnee von allen Menschen als weiß empfunden werde.26 Ebenso könne ein Wort von den meisten Menschen zwar übereinstimmend verstanden, von Anderen jedoch mit einer differenten Bedeutung belegt werden. Allein von der höheren Anzahl derjenigen, die das Wort im ersten Sinne verstünden, könne nicht auf dessen richtige Verwendung geschlossen werden. Nur strenge Konventionen – denen Gassendi jedoch lediglich den Wahrheitanspruch von Meinungen zugesteht – könnten den Nutzen der Sprache für eine bestimmte Gesellschaft garantieren:27 „[C]’est qu’à la vérité les hommes se sont entendus pour appeler blancheur la couleur de la neige, et pour que tout ce qui serait recouvert de cette même couleur de neige soit appelé blanc: mais qui sait si moi je ne la vois pas rouge et si un autre ne la voit pas verte?“28 Selbst ein Mensch mit perfekt funktionierenden Sinnesorganen wäre, so Gassendi, ihrer körperlichen Beschaffenheit unterworfen, die beispielsweise dasselbe Objekt dem Auge und dem Ohr völlig anders darstellt und zudem vom Alter, den Gewohnheiten und Vorlieben des einzelnen Menschen sowie dem Kontext der Empfindung abhängig sei.29 In einer Formulierung, die an Descartes’ beinahe zwanzig Jahre später publizierte „Première Méditation“ (1641) erinnert,30 gründet Gassendi das Erfahrungswissen auf die sinnliche Empfindung von Raum und Zeit:31
En second lieu, l’on pourrait admettre qu’il faut appeler Science une sorte de connaissance expérimentale et portant sur les apparences du réel, par exemple quand on me considère comme sachant bien que je suis assis plutôt que debout, qu’il fait jour et non pas nuit, que je suis à jeun plutôt que repu, à la maison et non sur la place. De même je sais que le miel me paraît doux plutôt qu’amer, le feu chaud plutôt que froid, la neige blanche plutôt que noire, le Soleil brillant plutôt qu’obscur.32
Dieses experimentelle Wissen sei auf die sinnlich erfassbare Umgebung des Einzelnen beschränkt und ermögliche selbst in diesem Rahmen nur eine approximative Erkenntnis, von der nicht auf die tatsächlichen Eigenschaften der Dinge geschlossen werden könne, da diese hierfür von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation unverändert bleiben müssten.33
Im Laufe seiner kritischen Auseinandersetzung mit Descartes’ Méditations34 wendet sich Gassendi von dieser grundsätzlichen Sinneskritik ab und entwirft eine sensualistische Philosophie, die den Sinnen eine wichtige Rolle bei der Erkenntnis zugesteht.35 In seiner 1644 publizierten Schrift „Disquisitio metaphysica“ hält er Descartes’ radikalen Zweifel für eine in dieser Verallgemeinerung falsche Grundlage der Philosophie:
Pour ce qui regarde la première Méditation, il n’est pas besoin que je m’y arrête beaucoup; car j’approuve le dessein que vous avez pris de vous défaire de toutes sortes de préjugés. Il n’y a qu’une chose que je ne comprends pas bien, qui est de savoir pourquoi vous n’avez pas mieux aimé tout simplement et en peu de paroles tenir toutes les choses que vous aviez connues jusques alors pour incertaines (afin puis après de mettre à part celles que vous reconnaîtriez être vraies), que, les tenant toutes pour fausses, ne vous pas tant dépouiller d’un ancien préjugé que vous revêtir d’un autre tout nouveau.36
Gassendi übergeht dabei die Tatsache, dass Descartes explizit die Unmöglichkeit begründet, jeden einzelnen Wissensinhalt mit „wenigen einfachen Worten“ zu widerlegen.37 Sobald er auf einer falschen Grundlage beruhe oder sich zum Teil als falsch erwiesen habe, könne jeder Wissensinhalt pauschal verworfen werden. Die durch die Sinne erworbenen Erkenntnisse erfüllen für Descartes diese beiden Kriterien (vgl. Kap. 1.2):
Et pour cela il n’est pas besoin que je les [i. e. toutes mes anciennes opinions] examine chacune en particulier, ce qui serait d’un travail infini; mais, parce que la ruine des fondements entraîne nécessairement avec soi tout le reste de l’édifice, je m’attaquerai d’abord aux principes, sur lesquels toutes mes anciennes opinions étaient appuyées.38
Gassendi hält diese Schlussfolgerung für unzulässig. Wie bei der Auswahl gesunder Lebensmittel müsse der Mensch lediglich lernen, die richtigen von den täuschenden Sinneseindrücken zu unterscheiden:
Likewise, even though a man may have been deceived when he judged that a rod part in the air and part under water was bent, yet since it seemed straight after it had been withdrawn from the water and was wholly in the air, there is surely no reason why this sense impression should also be suspected of deceiving us.39
Ähnlich argumentiert er bei der Trennung der Seele beziehungsweise des Geistes von der materiellen Welt.40 Auch diese müsse erst Schritt für Schritt erwiesen werden, und der Forscher selbst nehme in diesem Erkenntnisprozess keine unabhängige, äußere Position ein. Gassendi wendet sich dabei direkt an Descartes: „[V]ous êtes dans l’œil, lequel, de vrai, ne voit pas sans vous […].“41 Er verwirft so eine Erkenntnistheorie und -methode, die nach allgemeinen, sowohl vom einzelnen Forschungsobjekt als auch vom Forschenden selbst abstrahierenden Aussagen strebt.42 Gassendi spricht sich vielmehr für eine empiristische Methode auf der Basis einer sensualistischen Wahrnehmungstheorie aus, die er von einer selbstreflexiven Infragestellung und dem Bewusstsein ihrer grundlegenden Kontingenz begleitet und nuanciert sehen will: „[U]ne science qui a renoncé à être ‚nécessaire‘ parce qu’elle a découvert la valeur du ‚probable‘, qui a abandonné la contemplation des essences éternelles pour prendre pour objet la réalité phénoménologique en perpétuel devenir […].“43 Die Erforschung der materiellen Welt – die Gassendi als wesentlichen Bestandteil der Philosophie bestimmt – wird damit auf diachroner wie auf synchroner Ebene auseinandergezogen. Ihr Wahrheitsanspruch wird von der Einsicht in die Beschränkung der Sinnesempfindungen nicht untergraben, sondern gründet sich vielmehr auf die aus dieser Einsicht abgleitete Möglichkeit, Täuschungen durch einen schrittweisen, selbstreflexiven und kollaborativen Erkenntnisprozess offenzulegen.
2.2 Individualität, Erziehung und Kultur
Denn so sehr die Menschen sich darin gefallen, den menschlichen Geist zu bewundern und sogar anzubeten, dies ist gewiß: wie ein unebener Spiegel die Strahlen der Dinge entsprechend seiner eignen Gestalt und seinem Schnitt verändert, so kann auch dem Geist nicht getraut werden, wenn er Eindrücke von den Dingen durch die Sinne empfängt, weil er beim Trennen und Mischen seiner Begriffe seine eigene Natur mit der Natur der Dinge vermengt.44
Die empiristische Naturforschung des 17. Jahrhunderts beschäftigt sich intensiv mit der epistemologischen Fundierung einer induktiven und experimentellen Methode der Beobachtung.45 Sie begründet hierfür den Erkenntniswert der sinnlichen Empfindung auf der Basis des zeitgenössischen optischen und anatomischen Wissens und trägt der Sinneskritik theologischer wie skeptizistisch-philosophischer Schriften insbesondere bei der Ausformulierung der Methode des Experiments Rechnung. Weniger Beachtung hat bisher gefunden, dass sich die naturforschenden Schriften auch mit der individuellen und kulturellen Bedingtheit und Kontextgebundenheit nicht nur der Sinnesempfindung, sondern auch des Verstandes ausführlich befassen und hieraus die Vorstellung eines zum Teil weit in die Menschheitsgeschichte zurückreichenden Entwicklungs- und Lernprozesses ableiten.46 Gemeinsam ist den Schriften das Ziel der epistemologischen Absicherung einer Naturforschung, die sich von der Beobachtung und Sammlung einzelner Naturphänomene und deren experimenteller Untersuchung Erkenntnisse über die Natur erhofft und dabei nicht mehr (ungeprüft) auf die Autorität des überlieferten Wissens verlassen will.47 Schon 1613 formuliert Galilei im ersten seiner „Lettere Solari“: „[I] nomi, e gl’attributi si devono accomodare all’essenza delle cose, e non l’essenza à i nomi; perche prima furon le cose, e poi i nomi.“48 Ende des 17. Jahrhunderts bilanziert der irische Naturphilosoph William Molyneux: „Natural Philosophy is now prosecuted by Observation, Experiment, and History thereof. And indeed if we consider it rightly, there is really no other sort of Natural Philosophy, but this only.“49
Anders als die Beobachtung eines Objekts in seinem Auffindungskontext stellt das Experiment die Beobachtungssituation in einem zuvor festgelegten Rahmen und Prozess künstlich her.50 Michael Gamper spricht von einer „provozierten Erfahrung“,51 deren Aussagekraft und Glaubwürdigkeit gerade aufgrund dieser künstlichen Herstellung einer an Zeit und Raum gebundenen Beobachtungssituation in der Tradition der aristotelischen Naturphilosophie in Frage gestellt wird. Der Soziologe Christian Licoppe unterstreicht mit Verweis auf die Experimente Marin Mersennes und Blaise Pascals:
Nous avons vu que l’experimentum avait une valeur de certitude relative dans la tradition aristotélicienne parce qu’il s’agit d’une observation singulière et artificielle dont l’accès est réglementé. Comme Mersenne reprend à son compte cette dépréciation de la valeur de vérité de l’experimentum, il se sent obligé de la consolider autant que possible, et d’engager personnellement sa responsabilité dans sa réalisation.52
Wie Mersenne antworten die meisten Naturforscher des 17. Jahrhunderts auf die Infragestellung ihrer Methoden mit der genauen Beschreibung der einzelnen Handgriffe, die eine möglichst vollständige Nachvollziehbarkeit und damit Reproduzierbarkeit von der Planung bis zur Durchführung zumindest suggerieren soll – eine Art der Darstellung, die Steven Shapin und Simon Schaffer als „virtual witnessing“ bezeichnen.53 Nicht das Experiment an sich garantiere, so Molyneux, den epistemologischen Wert der Methode, sondern dessen Wiederholbarkeit.54 So bittet er seine Leser, die beschriebenen Experimente so oft wie möglich selbst zu wiederholen,55 und erleichtert dies durch die Struktur seiner Schrift, deren Abschnitte anhand der Titel „definitions“ und „experiments“ klar gekennzeichnet sind.56 Wie die Wiederholung antwortet auch der Verweis auf die Anzahl und Reputation der hinzugerufenen Beobachter dem Vorwurf der raumzeitlichen Beschränkung und damit der mangelnden Zugänglichkeit des Experiments.57 Ähnliches gilt für die Beschäftigung mit den weiteren Umständen der Beobachtungssituation, also der Einrichtung des Labors, der Verwendung der Instrumente, der Abfolge der zu unternehmenden Handgriffe, sowie für die Bestimmung relevanter Beobachtungen und der Formen ihrer Vermittlung.58 Der Mathematiker und Astronom Christiaan Huygens unterstreicht in seinem Traité de la lumière (1690) außerdem, dass die Formulierung des Erkenntnisanspruchs an das Forschungsobjekt angepasst werden müsse: „On y verra de ces sortes de demonstrations, qui ne produisent pas une certitude aussi grande que celles de Geometrie […] la nature de ces choses ne souffrant pas que cela se fasse autrement.“59 Evidenz sei in der Naturforschung nur als ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit zu begreifen, und dies gelte sowohl für die Erforschung der unmittelbar vor Augen liegenden Natur als auch für weit entfernte Objekte wie die Fauna und Flora anderer Planeten.60 Es gebe unterschiedliche Stufen der Wahrscheinlichkeit, deren richtige Einschätzung bei der Bewertung eines Forschungsergebnisses entscheidend sei.61 Grundlegend sei das Streben nach einer möglichst großen Übereinstimmung der formulierten Hypothese (frz. principes supposés) mit den Ergebnissen der Beobachtung beziehungsweise der Experimente (frz. expérience), also zwischen einer zuvor formulierten Erwartung und dem eingetretenen Resultat.62 Huygens bezeichnet die so erworbenen Forschungsergebnisse zwar als „speculations“,63 unterstreicht jedoch, dass die häufige Wiederholung Evidenz verschaffen könne, und verabschiedet sich vom Anspruch mathematischer Gewissheit in der Naturforschung.64 Ein Verzicht, der sich auch auf formaler Ebene in Formulierungen wie „on ne sçauroit douter“, „sans doute“, „assurément“, „à mon avis“, „c’est encore une raison de croire“ widerspiegelt.65
Beschäftigen sich die methodischen Überlegungen der naturforschenden Schriften also gleichsam auf einer synchronen Ebene mit der Einrichtung, Durchführung und Vermittlung von Experimenten und Beobachtungen, so befasst sich die Auseinandersetzung mit deren epistemologischen Grundlagen mit dem Forschenden selbst als einem empfindenden Menschen, dessen Empfindungsfähigkeit auf der einen Seite als mangelhaft, auf der anderen Seite aber als entwickelbar beschrieben wird. So bezeichnet sich der englische Philosoph Francis Bacon schon 1620 als „einen treuen Priester der Sinne“66 und unterstreicht zugleich: „Deshalb lege ich auf die unmittelbare und eigentliche Wahrnehmung der Sinne nicht viel Gewicht […].“67 Wie die Sinne sei der Verstand von der Erziehung, dem Austausch mit anderen Menschen, Lektüren, Autoritäten und Vorbildern, aber auch von physischen (Reaktion auf starke Reize; Unfähigkeit, das Denken anzuhalten; Abhängigkeit vom Körper) und im heutigen Sinne soziopsychologischen (Suche nach Kohärenz; Abhängigkeit von bereits bestehenden Meinungen, Affekten und dem eigenen Willen) Bedingtheiten geprägt.68 All diese Umstände verhinderten eine direkte Aufnahme der Sinneseindrücke und machten den Verstand anfällig für Fehlinterpretationen und vorschnelle Schlussfolgerungen: „Denn ein jeder hat […] eine Höhle oder eine gewisse nur ihm eigene Grotte, welche das Licht der Natur bricht und verdirbt […].“69 Zu dem Einfluss von Kultur und Erziehung und der individuellen Disposition (lat. idola specus) des Sehenden kommen – so Bacon – die „beschränkte[] Unzulänglichkeit und [die] Fallstricke[] der Sinne; daher überwiegt das, was den Sinn beeindruckt, dasjenige, was den Sinn nicht unmittelbar erregt, mag es auch das Wesentlichere sein.“70 In seiner Instauratio magna (1620) schließt Bacon auch die primären Qualitäten der Dinge (vgl. Kap. 2.4) in diese Kritik mit ein:
So bleiben die obersten Begriffe der Dinge, die der Verstand leicht und oberflächlich aufnimmt, behält und aufspeichert – woraus denn alles andere sich herleitet – fehlerhaft, ungeordnet und wenig gründliche Abstraktionen. In den zweiten und folgenden Begriffen herrscht die gleiche Willkür und Unbeständigkeit.71
Anders als Kepler oder Descartes definiert Bacon keine nach verschiedenen Gesetzen funktionierenden Räume des Sehens und der seelischen oder geistigen Wahrnehmung, sondern sieht beide von ähnlichen Problemen geprägt und hiervon ausgehend auf einem gemeinsamen Weg möglichst vollständiger Vorurteilslosigkeit: „Ehe wir aber zu dem Entlegenen und Verborgenen der Natur gelangen können, ist es erforderlich, eine bessere und vollkommenere Handhabe und Anwendung des menschlichen Geistes und Verstandes einzuführen.“72 Dieser verbesserte Gebrauch des Verstandes solle sich an den physischen Sinnen orientieren, die zwar auch von der Masse und Vielfalt der Eindrücke überfordert seien und sich von oberflächlichen Ähnlichkeiten täuschen ließen,73 leichter aber als der Verstand in der Lage seien, diese Täuschungen aufzudecken: „Denn es ist gewiss, dass die Sinne täuschen, zugleich aber zeigen sie auch die Mittel an, ihre eigenen Irrtümer zu entdecken. Die Irrtümer sind bereits da, während die Mittel, sie zu heilen, lange gesucht werden müssen.“74 Bacon nimmt an, dass die Täuschungen des Verstandes schwieriger aufzuklären seien als diejenigen der Sinne, da das Denken voraussetzungsreicher und der Mensch weniger bereit sei, seinen Verstand in Frage zu stellen. Die Auflösung der Täuschungen denkt Bacon als einen Prozess der gezielten, aufmerksamen Beobachtung, die sich erstens ihrer Grenzen bewusst ist75 und zweitens das Denken so nah wie möglich an die physische Sinnesempfindung heranführt.76 Diese wird so zur Voraussetzung für die von Bacon wirkmächtig geforderte induktive Methode, von der er sich eine Neufundierung der Philosophie erhofft und die zur Grundlage des Empirismus wird.77
Der englische Naturforscher Robert Hooke (1635–1703) – Gründungsmitglied der Royal Society und ab 1662 als Kurator für die dort durchgeführten Experimente verantwortlich – unterstreicht ebenfalls den Einfluss der individuellen physischen und geistigen Fähigkeiten auf die Einbildungs- und Vorstellungskraft des Menschen und damit auf seine Meinungen und Haltungen:
Every Man has born with him, or contracted by some way or other, a Constitution of Body and Mind, that does more or less dispose him to this or that kind of Imagination or Phant’sy of things, and every one has some kind of Accident or other, that does more or less dispose him for this Opinion or that Operation of the Mind as well as of the Body.78
Diese Beschaffenheit des Körpers und des Verstandes wirke sich sogar auf die Wahl der Methoden in der Naturforschung aus. So neige der eine zu Kontemplation und Spekulation, der andere ziehe das Experiment vor. Der eine schreibe, der andere spreche lieber, beide seien jedoch von diesen Neigungen stark beeinflusst. Hooke verweist auf das bereits von Gassendi und Descartes verwendete Beispiel der Gelbsucht:
Just as a Man that is troubled by the Jaundice, supposes all things to be Yellow, and all things he eats, till otherwise prevented, serve to augment his Choler, by being chang’d into it: Or a melancholy Person, that thinks he meets with nothing but frightful Apparitions, does convert all things he either sees or hears into dreadful Representations, and makes use of them to strengthen his Phant’sy, and fill it fuller of such uneasy Apprehensious, so is it in Constitutions of Mind as to Philosophy.79
Zu den Voraussetzungen der Naturforschung gehört folglich, so Hooke, die Kenntnis der eigenen Vorlieben und kulturellen Prägungen ebenso wie der physischen und psychischen Beschaffenheit. Hierfür sei eine generelle Bereitschaft zu Selbstkritik und Zweifel unabdingbar.80 Hooke unterscheidet wie Bacon zwischen dieser individuellen Disposition und den durch die kulturelle und soziale Umgebung bestimmten Prägungen, denen er einen großen Einfluss auf die Empfindung und das Denken des Einzelnen beimisst. Dabei spielen besonders Erziehung, Modeerscheinungen und die Sprachverwendung eine wichtige Rolle: „A Third Cause of Prejudice is from Language, Education, Breeding, Conversation, Instruction, Study, from an Esteem of Authors, Tutors, Masters, Antiquity, Novelty, Fashions, Customs, or the like.“81 Gerade die philosophischen Begriffe erscheinen Hooke geprägt von diesen Einflüssen. In der Schul- und Studienzeit früh vermittelt, hinterließen sie einen besonders starken und dauerhaften Eindruck.82 Hooke vergleicht sie mit einer ansteckenden Krankheit: „Error being a kind of Ferment which tends to the turning or conforming all things to its own Nature, and like an infected Person has Influence on all things it comes near.“83 Als Gegenmaßnahme („remedy“) schlägt er einen „Hypothetical Scepticism“ vor.84 Hilfreich sei beispielsweise die Vorstellung, die Schriften eines bewunderten Naturforschers oder Philosophen seien von einem wenig geschätzten Kollegen geschrieben: „[F]or that will somewhat incline the Mind to a contrary Opinion, and thereby help to ballance the Inclination of it the better […].“85
Zu der Auseinandersetzung mit den individuellen und kulturellen Bedingtheiten der Erkenntnis gehört für Hooke neben der Beschäftigung mit den Beschränkungen der drei grundlegenden „Faculties of the Soul“ (Sinneswahrnehmung, Gedächtnis und Verstand) auch die Frage nach deren möglicher Perfektibilität („Perfections of our Nature“).86 Diese sieht Hooke nicht nur in der gleichsam synchronen Unterstützung der Sinne durch optische Instrumente oder die methodische Rahmung der Erfahrung im Experiment, sondern auch in der Auseinandersetzung mit den weit in die Menschheitsgeschichte zurückreichenden Ursachen der Beschränktheit und Täuschungsanfälligkeit der menschlichen Sinnesempfindung („infirmities of the Senses“).87 Ein wesentliches Argument der theologischen Sinneskritik aufgreifend, verortet er diese in der Ursünde.88 Der Mensch verfüge seit der Vertreibung aus dem Paradies nur noch über eine von seinem Körper abhängige und folglich ebenso beschränkte wie fehleranfällige Sinnesempfindung, die sogar derjenigen vieler Tiere unterlegen sei (vgl. Exkurs I).89 Hooke fordert seine Leser auf, diese Tatsache nicht nur anzuerkennen, sondern sich nach Möglichkeit um die Verbesserung der Sinne zu bemühen, da von ihr die Qualität des Gedächtnisses und des Verstandes abhänge: „[B]y rectifying the operations of the Sense, the Memory, and Reason, since upon the evidence, the strength, the integrity, and the right correspondence of all these, all the light, by which our actions are to be guided, is to be renewed […].“90 Seine mikroskopischen Beobachtungen, die er 1667 unter dem Titel Micrographia: or Some Physiological Descriptions of Minute Bodies veröffentlicht, sieht er nicht nur als Resultat seiner eigenen Bemühungen, sondern auch als eine Art Handreichung an seine Leser, ihre Sinne, ihr Gedächtnis und ihren Verstand zu verbessern und somit einen Teil der Ursünde auszugleichen.91 Die optischen Instrumente („artificial Organs“)92 und die Methoden der Auswahl und Ordnung relevanter Beobachtungen erlaubten,93 „in some manner, a reparation made for the mischiefs, and imperfection, mankind has drawn upon it self […].“94 Hooke unterstreicht optimistisch, dass in Zukunft kein Bereich der materiellen Welt unsichtbar bleiben werde, und verspricht seinen Lesern „a new visible World“.95 Nicht nur die Oberfläche, sondern auch die Zusammensetzung und Funktionsweise der materiellen Dinge könnten erforscht und die Grundlage für eine „real, […] mechanical, […] experimental Philosophy“ gelegt werden, welche sich – anders als die ‚rhetorische‘ Philosophie, die Hooke auch als speculation und fantasie bezeichnet – mit den sinnlichen Grundlagen der Erkenntnis beschäftige: „It is now high time that it [i. e. the Science of Nature] should return to the plainneß and soundneß of Observations on material and obvious things.“96
Den ersten Schritt sieht Hooke in einer Rückbesinnung auf die einfache, direkte Sinnesempfindung, die dem ursprünglichen Zustand der Menschheit vor der Ursünde am nächsten komme: „It is said of great Empires, That the best way to preserve them from decay, is to bring them back to the first Principles, and Arts, on which they did begin. The same is indoubtedly true in Philosophy, that by wandering far away into invisible Notions, has almost quite destroy’d it self […].“97 Nur die Rückkehr zu einer vorurteilslosen Sinnlichkeit („sensible paths“98 ) könne vor diesem die gesamte Gesellschaft betreffenden Verfall bewahren:
In this kind I here present to the World my imperfect Indeavours; which though they shall prove no other way considerable, yet, I hope, they may be in some measure useful to the main Design of a reformation in Philosophy, if it be only by shewing, that there is not so much requir’d towards it, any strength of Imagination, or exactness of Method, or depth of Contemplation […] as a sincere Hand, and a faithful Eye, to examine, and to record, the things themselves as they appear.99
Allerdings erweist sich diese von Hooke vorgeschlagene „universal cure of the Mind“100 in der praktischen Umsetzung als weit voraussetzungsreicher, und dies sowohl auf der Ebene der Beobachtung als auch auf derjenigen der Vermittlung. Hooke spricht mehrfach von einer für die Beobachtung notwendigen Methode („imploying his Senses aright“)101 und entwirft neben einer an den Laien gerichteten „pedagogy of sight“102 eine methodology of sight, die nicht nur deutlich macht, was und in welchem diskursiven Rahmen (Physikotheologie, mechanisches Weltbild)103 gesehen beziehungsweise verstanden werden soll, sondern auch wie das forschende Sehen vonstatten geht, welcher Anleitung es bedarf und wie das Gesehene vermittelt wird. Im Zentrum steht dabei die aufmerksame Beobachtung, da Unaufmerksamkeit beziehungsweise Unachtsamkeit („negligence, and intemperance“)104 die wesentlichen Ursachen für Sinnestäuschungen seien und zudem die Erinnerungsfähigkeit einschränkten. Wichtige Dinge würden gar nicht gesehen, falsch erinnert oder mit der Zeit vergessen. Hooke begründet die Unachtsamkeit zum einen moralisch mit der menschlichen Zügellosigkeit, also dem Wunsch, immer Neues und Anderes sinnlich zu erfassen, und zum anderen mit den anatomischen Gegebenheiten der Sinnesorgane, die nicht in der Lage seien, die unendliche Anzahl der sichtbaren Dinge aufzunehmen: „[E]ither from the disproportion of the Object to the Organ, whereby an infinite number of things can never enter into them, or else from error in the Perception […].“105 Werde diese Überforderung nicht erkannt, schließe der Mensch vom ‚Schatten der Dinge‘ auf deren Substanz, von der äußeren Erscheinung auf innere Ähnlichkeiten und leite hieraus falsche Definitionen ab.106
Thus all the uncertainty, and mistakes of humane actions, proceed either from the narrowness and wandring of our Senses, from the flipperineß or delusion of our Memory, from the confinement or rashneß of our Understanding, so that ’tis no wonder, that our power over natural causes and effects is so slowly improvd, seeing we are not only to contend with the obscurity and difficulty of the things whereon we work and think, but even the forces of our own minds conspire to betray us.107
Grundlage einer diesen Gefahren begegnenden „Experimental Philosophy“108 müsse demnach die genaue und sorgfältige Auswahl und Untersuchung der Beobachtungsgegenstände sein. Das Forschungsfeld dürfe hierfür weder zu eng noch zu weit gefasst werden: „[L]east by seeking to inlarge our Knowledge, we should render it weak and uncertain; and least by being too scrupulous and exact about every Circumstance of it, we should confine and streighten it too much.“109 Das so ausgewählte Objekt müsse aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in verschiedenen Lichtverhältnissen betrachtet werden, dürfe also nur langsam und in ständigem Abgleich mit anderen Beobachtungen und dem bereits Bekannten untersucht werden:110
The best Remedy therefore that seems to be against this Prejudice is, to compare the several Informations we receive of the same thing, from the several Impressions it makes on the several Organs of Sense and (by a Rejection of what is not consonant) by degrees to find out its Nature, and thereby to inform the Intellect with a Notion of the thing […].111
Hookes berühmte Illustrationen geben also nicht das einmal Gesehene wieder, sondern sind das Ergebnis mehrerer methodengeleiteter Beobachtungsprozesse.112 Sie zeigen, was ohne Instrumente und ohne diese methodische Leitung der Sinne für das „naked eye“113 gerade nicht sichtbar ist. Als erstes Objekt nimmt sich Hooke eine Nadelspitze vor (vgl. Abbildung 10).114 Er schränkt damit seinen Untersuchungsgegenstand auf einen präzisen Punkt ein und nimmt sich vor, diesen aufmerksam und sorgfältig aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten sowie das Gesehene sowohl zu beschreiben als auch in einer Illustration zusammenzuführen. Hooke nutzt im Vorfeld das bildliche Potenzial der Nadelspitze, um die Beobachtung metaphorisch als von einem ersten Schritt ausgehende Wanderung115 und die Beschreibung des Gesehenen metonymisch als von einem ersten Tintenklecks ausgehenden Text zu verdeutlichen: „We must first endevour to make letters, and draw single strokes true, before we venture to write whole Sentences, or to draw large Pictures.“116 Unter dem Mikroskop erweist sich dieses sorgfältig ausgewählte Objekt allerdings als äußerst widerständig. Die Nadelspitze wirkt „broad, blunt, and very irregular“117 und widerspricht so ihren der Beobachtung vorausgehenden Bewertungen (scharf, glatt, punktartig). Der Punkt entpuppt sich als Fläche, die nicht einmal glatt ist, sondern „irregular and uneven“.118 Hooke kann folglich nicht von einem einfachen Ausgangspunkt zu immer komplexeren Überlegungen voranschreiten und an diesem Vorgang die Sinne schulen, sondern seine Beschreibung entfaltet eine Art Wimmelbild: „[S]o that it seem’d to have been big enough to have afforded a hundred armed Mites room enough to be rang’d by each other without endangering the breaking one anothers necks, by being thrust off on either side.“119 Es bleibt bei dem Versuch, die Vielgestaltigkeit der „multitude of holes and scratches and ruggednesses“120 bildlich und summarisch auszudrücken. Unter dem Mikroskop werde der Punkt zu „smutty daubings on a matt or uneven floor […] like a great splatch of London dirt […].“121 Trotz der Unterstützung durch das optische Instrument bleibe es schwer, zwischen einer Erhebung und einer Vertiefung, einem Schatten und einem schwarzen Streifen zu unterscheiden:122 „[O]f these kind of Objects there is much more difficulty to discover the true shape, then of those visible to the naked eye […].“123 Anhand eines Fliegenauges veranschaulicht Hooke diese Schwierigkeiten auch performativ:

Hooke (1667), Micrographia, o. P. (Fig. 1). Abbildungen zwischen Seite 2 und 3. Bibliothèque de Genève, Ma 52.

Hooke (1667), Micrographia, o. P. (Fig. 1). Abbildungen zwischen Seite 2 und 3. Bibliothèque de Genève, Ma 52.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. (Fig. 1). Abbildungen zwischen Seite 2 und 3. Bibliothèque de Genève, Ma 52.
The Eyes of a Fly in one kind of light appear almost like a Lattice, drilld through with abundance of small holes […]. In the Sunshine they look like a Surface cover’d with golden Nails; in another posture, like a Surface cover’d with Pyramids; in another with Cones; and in other postures of quite other shapes […].124
Das Forschungsobjekt erweist sich als weder sprachlich noch visuell fassbar und illustriert statt der zuvor entworfenen Methode die theologische Vorannahme Hookes. Die handwerklich hergestellten Objekte des Menschen zeugten wie die Mangelhaftigkeit seiner Sinne von dessen Sündenfall: „For the Productions of art are such rude mis-shapen things, that when view’d with a Microscope, there is little else observable, but their deformity. […] So that my first Reason why I shall add but a few observations of them, is, their mis-shapen form; and the next, is their uselessness.“125 Es geht Hooke in diesem Fall nicht um das bessere oder genauere Sehen, um eine Methode der sinnlichen Erkenntnis oder die Verbreitung von Wissen, sondern um die Bewunderung seiner Leser für die Perfektion der göttlichen Schöpfung. Ziel der mikroskopischen Untersuchung von Alltagsgegenständen ist folglich nicht die methodische Regulierung der Beobachtung, sondern das theologische und moralische Bewusstsein ihrer Grenzen.
2.3 Exkurs III: Der sinnliche Staatskörper (Thomas Hobbes)
Der englische Philosoph und Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588–1679) – Gegenspieler Hookes und Robert Boyles (1627–1691) in der Diskussion über den Erkenntniswert von Experimenten126 – verbindet in der ersten der drei Sektionen seiner Elementa Philosophiae (De corpore, 1655) das menschliche Denken eng mit dem Sehen, versteht aber die Entwicklung der Philosophie als einen Prozess, der über die Sinnesempfindung hinausgeht und die Sprache erfordert:
For the better understanding of which definition [i. e. der Philosophie], we must consider, first, that although Sense and Memory of things, which are common to man and all living creatures, be knowledge, yet because they are given us immediately by nature, and not gotten by ratiocination, they are not philosophy.127
Das philosophische Denken entstehe erst, wenn der Mensch aus einer Ansammlung von Eindrücken verallgemeinernde Schlussfolgerungen über deren Ursprung oder Wesen ziehe: „The first beginnings, therefore, of knowledge, are the phantasms of sense and imagination […] but to know why they be, or from what causes they proceed, is the work of ratiocination […].“128 Unter ratiocination versteht Hobbes die Vorgänge des Zusammenfügens, Trennens und Auflösens von zuvor durch die Sinne aufgenommenen Eindrücken.129 Er entwirft diesen Vorgang wie einen teleskopischen Blick:
If therefore a man see something afar off and obscurely, although no appellation had yet been given to anything, he will, notwithstanding, have the same idea of that thing for which now, by imposing a name on it, we call it body. Again, when, by coming nearer, he sees the same thing thus and thus, now in one place and now in another, he will have a new idea thereof, namely, that for which we now call such a thing animated. Thirdly, when standing nearer, he perceives the figure, hears the voice, and sees other things which are signs of rational mind, he has a third idea, though it have [sic!] yet no appellation, namely, that for which we now call anything rational. Lastly, when, by looking fully and distinctly upon it, he conceives all that he has seen as one thing, the idea he has now is compounded of his former ideas, which are put together in the mind in the same order in which these three single names, body, animated, rational, are in speech compounded into this one name, body-animated-rational, or man.130
Entferne sich der Mensch wieder, verschwinde aus dem Geist des Sehenden zuerst die Idee des Rationalen, dann der Bewegung und zuletzt auch des Körpers, „so that at last, when nothing at all can be seen, the whole idea will vanish out of sight.“131 Wenngleich somit die Philosophie als eine abstrahierende Überschreitung der Sinnesempfindung konzipiert wird, spielt die Beschäftigung mit den Sinnen für Hobbes eine grundlegende Rolle.132 Diese stehen nicht nur am Anfang des menschlichen Denkens,133 sondern bilden auch die Voraussetzung für die beiden von Hobbes umrissenen Wissensbereiche der Philosophie: erstens die Erforschung der Naturerscheinungen („appearances of nature“) und deren Gründe („natural causes“134 ) und zweitens Ethik und Staatslehre, die Hobbes anhand der Metapher des Staatskörpers entwickelt und deren Form und Gesetze er aus der Kenntnis der menschlichen Empfindungen ableitet.
Hobbes definiert das Licht und die visuelle Sinnesempfindung als eine Bewegungsübertragung („motion or endeavour“)135 und schreibt sich damit in die mechanistische Optik seiner Zeit ein, fügt ihr jedoch einen entscheidenden Aspekt hinzu, der in dem Wort endeavour anklingt.136 Eine von außen kommende Bewegung – die Hobbes als ein Pulsieren fasst137 – berührt das Auge und presst sich ihm ein.138 Von dort aus wird die Bewegung ins Herz weitergeleitet, welches Hobbes im Anschluss an antike und mittelalterliche Theorien der Sinnesempfindung als „the innermost part of the organ of sight“ bezeichnet.139 Das Sehen im eigentlichen Sinne beginne erst mit der Reaktion des Herzens auf diese Bewegung.140 Erst hier könne man von Licht oder einem „phantasm of a lucid body“141 sprechen.142 Im Umkehrschluss bedeutet dies, „that were there no eyes and other organs involved in sensation to encounter the pressure it creates, there would be no light […].“143 Ebenfalls in De corpore (1655) beschreibt Hobbes denselben Vorgang leicht verändert. Hier wird die Bewegung von der Retina bis an den Ausgangspunkt des optischen Nervs im Gehirn geleitet. Dieser Nerv werde wie alle anderen vom Herzen ausgehend über die Arterien mit „vital spirits“ versorgt.144 Das Sehen erscheint als eine Art Gemeinschaftsarbeit des Auges und des Herzens, die jedoch im Gehirn stattfindet.145 Hobbes selbst hält dies für seine zentrale Entdeckung und wendet sich explizit gegen Aristoteles’ Wahrnehmungstheorie:146 „And from hence also it followeth, that whatsoever accidents or qualities our senses make us think there be in the world, they be not there, but are seeming and apparitions only: the things that really are in the world without us, are those motions by which these seemings are caused.“147 Hobbes unterteilt das Sehen folglich in drei Phasen: Erstens die Berührung des Auges durch eine von einer Lichtquelle ausgehende Bewegung, die bis ins Herz oder das Gehirn geleitet wird, zweitens die innerliche Reaktion des Menschen auf diese Bewegung, die ein Bild (engl. phantasm) entstehen lässt, und drittens dessen Beurteilung durch den Verstand auf der Basis des Vergleichs mit bereits in der Erinnerung vorhandenen Bildern und mithilfe der Sprache. Die meisten Menschen verwechselten diese dritte Phase mit der Sinnesempfindung selbst: „For by sense, we commonly understand the judgment we make of objects by their phantasms […].“148 Nur ein einziges Objekt zu sehen könne folglich nicht als wirkliches Sehen verstanden werden und Hobbes unterscheidet zwischen „looking“ und „seeing“.149
Auf den ersten Blick scheint Hobbes’ Theorie der Sinnesempfindung mit derjenigen Descartes’ weitgehend übereinzustimmen.150 Hobbes vertritt jedoch vor dem Hintergrund seiner Staatstheorie eine klar sensualistische Epistemologie. Jeder einzelne Gedanke gehe auf eine Sinnesempfindung zurück, die er mit den Worten „a representation or appearance, of some quality, or other accident of a body without us, which is commonly called an object“ zu beschreiben sucht.151 Das Objekt bearbeite die Sinnesorgane von außen („worketh on“)152 und Hobbes unterscheidet zwischen einer unmittelbaren (Tast- und Geschmackssinn) und einer mittelbaren (Sehen, Hören und Riechen) Berührung.153 Die einmal in Gang gebrachte Bewegung höre nicht plötzlich auf und münde so in die Einbildungskraft, die Hobbes mit der Bewegung von Wellen vergleicht:154 „IMAGINATION therefore is nothing but decaying sense […].“155
Ein Gedanke besteht nach Hobbes aus einer Folge einzelner durch die Reaktion auf Sinneseindrücke erworbener Ideen, die sich entweder ungeleitet oder geleitet („regulated by some desire, and design“)156 aneinanderreihten. Geleitet werden könne die Reihung durch die Suche nach der Ursache oder dem Ursprung eines Objekts (dies sei Tieren und Menschen gemeinsam) oder durch die Suche nach seinen möglichen Effekten (dies sei dem Menschen vorbehalten): „[T]hat is to say, we imagine what we can do with it, when we have it.“157 Aus dieser Suche leitet Hobbes die Fähigkeit ab, sich etwas Zukünftiges vorstellen oder es sogar vorhersehen zu können.158
There is no other act of man’s mind, that I can remember, naturally planted in him, so as to need no other thing, to the exercise of it, but to be born a man, and live with the use of his five senses. Those other faculties, of which I shall speak by and by, and which seem proper to man only, are acquired and increased by the study and industry; and of most men learned by instruction, and discipline; and proceed all from the invention of words, and speech. For besides sense, and thoughts, and the train of thoughts, the mind of man has no other motion; though by the help of speech, and method, the same faculties may be improved to such a height, as to distinguish men from all other living creatures.159
Das Ziel der Philosophie ist für Hobbes die Nutzung des erlangten Wissens über die Entstehung und die Eigenschaften der Dinge für die Verbesserung der menschlichen Lebensumstände:
The end or scope of philosophy is, that we may make use to our benefit of effects formerly seen; or that, by application of bodies to one another, we may produce the like effects of those we conceive in our mind, as far forth as matter, strength, and industry, will permit, for the commodity of human life.160
Es geht Hobbes dabei nicht – wie beispielsweise Bacon oder Gassendi – um den allgemeinen Nutzen des erworbenen Wissens. Die Philosophie solle sich nicht mit der Lösung gedanklicher Probleme, mit rhetorischer Perfektion oder der Vermittlung des Wissens beschäftigen, sondern mit Möglichkeiten konkreter gesellschaftspolitischer Veränderungen: „The end of knowledge is power […] and, lastly, the scope of all speculation is the performing of some action, or thing to be done.“161 Im Zentrum steht das Wissen der Technik, der Architektur, der Navigation, des Instrumentenbaus und der Geografie.162 Die Erforschung der Sinnesempfindung ermögliche es, in diesen Bereichen die richtigen Schlüsse aus dem Beobachteten zu ziehen. So wird die Theorie der Sinnesempfindung in Hobbes’ Philosophie zu einem auch internationalen Machtfaktor. Die Menschheit lasse sich in Völker unterscheiden, die dieses Wissen besäßen und für sich nutzen könnten (die Bevölkerung Europas und Asiens) und diejenigen, die es auch besitzen möchten (die Bevölkerung Afrikas, Amerikas und des Polargebiets).163
Erlaubt so die Kenntnis der Sinnesempfindung die Entwicklung nützlichen Wissens, so befasst sich die politische und ethische Theorie mit der Schaffung eines hierfür günstigen Rahmens.164 Hobbes geht davon aus, dass jeder Mensch seine eigenen Ziele verfolge, indem er von der Vergangenheit auf die Gestaltbarkeit der Zukunft schließe: „Wherefore all conception of future, is conception of power able to produce something.“165 Zentral sei für den Menschen seine eigene Freude, die Hobbes sowohl körperlich als auch geistig fasst: „[A]nd besides these, such further power as by them is acquired, viz. riches, place of authority, friendship and favour […]. The contraries of these are impotencies, infirmities, or defects of the said powers respectively.“166 Die Freude an der eigenen Machtausübung gerate nun notwendig in Konflikt mit derjenigen anderer: „[P]ower simply is no more, but the excess of the power of one above that of another […].“167 Hobbes nimmt an, dass die Menschen von Natur aus mit den gleichen Fähigkeiten ausgestattet sind. Hieraus leitet er die Tatsache ab, dass sie in gleicher Weise hoffen, ihre Ziele zu erreichen, was zugespitzt zu einem ständigen Krieg aller gegen alle führt:168 „From this equality of ability, ariseth equality of hope in the attaining of our ends. And therefore if any two men desire the same thing […] which is principally their own conservation, and sometimes their delectation only, endeavour to destroy, or subdue one another.“169 Dieser beständige Kriegszustand führe dazu, dass Wissenschaft und Philosophie sich nicht weiterentwickeln könnten, da jeder in ständiger Angst vor seinen Mitmenschen lebe:
In such condition, there is no place for industry; because the fruit thereof is uncertain: and consequently no culture of the earth; no navigation, nor use of the commodities that may be imported by sea; no commodious building; no instruments of moving, and removing, such things as require much force; no knowledge of the face of the earth; no account of time; no arts; no letters; no society; and which is worst of all, continual fear, and danger of violent death; and the life of man, solitary, poor, nasty, brutish, and short.170
Die Beschäftigung mit den Sinnen liefert Hobbes folglich nicht nur eine Art Diagnose der Grundcharakteristika des Menschen und der sich hieraus ergebenden Probleme, sondern bildet zugleich den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Gesellschaftsordnung, in der der einzelne Mensch die Verfolgung seiner eigenen Ziele zugunsten derjenigen der Gesellschaft aufgibt:171 „The true and perspicuous explication of the elements of laws natural and politic […] dependeth upon the knowledge of what is human nature […].“172 Der erste Teil des Leviathan: or, the Matter, Form, and Power of a Commonwealth (1651) beschäftigt sich konsequenterweise mit dem Menschen, den Hobbes zugleich als „matter“ und „artificer“ der Gesellschaft bezeichnet.173 Der Philosoph könne dabei von der Beobachtung des eigenen Denkens und Empfindens auf dasjenige der anderen Menschen schließen: „He that is to govern a whole nation, must read in himself, not this or that particular man; but mankind […].“174 Von dieser Kenntnis der eigenen Empfindungen könne der Philosoph auf die notwendige Struktur einer Gesellschaft schließen.175 Anders als der menschliche Körper, in dem die Sinne und der Verstand gemeinsam auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse gerichtet seien, veranschauliche der Staatskörper die für die Beschränkung dieses individuellen Strebens notwendigen Machtverhältnisse:
For by art is created that great LEVIATHAN called a COMMONWEALTH, or STATE, in Latin CIVITAS, which is but an artificial man; […] and in which the sovereignty is an artificial soul, as giving life and motion to the whole body; the magistrates, and other officers of judicature and execution, artificial joints; reward and punishment, by which fastened to the seat of the sovereignty every joint and member is moved to perform his duty, are the nerves, that do the same in the body natural […].176
Die Nerven übermitteln durch Belohnung oder Strafe die Anweisungen der Seele an die einzelnen Glieder des Körpers und bringen so jedes Gelenk (Justiz, Verwaltung und Polizei) dazu, seine Pflicht im Sinne der Seele zu erfüllen. Nur eine übergreifende und ehrfurchtgebietende Macht könne so den Krieg aller gegen alle verhindern. Mit der Einrichtung einer solchen Gesellschaft gibt das Individuum einen Großteil seiner natürlichen Rechte und Fähigkeiten an den Souverän ab. Hierzu gehört die Möglichkeit, das einmal eingesetzte Gesellschaftsmodell zu verändern, aufzulösen oder auch nur zu kritisieren („[H]e that dissented must now consent with the rest […]“).177 Der Souverän trifft alle die Gesellschaft betreffenden Entscheidungen und definiert auch, was den Menschen beizubringen und vorzuenthalten ist („opinions and doctrines“).178 Er bestimmt, nach welchen Regeln das Eigentum zu verteilen und welche Gesetze zu befolgen beziehungsweise welche Übertretungen auf welche Weise zu bestrafen sind.179 Die Form dieser Macht ist nicht entscheidend für ihre Stärke, wohl aber für ihre Fähigkeit, den Frieden und die Ordnung dauerhaft und stabil durchzusetzen. Hobbes traut dies am ehesten der Monarchie zu, da für ihn in einer Demokratie private und öffentliche Interessen und Meinungen der Regierenden zu weit auseinandergehen.180
Hobbes’ Modell der Sinnesempfindung führt so beinahe kausal zu einer absolutistischen Gesellschaftsordnung. Eine entscheidende Rolle spielt die Annahme, der Mensch sehe die Welt nicht wie sie ist, sondern das Sehen beruhe im Wesentlichen auf der Reaktion des Herzens oder des Gehirns, die neue Sinnesempfindungen immer im Licht bereits vergangener Empfindungen interpretierten. Natürlich sei dem Menschen eine auf die Zukunft gerichtete Deutung, die wesentlich am Nutzen des empfundenen Objekts für die Befriedigung eigener Interessen orientiert sei. Der Mensch sehe also, was er haben und nutzen wolle, und gerate so notwendig in Konflikt mit derselben Bestrebung anderer Menschen. Nur durch die Übertragung des Machtstrebens auf eine übergeordnete Autorität könne dieses auf das Allgemeinwohl gelenkt werden. Damit wird aus allen einzelnen Menschen ein letztlich ebenso wie sie funktionierender sinnlicher Staatskörper. Hobbes’ Theorie der Sinnesempfindung entwirft so eine ganz eigene Vorstellung von der Macht der Sinne, deren selbstzerstörerisches Potenzial nur durch die Unterwerfung unter eine höhere Macht gebändigt werden kann, deren allegorischer Staatskörper dieses Machtstreben nun nach außen gegen andere Gesellschaften richtet.
2.4 Primäre und sekundäre Qualitäten
Neben den individuellen und kulturellen Bedingtheiten der sinnlichen Empfindung und ihrer raumzeitlichen Begrenzung durch den Körper wird im 17. Jahrhundert auch die Frage diskutiert, was genau das menschliche Auge eigentlich sieht. Im Zentrum stehen dabei auf der einen Seite die Distanz- und Größenwahrnehmung (vgl. Kap. 2.5) und auf der anderen Seite die auf den vorsokratischen Philosophen Demokrit (460/459 v. Chr. – 371 v. Chr.) zurückgehende Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten. In der zentralen Aussage seiner Philosophie unterscheidet Demokrit – so die überlieferte Interpretation Galens – zwischen dem scheinbaren Bereich der Sinnesempfindungen und dem wirklichen Bereich der Atome:
Nachdem D. sein Mißtrauen gegen die Sinneswahrnehmungen in dem Satze ausgesprochen: ‚Scheinbar (d. i. konventionell) ist Farbe, scheinbar Süßigkeit, scheinbar Bitterkeit: wirklich nur Atome und Leeres‘ läßt er die Sinne gegen den Verstand reden: ‚Du armer Verstand, von uns nimmst du deine Beweisstücke und willst uns damit besiegen? Dein Sieg ist dein Fall!‘181
Diese Unterscheidung aufgreifend geht Galilei in seiner Schrift Il Saggiatore (1623) davon aus, dass beispielsweise die Hitze des Feuers eine Reaktion des Empfindenden auf eine vom Feuer ausgehende und sich in das Empfindungsorgan eindrückende Bewegung sei.182 Von dieser Empfindung lasse sich jedoch nicht auf die primären, das heißt die dem Feuer unabhängig vom Menschen zukommenden Eigenschaften schließen. Letztere beschränkt Galilei auf die äußere Form, Größe, Anordnung und Anzahl der Objekte sowie den Ort und die Zeit ihrer materiellen Existenz. Von den Sinnen bestimmt seien hingegen die Empfindung und (immer zugleich) Bewertung von Farbe, Geschmack, Geruch und Lautstärke:
But whether it is white or red, bitter or sweet, noisy or silent, and of a pleasing or unpleasant odour, my mind does not feel compelled to bring this in order to apprehend it; in fact, without our senses as a guide reason or imagination unaided would probably never arrive at qualities such as these. So it seems to me that taste, odour, colour, and so on are nothing more than pure names, as far as the objects in which we think they reside are concerned. Rather, they exist only in the mind that perceives them, so that if living creatures were removed, all these qualities would be wiped away and no longer exist.183
Entscheidend ist also, dass diese sekundären Qualitäten der Dinge den menschlichen Sinnen zugeordnet sind und ohne das empfindende Wesen – im Gegensatz zu den primären oder realen Qualitäten – in der materiellen Welt nicht existieren, zugleich aber vom Geist nicht ohne die Sinnesorgane empfunden werden können. Im Zusammenhang mit Spinozas Theorie der Sinnesempfindung unterstreicht Dominik Perler:
Wie alle Autoren des 17. Jhs., die von der mechanistischen Physik beeinflusst sind, schließt sich auch Spinoza der Auffassung an, dass materielle Gegenstände nur geometrische und kinematische Eigenschaften haben. Zwar schreiben wir ihnen im Alltag Farben, Gerüche und andere Sinneseigenschaften zu, doch diese existieren streng genommen in uns und nicht in den Gegenständen.184
Descartes unterstreicht in den „Principes de la philosophie“ (1647, 1644 bereits auf Latein erschienen), dass es den Menschen schwerfalle, diese Empfindungen („comme la lumière, les couleurs, les sons, les odeurs“)185 nicht als Eigenschaften der materiellen Dinge zu sehen und ihnen so eine vom Empfindenden unabhängige Existenz zuzuschreiben. Edme Mariotte unterstreicht in vergleichbarer Weise:
Il est difficile dans nos sensations de ne point confondre ce qui vient de la part des objèts, avec ce qui vient de la part de nos sens. La plupart des hommes n’hésitent point à dire que le soleil est lumineux, que le feu est chaud, que les cordes de luth ont un son agréable; & cependant ces choses n’agissent sur nous que par quelque mouvemens, tout le reste de leurs apparences vient de nous & nous doit être entiérement attribué.186
Anhand der Beispiele des Nachbildes und der Lichtempfindung nach einem Schlag aufs Auge schließt er, „que la lumiére, la chaleur, & la plupart des autres qualitez sensibles, ne sont pas à parler proprement dans les objèts; mais que ces apparences sont déterminées par les modifications des organes de nos sens […].“187 Eine Einschätzung, die Mariotte mit Isaac Newton teilt, den er ansonsten scharf kritisiert.188 In seinem Trinity Notebook geht Newton davon aus, dass Farbe eine Reaktion des Empfindenden auf die Bewegungsgeschwindigkeit des Lichts ist.189 Im ersten Buch der Opticks sucht er dieser Unterscheidung auch sprachlich eine Form zu geben:
The homogeneal Light and Rays which appear red, or rather make Objects appear so, I call Rubrifick or Red-making; those which make Objects appear yellow, green, blue, and violet, I call Yellow-making, Green-making, Blue-making, Violet-making, and so of the rest. And if at any time I speak of Light and Rays as coloured or endued with Colours, I would be understood to speak not philosophically and properly, but grossly, and accordingly to such Conceptions as vulgar People in seeing all these Experiments would be apt to frame. For the Rays to speak properly are not coloured. In them there is nothing else than a certain Power and Disposition to stir up a Sensation of this or that Colour. […] in the Rays they are nothing but their Dispositions to propagate this or that Motion into the Sensorium, and in the Sensorium they are Sensations of those Motions under the Forms of Colours.190
Wie genau die Impulse im Menschen eine bestimmte Empfindung auslösen, bleibt jedoch ungeklärt. Der französische Naturforscher Jacques Rohault (1617/1618–1672) unterstreicht in seinem Traité de Physique (1671): „Ainsi par la lumiere de la flamme, on entend un certain je ne sçay quoi, par le moyen duquel elle fait naître en nous le sentiment de la lumiere; & par la blancheur de la neige, on entend un autre je ne sçay quoi, par le moyen duquel elle fait naître en nous le sentiment de la blancheur.“191 Der Schnee sei folglich nicht tatsächlich weiß, sondern habe (irgendwie) die Eigenschaft, im Menschen diese Empfindung auszulösen.192 Der Einwirkung des Lichts auf das Sinnesorgan entspreche die menschliche Disposition zur Empfindung, ohne dass damit schon etwas über deren Ursache, Form und Inhalt ausgesagt sei.193 Außerdem unterscheide sich, so Rouhault, die Farbempfindung von Mensch zu Mensch, und er vergleicht sie mit dem Verzehr von Fleisch.194 Seine Leser könnten sich folglich nur selbst ein Urteil über Rouhaults Thesen bilden: „Car j’estime qu’il est aussi impossible de faire comprendre à un autre le propre sentiment que l’on a des couleurs, que d’en faire avoir l’idée à un aveugle de naissance.“195 Rouhault verweist auf eine Augenverletzung, die er sich bei einer mehr als zwölfstündigen Beobachtung einer Schlacht durch ein Fernrohr zugezogen und die dazu geführt habe, dass er mit dem verletzten Auge grüne Objekte nun als blau empfinde.196 Rouhault entwirft im Folgenden ein Gedankenexperiment, welches mit Étienne Bonnot de Condillacs Traité des sensations (1754) mehr als achtzig Jahre später einem der zentralen Texte des aufklärerischen Sensualismus zugrunde liegt.197 Die Leser werden aufgefordert, sich einen neugeborenen Menschen vorzustellen. Damit werde die Schwierigkeit der Selbstbeobachtung ebenso umgangen wie die Tatsache, dass im erwachsenenen Menschen Empfindung und Reflexion kaum noch zu unterscheiden seien:
Supposons donc qu’un homme vienne de naître; & que cependant par un privilege particulier il ait déja autant de discernement & de prudence qu’on en sçauroit souhaiter en un homme parfait; Et pour n’examiner qu’un seul sens à la fois, pensons qu’il n’a pas encore ouvert les yeux, qu’il n’y a point de parfum au lieu où il est, & que l’on n’y fait point de bruit.198
Diesem neugeborenen Erwachsenen solle der Leser nun mit einer Nadel in den Arm stechen. Rohault geht davon aus, dass dieser einen physischen Schmerz empfinden werde, „qui luy appartient uniquement“,199 der also nicht in der Nadel, sondern allein im Neugeborenen selbst verortet sei. Dasselbe gelte für die anderen Sinnesempfindungen und Rohault vergleicht insbesondere Tast- und Sehsinn.200 Er definiert sie als Affekte, die keine Auskunft über die die Empfindung auslösenden Dinge geben, und er illustriert dies mit dem Verweis auf eine Reihe von Erfahrungen (Traum, Wahnsinn, Tinnitus, Trunkenheit, optische Täuschungen und Phantomschmerzen), bei denen die Empfindung ebenfalls auf keine dem Körper äußerliche Ursache zurückgeführt werden könne.201 Erst wenn der neugeborene Mensch die Erfahrung mache, dass die Empfindung nicht von seinem Willen abhänge, wachse in ihm ein Bewusstsein von der außerhalb des eigenen Körpers liegenden Welt.202 Er erkenne so, dass der Schnee zwar nicht weiß sei, aber sehr wohl die Farbempfindung ‚weiß‘ auslöse.203
In seinem Essay Concerning Human Understanding (1690) identifiziert Locke diese Möglichkeit, im Menschen eine Empfindung auszulösen, mit den sekundären Qualitäten: „Whatsoever the Mind perceives in it self, or is the immediate object of Perception, Thought, or Understanding, that I call Idea; and the Power to produce any Idea in our mind, I call Quality of the Subject wherein that power is.“204 Die primären Qualitäten der Objekte hingegen (Locke nennt sie auch „original“)205 kommen diesen nicht nur unabhängig vom empfindenden Menschen zu, sondern sind auch unabhängig von ihren jeweiligen Umständen. Als Beispiel führt Locke ein Weizenkorn an, dessen Form zwar veränderbar sei, immer jedoch die Qualitäten der „Solidity, Extension, Figure, and Mobility“ behalte.206 Die sekundären Qualitäten hingegen seien kein materieller Teil der äußeren Objekte, sondern bezeichneten die Eigenschaft ihrer primären Qualitäten, Empfindungen (engl. sensations) im Menschen auszulösen: „Such Qualities, which in truth are nothing in the Objects themselves, but Powers to produce various Sensations in us by their primary Qualities, i. e. by the Bulk, Figure, Texture, and Motion of their insensible parts, as Colours, Sounds, Tasts, etc.“207 Dem fügt Locke eine dritte Qualität hinzu, welche die Möglichkeit eines Objektes bezeichnet, auf ein anderes einzuwirken (beispielsweise das Feuer auf Wachs).208 Den Vorgang beschreibt er nach einem mechanistischen Verständnis: „The next thing to be consider’d, is how Bodies produce Ideas in us, and that is manifestly by impulse, the only way which we can conceive Bodies operate in.“209 Diese Nähe zur mechanistischen Theorie wird noch deutlicher, wenn Locke unterstreicht, dass die Impulse sich über die Nerven bis zum Sitz der Empfindungen im Gehirn fortsetzten,210 und hinzufügt, dass die sekundären Qualitäten mit denen von ihnen ausgelösten Ideen in einem kausalen, nicht jedoch in einem Ähnlichkeitsverhältnis stünden:211 „[M]ost of those of Sensation being in the Mind no more the likeness of something existing without us, than the Names, that stand for them, are the likeness of our Ideas, which yet upon hearing, they are apt to excite in us.“212 Licht und Farbe sind – folgt man Locke – als dem Menschen äußerliche Bewegungen (primär) definiert, die in der Lage sind (sekundär), die Empfindung von Helligkeit und Farbe auszulösen:213 „Thus a Snow-ball having the power to produce in us the Ideas of White, Cold, and Round, the Powers to produce those Ideas in us, as they are in the Snow-ball, I call Qualities […].“214 Locke gesteht ein, dass diese Unterscheidung verwirrend sein könne. Er selbst nutze zuweilen den Begriff ‚Idee‘, um von Dingen zu sprechen, meine aber deren sekundäre Qualitäten: „[W]hich Ideas, if I speak of sometimes, as in the things themselves, I would be understood to mean those Qualitites in the Objects which produce them in us.“215
Anders als die skeptizistischen und frühen sensualistischen Schriften schließen jedoch weder Locke noch Mariotte, Rouhault oder Galilei von der Tatsache, dass den sekundären Qualitäten nur eine Existenz innerhalb des Menschen zukommt, auf die Individualität oder Subjektivität der wesentlichen Aspekte der sinnlichen Empfindung (Licht, Ton, Geruch, Geschmack) oder auf eine sich hieraus ergebende Dominanz von Täuschungen und Fehleinschätzungen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts leitet der christliche Philosoph in Mersennes La Vérité des Sciences aus der Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten noch die Annahme ab, die Sinnesempfindung variiere nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch bei einem Menschen und einem Tier und selbst je nach Situation und Lebensalter derselben Person. Dasselbe gelte für den Geruchs- und Tastsinn :
Il faut dire le mesme du toucher, puis que le malade treuve froid, ce qui est chaud, & que ce qui nous semble chaud, dur, pesant, épais, &c. semble à plusieurs autres, tant hommes que bestes, froid, mol, leger, & rare : si bien que tout ce qui tumbe sous nos sens, semble n’estre autre chose qu’imaginations, ou respects, & habitudes.216
Ebenso verhalte es sich mit dem Gehör, und selbst dem Sehsinn erschienen die Dinge je nach den Lichtverhältnissen und dem Blickwinkel anders. Das Meer wirke beispielsweise an verschiedenen Stellen und zu unterschiedlichen Tageszeiten in einer anderen Farbe, und auch die Größen- und Distanzwahrnehmung sei vom Blickpunkt des Betrachtenden abhängig (vgl. Kap. 2.5):
[C]e que vous voyez grand, me semble plus petit : & ne sçavons quelle distance il faut prendre pour mieus voir l’object, lequel estant veu de divers lieus semble de diverse forme, de diverse grandeur, & de couleur differente : on ne sçait pas de quel lieu on le voit mieus, & qui le voit mieus des hommes, ou des bestes, de ceus qui ont l’organe de la vüe rond, ou en ovalle, & quel temperament il faut avoir pour apercevoir l’oject avec plus de certitude.217
Das Bild des gesehenen Objekts verändere sich sogar je nach Umweltbedingungen und der physischen Beschaffenheit des Sehorgans auf dem Weg in das menschliche Auge:
Et puis nous ne sentós pas les especes & les images des choses en leur pureté, car elles se changét & s’alterent en passant par l’air, cóme il appert en sa lumiere, laquelle paroît tantost iaune, tátost verte, ou d’une autre couleur selon les divers corps, par lesquels elle passe. Qui sçait si les tuniques, & les humeurs de nos yeus ne luy donnent point de nouvelles teintures ?218
Die Möglichkeit sinnlicher Erkenntnis hänge folglich von der Fähigkeit ab, diesen Bedingungen ständig Rechnung zu tragen und die Täuschungsanfälligkeit der Sinne durch Kontextwissen, Erfahrung und die Zusammenarbeit der Sinnesorgane zu relativieren (vgl. Kap. 2.1).219
Locke geht hingegen wie Descartes davon aus, dass der körperliche Vorgang der Impulsübertragung passiv verlaufe und bei jedem gesunden Menschen gleich sei.220 Auch Galilei macht diese gemeinsame Erfassung der Welt (hier im Fall des Geschmackssinns) von der Art des Kontaktes abhängig: „[S]ensations of taste which may be pleasant or unpleasant depending on how they touch the tongue and whether they are many or few, and moving more or less rapidly.“221 Diese Auffassung findet sich ebenso bei Edme Mariotte, der allerdings hinzufügt, dass er den Vorgang nicht genauer beschreiben könne. Die menschliche Empfindungsfähigkeit müsse auf irgendeine Weise zu bestimmten Reaktionen bereit sein (frz. disposé à): „Ainsi, quand on dit qu’une Rose est rouge, on peut entendre qu’elle a quelques dispositions particuliéres qui peuvent modifier la lumiére d’une maniére propre à faire paroître de la rougeur.“222 Die meisten Schriften des 17. Jahrhunderts stimmen so in der Auffassung überein, die im Alltagsverständnis mit den materiellen Objekten in Verbindung gebrachten Empfindungen der Farbe, des Lichts, eines Geruchs oder Tons seien lediglich die seelischen oder geistigen Reaktionen des Empfindenden auf von außen eintreffende und über die Sinnesorgane weitergeleitete Bewegungsimpulse. Der Schnee sei nicht weiß, sondern der Mensch reagiere mit dieser Farbvorstellung auf die vom Schnee abgelenkten und über die Nerven weitergegebenen Impulse des Lichts. Obgleich diese Reaktion im Menschen selbst stattfindet, wird sie unter dem Einfluss des mechanistischen Weltbildes – anders als in den skeptizistischen Schriften – nicht als subjektiv verstanden, sondern als eine notwendige Folge der Bewegungsübertragung. Aktivität und damit individuelle Unterschiede ebenso wie Anfälligkeit für Täuschungen finden sich – sind die Sinnesorgane nicht verletzt oder krank – erst auf der Ebene des reflexiven Umgangs mit den Empfindungen.223
2.5 Distanzen und Größen
En effet, parce que dés l’enfance nous avons observé que la grandeur apparente des choses decroist à mesure que la distance croist, cela fait qu’encore qu’une chose paroisse petite, nous ne laissons neanmoins pas de la croire grande si nous la croyons eloignée […]. […] Car du reste, combien de fois arrive-t’il que nous prenons une Aragnée, ou quelque autre chose qui sera par hazard suspendue en l’air, et proche de l’oeil, pour un Cheval, pour un Arbre, ou pour quelque autre chose de la sorte, la croyant estre eloignée?224
Die Anerkennung von Keplers Beschreibung des retinalen Bildes wirft die Frage auf, ob der Mensch ausgehend von dieser Abbildung tatsächlich alle primären Qualitäten der sich außerhalb seines Körpers befindlichen Objekte verlässlich sehen kann.225 Wie grundlegend diese Frage ist, verdeutlicht das vernichtende Urteil des französischen Philosophen Nicolas Malebranche, „que nos yeux nous trompent généralement dans tout ce qu’ils nous représentent, dans la grandeur des corps, dans leurs figures et dans leurs mouvements […].“226 Der Zweidimensionalität des Bildes ist es geschuldet, dass dieses keine Informationen über die Entfernung eines Objektes enthält und so auch kaum Rückschlüsse auf dessen tatsächliche Größe oder auf die Geschwindigkeit seiner eventuellen Bewegung erlaubt.227 Der irische Theologe und Philosoph George Berkeley erklärt Anfang des 18. Jahrhunderts: „For distance being a line directed end-wise to the eye, it projects only one point in the fund of the eye, which point remains invariably the same, whether the distance be longer or shorter.“228 Kepler selbst löst das Problem, indem er annimmt, die Seele könne von den auf dem retinalen Bild gleichbleibenden Größenverhältnissen auf die Distanz und Größe der abgebildeten Objekte schließen.229 Descartes argumentiert ähnlich, wenn er davon ausgeht, der menschliche Geist leite sie von dem Verhältnis der auf die Retina treffenden Impulse und vor allem von deren Intensität sowie den Bewegungen des Auges und des Kopfes ab. Er bezeichnet die Distanz- und Größenwahrnehmung dennoch als äußerst unzuverlässig, wenn es um die Unterscheidung von sehr kleinen oder sehr großen Distanzen geht, da die einzelnen Lichtstrahlen in diesem Fall auf der Retina zu nah nebeneinander auftreffen beziehungsweise sich in ihrer Intensität kaum unterscheiden: „Il est aussi à remarquer que tous les moyens qu’on a pour connaître la distance sont fort incertains: car, quant à la figure de l’œil, elle ne varie quasi plus sensiblement, lorsque l’objet est à plus de quatre ou cinq pieds loin de lui […].“230 Keplers und Descartes’ Antworten auf das Problem der Distanz- und Größenwahrnehmung stimmen insofern überein, als sie diese als zuweilen fehleranfällige Interpretationsleistung einer geistigen oder seelischen Instanz verstehen. Es handelt sich dabei nicht – wie Smith annimmt – um eine frühe Formulierung individueller oder subjektiver Wahrnehmung, sondern um die Annahme, die richtige Einschätzung der sinnlichen Empfindung sei von der Bildung des Beobachtenden abhängig.231 Nur wer die optischen Gesetze kennt, kann die Täuschungen entlarven. Bereits Mersenne lässt seinen christlichen Philosophen gegen das Argument des Skeptikers, der Mensch täusche sich notwendig über die Distanz, Größe und Form der gesehenen Objekte, einwenden, dieser sei jederzeit in der Lage, seinen Irrtum mithilfe optischer Instrumente, mathematischer Kenntnisse oder durch den Vergleich mit anderen sinnlichen Erfahrungen zu korrigieren.232 So sehe der Stock im Wasser zwar geknickt aus, der Irrtum lasse sich jedoch dadurch beheben, dass er aus dem Wasser gezogen wird und die optische Wissenschaft die Täuschung anhand der Gesetze der Lichtbrechung erklärt (vgl. Kap. 2.1).233
Diese von den meisten Autoren des 17. Jahrhunderts geteilte Auffassung hat allerdings eine Schwachstelle, auf die um 1800 Malebranche und Berkeley ihre Theorien der Sinnesempfindung aufbauen, für die sie jedoch unterschiedliche Lösungsansätze entwickeln.234 In der sechsten Ausgabe seines hauptsächlich von Descartes’ „Traité de l’homme“ (posthum 1662) beeinflussten Hauptwerks De la recherche de la vérité (1674)235 fügt Malebranche 1712 einen „espèce d’abgrégé d’optique“236 hinzu, der das Verständnis seiner Theorie der sinnlichen (vor allem visuellen) Täuschungen erleichtern soll:
J’avertis que pour concevoir nettement ce que je dis des erreurs de la vue, il est nécessaire que ceux-là du moins qui ne savent pas comment les yeux sont composés, ni comment ils servent à voir les objets, lisent ce dernier éclaircissement avant, ou en même temps que ce que je dis dans le premier Livre des erreurs de la vue.237
Malebranche scheint die Kenntnis der Funktionsweise des Auges als bereits weit verbreitetes Wissen seiner Zeitgenossen vorauszusetzen. Er unterstreicht einleitend, dass es eigentlich nicht notwendig sei, „de redire ce que tant d’autres ont dit“,238 und bezieht sich explizit auf Descartes’ „Dioptrique“. Wie dieser fasst er das Licht als Bewegungsübertragung, beschreibt den Vorgang hinter der Retina jedoch bei Weitem nicht so detailliert:
Or cette pression que cause la flamme dans la matière subtile, ou plutôt l’assemblage d’un nombre comme infini de secousses ou de vibrations de pression, que cause dans l’air subtil le nombre comme infini des différentes parties de la flamme, transmis jusqu’à nos yeux, et par eux à notre cerveau, excite en nous le sentiment de lumière et de blancheur, en conséquence des lois de l’union de l’âme et du corps.239
Malebranche erklärt im Folgenden rundheraus, die Seele habe keine Ahnung von Optik und Anatomie: „Il est certain que ce n’est point l’âme qui cause en elle-même toutes les perceptions qu’elle a des objets qui l’environnent […]. Car outre qu’elle les voit alors sans le vouloir, elle n’a pas la moindre connaissance de la construction de ses yeux et de son cerveau, ni de rien de ce qui s’y passe.“240 Gott allein sei in der Lage, die visuellen Informationen richtig zu deuten, da diese für die menschliche Seele zu komplex und zu flüchtig seien. Zudem gebe es keine materielle Verbindung zwischen Körper und Geist, die es erlaubte, die Bewegungen in den Verstand zu übertragen.241 An die Stelle dieser auch bei Descartes nicht befriedigend beantworteten Frage des commercium mentis et corporis setzt Malebranche Gott selbst und weitet dessen Einflussbereich bis ins Körperliche aus. Die Größen- und Distanzwahrnehmung dient ihm als Beispiel dafür, dass weder das physische Sehen noch die geistige Wahrnehmung als ausreichende Erklärung für die menschliche Sinnesempfindung dienen könnten. Zwar räume der Mensch durch die Kenntnis optischer Gesetze nachträglich einige Irrtümer aus, es bleibt für Malebranche aber unerklärlich, wie der Geist oder die Seele in jedem Moment so viele Informationen gleichzeitig verarbeiten könne. Als Beispiel nennt er die Wahrnehmung eines nach ihm geworfenen Steins und seine blitzschnelle Ausweichreaktion.242 Es müsse eine übergeordnete, unabhängige Instanz geben, die all diese Informationen bereits kenne, weil sie sie selbst geschaffen habe. Diese könne nicht einfach mit der menschlichen Seele oder dem Geist identifiziert werden, da beide durch die zu enge Verbindung mit dem Körper eingeschränkt seien. Malebranche argumentiert also weniger geometrisch oder optisch, sondern führt die Schwierigkeit der Distanz- und Größenwahrnehmung auf die Überforderung des körperlichen Sehens in Anbetracht der zahlreichen sich wandelnden Details zurück, die sich dem Auge in jedem einzelnen Blick bieten. Der Mensch sei zudem gewohnt, seine eigene Körpergröße außer Acht zu lassen, wenn er die Größe eines gesehenen Objekts beurteile, und habe somit kein Verständnis von dessen tatsächlichen Dimensionen. Eine Milbe etwa sei nur klein im Verhältnis zum menschlichen Körper: „Notre vue ne nous représente donc point l’étendue, selon ce qu’elle est en elle-même, mais seulement ce qu’elle est par rapport à notre corps […].“243 Diese Bedeutung der eigenen Körpergröße verallgemeinert Malebranche, indem er auf die individuellen Unterschiede der Augen verweist: „De sorte qu’on ne peut pas assurer qu’il y ait deux hommes dans le monde, qui les voient précisément de la même grandeur, ou composés de semblables parties, puisqu’on ne peut pas assurer, que leurs yeux soient tout à fait semblables.“244 Die Täuschungsanfälligkeit und Beschränktheit der menschlichen Sinne deutet Malebranche wie Hooke als notwendige Folge des Sündenfalls und der sich daraus ergebenden Abhängigkeit des Geistes vom (individuellen) Körper. Anders als der Skeptiker in Mersennes Schriften oder der frühe Sensualist Gassendi beschäftigt er sich nicht mit den konkreten Bedingtheiten (Zeit und Raum) des individuellen Blicks, sondern konstatiert in der Einleitung seiner Schrift mit Verweis auf Augustinus von Hippo (354–430) pauschal die Korruption des Geistigen durch das Physische: „Au contraire l’union de l’esprit avec le corps, abaisse l’homme infiniment; et c’est aujourd’hui la principale cause de toutes ses erreurs et de toutes ses misères.“245
Nur das sogenannte ‚Sehen in Gott‘ könne mit der Geschwindigkeit und Komplexität der visuellen Empfindung Schritt halten:
De sorte que quelque puissance qu’ait sur l’âme pour la modifier, je ne dis pas le cerveau, mais une intelligence même, elle ne pourrait lui donner toutes les perceptions qu’elle a dans l’instant que ses yeux sont ouverts au milieu d’une campagne. En un mot, je suppose que c’est Dieu qui nous donne nos sensations.246
Gott tritt jedoch nicht als in jedem Moment Agierender auf, sondern Malebranche sieht ihn als die übergeordnete Macht, welche die Korrespondenz zwischen den Objekten, der physischen Bewegung des Lichts und dem Sehen nach geometrischen Gesetzen garantiert.247 Er geht davon aus, dass Gott diese Gesetze und die Bewegung bei der Schöpfung der Welt vor sechstausend Jahren in Gang gebracht habe.248 Die mangelnde Perfektion dieser Korrespondenz zwischen der Welt und dem Sehenden, beispielsweise bei Kurz- oder Weitsichtigkeit, erklärt er als eine Art Abnutzungserscheinung durch die seit der Schöpfung veränderten Umstände: „Le cristallin de tel homme est devenu un peu trop convexe; c’est un défaut, j’en conviens. Mais les lois générales dans différentes circonstances ne peuvent pas produire les mêmes effets.“249 Gott bleibt damit indirekt der Schöpfer auch dieser Unvollkommenheiten, ist aber nicht an jedem Sehvorgang beteiligt. Dies zeigt sich an Malebranches Erklärung der Größenillusion, die dem Menschen eine gewisse Lern- und Interpretationsfähigkeit abverlangt. Anders als im Fall der immer bestehenden Illusion, die Sonne sei ähnlich groß wie der Mond, könne der Sehende den Größenunterschied zwischen einem im Vordergrund stehenden Kind und einem im Hintergrund stehenden Riesen einschätzen, weil deren Größendifferenz aus den zwischen ihnen positionierten Objekten abgeleitet werde.250 Das göttliche Sehen überspringt das menschliche Auge also nicht, sondern steht lediglich für die Fähigkeit, die Bewegungsimpulse entsprechend der optischen Gesetze richtig zu interpretieren und die Verbindung zur immateriellen Seele herzustellen. Hierzu habe Gott das Auge so eingerichtet, dass die optischen Gesetze ihre Gültigkeit hätten.251
Voilà une partie des jugements et des raisonnements qu’il faudrait que l’âme fît, selon la supposition que j’ai faite, pour voir seulement un seul objet; et il serait nécessaire qu’elle en fît de semblables, par rapport à tous les objets qu’elle voit d’un coup d’œil, et qu’elle les fît en un instant, et toujours de nouveaux au moindre mouvement des yeux, et enfin toujours les mêmes sans jamais s’y tromper, lorsque les yeux sont dans la même situation. Ce n’est donc pas nous qui les faisons, c’est Dieu seul qui les fait pour nous.252
Irrtümer entstehen nicht auf dieser Ebene des göttlichen Sehens, sondern wenn – wie im Falle der Größe von Himmelskörpern – keine Vergleichsgrößen herangezogen werden können, vor allem aber wenn der Mensch sich zu vorschnellen Schlussfolgerungen hinreißen lässt, „puisqu’on ne se tromperait point, si l’on ne jugeait simplement que de ce que l’on voit.“253 Malebranche beschäftigt sich in den fünf Büchern seiner Schrift folglich nicht mit den durch die Brechungsgesetze oder die Anatomie des Auges verursachten Täuschungen, sondern legt den Schwerpunkt in einem Bereich, den wir heute der Psychologie (Emotionen, Vorlieben, Erwartungen, (Un-)Aufmerksamkeit) beziehungsweise im Falle Malebranches einer theologisch gefärbten Theorie der Leidenschaften zuordnen. Irrtümer ergeben sich nicht aus dem Sehvorgang selbst, sondern aus den in ihn eingreifenden Schwächen des Menschen: „Ainsi les sens et les passions ne tirent point leur naissance du péché, mais seulement cette puissance qu’ils ont de tyranniser des pécheurs: et cette puissance n’est pas tant un désordre du côté des sens, que de celui de l’esprit et de la volonté des hommes […].“254 Er sieht das Verhältnis von Geistigem und Körperlichem seit dem Sündenfall in einem Ungleichgewicht, in dem der Körper den Geist dominiert. Malebranche unterscheidet folglich zwischen einem geistigen und einem körperlichen Sehen: „[L]a vue du corps éblouit et dissipe celle de l’esprit, et il est difficile d’apercevoir nettement quelque vérité par les yeux de l’âme, dans le temps que l’on fait usage des yeux du corps pour la connaître.“255 Dies gelte auch für die neueste Naturforschung, deren Ergebnisse Malebranche kennt, die er jedoch als ziemlich unnütz bezeichnet: „Les hommes ne sont pas nés pour devenir astronomes, ou chimistes; pour passer toute leur vie pendus à une lunette, ou attachés à un fourneau […].“256
Anders als Malebranche setzt Berkeley bei der Erklärung der Größen- und Distanzwahrnehmung nicht auf einen göttlichen Brückenbauer oder das Eingeständnis der nicht zu behebenden Mangelhaftigkeit des Sehvorgangs, sondern erklärt die Größe und Distanz von gesehenen Objekten zusammen mit der gesamten materiellen Welt zu Erscheinungen des wahrnehmenden Geistes.257 Er dreht damit die zeitliche Abfolge der Empfindung primärer und sekundärer Qualitäten um (vgl. Kap. 2.4) und sieht in der Distanz und Größe, ja in der Materialität der gesehenen Objekte insgesamt eine sekundäre Konstruktion primärer, rein geistiger Empfindungen: „Whenever we say an object is at a distance, whenever we say it draws near, or goes farther off, we must always mean it of the latter sort [i. e. secondary qualities], which properly belong to the touch, and are not so truly perceived as suggested by the eye in like manner as thoughts by the ear.“258 Dennoch hebt Berkeley in seiner Abhandlung „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“ (1710) die Bedeutung der Größen- und Distanzwahrnehmung hervor und unterstreicht, dass die Auseinandersetzung mit ihr am Anfang seines nur ein Jahr zuvor publizierten „Essay towards a New Theory of Vision“ (1709) gestanden habe.259 Es geht ihm in diesen Schriften jedoch nicht um die Frage, wie der Mensch die Größe eines Objektes oder dessen Distanz möglichst richtig sieht, sondern darum, wie zu erklären ist, dass er Objekte auf der Basis des zweidimensionalen Bildes auf der Retina überhaupt als von seinem Körper entfernt wahrnehmen kann. Berkeley sieht in der Größen- und Distanzwahrnehmung den wichtigsten Kritikpunkt, der gegen seine Theorie des Sehens formuliert werden kann: „Thirdly, it will be objected that we see things actually without or at a distance from us, and which consequently do not exist in the mind, it being absurd that those things which are seen at the distance of several miles, should be as near to us as our own thoughts.“260
Berkeley weiß, dass er auf diesen Einwand eine Antwort geben muss, soll seine These haltbar sein, dass für den Menschen keine vom wahrnehmenden Geist unabhängige Materie beweisbar ist. Er verwirft hierfür alle bisherigen Erklärungen der Distanz- und Größenwahrnehmung, die er im „Essay“ einigen „speculative men“261 und in einer Fußnote Descartes und seinen Anhängern zuschreibt. Berkeley nimmt an, Größen und Distanzen seien „neither immediately of itself perceived by sight, nor yet apprehended or judged of by lines and angles […].“262 Die Linien und Winkel der ins Auge treffenden Lichstrahlen seien nur wahrnehmbar, wenn man wie die antike Extramissionstheorie davon ausgehe, dass das Sehen vom Bild auf der Retina ausgehend ihren Weg zurückverfolge („hunting for the object along the axes of the radious pencils“).263 Berkeley wendet ein, dass auch Menschen, die nichts von Geometrie verstünden, durchaus Größen und Distanzen sehen könnten und bezeichnet die Vorstellung eines auf diesen Kenntnissen beruhenden Sehvorgangs schlicht als Witz:264 „But those lines and angles […] are themselves not at all perceived, nor are they in truth ever thought of by those unskilful in optics.“265 Es bestehe nicht einmal eine Ähnlichkeit oder andere Verbindung zwischen der vorgestellten und der tatsächlichen Größe und Distanz. Diese sei lediglich „suggested to our thoughts, by certain visible ideas and sensations attending vision […].“266 Wie die Sprache, so beruhe auch die Wahrnehmung von Distanz und Größe auf erlernten Verweisen auf materielle Objekte, auf deren Existenz außerhalb unseres Körpers wir nur gedanklich schließen. Berkeleys häufiger Vergleich des Sehens mit der Sprache gründet sich auf diese Vorstellung eines konventionellen Verhältnisses zum bezeichneten beziehungsweise gesehenen Objekt.267 Wort und Idee seien so unmittelbar verknüpft, dass die Illusion einer sinnlichen Erfassung entstehe: „No sooner do we hear the words of a familiar language pronounced in our ears, but the ideas corresponding thereto present themselves to our minds […].“268 Berkeley beantwortet folglich Molyneux’ Problem mit der Auffassung, ein Blinder, der den Sehsinn wiedergewonnen habe, sei nicht nur unfähig, zwischen einer Kugel und einem Würfel zu unterscheiden, sondern sehe auch keinerlei Distanzen: „Insomuch that a man born blind, and afterwards made to see, would not, at first sight, think the things he saw, to be without his mind, or at any distance from him.“269
Sehen ist damit das Resultat einer sich im Menschen selbst abspielenden, individuellen Wahrnehmungsgeschichte.270 Diese entwirft Berkeley im Fall der Größen- und Distanzwahrnehmung als eine Art inneren Dialog zwischen den Ideen des Seh- und des Tastsinns, den er zu seinem Hauptuntersuchungsgegenstand erklärt:
So that in strict truth the ideas of sight, when we apprehend by them distance and things placed at a distance, do not suggest or mark out to us things actually existing at a distance, but only admonish us that ideas of touch will be imprinted in our minds at such and such distances of time, and in consequence of such and such actions. It is, I say, evident from what has been said […] that visible ideas are the language whereby the governing spirit, on whom we depend, informs us what tangible ideas he is about to imprint upon us, in case we excite this or that motion in our own bodies.271
Auch die Bewegungen des Auges spielten, so Berkeley, hierbei eine Rolle, wenngleich es keine notwendige oder natürliche Korrespondenz zwischen ihnen und der Idee der Distanz oder Größe gebe, sondern diese auf Erfahrung beruhe („habitual or customary“)272 und damit nach und nach jeder Bewegung eine Idee zugeordnet werde: „From all which it follows that the judgment we make of the distance of an object, viewed with both eyes, is entirely the result of experience.“273 Der irische Philosoph kann also nur darlegen, dass der Mensch auf eine äußere Welt schließt, wenn er einen Druck auf seiner Haut spürt, der entweder angenehm oder unangenehm ist, und mit der Zeit lernt, hieraus die richtigen visuellen Schlussfolgerungen zu ziehen. Blinde Berührung steht damit am Urspung des Sehens.274
We regard the objects that environ us in proportion as they are adapted to benefit or injure our own bodies, and thereby produce in our minds the sensations of pleasure or pain. Now bodies operating on our organs, by an immediate application, and the hurt or advantage arising therefrom, depending altogether on the tangible, and not at all on the visible, qualities of any object […].275
Erst nach der Veröffentlichung des „Essay“ führt Berkeley nach und nach eine göttliche Instanz ein, die in diesem komplizierten Dialog zwischen der Tastempfindung und den visuellen Ideen vermittelt. So spricht er in der ersten Ausgabe des „Essay“ 1709 noch von einer universellen Sprache der Natur, in der vierten Ausgabe 1734 ist dann aus dieser „universal language of Nature“ die „universal language of the Author of Nature“ geworden.276 Ausführlich behandelt er die Vorstellung einer ordnenden Instanz in seiner 1710 veröffentlichten „Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, und sie gewinnt in der 1733 veröffentlichten Schrift „The Theory of Vision Vindicated and Explained“ noch weiter an Bedeutung.277 Berkeley begegnet hiermit dem Vorwurf einer vollkommenen Willkürlichkeit der Empfindungen. Anders als bei Malebranche garantiere die göttliche Instanz zwar keine allen Menschen gemeinsame, richtige Wahrnehmung von Distanz und Größe, sorge jedoch für eine gewisse Stabilität und Ordnung, die den Menschen im Leben handlungsfähig mache.278 Diese göttliche Instanz steht im Mittelpunkt von Berkeleys „Three Dialogues Between Hylas and Philonous“ (1713), deren vollständiger Titel deutlich macht, dass es dem irischen Philosophen hier um die Verteidigung seiner Philosophie gegen den Vorwurf des Atheismus und Skeptizismus geht.279 Dieser fünfzeilige Titel wird ab der dritten Ausgabe zu einer deutlichen Aussage verkürzt, der – so zeigt Berkeleys Einleitung – auch ein ordnungspolitischer Gedanke innewohnt:280 „Three Dialogues Between Hylas and Philonous. In Opposition to Sceptics and Atheists“ (1734). Der erste Dialog enthält die schrittweise dialogische Überzeugung des jungen Hylas, dass keine von der Wahrnehmung unabhängige Materie beweisbar sei und Philonous’ Versuch zu erklären, warum diese Position sogar weniger anfällig für skeptizistische Argumente sei als Hylas’ These einer vom Menschen unabhängigen Materie: „PHILONOUS. That there is no such thing as what philosophers call material substance, I am seriously persuaded: but if I were made to see anything absurd or sceptical in this, I should then have the same reason to renounce this, that I imagine I have now to reject the contrary opinion.“281 Philonous argumentiert, dass die Vorstellung einer von der Wahrnehmung unabhängigen Materie deren Erkenntnis von der Leistungsfähigkeit der Sinne abhängig mache und sie damit all jenen Beschränkungen unterliege, die die Skeptiker aufgezählt haben. Philonous unterstreicht zudem, dass es dem Menschen fast unmöglich sei, diese direkte Wahrnehmung von der indirekten Interpretation der Sinnesdaten zu unterscheiden, und führt erneut den Vergleich mit der Sprache an: „PHILONOUS. In reading a book, what I immediately perceive are letters, but mediately, or by means of these, are suggested to my mind the notions of God, virtue, truth, &c.“282 Um zu verdeutlichen, dass die Wahrnehmung kein Beweis für die vom Menschen unabhängige Existenz materieller Dinge sei, führt Philonous das im 17. Jahrhundert im Kontext der Diskussion über primäre und sekundäre Qualitäten prominente Beispiel der Hitze des Feuers an (vgl. Kap. 2.4) und greift hierfür auch auf skeptizistische Argumente zurück: „PHILONOUS. Or can you imagine, that filth and ordure affect those brute animals that feed on them out of choice, with the same smells which we perceive in them?“283 Dies gelte ebenso für die dem Auge allein zugeordnete Farb- und Lichtwahrnehmung, die zum einen zahlreichen Täuschungen unterliege (wie Descartes nennt Philonous die Gelbsucht) und von der jeweiligen Situation abhängig sei (etwa die Farbe des Himmels oder der Wolken) und zum anderen im Menschen nur die Konsequenz einer Bewegungsübertragung sei: „PHILONOUS. It seems then, the light doth no more than shake the optic nerves. HYLAS. Nothing else.“284 Damit sei auch die Größen- und Distanzwahrnehmung sowie die Form und Dichte von Dingen vollkommen vom wahrnehmenden Individuum abhängig.285 Die gegenteilige Überzeugung der meisten Menschen erklärt Philonous mit der Tatsache, dass die Empfindungen von Hitze und Kälte, Geschmack oder Gerüchen eher als individuell unterschiedlich eingeschätzt würden als die Empfindungen von Ausdehnung, Figur und Bewegung. Erstere würden, so Philonous, schlicht stärker wahrgenommen und so den eigenen Empfindungen eher zugeordnet als die Empfindungen der primären Qualitäten.286
Im zweiten und dritten Dialog versucht Philonous zu zeigen, wieso dieser im ersten Dialog entwickelte Skeptizismus gar nicht skeptizistisch ist. Zwar könne der Mensch auf nichts anderes als seine eigenen Empfindungen zurückgreifen, diesen sei jedoch eine gewisse Stabilität und Regelmäßigkeit eigen. Diese tendenzielle Verlässlichkeit der sinnlichen Empfindungen sei Gottes Wille, da sich der von ihm geschaffene Mensch nur so selbst erhalten könne: „From all which I conclude, there is a mind which affects me every moment with all the sensible impressions I perceive. And from the variety, order, and manner of these, I conclude the Author of them to be wise, powerful, and good, beyond comprehension.“287 Der Mensch kann so von seinen Sinnesempfindungen zwar nicht auf die Welt, wohl aber auf die Existenz und den Willen Gottes schließen. Dies erkläre auch, so Philonous, dass die Welt laut der Genesis vor der Schöpfung des Menschen und damit noch vor jeder menschlichen Empfindung existiert habe. Zu diesem Zeitpunkt sei sie bereits in der Wahrnehmung Gottes präsent gewesen.288 Existenz wird so bestimmt als „being perceived“: „PHILONOUS. […] Whence I conclude, not that they have no real existence, but that seeing they depend not on my thought, and have an existence distinct from being perceived by me, there must be some other mind wherein they exist. […] there is a God, therefore he perceives all things […].“289 Gott wird so zur universellen Wahrnehmungsinstanz und zugleich zur ordnenden Kraft, die eine verlässliche Regelmäßigkeit in die menschlichen Empfindungen bringt: „They [i. e. things] must therefore exist in some other mind, whose will it is they should be exhibited to me.“290 Hieraus folgt für Berkeley ein notwendiger Gottesbeweis („the immediate Providence of an all-seeing God“)291 und die Zurückweisung des Atheismusvorwurfs. Aus der Stabilität der Empfindungen leitet Philonous sogar die Möglichkeit und theologische Rechtfertigung der Naturforschung ab:
Philonous. […] When I deny sensible things an existence out of the mind, I do not mean my mind in particular, but all minds. Now it is plain they have an existence exterior to my mind, since I find them by experience to be independent of it. There is therefore some other mind wherein they exist, during the intervals between the times of my perceiving them: as likewise they did before my birth, and would do after my supposed annihilation. And as the same is true, with regard to all other finite created spirits; it necessarily follows, there is an omnipresent eternal Mind, which knows and comprehends all things, and exhibits them to our view in such a manner, and according to such rules as he himself hath ordained, and are by us termed the Laws of Nature.292
Die Naturforschung und Philosophie sollten sich, so Berkeley kritisch in der Einleitung seiner Dialoge, nicht mit abstrakten Spekulationen beschäftigen – zu denen er 1721 auch Newtons Gravitationslehre zählt293 –, sondern in den Sinnesempfindungen selbst die Basis der Naturforschung sehen, mit dem Ziel, das Leben der Menschen zu verbessern: „[T]hat the end of speculation be practice, or the improvement and regulation of our lives and actions […].“294 George Berkeley vertritt zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Position, die auf der Basis des neuen optischen Wissens des 17. Jahrhunderts dessen frühe sensualistische Theorien und die skeptizistische Infragestellung der Sinnesempfindung geradezu radikalisiert. Er bringt damit seine Theorie in Widerspruch zur alltäglichen Erfahrung seiner Leser und muss den Vorwurf fürchten, Seele und Körper seien gleichermaßen orientierungslos willkürlichen Bildern ausgeliefert, deren Arbitrarität jede Kenntnis einer vom eigenen Körper differenten Umwelt unmöglich mache.295 Der Verweis auf die göttliche Fürsorge tritt diesen Einwänden entgegen. Er wird auch deswegen notwendig, weil Berkeley ebenso wie Malebranche die im 17. Jahrhundert mehrheitlich geteilte Auffassung in Frage stellt, der Mensch könne die Schwierigkeiten der Größen- und Distanzwahrnehmung durch einen rationalen Lernprozess beheben.296 Zum einen seien die notwendigen Interpretationsschritte zu komplex und zum anderen seien auch ungebildete Menschen in der Lage, Größen und Distanzen einzuschätzen. Obgleich Malebranches und Berkeleys Entwurf einer göttlichen Ordnung der Sinnesempfindung im weiteren Verlauf wenig Anhänger findet, liefert ihre intensive Beschäftigung mit der Größen- und Distanzwahrnehmung nicht nur wichtige Argumente für die das 18. Jahrhundert prägende Annahme, die sinnliche Empfindung beruhe auf einem Lern- und Entwicklungsprozess, sondern verschiebt diese auch in einem entscheidenden Punkt. Das richtige Sehen wird nun nicht mehr als Resultat von zu erwerbenden optischen, geometrischen oder anatomischen Kentnissen betrachtet, sondern als ein mit der Geburt beginnender und damit vorrationaler Erfahrungsprozess.297 Wie Voltaire sehen die meisten Zeitgenossen in Cheseldens Bericht über die Kataraktoperation den empirischen Beweis für diese Annahme:298
Il faut absolument conclure de tout ceci, que les distances, les grandeurs, les situations, ne sont pas, à proprement parler, des choses visibles, c’est-à-dire, ne sont pas les objets propres et immédiats de la vue. L’objet propre et immédiat de la vue n’est autre chose que la lumière colorée: tout le reste, nous ne le sentons qu’à la longue et par expérience. Nous apprenons à voir précisément comme nous apprenons à parler et à lire. La différence est, que l’art de voir est plus facile, et que la nature est également à tous notre maître.299
Schon vor Cheseldens Kataraktoperation finden sich vereinzelt Bemühungen, diesen Entwicklungs- und Lernprozess empirisch, ja experimentell zu untersuchen.300 Der in Frankreich geborene englische Naturphilosoph und Verbreiter von Newtons Werk Jean Théophile Desaguliers (1683–1744) erklärt so die Mondillusion als Folge einer in frühester Kindheit erworbenen Fehleinschätzung der Distanz des Monds am Zenith und nahe am Horizont: „Therefore, while it subtends the same Angle as it did before (nearly), we imagine it to be so much bigger as the Distance seems to us to be encreased.“301 Um diese These zu beweisen, berichtet Desaguliers von einem Experiment, bei dem er zwei Kerzen gleicher Größe in sechs beziehungsweise acht Fuß Entfernung vom Auge eines unvoreingenommenen Betrachters aufstellt. Daraufhin bittet er diese „unprejudic’d Person“ zu sagen,302 welche der beiden Kerzen größer ist (vgl. Abbildung 11). Der Betrachter erklärt, dass beide gleich groß seien und die hintere Kerze einfach weiter entfernt stehe. Dann bittet ihn Desaguliers, die Augen zu schließen, und ersetzt die hintere Kerze durch eine kleinere, die er neben die erste, näher platzierte Kerze stellt. Als der Betrachter die Augen öffnet, nimmt er an, dass Desaguliers nichts verändert habe und er weiterhin zwei gleich große, jedoch in unterschiedlicher Distanz aufgestellte Kerzen sehe: „Whence it is to be concluded, that when an Object is thought to be twice as far from the Eye as it was before, we think it to be twice as big, tho’ it subtends but the same Angle.“303

Desaguliers (1735), „An Attempt to Explain the Phænomenon of the Horizontal Moon“, o. P. (Fig. 5).

Desaguliers (1735), „An Attempt to Explain the Phænomenon of the Horizontal Moon“, o. P. (Fig. 5).
Desaguliers (1735), „An Attempt to Explain the Phænomenon of the Horizontal Moon“, o. P. (Fig. 5).
2.6 Sehen lernen
Tant de raisonneurs ayant fait le Roman de l’ame, un Sage [i. e. Locke] est venu qui en fait modestement l’Histoire […].304
Dire que nous avons appris à voir, à entendre, à goûter, à sentir, à toucher, paroît le paradoxe le plus étrange. Il semble que la nature nous a donné l’entier usage de nos sens, à l’instant même qu’elle les a formés; & que nous nous en sommes toujours servi sans étude, parce qu’aujourd’hui nous ne sommes plus obligés de les étudier.305
Als der englische Philosoph und Arzt John Locke seinen Essay Concerning Human Understanding (1690) auf den Gedanken aufbaut, das menschliche Denken von seinem Ursprung her zu betrachten, ist diese Herangehensweise durchaus nicht neu. Der rhetorische Gestus des Anfangs gehört zu den die Philosophie und Naturforschung des 17. Jahrhunderts prägendsten und findet sich in den Werken so unterschiedlicher Autoren wie Galileo Galiei, René Descartes oder Robert Hooke.306 Francis Bacon unterstreicht 1620: „Abhilfe konnte nur so kommen, dass man an die Dinge mit neuen Methoden in der lauteren Absicht heranging, zu einer vollständigen Erneuerung der Wissenschaften und Künste, überhaupt der ganzen menschlichen Gelehrsamkeit, auf gesicherten Grundlagen zu kommen.“307 Nur durch diese Neufundierung des Wissens und der Künste werde „die Verbindung zwischen dem Geist und den Dingen in der richtigen Weise wieder“ hergestellt.308 Die Werke Descartes’ oder Bacons zeigen, dass es sich dabei nicht nur um eine Positionierung gegen das überlieferte Wissen – welches Molyneux polemisch als „the greatest Cheat“ und „ridiculous“309 bezeichnet – und seine Vertreter oder um eine rhetorische Formulierung des eigenen Gründungsmythos handelt, sondern dass im Laufe des 17. Jahrhunderts immer konsequenter die Frage nach dem tatsächlichen Ursprung des menschlichen Denkens gestellt wird. In den rationalistischen ebenso wie in den empiristischen und theologischen Schriften wird dabei die Annahme vertreten, an diesem Ursprung sei das Denken in seinem Originalzustand vor dem Sündenfall oder zumindest vor jeder gesellschaftlichen Prägung aufzuspüren. Die frühen sensualistischen Schriften gehen hingegen vor dem Hintergrund des erstmals so von Thomas von Aquin formulierten peripatetischen Axioms ‚Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensu‘ davon aus, dass das Denken als von einem ersten Augenblick ausgehende Entwicklung betrachtet werden müsse – am Anfang also nicht das vorurteilsfreie Denken, sondern erst einmal gar kein Gedanke steht. Entwürfe einer solchen Ontogenese des Denkens finden sich (meist in Form von Gedankenexperimenten) auch in anderen Werken des 17. Jahrhunderts. Auch rationalistischen und empiristischen Autoren ist klar, dass Neugeborene ihren Verstand erst entwickeln müssen und dieser auch im Erwachsenenalter noch verbessert werden kann. Sie stellen jedoch meist die durch diesen Entwicklungsprozess entstandenen Fehl- und Vorurteile in den Mittelpunkt und suchen die Wiederherstellung eines ursprünglichen, vorurteilsfreien Denkens. Die letztliche Entscheidung über Wahrheit und Irrtum wird in den Bereich einer göttlichen, das heißt nicht geschichtlichen Instanz verschoben. Erst in Lockes Schriften findet sich eine im Detail konsequent ausgeführte Entwicklungsgeschichte des Denkens, in der weitestgehend auf die theologische Fundierung verzichtet wird. Entscheidend ist, dass Locke sich gegen ein statisches Erklärungsmodell (angeborene Ideen, göttliche Instanz) entscheidet und seine Überlegungen vollständig in einer diachronen Perspektive entwirft.310 Er nimmt nicht nur wie bereits die frühen sensualistischen Schriften an, jeder Gedanke lasse sich auf eine oder mehrere sinnliche Empfindungen zurückführen, sondern vertritt die Auffassung, Ausgangspunkt des Denkens als solchem sei eine erste sinnliche Empfindung, ein erster Blick.
Auch in Lockes Essay spielen skeptizistische Argumente wie der Vergleich des Denkens mit den individuellen Vorlieben und Geschmäckern noch eine wichtige Rolle.311 Wahre Erkenntnis sei in der Philosophie nicht durch den Streit über bereits bekannte Argumente, die Locke zu Geschmacksurteilen herabwertet, zu erlangen, sondern nur durch den Nachvollzug ihrer Entstehung. Sei dieser Ursprung des Denkens für die spekulative Philosophie, so Locke, a priori als „innate Principles“ oder „primary Notions“ ausgemacht,312 gehe seine sensualistische Erkenntnistheorie ergebnisoffen an den Anfang des Denkens zurück: „First, I shall enquire into the Original of those Ideas, Notions, or whatever else you please to call them, which a Man observes, and is conscious to himself he has in his Mind; and the ways whereby the Understanding comes to be furnished by them.“313 Die Vorstellung angeborener Ideen weist Locke mit dem Argument zurück, sie setze die Existenz eines vollständigen Sets von Ideen im menschlichen Geist bei der Geburt voraus, mit dem die konkreten Sinneseindrücke nur noch abgeglichen würden.314 Sei eine bestimmte Anzahl universeller Wahrheiten jedoch angeboren, gebe es keinen Grund anzunehmen, dass manche Menschen diese nicht erkennen könnten oder sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt im Geist verborgen lägen.315 Die Vorstellung angeborener Ideen widerspreche damit der Tatsache, dass „Children, and Ideots“ keine Kenntnis von Prinzipien hätten wie „Whatsoever is, is; and ’Tis impossible for the same thing to be, and not to be […].“316
Anders als Descartes, dessen Ausgangsgeste im Schließen der Augen eines durchaus erwachsenen Menschen besteht, führt Locke seine Leser zumindest gedanklich zurück zu dem ersten Blick eines Neugeborenen: „[A]s it were stamped upon the Mind of Man, which the Soul receives in its very first Being; and brings into the World with it.“317 Er vergleicht den Verstand bei der Geburt mit einem leeren Zimmer („empty Cabinet“),318 welches erst eingerichtet werden müsse. Angeboren beziehungsweise von Gott so gegeben seien lediglich der Wunsch nach Glück, die Furcht vor Unglück und die Fähigkeit zur Erkenntnis, nicht jedoch die Erkenntnisinhalte selbst.319 Öffne der Mensch die Augen, so gelangten Bilder in diesen Raum und würden, so Locke, nach und nach im Gedächtnis gespeichert.320 Durch die Verbindung mit Wörtern gewinne der Mensch mit der Zeit einfache und durch ihre Kombination komplexe Ideen:321 „Afterwards the Mind proceeding farther, abstracts them, and by Degrees learns the use of general Names.“322 Ganz am Anfang steht damit eine Sinneserfahrung, deren Speicherung und Verknüpfung den Menschen schrittweise zum abstrakten Denken und der Verwendung von Begriffen führt („its discursive Faculty“).323 Unwissen erklärt Locke zur Folge ungenutzter oder vernachlässigter Erkenntnisfähigkeit: „That they never employ’d their Parts, Faculties, and Powers, industriously that way, but contented themselves with the Opinions, Fashions, and Things of their Country, as they found them, without looking any farther.“324
Locke nutzt für die Darstellung dieses Ausgangspunktes allen Denkens auch den im 17. Jahrhundert bereits von Bacon („Tabula rasa“) und Gassendi verwendeten,325 aber erst durch die Rezeption des Essay im 18. Jahrhundert berühmt gewordenen Vergleich mit einem leeren Blatt Papier: „Let us then suppose the Mind to be, as we say, white Paper, void of all Characters, without any Ideas; How comes it to be furnished?“326 Er beantwortet diese Frage mit dem Wort ‚Erfahrung‘ und präzisiert, dass es sich im eigentlichen und übertragenen Sinne um eine visuelle Erfahrung (Beobachtung) handle: „Our Observation employ’d either about external, sensible Objects; or about the internal Operations of our Minds, perceived and reflected on by our selves, is that, which supplies our Understandings with all the materials of thinking.“327 Locke gibt so der mise en abyme eines Bilder betrachtenden Geistes neue Bedeutung, die im gesamten 17. Jahrhundert zwar präsent ist, aber durch den großen Einfluss der Descartes’schen Optik meist im Bereich der übertragenen Rede verbleibt.328 Auch Locke beschreibt die physischen und psychischen Vorgänge der Sinnesempfindung eher vage und bedient sich dabei häufig der bildlichen Sprache: Die Sinne seien ‚vertraut‘ mit den über ‚solche Wege‘ passiv aufgenommenen Objekten und ‚vermittelten‘ dem Verstand ihre ‚sinnlichen Qualitäten‘.329 Er fasst das Verhältnis zwischen den Objekten, ihren Bildern und dem Verstand als eine Art von Gott garantiertes Kommunikations- oder Bekanntschaftsverhältnis:
First, Our Senses, conversant about particular sensible Objects, do convey into the Mind, several distinct Perceptions of things, according to those various ways, wherein those Objects do affect them: And thus we come by those Ideas, we have of Yellow, White, Heat, Cold, Soft, Hard, Bitter, Sweet, and all those which we call sensible qualities, which when I say the senses convey into the mind, I mean, they from external Objects convey into the mind what produces there those Perceptions. This great Source, of most of the Ideas we have, depending wholly upon our Senses, and derived by them to the Understanding, I call SENSATION.330
Ähnlich bestimmt Locke die Beobachtung der geistigen Vorgänge („internal Sense“):331
Secondly, The other Fountain, from which Experience furnisheth the Understanding with Ideas, is the Perception of the Operations of our own Minds within us, as it is employ’d about the Ideas it has got; which Operations, when the Soul comes to reflect on, and consider, do furnish the Understanding with another set of Ideas, which could not be had from things without: and such are, Perception, Thinking, Doubting, Believing, Reasoning, Knowing, Willing, and all the different actings of our own Minds; which we being conscious of, and observing in our selves, do from these receive into our Understandings, as distinct Ideas, as we do from Bodies affecting our Senses.332
Da sie sich nicht auf äußere Objekte zurückführen lässt, nennt Locke diese Quelle der Ideen reflection. Auffällig ist auch hier die Unbestimmtheit (‚Vorgänge‘, ‚Wahrnehmung‘,333 ‚Beschäftigung‘, ‚Handlung‘, ‚erhalten‘, ‚wirken‘) und Tropik (‚möblieren‘, ‚beobachten‘) der verwendeten Begriffe zur Beschreibung des Vorgangs, den Locke außerdem eng mit den Leidenschaften verbindet: „The term Operations here, I use in a large sence, as comprehending not barely the Actions of the Mind about its Ideas, but some sort of Passions arising sometimes from them, such as is the satisfaction or uneasiness arising from any thought.“334 Entscheidend ist für Locke nicht die genaue optische oder physiologische Erklärung der Vorgänge, sondern die Bestimmung von sensations und reflections als einzige Quellen der Ideen im Verstand.335 Im Rahmen der Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten bestimmt er den Weg der Lichtstrahlen bis ins Auge und Gehirn zwar in der Tradition der mechanistischen Philosophie als Impulse,336 hält dies jedoch nur für die wahrscheinlichste aller Hypothesen.337 An anderer Stelle spricht er von einer durchaus physisch verstandenen „impression“,338 die die äußeren Dinge auf den Körper ausübten und mit der sie die Empfindungen auslösten. Wie wenig Locke sich aber auf diese mechanistische Erklärung festlegen will, wird deutlich, wenn er sein Unwissen diese Frage betreffend unterstreicht. In seiner erst posthum veröffentlichten Kritik an Malebranches Konzept des ‚Sehens in Gott‘ spricht er sich erneut für die mechanistische Theorie aus, nuanciert dies aber durch Formulierungen des Zweifels:
Though I do not think any material species, carrying the resemblance of things by a continual flux from the body we perceive, bring the perception of them to our senses; yet I think the perception we have of bodies at a distance from ours may be accounted for, as far as we are capable of understanding it, by the motion of particles of matter coming from them and striking on our organs.339
In einer Fußnote auf derselben Seite überlegt Locke, ob der Widerstand gegen den scholastischen Begriff ‚species‘ gar auf einem Missverständnis beruhe. Wie genau der Impuls oder das Bild auf der Retina vom Geist aufgenommen werden, wisse er jedoch nicht.340 Auch im Essay entschuldigt Locke sich früh, etwas zu ausführlich in den Bereich der Naturphilosophie vorgedrungen zu sein, und rechtfertigt dies mit dem Hinweis, dass die Unterscheidung von Qualitäten (außen) und Ideen (innen) notwendig sei, um seine philosophische Beschäftigung auf Letztere zu begrenzen. Am Ende des 21. Kapitels des zweiten Buches kommt Locke noch einmal hierauf zurück und unterstreicht, er wolle sich nicht genauer mit der Art und Weise der die Empfindungen auslösenden Bewegungen beschäftigen:
But my present purpose being only to enquire into the Knowledge the Mind has of Things, by those Ideas, and Appearances, which God has fitted it to receive from them, and how the Mind comes by that Knowledge; rather than into their Causes, or manner of Production, I shall not, contrary to the Design of this Essay, set my self to enquire philosophically into the peculiar Constitution of Bodies, and the Configuration of Parts, whereby they have the power to produce in us the Ideas of their sensible Qualities: I shall not enter any farther into that Disquisition; it sufficing to my purpose to observe, That Gold, or Saffron, has a power to produce in us the Idea of Yellow; and Snow, or Milk, the Idea of White; which we can only have by our Sight, without examining the Texture of the Parts of those Bodies, or the particular Figures, or Motion of the Particles, which rebound from them, to cause in us that particular Sensation […].341
Obgleich diese für eine sensualistische Erkenntnistheorie doch erstaunlich zögerliche Beschäftigung mit den physischen Vorgängen in der Sekundärliteratur einige Fragen offen lässt,342 können doch zwei ihrer Folgen bestimmt werden: Zum einen erlaubt sie Locke, weder der mechanistischen Theorie der Sinnesempfindung noch den skeptizistischen Einwänden gegen die Sinne großen Raum zu gewähren. Seine Theorie ist eine der wenigen des 17. Jahrhunderts, die sich nicht mit Descartes’ „Dioptrique“ auseinandersetzt, ja diese nicht einmal erwähnt.343 Anders als Mersenne oder Gassendi versucht Locke auch nicht, die skeptizistischen Argumente zu widerlegen. Die Diskussion über die Zuverlässigkeit der Sinne beantwortet er wie Malebranche und Berkeley mit dem Verweis auf Gott:
First, That all our simple Ideas are adequate. Because being nothing but the effects of certain Powers in Things, fitted and ordained by GOD, to produce such Sensations in us they cannot but be correspondent, and adequate to those Powers: And we are sure they agree to the reality of Things.344
Täuschungen und Fehlurteile entstünden erst bei einer Erkrankung der Sinnesorgane345 oder im Moment der Verknüpfung von Ideen und Wörtern.346 Zum anderen scheint Lockes Unbestimmtheit bei der Beschreibung des körperlichen Vorgangs der Sinnesempfindung einem Erkenntnisinteresse Raum zu geben, welches sowohl an Bacons natural history347 als auch an den aufklärerischen Enzyklopädismus des 18. Jahrhunderts erinnert. Der menschliche Verstand wird bei Locke wie eine Sammlung oder ein Museum der Ideen nach und nach ‚eingerichtet‘, und folglich erhofft sich der Betrachtende von der Frage Erkenntnis, wie diese Ideen im Verhältnis zueinander angeordnet sind, und nicht davon, wer die Gegenstände auf welche Art in den Raum gebracht hat: „These [i. e. ideas], when we have taken a full survey of them, and their several Modes, Combinations, and Relations, we shall find to contain all our whole stock of Ideas […].“348 Es handelt sich beim Essay also im Wesentlichen um eine sensualistische Theorie des Denkens und nicht um eine physiologische Beschreibung der Sinnesempfindung. Der entscheidende Zeitstrang führt nicht von der Lichtquelle über das Objekt zum Auge und weiter bis in den Verstand, sondern vom Neugeborenen zum Erwachsenen. Ist diese diachrone Entwicklungsperspektive bereits Teil der skeptizistischen Auseinandersetzung mit den Sinnen und findet sie sich auch im frühen Empirismus und Sensualismus, so ist doch Locke der Erste, der diesen Gedanken im Detail ausführt und zum roten Faden seiner Überlegungen macht.
Immer wieder rückt er hierfür das Neugeborene in den Mittelpunkt, dessen Geist nach und nach durch die Sinne mit den Ideen der Dinge ‚möbliert‘ oder ‚bedruckt‘ wird.349 Das Gedächtnis führe Buch über Ordnung und Zeitpunkt der gemachten Erfahrungen, und folglich habe der Mensch von Dingen, die er nie empfunden hat, auch keine Idee.350 Ein Mensch, der wenig sehe oder über das Gesehene wenig nachdenke, bleibe geistig beschränkt beziehungsweise sein Verstand relativ leer und das Blatt kaum beschriftet: „Men then come to be furnished with fewer or more simple Ideas from without, according as the Objects, they converse with, afford greater or less variety; and from the Operation of their Minds within, according as they more or less reflect on them.“351 Klar und vollständig („plain and clear“) sind die Ideen zwar bereits durch das einfache Sehen, klar und genau („plain and distinct“) werden sie jedoch erst durch die aufmerksame Betrachtung, eine Fähigkeit, die Locke nur älteren Kindern zugesteht und manchen Menschen ganz abspricht:352
Because, though they pass there continually; yet like floating Visions, they make not deep Impressions enough, to leave in the Mind clear distinct lasting Ideas, till the Understanding turns inwards upon it self, reflects on its own Operations, and makes them the Object of its own Contemplation. Thus the first Years are usually imploy’d and diverted in looking abroad. Men’s Business in them is to acquaint themselves with what is to be found without; and so growing up in a constant attention to outward Sensations, seldom make any considerable Reflection on what passes within them, till they come to be of riper Years; and some scarce ever at all.353
Anders als bei Malebranche oder Berkeley enthält Lockes Sensualismus eine Abwertung ungebildeter Menschen, die nicht einfach andere Erfahrungen gemacht haben, sondern in ihrer Entwicklung Kindern gleichgestellt werden.354 Eine Überlegung, die Locke bereits im ersten Buch des Essay gegen die Vorstellung angeborener Ideen anführt, die ja – wäre jeder von Geburt mit ihnen ausgestattet – besonders rein in ungebildeten Menschen vorliegen müssten: „For Children, Ideots, Savages, and illiterate People, being of all other the least corrupted by Custom, or borrowed Opinions; Learning, and Education, having not cast their Native thoughts into new Moulds […].“355 Die Qualität des Verstandes bringt Locke so in eine notwendige Relation zu der Anzahl und Komplexität der gemachten Sinneserfahrungen. Ein Mensch mit weniger Sinnen müsse demnach über einen einfacheren Verstand verfügen: „Perception then being the first step and degree towards Knowledge, and the inlet of all the Materials of it, the fewer Senses any Man […] hath; and the fewer and duller the Impressions are, that are made by them; and the duller the Faculties are […].“356 Erst durch Lockes konsequent diachrone Theorie der Sinnesempfindungen werden Blinde, Kinder und ‚Wilde‘ von zu vernachlässigenden Ausnahmefällen zu Vorstufen und damit zentralen Figuren der Sinnestheorien des 18. Jahrhunderts.357
Eine Verschiebung, die auch die weit über den englischen Sprachraum hinausreichende Rezeption (und bis heute geführte Debatte) des ‚Problems des Molyneux‘ bedingt.358 Der irische Naturphilosoph formuliert es in einem an Locke adressierten Brief vom 7. Juli 1688.359 Locke zitiert diesen Brief in der zweiten Ausgabe seines Essay (1694) im Abschnitt des Kapitels über die Sinnesempfindungen, das sich mit der Frage befasst, welche sinnlichen Ideen ein neugeborenes Kind als erste aufnimmt. Für den englischen Sensualisten sind dies die visuellen Empfindungen des Lichts und der das Kind umgebenden Dinge. Er stößt dabei an eine Grenze seines diachronen Modells, da diese Umstände retrospektiv kaum zu bestimmen sind. Sie unterscheiden sich nicht nur von Kind zu Kind, sondern verblassen auch mit der Zeit in der Erinnerung oder werden von der Urteilskraft verändert: „We are farther to consider concerning Perception, that the Ideas we receive by sensation, are often in grown People alter’d by the Judgment, without our taking notice of it.“360 Als Beispiel führt er die Wahrnehmung einer Kugel an, die auf der Retina das Bild eines zweidimensionalen Kreises zeichnet. Durch Erfahrung lerne der Mensch, dass er nicht einen Kreis oder eine schattige Fläche sehe, sondern eine dreidimensionale Kugel. Die Erfahrung „alters the Appearances into their Causes“,361 eine Täuschung, die Leibniz seinen Theophilus mit einer sprachlichen Trope vergleichen lässt.362 Für den Erwachsenen sei es nun unmöglich, statt der Kugel wieder das tatsächliche Bild auf der Retina zu sehen und so die erste visuelle Erfahrung eines Menschen und die weiteren Schritte bis hin zur Wahrnehmung der Kugel nachzuvollziehen. Molyneux’ Gedankenexperiment bietet Locke nun scheinbar eine Lösung für die unmögliche empirische Überprüfung seiner sensualistischen Theorie des Denkens:
Suppose a Man born blind, and now adult, and taught by his touch to distinguish between a Cube, and a Sphere of the same metal, and nighly of the same bigness, so as to tell, when he felt one and t’other, which is the Cube, which the Sphere. Suppose then the Cube and Sphere placed on a Table, and the Blind Man to be made to see. Quære, Whether by his sight, before he touch’d them, he could now distinguish, and tell, which is the Globe, which the Cube.363
Die Figur des plötzlich sehenden Blinden erlaubt nicht nur, das Anfangsmoment der visuellen Empfindung in die Gegenwart zu holen, sondern es außerdem zu steuern. Die Vielfalt der auf den Sehenden eintreffenden Eindrücke wird auf ein Minimum reduziert und damit entschieden, was genau der Blinde im ersten Augenblick, das heißt unbeeinflusst von jeder anderen visuellen Erfahrung, sieht. Der ehemals Blinde kann darüber hinaus – im Gegensatz zu Lockes Neugeborenem – zu seinen Empfindungen befragt werden. Bei genauerem Lesen fällt allerdings auf, dass Molyneux’ Problem sich nicht vollständig mit Lockes Überlegungen deckt. Molyneux geht es nicht in erster Linie um die Wahrnehmung von Dreidimensionalität, sondern um die Verbindung von Seh- und Tastsinn bei der Unterscheidung eines Würfels und einer Kugel. Locke überlegt hingegen, wie der Mensch von dem retinalen Bild eines Kreises auf die Wahrnehmung einer Kugel schließt. Während Molyneux die Verbindung der unterschiedlichen Sinne thematisiert, geht es Locke um die Entwicklung von der Sinnesempfindung zur Wahrnehmung.
Für beide muss jedoch die Antwort auf Molyneux’ Frage negativ ausfallen. Der ehemals Blinde kann nicht wissen, dass die Kugel sich auf der Retina als Kreis abzeichnet, und folglich gibt es keinen Grund, warum er von einem Kreis auf eine Kugel schließen und diese vom Viereck beziehungsweise Würfel unterscheiden sollte.364 Erst die erneute Berührung der Gegenstände bringe, so Locke, einen Erfahrungsprozess in Gang, anhand dessen der ehemals Blinde lerne, dass der Kreis auf der Retina einer dreidimensionalen Kugel außerhalb seines Körpers entspreche. Locke schließt sich folglich Molyneux’ Schlussfolgerung an: „I agree with this thinking Gent. […] and am of opinion, that the Blind Man, at first sight, would not be able with certainty to say, which was the Globe, which the Cube, whilst he only saw them: though he could unerringly name them by his touch […].“365 Die geringe Übereinstimmung zwischen der Sinnesempfindung und der Wahrnehmung sei, so Locke, eine Besonderheit des Sehsinns und erkläre die Bedeutung dieses Sinns für seine Erkenntnistheorie. Nur der Sehsinn illustriere so überzeugend die Notwendigkeit eines Lern- und Entwicklungsprozesses der sinnlichen Wahrnehmung. Das Auge sehe nur Licht und Farbe, die Wahrnehmung erst schließe von deren Anordnung und mithilfe von Erfahrung und Gewohnheit auf Ideen von räumlicher Ausdehnung, Figuren und Bewegungen: „This in many cases, by a settled habit, in things whereof we have frequent experience, is performed so constantly, and so quick, that we take that for the Perception of our Sensation, which is an Idea formed by our Judgment.“366 Molyneux, Locke und auch Berkeley stimmen also darin überein, dass der ehemals Blinde den gesehenen Kreis und die zuvor gefühlte Kugel nicht spontan in Verbindung bringen kann, und begreifen Molyneux’ Problem als ein das Sehen allgemein prägendes Phänomen.367
Empirische Evidenz erscheint diese Annahme durch einen Bericht zu erlangen, den der englische Chirurg und Anatom William Cheselden 1727 in den Philosophical Transactions veröffentlicht. Cheselden berichtet dort von einem Jungen, der in seiner Kindheit durch den grauen Star erblindet oder bereits blind geboren sei.368 Er könne zwar undeutlich Licht, Schatten und Farben sehen, nicht jedoch die Form von Objekten, da seine getrübte Linse die Lichtstrahlen in alle Richtungen ablenke. Die Befragung des vierzehnjährigen Patienten nach seiner Kataraktoperation bestätige, so Cheselden, dass die Wahrnehmung von Distanzen auf einem Lernprozess beruhe. Dem Jungen erschienen zu Beginn alle Objekte zweidimensional auf dem Auge zu liegen: „When he first saw, he was so far from making any Judgment about Distances, that he thought all Objects whatever touch’d his Eyes, (as he express’d it) as what he felt, did his Skin […].“369 Direkt nach der Operation sieht der Junge nur farbige, helle oder dunkle Flächen. Die Wahrnehmung ihrer dreidimensionalen Ausdehnung und ihrer Distanz beschreibt Cheselden als einen mühsamen Lernprozess. Erst als dem Jungen erklärt wird, was er sehen soll, und dieser sich aktiv darum bemüht, kann er die Objekte, die er bereits durch den Tastsinn kennt, auch mit den Augen identifizieren. Die große Anzahl der neuen Empfindungen verlangsamt jedoch den Lernprozess: „[B]ut having too many Objects to learn at once, he forgot many of them; and (as he said) at first he learn’d to know, and again forgot a thousand Things in a Day.“370 Ein Gemälde kann er so erst zwei Monate nach der Operation perspektivisch sehen und stellt seine Wahrnehmung sogleich in Frage, als er es mit der Hand berührt. Cheselden unterstreicht, dass sich dieser Lernprozess über Jahre hinzieht und sich bei der Operation des zweiten Auges noch einmal wiederholt. Durch die Blindheit erworbene Eigenschaften wie die Orientierung in der Dunkelheit verlernt der Junge hingegen nach und nach.371 Cheselden verweist in seinem Bericht zwar nicht auf Molyneux oder Locke, sein bereits 1713 publiziertes Hauptwerk The Anatomy of the Human Body zeigt jedoch, dass er schon vor der Kataraktoperation die Annahme vertritt, das Sehen beruhe auf einem Lernprozess. Er leitet dies im Kapitel über das Auge aus der Sektion der Sehnerven ab, die sich im Gehirn („the common sensorium the brain“ [sic!]) nicht verbinden.372 Das perspektivische Sehen eines Objekts mit beiden Augen müsse folglich erst erlernt werden, da die beiden Sehnerven ihre Informationen nicht zusammenführten:373
And yet from the following cases, the seeing objects single seems not to depend upon any such union, nor from the light striking upon corresponding fibres of the nerves, as others have believed, but upon a judgment from experience, all objects appearing single to both eyes in the manner we are most used to observe them, but in other cases double; for though we have a distinct image from each eye sent to the brain, yet while both these images are of an object seen in one and the same place, we conceive of them as one […].374
Der schottische Mediziner William Porterfield bestätigt Cheseldens Annahme auf der Basis anatomischer Untersuchungen und fügt seiner Schrift eine Illustration hinzu (vgl. Abbildung 12).375 Die Illustrationen der unterschiedlichen Thesen zur Verbindung der Sehnerven gehören zu den wenigen Darstellungen bereits falsifizierter Annahmen in optischen Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie finden sich beispielsweise in der von dem Mathematiker und Astronomen Johann Christoph Sturm (1635–1699) veröffentlichten Dissertatio Optico-Physica und in der Anweisung zur Optica Oder Sehe=Kunst des Theologen Johann Michael Conradi von 1710 (vgl. Abbildungen 13 und 14).

Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band 2, Tafel II (Fig. 12).

Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band 2, Tafel II (Fig. 12).
Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band 2, Tafel II (Fig. 12).

Johann Christoph Sturm, Visionis sensum nobilissimum ex Obscurae camerae tenebris luculenter – illustrans Dissertatio Optico-Physica, Altdorf 1699, o. P. (Fig. XVIII und XIX). Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Math 4° 215/1 (C,30).

Johann Christoph Sturm, Visionis sensum nobilissimum ex Obscurae camerae tenebris luculenter – illustrans Dissertatio Optico-Physica, Altdorf 1699, o. P. (Fig. XVIII und XIX). Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Math 4° 215/1 (C,30).
Johann Christoph Sturm, Visionis sensum nobilissimum ex Obscurae camerae tenebris luculenter – illustrans Dissertatio Optico-Physica, Altdorf 1699, o. P. (Fig. XVIII und XIX). Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Math 4° 215/1 (C,30).

Conradi (1710), Der dreyfach geartete Sehe=Strahl, o. P. (Fig. I und II). Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Math 4° 84/2.

Conradi (1710), Der dreyfach geartete Sehe=Strahl, o. P. (Fig. I und II). Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Math 4° 84/2.
Conradi (1710), Der dreyfach geartete Sehe=Strahl, o. P. (Fig. I und II). Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Math 4° 84/2.
Bekanntheit über den englischsprachigen Raum hinaus erlangt Cheseldens Bericht vor allem durch ein umfangreiches Einführungswerk zur Optik, welches der englische Mathematiker Robert Smith 1738 unter dem Titel A Compleat System of Opticks veröffentlicht.376 Smith zitiert Cheseldens Bericht darin vollständig und macht sich zur Aufgabe, den sinnlichen Lernprozess von „regular steps and observations“ genauer zu beschreiben.377 Er nimmt an, der ehemals Blinde müsse zuerst die Beherrschung seiner Augenmuskulatur erlernen und könne vorher nur sehen, was unmittelbar vor ihm liege. Direkt nach der Operation werde er, so Smith, seine eigene Hand vor das Gesicht halten und durch die Bewegung der Finger die erste Erfahrung mit einem sich verändernden Bild auf der Retina machen. Die räumliche Situation der Hand werde er dann aus der Erinnerung an diese erste Erfahrung ableiten. Erst für einen zweiten Schritt sieht Smith den Vergleich von taktilen und visuellen Empfindungen als grundlegend an:378
From what has been said it appears that our perception of things by sight is no more than this: by memory of former perceptions by sight and other senses compared together, we collect in an instant that the thing we now perceive by sight only will affect our other senses, upon trial, as it formerly used to do.379
Auf der Basis anatomischer Untersuchungen der Augenmuskulatur und der Sehnerven beschäftigt sich auch Porterfield vor allem mit der Koordination beider Augen, mit der er die Distanzwahrnehmung erklärt und seine Auffassung entwickelt, der Lernprozess des Sehens münde in eine automatisierte Verarbeitung von Sinnesimpulsen:
The true Cause of this Uniformity in the Motions of our Eyes to me seems wholly to depend on Custom and Habit: For it is not to be doubted but these Motions are voluntary, and depending upon our Mind, which, being a wise Agent, wills them to move uniformly, not from any intrinsical Necessity in the Thing itself, or for want of Power to move them differently; but because such Motions are most profitable and useful to us.380
Die unterschiedliche Beweglichkeit der Augen bei einem Chamäleon und einem Menschen beruhe, so Porterfield, auf dem verschiedenen Nutzen der Augen für die Sicherung des eigenen Überlebens.381 Aus einer vorteilhaften Bewegung werde nach und nach Gewohnheit und Notwendigkeit: „[L]ong Custom rendering many Actions necessary, which were not so essentially, nor from the Beginning.“382 An den Augenbewegungen Neugeborener lasse sich beobachten, dass die simultane Bewegung der Augen erst erlernt werden müsse.383 Zeige man ihnen interessante Objekte an zwei verschiedenen Stellen ihres Blickfeldes, entwickle sich hieraus das Schielen: „[A]nd therefore do frequently become gogle-ey’d, by having many pleasant Objects presented to them at the same time, which invites them to turn one Eye to one Object, and the other Eye to another […].“384 Porterfield führt eine Reihe von Fallbeispielen an und fordert seine Leser auf, selbst zu überprüfen, wie schwierig es sei, ein Auge oder auch nur eine Augenbraue unabhängig von dem bzw. der anderen zu bewegen. Die Tatsache, dass der Mensch mit beiden Augen nicht doppelt sieht, erklärt auch Smith als Folge eines Gewöhnungsprozesses und fügt an, dass selbst ein Tier mit hundert Augen ein Objekt mit der Zeit nur einmal sehe, bei der ersten Seherfahrung jedoch hundertmal.385 Die Verbindung der einzelnen Bilder zu einer Seherfahrung geschehe irgendwann automatisch und könne willentlich nicht mehr rückgängig gemacht werden. Anders als Malebranche, der in der Geschwindigkeit der Wahrnehmung den Beweis für ein Eingreifen der göttlichen Instanz sieht, vergleicht Smith das Sehen mit der Sprache. Ebenso wie die Anstrengung, die es bedürfe, sich an die Bedeutung einer neu gelernten Vokabel zu erinnern, mit der Zeit abnehme, werde auch die Verarbeitung von visuellen Empfindungen durch Gewohnheit immer leichter. Mit Verweis auf Berkeley unterstreicht er:
And so it appears at last, that the manner, wherein external objects are signified to us, by the sensations of light and colours, is the same with that of languages and signs of human appointment: which do not suggest the things signified by any likeness or identity of nature, but only by an habitual connection that constant experience has made us observe between them.386
Eine neue visuelle Erfahrung sei wie eine unbekannte Sprache: „[Y]et like the words of an unknown language, their signification of distance or of any thing else is entirely unknown.“387 Porterfield verschärft diese Annahme, indem er auch das retinale Bild als Resultat eines habitualisierten Deutungsprozesses begreift.388 Auf der Retina zeichne sich gar kein Bild ab: „Properly speaking, there is no Picture in the Retina, and the Pictures which are seen […] are Sensations in the Mind of him who perceives them, and do not belong to the Retina on which they appear to be painted.“389 Die visuelle Wahrnehmung wird so zu einem vollständig geistigen Prozess, der sich nicht in oder direkt hinter der Retina abspielt, sondern erst am Ende der Sehnerven im Gehirn.390 Porterfield verweist auf seine eigene Erfahrung mit Phantomschmerzen nach der Amputation eines Beines.391 Er spüre den Schmerz im nicht mehr vorhandenen Körperteil, obgleich dieser – wie die Farbempfindung – nur im Geist verortet sein könne:392 „To this I answer, That tho’ all our Perceptions are Modifications of the Mind itself arising from the Motions or Vibrations excited in the Sensorium, to which the Mind is present; yet the Mind never considers them as such, but always ascribes them, either to the Object, the Organs, or both.“393 Diese Zuschreibung der Empfindung zur äußeren Welt beruht zwar auf einer nach physischen Regeln verlaufenden Impulsübertragung, ist jedoch das Resultat eines jedem Menschen eigenen Lern- und Entwicklungsprozesses, der nach und nach automatisiert, das heißt zu einer vom Erwachsenen nicht rückgängig gemachten Notwendigkeit wird. Um 1700 wird diese Auffassung nicht nur von der sensualistischen Philosophie vertreten, sondern auch durch anatomische und experimentelle Untersuchungen gestützt. Der Sehsinn gerät dabei gerade deswegen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, weil bei ihm die Differenz zwischen dem physischen Sehen und der geistigen Wahrnehmung so groß ist, dass die Schlussfolgerung eines diachronen Lern- und Gewöhnungsprozesses geradezu notwendig aus ihr folgt.
2.7 Exkurs IV: Die Augen der Frauen
Würde viel Verstand zum Reden überhaupt erfodert: so würden die meisten Frauenzimmer und alle Stutzer stumm seyn.394
Die Möglichkeit, die sinnliche Empfindung auch über das Kleinkindalter hinaus zu verbessern, spielt eine Rolle bei den wenigen Überlegungen zu einem spezifisch weiblichen Sehen im 18. Jahrhundert. Im zweiten Teil seiner Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften (1749) nimmt der Philosoph Georg Friedrich Meier an, ein neugeborenes Kind habe zwar – wenn es gesund sei – exzellente Augen, könne jedoch „noch nicht recht sehen“, weil es nicht an das Licht gewöhnt sei.395 Dasselbe lasse sich beoachten, wenn ein Erwachsener aus tiefem Schlaf geweckt werde. Meier geht davon aus, dass jede Sinnesempfindung einen „häufigen und langen Gebrauch der Werckzeuge der Sinne“ benötige.396 Dies gelte ebenso für den Sehsinn (Meier empfiehlt hierfür das Reisen) wie für das Gehör und den Geschmackssinn.397 Ein Mangel an Übung führe zu stumpfen Sinnen. Meier unterstreicht, dass diese sinnlichen Fertigkeiten mit zunehmendem Alter immer schwerer zu erwerben seien: „Diese Uebungen der Werkzeuge der Sinne muß man nothwendig bey Zeiten von Kindesbeinen an anfangen, weil die Nerven noch zart sind.“398 Seinem Lehrer und Freund Alexander Gottlieb Baumgarten folgend, betrachtet Meier die Sinnesempfindung als Voraussetzung und Grundlage der menschlichen Erkenntnisfähigkeit: „Die Empfindungen machen die ganze Grundlage unserer Seele und der ganzen übrigen klaren Erkenntniß aus.“399 Diese Grundlage werde in der Kindheit gelegt, in der, so Meier, die Nerven noch schwach seien und im Verhältnis zu der sie umgebenden Welt passiv blieben.400 Alles mache deswegen auf Kinder einen starken Eindruck: „Eine geringe Kälte verursacht, daß ein Kind zittert und bebt. Ein gemaltes Bild, ein Zuckerbrod setzt das ganze Kind in Bewegung.“401 Die Sinnesorgane können folglich gerade in der Kindheit nachhaltig gefördert oder auch geschädigt werden. Meier sieht hierin die Erklärung für die besondere ‚Dummheit‘ und ‚Abgeschmacktheit‘ des „Pöbel[s]“.402 Erst im Erwachsenenalter sind die Nerven stark genug, um bestimmte Empfindungen auszuhalten: „Im männlichen Alter kan man Frost und Hitze ausstehen, und man verliehrt das leckerhafte Wesen der Kinder.“403 Wenn die Nerven jedoch auch im erwachsenen Alter schwach bleiben, behalte sich der Mensch „alles kindische, weichliche und zärtliche Wesen der Kinder“.404 Ursache hierfür können nach Meier Nervenkrankheiten sein, aber auch Faulheit und eine „gar zu zärtliche Erziehung“: „Daher sind die meisten Frauenzimmer vom Stande, lauter kleine Mädgens. Eine kalte Luft ist ihnen unerträglich.“405 Die Erziehung der Mädchen richte deren Sinnesorgane zu sehr auf unwichtige Kleinigkeiten und halte sie aktiv davon ab, diese zu stärken und zu schulen. Meier fordert ein grundsätzliches Umdenken in der Erziehung der Mädchen, die gerade aufgrund ihres größeren Vorstellungsvermögens zu einer Stärkung ihrer Sinnesnerven angehalten werden sollten: „Man solte das Frauenzimmer, wie die Diana, erziehen, so würde nicht die schönste Helfte des menschlichen Geschlechts siech und kindisch seyn […].“406 Fördere man hingegen ihr ohnehin starkes Vorstellungsvermögen, gerieten die Gefühle der Mädchen in ein Missverhältnis zu den Ursachen:
Man kan dieses nicht besser bestätigen, als durch das Beyspiel eines empfindlichen Frauenzimmers. Man vergesse etwa nur eine Kleinigkeit, welche sie als eine Schuldigkeit von uns fodert, sie wird uns mit den schreckhaftesten Blicken ansehen, welche die Wut und den Grimm des Gemüths anzeigen. Hierher gehören auch, die Leidenschaften rasender und verrückter Leute.407
Außer mit dem Einfluss des Vorstellungsvermögens und der Gefühle beschäftigen sich insbesondere Mediziner um 1700 auch mit den körperlichen Bedingtheiten der weiblichen Sinnesempfindung. In den wenigen Fallgeschichten, die sich ausdrücklich mit dem weiblichen Sehen befassen, wird dieses als weniger scharf und geprägt von hoher Emotivität und dem sich hieraus ergebenden ungezügelteren Begehren beschrieben.408 1694 erscheint in den Philosophical Transactions ein an den Londoner Augenarzt William Briggs (1642–1704) gerichteter Brief des Arztes und Botanikers Samuel Dale (1659–1739). In diesem Brief vom 27. Oktober 1693 berichtet Dale von seiner Patientin Grace Dennis, die er seit September 1690 wegen einer Gelbsucht behandelt habe. Ihre ersten Symptome gingen auf die Weihnachtszeit 1689 zurück, nachdem Dennis im Herbst zuvor „much grief and trouble of Mind“ habe erdulden müssen.409 Dale habe sie ohne Erfolg mit den ihm bekannten Medikamenten behandelt. Auch die zu Rate gezogenen Ärzte aus der Region und selbst aus der Hauptstadt hätten nicht weitergewusst: „[A]nd her Body which used to be plump and fleshy, is now become lean and emaciated, almost like a Skeleton, and her Appetite is little and depraved.“410 Zu allem Unglück sei Dennis im Mai 1691 „after an extraordinary Menstrual Flux for about three Months“411 erblindet. Diese Blindheit trete nur nachts auf, tagsüber sehe sie, so Dale, wie zuvor. In der Dunkelheit erkenne sie jedoch nicht einmal helle Kerzen oder ein großes Feuer. Nach einer Wasserkur im August 1692 habe sie zwar nachts wieder Kerzenschein gesehen, sei aber im Januar 1693 nach einem erneuten „extraordinary Menstrual Flux“ erblindet.412 Obgleich nach einem Fieber im Juli 1693 die Sehfähigkeit wieder kurzzeitig zurückgekehrt sei, muss Dale ein Jahr später berichten: „[S]o that now she hath her Nocturnal Blindness, and her Jaundise likewise continues.“413 Ein Antwortbrief Briggs’ ist in den Philosophical Transactions nicht überliefert, und Dales Bericht von einer wechselseitigen Abhängigkeit des weiblichen Zyklus und der Sehfähigkeit löst keine Debatte über diesen oder weitere Fälle aus.414
Breit rezipiert und diskutiert wird ab dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts hingegen die Annahme, die visuellen Wahrnehmungen und die Gefühle schwangerer Frauen übten einen Einfluss auf ihre ungeborenen Kinder aus. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um ein bis in die Antike zurückreichendes Erklärungsmodell für körperliche Missbildungen und Muttermale.415 Der französische Naturforscher und Philosoph Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698–1759) widmet diesem ‚Versehen‘416 ein Kapitel im ersten Teil seiner 1746 anonym erschienen Schrift Venus physique.417 Ab 1725 Mitglied der Pariser Académie des sciences und auf Empfehlung Voltaires ab 1746 Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften, beschäftigt er sich in dieser Schrift mit den beiden Varianten der Präformationslehre, nach der der gesamte Organismus entweder im Ei (Ovulisten) oder im Sperium (Animalkulisten) vorgebildet ist. Die Enstehung des Menschen – aber auch der Tiere und Pflanzen – wird so als eine von dieser Präformation ausgehende Entfaltung gedacht.418 Während dieses Wachstumsprozesses könne es im Mutterleib zu Fehlentwicklungen kommen.419 Maupertuis erklärt diese mit starken Gefühlen wie Furcht, Lust oder Bewunderung, die die werdende Mutter während ihrer Schwangerschaft empfinde und die einen deformierenden Einfluss auf das ungeborene Kind ausübten. Er nimmt diesen Einfluss zwar als gegeben an,420 wehrt sich jedoch gegen eine allzu enge Vorstellung des visuellen Ähnlichkeitsverhältnisses zwischen dem die Gefühle auslösenden Tier, Menschen oder Objekt und den Fehlbildungen des Kindes: „Mais il ne faut pas confondre ces faits avec ceux où l’on prétend que l’imagination de la mère, imprime au Fœtus la figure de l’objet qui l’a épouvantée, ou du fruit qu’elle a desiré de manger.“421 Eine schwangere Frau, die vor einer Maus oder einem Tiger erschrecke oder sich wünsche, Kirschen zu essen, gebäre kein Kind mit einer der Maus oder den Kirschen visuell ähnlichen Fehlbildung:
On craint d’originaire qu’un Nègre, qu’un Singe, ou tout autre animal dont la vûe peut surprendre ou effrayer, ne se présente aux yeux d’une femme enceinte. On craint qu’une femme en cet état, desire de manger quelque fruit, ou qu’elle ait quelqu’appétit qu’elle ne puisse pas satisfaire. On raconte mille histoires d’enfans qui portent les marques de tels accidens.422
Maupertuis hält jedoch die bekannteste Fallgeschichte zumindest für möglich, nach der eine Schwangere beim Anblick eines Kriminellen, dem die Arme gebrochen wurden, ein Kind mit denselben Brüchen zur Welt gebracht habe.423 Er erklärt dies mit dem Verweis auf das Mitgefühl, bei dem das Leid oder die Freude eines anderen ähnliche Empfindungen in einer nicht beteiligten Person auslösten.424 Was beim erwachsenen Menschen einen starken, aber nur zeitlich beschränkten Eindruck hinterlasse, könne im ‚weicheren‘ Körper des Fötus zu dauerhaften Fehlbildungen führen.425
Auch der Arzt Ernst Anton Nicolai (1722–1802) zeigt sich in einer frühen Schrift skeptisch gegenüber allzu phantasievollen Geschichten über Missbildungen: „Es ist wahr, tausend Historien, welche man erzehlet, um zu erweisen, daß die Einbildungskraft der Mutter diesen oder jenen Fehler an dem Kinde hervorgebracht hat, sind falsch und ungegründet […].“426 Er ist jedoch der Auffassung, dass dies nicht dazu verleiten solle, die Annahme eines Einflusses der Einbildungskraft der Mutter auf den Fötus gänzlich zu verwerfen: „Es läßt sich aber nicht nur aus der Erfahrung, sondern auch aus der Vernunft und Anatomie erweisen, daß die Einbildungskraft der schwangern Weibespersonen Misgeburthen hervorbringen könne.“427 Ähnlich äußert sich der Arzt Johann Theodor Eller (1689–1760).428 Er nimmt dabei jedoch ein entscheidendes Argument der sogenannten Antiimaginationisten auf, nach dem der Blutkreislauf und das Nervensystem der Mutter nicht mit denjenigen des Fötus verbunden sind, und er vertritt die Annahme, für die Fehlbildung seien nicht die Einbildungskraft, sondern allein die Gefühle der Mutter verantwortlich.429 Trotz dieser früh formulierten Skepsis gegenüber der anatomischen Begründung und vor allem der immer weiter ausufernden Kasuistik versuchen insbesondere die deutschsprachigen Mediziner, eine Zwischenposition zu entwickeln, die von dem Einfluss der Mutter auf das ungeborene Kind ausgeht, diesen aber anders begründet oder in seiner Bildlichkeit abschwächt.430 In dieser abgeschwächten Form ist die Hypothese der Imaginationisten in der Mitte des 18. Jahrhunderts weit verbreitet, ohne sich jedoch ganz durchsetzen zu können.431
Isaac Newton, Certain Philosophical Questions. Newton’s Trinity Notebook [1664–1665], hgg. von J. E. McGuire und M. Tamny, Cambridge 1983, S. 383.
Voltaire (1830), „Éléments de la philosophie de Newton“, S. 176.
Jean Senebier, L’art d’observer, Genf 1775, S. 110. 1777 veröffentlicht der Schweizer Theologe Benjamin Samuel Carrard (1730–1789) seine Preisschrift zur von der Société hollandaise des Sciences de Haarlem 1770 ausgeschriebenen Frage, was die Kunst der Beobachtung ausmache. Vgl. Benjamin Carrard, Essai qui a remporté le prix de la Société hollandaise des sciences de Haarlem en 1770, sur cette question: Qu’est-ce qui est requis dans l’art d’observer, Amsterdam 1777; vgl. Lorraine Daston, „The Empire of Observation, 1600–1800“, in: dies./Elizabeth Lunbeck (Hgg.), Histories of Scientific Observation, Chicago/London 2011, S. 81–113, hier: S. 99–100.
Jaucourt (1765), „Sens externes“, S. 31.
Die moraltheologische Kritik an den Sinnen spielt im 17. Jahrhundert noch eine bedeutende Rolle. So erfährt beispielsweise die Schrift The Vanitie of the Eye (1608) des Calvinisten George Hakewill (ca. 1578–1649) bis 1633 zahlreiche Neuauflagen. „Ce jugement: les choses sont telles que nous les percevons, toute la ‚Philosophie nouvelle‘ va le nier, et elle adopte avec Galilée, Gassendi, Descartes et les autres une ‚position‘ différente, porte un autre ‚jugement d’affirmation‘, chargé d’une autre ‚valeur appréciative‘: la nature est mathématique, et la nature qualitative que nous percevons est une fiction.“ Lenoble (1948), „Quelques aspects d’une révolution scientifique“, S. 60; vgl. Tuck (1992), „Optics and sceptics“, S. 303–304.
Vgl. Clark (2007), Vanities of the Eye, S. 266–299; vgl. Christine Buci-Glucksmann, La folie du voir. De l’esthétique baroque, Paris 1986. Der französische Jurist Pierre de Lancre (1553–1631) – der auch bei der Frage der Hexenverfolgung wenig moderne Töne anschlägt – stellt neben dem Wandel der materiellen Dinge und der Täuschungsanfälligkeit der Sinne die Wankelmütigkeit des menschlichen Charakters in den Mittelpunkt. Vgl. Lancre (1610), Tableau de l’inconstance et instabilité de toutes choses, S. 48–49. Zur sinnlichen Wahrnehmung und der Erkenntnisfähigkeit des Menschen vgl. ebd., S. 141–144; vgl. Jan Machielsen, „Lancre, Pierre de“, in: Luc Foisneau (Hg.), Dictionnaire des philosophes français du XVIIe siècle. Acteurs et réseaux du savoir, Paris 2015, S. 984–988.
Vgl. Hamou (2015), „Mersenne, Marin“, S. 1206–1214. Tuck vertritt die These, dass Mersennes Dialog als Ausgangspunkt für die optischen Schriften Gassendis, Descartes’ und Hobbes’ gelten kann, da er die Fragen formuliert, auf welche die drei Philosophen jeweils eigene Antworten geben. Vgl. Tuck (1992), „Optics and Sceptics“, S. 299–327. Zur Verbindung der französischen und englischen Naturforschung am Beispiel Hobbes’ vgl. Steven Shapin/Simon Schaffer, Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle, and the Experimental Life [1985], with a new Introduction by the Authors, Princeton/Oxford 2011, S. 82–91.
Das Werk Gassendis zeigt, dass aus dem Eingeständnis der ständigen Wandelbarkeit der materiellen Welt nicht zwangsläufig auf die Unmöglichkeit ihrer Erkenntnis geschlossenen werden muss. Vgl. Paganini/Taussig (2015), „Gassendi, Pierre“, S. 776–787.
Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 8. Ähnlich auch Leibniz: „De erroribus visus respectu extensionis vel magnitudinis. Un ciron peut avoir des animaux qui sont à luy ce qu’un ciron est à nostre egard, et peut estre qu’il y en a dans la nature des plus petits et des plus petits à l’infini dans cette proportion si estrange d’un homme à un ciron.“ Gottfried Wilhelm Leibniz, „Aus und zu Malebranche, De la recherche de la verité“ [1686 bis 1699 (?)], in: ders., Sämtliche Schriften und Briefe, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Sechste Reihe (Philosophische Schriften), vierter Band (1677 – Juni 1690). Teil B, hg. von der Leibniz-Forschungsstelle der Universität Münster, Berlin 1999, S. 1803–1938, hier: S. 1819.
Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 9.
Ebd., S. 22.
Vgl. Hamou (2015), „Mersenne, Marin“, S. 1210.
Vgl. Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 49–50.
Vgl. ebd., S. 13–15. Auch der Alchimist stellt die Bedingtheit der menschlichen Wahrnehmung nicht in Frage, geht aber davon aus, dass die Erkenntnis dieser Täuschungsanfälligkeit und die Zuhilfenahme der Mathematik einen Zugang zu wahrer Erkenntnis ebneten. Vgl. ebd., S. 43–46; vgl. Hamou (2015), „Marin Mersenne“, S. 1210–1211.
Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 66.
Ähnlich äußert sich Mersenne bereits im Vorwort seines frühen Textes L’usage de la raison (1623), wobei die theologische Begründung im Vordergrund steht. Vgl. Mersenne (2002), L’usage de la raison, S. 17–18.
Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 51.
„Quand à ce qui est des noms que nous donnons aus choses, ie vous accorde qu’il y en a de fort mal imposez, & me plains particuliérement de quelques surnoms, lesquels sont si sales, & si deshonestes, qu’il faut rougir de honte en les prononçant, ou mesmes en y pensant: on devroit un peu prendre garde à cela […].“ Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 69. Vgl. zur klimatologischen Erklärung der Vielfalt der Sprachen ebd., S. 69–74. Zu Mersennes Sprachphilosophie vgl. Crombie (1990), „Marin Mersenne (1588–1648) and the Seventeenth-Century Problem of Scientific Acceptability“, S. 412–417; vgl. Alistair Cameron Crombie, „Marin Mersenne and the Origins of Language“, in: ders., Science, Art and Nature in Medieval and Modern Thought, London/Rio Grande, 1996, S. 275–286.
Vgl. Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 191. Ähnlich formuliert es Chanet. Vgl. Chanet (1643), Considerations sur La Sagesse de Charon, S. 257–272. Auch der irische Naturphilosoph Robert Boyle (1627–1692) verbindet optische Illusionen und ungewöhnliche Verbesserungen des Sehsinns mit Augenerkrankungen oder Schlägen auf das Auge. Er sieht hierin experimentelle Beweise für die mechanistische Erklärung des Sehvorgangs. Vgl. Robert Boyle, „The Christian Virtuoso. The Second Part“, in: ders., The Works of Robert Boyle, hgg. von M. Hunter und E. B. Davis. Band 12 (1692–1744), London 2000, S. 427–530, hier: S. 457–459; vgl. Robert Boyle, „Commentarii experimentales de Mechanica Productione Lucis“, in: ders., The Works of Robert Boyle, hgg. von M. Hunter und E. B. Davis. Band 14 (Unpublished Writings, c. 1670–1691), London 2000, S. 5–54, hier: S. 11–21.
Vgl. Crombie (1996), „Marin Mersenne and the Origins of Language“, S. 282.
Gregory unterstreicht die Verbindung dieses theologischen Arguments mit der ‚neuen Wissenschaft‘ des 17. Jahrhunderts: „On rencontre ce thème, différemment traité, chez des auteurs contemporains – chez Mersenne par exemple et chez Hobbes – si bien que l’on peut dire que le critère gnoséologique selon lequel connaître une chose implique que l’on soit capable de la faire, que l’on connaisse les ‚voies de sa naissance‘, prend sa signfication ‚moderne‘ dans la sphère de la science nouvelle, où il devient critère discriminant entre deux types ou ordres de vérité et de savoir: une vérité et un savoir humain – phénoménologique ou mathématique […] – et un savoir divin, métaphysique et absolu […].“ Gregory (1992), „Pierre Gassendi“, S. 17; vgl. ebd., S. 25.
Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 54; vgl. Crombie (1990), „Marin Mersenne (1588–1648) and the Seventeenth-Century Problem of Scientific Acceptability“, S. 405.
Vgl. Gassendi (1959), Dissertations en forme de paradoxes, S. 510; vgl. Gregory (1992), „Pierre Gassendi“, S. 23.
Erst steht dabei der Geschmackssinn (Rotwein) im Vordergrund. Hier scheint der Leser leichter von dessen Individualität überzeugt werden zu können. Erst in einem zweiten Schritt geht Gassendi zum Seh- und Tastsinn über, der den Menschen neutraler erscheine. Vgl. Gassendi (1959), Dissertations en forme de paradoxes, S. 434–485. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts argumentiert der nicht genannte Autor des Artikels „Sens“ der Encyclopédie mit dieser Individualität der Sinnesempfindung gegen eine sich unkritisch auf die Sinnesorgane stützende Epistemologie: „Quelle regle infaillible me donne- t-on pour juger que l’organe de ma vue, de mon ouïe, de mon odorat, est actuellement bien disposé? Nos organes ne nous donnent une certitude parfaite que quand ils sont parfaitement formés; mais ils ne le sont que pour des tempéramens parfaits; & comme ceux-ci sont très-rares, il s’ensuit qu’il n’est presque aucun de nos organes qui ne soit défectueux par quelque endroit. […] Les sens ne nous apprennent point l’impression précise qui se fait par leur canal en d’autres hommes que nous. Ces effets dépendent de la disposition de nos organes, laquelle est à-peu-près aussi différente dans les hommes que leurs tempéramens ou leurs visages […].“ Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 25 („Sens“).
Vgl. Gassendi (1959), Dissertations en forme de paradoxes, S. 402.
Gassendi wendet sich so implizit gegen Thomas von Aquin (ca. 1225–1274), der die weiße Farbe des Schnees als Beispiel für eine sichere Sinnesempfindung anführt. Vgl. Zeuch (2000), Umkehr der Sinneshierarchie, S. 64. Auch diesen Gedanken nimmt die Encyclopédie auf: „Je ne puis savoir aussi si ce qui est couleur blanche pour moi, n’est point du rouge pour un autre que pour moi.“ Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 25 („Sens“).
Vgl. Gassendi (1959), Dissertations en forme de paradoxes, S. 500.
Ebd., S. 470.
Vgl. ebd., S. 470–476. Die Aspekte der Vorläufigkeit und Unvollständigkeit der sinnlichen Empfindung macht auch der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza (1632–1677) in seiner Hauptschrift Ethica, ordine geometrico demonstrata (posthum 1677) zur Grundlage seiner Epistemologie. Vgl. Dominik Perler, „Verstümmelte und verworrene Ideen. Sinneswahrnehmung und Erkenntnis bei Spinoza“, in: ders./Markus Wild (Hgg.), Sehen und Begreifen. Wahrnehmungstheorien in der frühen Neuzeit, Berlin/New York 2008, S. 177–202, hier: S. 183–192. Der Mensch könne, anders als Gott, die Welt nur abhängig von seinem beschränkten (lat. mutilate) Erfahrungshorizont überblicken. Vgl. Spinoza (1999), Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt, S. 180. „Er [i. e. Spinoza] unterscheidet vielmehr verschiedene Stufen der Erkenntnis, von denen die Sinneswahrnehmung die erste und grundlegende bildet. Zwar sind viele Ideen, die mithilfe der Sinneswahrnehmung erworben werden, falsch, aber nur in dem Sinne, dass sie unvollständig und ergänzungsbedürftig sind.“ Perler (2008), „Verstümmelte und verworrene Ideen“, S. 178. Die Rolle des Geistes ist es, die Sinneseindrücke dieser „unbestimmte[n] Erfahrung“ (lat. experientia vaga) nicht grundsätzlich zu verwerfen, sondern die Beschränktheit der „zufälligen Begegnung mit Dingen“ sowie den Unterschied zwischen ihr und den durch die Sinne hervorgerufenen Empfindungen zu erkennen (Spinoza (1999), Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt, S. 164–165 und S. 180–181). Auf dieser Grundlage kann durch den vom Einzelfall abstrahierenden Vergleich zu einer „klar[en] und deutlich[en]“ (lat. clare et distincte) Betrachtung gefunden werden, die jedoch notwendig unvollkommen bleibt (ebd., S. 164–165). „Deshalb ist es aus menschlicher Perspektive sinnlos zu fragen, wie Gegenstände an sich beschaffen sind. Da wir – ganz im Gegensatz zum göttlichen Geist – nicht das perfekte Netz von Ideen haben, das ihre Beschaffenheit vollständig anzeigt, können wir immer nur fragen, wie sie für uns gegeben sind, und wir können versuchen, aus dieser Präsenz Rückschlüsse auf ihre Beschaffenheit zu ziehen.“ Perler (2008), „Verstümmelte und verworrene Ideen“, S. 190.
„Mais, encore que les sens nous trompent quelquefois, touchant les choses peu sensibles et fort éloignées, il s’en rencontre peut-être beaucoup d’autres, desquelles on ne peut pas raisonnablement douter, quoique nous les connaissions par leur moyen: par exemple, que je sois ici, assis auprès du feu, vêtu d’une robe de chambre, ayant ce papier entre les mains, et autres choses de cette nature.“ Descartes (1967), „Les Méditations, les objections et les réponses“, S. 405. Das Argument findet sich bereits im „Discours de la méthode“ (1637): „Puis, examinant avec attention ce que j’étais, et voyant que je pouvais feindre que je n’avais aucun corps, et qu’il n’y avait aucun monde, ni aucun lieu où je fusse; mais que je ne pouvais pas feindre, pour cela, que je n’étais point; et qu’au contraire, de cela même que je pensais à douter de la vérité des autres choses, il suivait très évidemment et très certainement que j’étais […].“ Descartes (1963), „Discours de la méthode“, S. 603–604.
„Ainsi de toute la polémique des Exercitationes seule la scientia experimentalis ressort indemne, comme prise de possession consciente du monde en relation directe avec l’homme: le scepticisme n’aboutit pas –, comme chez Pic de la Mirandole et d’autres apologistes contemporains – à un fidéisme, et donc à une renonciation à l’usage de la raison, mais à une attitude empiriste qui, si elle n’a pas encore affiné et théorisé ses moyens d’investigation et de mise en système du donné, a cependant déjà défini la sphère de ses propres intérêts – le monde des phénomènes naturels et humains – indiquant de nouveaux devoirs et usages de la raison. A une scientia demonstrativa per causas – dont l’issue avait été un maigre tissu de déductions syllogistiques – s’opposait une scientia experimentalis telle qu’elle se construisait lentement grâce aux techniciens, praticiens, expérimentateurs: c’est à cette science-là que Gassendi s’était consacré depuis les années d’Aix-en-Provence, de sorte que sa polémique anti-aristotélicienne et son rappel à l’investigation directe de la nature, loin de rester une affirmation générique – comme chez de nombreux humanistes – se nourissent de recherches physiciennes rigoureuses.“ Gregory (1992), „Pierre Gassendi“, S. 15.
Gassendi (1959), Dissertations en forme de paradoxes, S. 434.
Vgl. ebd., S. 460.
Vgl. Gregory (1992), „Pierre Gassendi“, S. 18–20.
Vgl. ebd., S. 24.
Descartes (1967), „Les Méditations, les objections et les réponses“, S. 707.
Ebd., S. 788.
Ebd., S. 405.
Gassendi (1972), The Selected Works of Pierre Gassendi, S. 168–169. Sowohl die französische als auch die englische Übersetzung des lateinischen Originals der „Objections“ sind nicht vollständig. Dieser Abschnitt wird nur in der englischen Übersetzung wiedergegeben.
Auf Gassendis Kritik der Méditations, in der er Descartes immer wieder mit „ô esprit“ anspricht, reagiert dieser in seiner Antwort mit „ô chair“. Vgl. Descartes (1967), „Les Méditations, les objections et les réponses“, S. 760 und S. 793.
Ebd., S. 711.
„La logique empiriste de Gassendi trouve son fondement et sa confirmation dans la physiologia où, examinant le processus d’abstraction, il considère les universaux, non pas comme correspondant à des essences extra-mentales, mais comme vision généralisante de l’objet (res universe considerata) à laquelle échappe la complexe diversité des individus; ceux-ci ne peuvent être connus qu’à travers l’expérience directe dont les capacités sont maintenant élargies par les techniques d’expérimentation et par l’invention de nouveaux appareils, comme le microscope […].“ Gregory (1992), „Pierre Gassendi“, S. 22.
Ebd., S. 23. „La connaissance par l’hypothèse et l’expérience – qui examine les rapports entre les phénomènes pour en décrire non les natures, selon des hypothèses fantaisistes parce que non vérifiables […] mais la façon dont ils se produisent – s’affirme ainsi comme l’unique mode de philosopher qui, se posant comme probable et renonçant à détenir définitivement une vérité métaphysique, a pu acquérir une nouvelle dimension du savoir: le fait qu’il est relatif et temporel donc historique et progressif, lié à l’élargissement continu de l’expérience humaine et à la collaboration de tous; cette conscience anime les nouvelles ‚académies‘ scientifiques, ces grandes créations du XVIIe siècle européen.“ Ebd., S. 25; vgl. ebd., S. 28.
„Utcunque enim homines sibi placeant et in admirationem mentis humanae ac fere adorationem ruant, illud certissimum est: sicut speculum inaequale rerum radios ex figura et sectione propria immutat, ita et mentem, cum a rebus per sensum patitur, in notionibus suis expediendis et comminiscendis haud optima fide rerum naturae suam naturam inserere et immiscere.“ Francis Bacon, Neues Organon. Teilband 1, hg. und mit einer Einleitung von W. Krohn, lateinisch–deutsch, Hamburg 1990, S. 48–51. Bacon bezeichnet die geistigen Täuschungen als idola, die von außen an den Menschen herangetragen werden („vel ex philosophorum placitis et sectis vel ex perversis legibus demonstrationum“) oder dem Geist selbst eigen sind und, so Bacon, durch die induktive Methode umgangen, jedoch nicht geheilt werden können. Ebd., S. 48. Vgl. ebd., S. 100–105 (XXXIX–XLIV); vgl. Stephen Gaukroger, „Bacons Psychologie der Wahrnehmungskognition“, in: Dominik Perler/Markus Wild (Hgg.), Sehen und Begreifen. Wahrnehmungstheorien in der frühen Neuzeit, Berlin/New York 2008, S. 71–94, hier: S. 80–91.
„If all experience is to some extent refined, framed by context and circumstance, scientific experience is still more deliberate and cultivated, and each of its distinctive forms has a history. Like experiment, observation is a highly contrived and disciplined form of experience that requires training of the body and mind, material props, techniques of description and visualization, networks of communication and transmission, canons of evidence, and specialized forms of reasoning. And like scientific experiment, scientific observation emerged, flourished, and diversified under specific historical conditions […]. Even though there was never a time before experience, there was a time before the scientific experiment – and the scientific observation: these were forms of ‚learned experience‘ that had to be crystallized out of vernacular practices and conceptualized as evidence and proof.“ Daston/Lunbeck (2011), „Introduction. Observation Observed“, S. 3. Breidbach unterstreicht, „daß die Idee des Erfahrungswissens, und damit auch die Idee einer in der Induktion fundierten Wissenschaft, kein Kind der sciences des 19. Jahrhunderts ist.“ Sie könne vielmehr bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Breidbach (2005), Bilder des Wissens, S. 43.
Nicholas J. Wade sieht hier – vielleicht etwas vorschnell – die Grundlage der späteren Entwicklung der Psychologie. Vgl. Nicholas J. Wade, „Jean Théophile Desaguliers (1683–1744) and Eighteenth Century Vision Research“, in: British Journal of Psychology. Nr. 91 (2000), S. 275–285, hier: S. 275.
Siehe schon Galileis Beobachtungsprotokoll der Jupitermonde, das auch die wolkigen Tage verzeichnet. Vgl. Galileo Galilei, „Sidereus Nuncius“, in: ders., Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen. Dialog über die Weltsysteme (Auswahl). Vermessung der Hölle Dantes. Marginalien zu Tasso, hg. und eingeleitet von H. Blumenberg, Frankfurt a. M. 1965, S. 74–129, hier: S. 112 und S. 119.
Galileo Galilei, Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro accidenti comprese in tre lettere scritte all’illustrissimo signor Marco Velseri Linceo […], Rom 1613, S. 12. „Names and attributes must be accommodated to the reality of things, not the other way round; things existed before names.“ Galilei (2012), „Letters on the Sunspots“, S. 35; vgl. ebd., S. 48 und S. 52.
Molyneux (1709), Dioptrica Nova, o. P. („To the Illustrious The Royal Society“).
Zum Begriff des Experiments, der im 17. und 18. Jahrhundert „zwischen einem allgemeineren Erfahrungshandeln und einem spezifischeren wissenschaftlichen Herstellungshandeln“ schwankt, vgl. Michael Gamper, „Zur Literaturgeschichte des Experiments – eine Einleitung“, in: ders./Martina Wernli/Jörg Zimmer (Hgg.), „Es ist nun einmal zum Versuch gekommen“. Experiment und Literatur I 1580–1790, Göttingen 2009, S. 9–30, hier: S. 13; vgl. Daston (2011), „The Empire of Observation“, S. 83–87. Breidbach definiert die Beobachtung als „reflektierte Perzeption, das heißt eine Perzeption, die als solche bewußt ist.“ Unter ‚Perzeption‘ versteht er die physiologische Verarbeitung des ‚Perzepts‘, „das heißt eine spezifische Reaktion der den Sinnesorganen nachgeordneten Nervenzellen.“ Breidbach (2005), Bilder des Wissens, S. 17.
„Das Experiment bringt in einer konstitutiven Verschmelzung von performativen und repräsentativen Verfahren Kenntnisse hervor – und zwar Kenntnisse, die sich einer bestimmten provozierten Erfahrung verdanken. Aus dieser Kerndefinition, also aus dem Zusammenspiel von definierten Voraussetzungen, von künstlichem Eingriff und empirisch-performativem Ablauf, an die sich Verfahren der Aufzeichnung, der interpretativen Ausdeutung und der kommunikativen Distribution anschließen, lassen sich die Spezifikationen ableiten, die das Eigentümliche des Experiments in den verschiedenen Bereichen seiner Verwendung ausmachen.“ Gamper (2009), „Zur Literaturgeschichte des Experiments“, S. 11.
Christian Licoppe, La formation de la pratique scientifique. Le discours de l’expérience en France et en Angleterre (1630–1820), Paris 1996, S. 26; vgl. ebd., S. 19–52.
Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 60; vgl. ebd. S. 60–65. Stafford zeigt, wie sehr die experimentelle Methode ihre Glaubwürdigkeit auch gegen populäre pseudowissenschaftliche Shows zu verteidigen hat. Vgl. Barbara Maria Stafford, Artful Science. Enlightenment Entertainment and the Eclipse of Visual Education, Cambridge/London 1994, S. 73–87.
Vgl. Molyneux (1709), Dioptrica Nova, o. P. („To the Illustrious The Royal Society“); vgl. Daston (2011), „The Empire of Observation“, S. 93–95. Auch Goethe unterstreicht 1792/1793 am Schluss seiner „‚Versuche mit Leuchtsteinen‘“: „Ich wiederholte diese Versuche oft genug und zeigte sie vielen Freunden.“ Johann Wolfgang Goethe, <Versuche mit Leuchtsteinen> [1792/1793], in: ders., Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände, hgg. von H. Birus, D. Borchmeyer, H.‑G. Dewitz et al. I. Abteilung, Band 23/2 (Schriften zur Farbenlehre 1790–1807), hg. von M. Wenzel, Frankfurt a. M. 1991, S. 71–75, hier: S. 75. Zur Verbindung von sinnlicher Erfahrung und Theorie vgl. Goethe (1991), Sämtliche Werke. I. Abteilung, Band 23/1 (Zur Farbenlehre), S. 14. Goethe sieht sich in der Tradition Bacons. Vgl. Johann Wolfgang Goethe, <Über Newtons Hypothese der diversen Refrangibilität> [posthum, entst. 1793], in: ders., Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände, hgg. von H. Birus, D. Borchmeyer, H.‑G. Dewitz et al. I. Abteilung, Band 23/2 (Schriften zur Farbenlehre 1790–1807), hg. von M. Wenzel, Frankfurt a. M. 1991, S. 128–140, hier: S. 129.
Vgl. Molyneux (1709), Dioptrica Nova, o. P. („Admonition to the Reader“).
Folglich beschäftigt sich Molyneux’ Dioptrica nova nicht mit dem Vorgang der menschlichen Wahrnehmung, sondern allein mit den Gesetzen der Reflexion und Refraktion von Lichtstrahlen und den damit verbundenen Eigenschaften optischer Instrumente. Der Sehvorgang hinter der Retina gehört für Molyneux zu dem Bereich, der seiner experimentellen Optik nicht zugänglich ist und eine theologische Erklärung erfordert, da es sich für ihn um eine Aktivität der Seele handelt. Er illustriert diesen Aspekt mit der Diskussion des umgekehrten Bildes auf der Retina. Vgl. ebd., S. 104–105.
Vgl. Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 25–26 und S. 55–60.
Vgl. Breidbach (2005), Bilder des Wissens, S. 96–102.
Huygens (1690), Traité de la lumière, o. P. („Préface“). Molyneux begründet den gleichen Sachverhalt theologisch: „For the omnipotent Contriver of the Universe has order’d Natures Operations to be performed by such fine Springs, secret Motions, and inexplicable Ways; that Man in this Life may well despair of attaining the intimate Knowledge thereof; and must therefore content himself with the Contemplation of plain matter of Fact, in which he cannot be deceived.“ Molyneux (1709), Dioptrica Nova, o. P. („To the Illustrious The Royal Society“).
Die nicht von Huygens selbst verfasste Einleitung der posthum veröffentlichten Schrift Cosmotheoros (1698) – hier in der ersten französischen Übersetzung – unterstreicht: „Il est vrai que ce grand Homme ne prétend pas donner ce principe comme une demonstration Mathematique; mais les conjectures qu’il en tire, sont si évidentes, qu’il est presque impossible d’en douter.“ Huygens (1702), La pluralité des mondes, o. P. („Préface“). Huygens selbst gesteht: „C’est pourquoy nous n’assurons rien comme certain; (car comment le pourrions-nous!) & nous n’agissons que par conjectures, sur la vray-semblance desquelles nous n’ôtons à personne la liberté d’en juger comme il luy plaira.“ Ebd., S. 13–14.
Vgl. ebd., S. 14–15.
„Les demonstrations qui concernent l’Optique, ainsi qu’il arrive dans toutes les sciences où la Geometrie est appliquée à la matiere, sont fondées sur des veritez tirées de l’experience […].“ Huygens (1690), Traité de la lumière, S. 1.
Vgl. ebd., o. P. („Préface“).
Huygens verbindet auf kuriose Weise das induktive, empiristische Denken mit einer Art interplanetarer Figur der Analogie. Wie von der Anatomie eines Hundes auf diejenige anderer Tiere geschlossen werden könne, so sei auch von den sichtbaren Erdbewohnern auf die unsichtbaren Bewohner anderer Planeten zu schließen. Vgl. Huygens (1702), La pluralité des mondes, S. 29–31. Auch Wolff ist davon überzeugt, dass alle Planeten bewohnt sind. Vgl. Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge [1723, 21726], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 7 (Vernünftige Gedanken (Deutsche Teleologie)), hg. von H. W. Arndt, Hildesheim/New York 1980, S. 45 (§ 30).
Huygens (1690), Traité de la lumière, S. 2–3.
Bacon (1990), Neues Organon. Teilband 1, S. 49.
„Itaque perceptioni sensus immediatae ac propriae non multum tribuimus […].“ Ebd., S. 48–49; vgl. ebd., S. 100–101 (XLI). Zum Experiment vgl. ebd., S. 112–113 (L) und S. 146–151 (LXX). Zu Bacons deutlicher Abgrenzung von einer induktiven Methode, die sich auf das reine Sammeln von Fakten beschränkt, vgl. ebd., S. 44–45, S. 146–147 (LXIX) und S. 221–227 (CII–CVI); vgl. Shapin (1996), The Scientific Revolution, S. 92–93.
Vgl. Bacon (1990), Neues Organon. Teilband 1, S. 102–113 (XLII–XLIX).
„Habet enim unusquisque […] specum sive cavernam quandam individuam, quae lumen naturae frangit et corrumpit […].“ Ebd., S. 102–103 (XLII).
„[A] stupore et incompetentia et fallaciis sensuum; ut ea quae sensum feriant, illis quae sensum immediate non feriunt, licet potioribus, praeponderent.“ Ebd., S. 112–113 (L). In der deutschsprachigen Philosophie nimmt erst Baumgartens Schüler Georg Friedrich Meier Bacons Definition der – wie Meier es übersetzt – Götzen wieder auf. Die Warnung vor ihrem Einfluss bildet die 32. Regel, die Meier für die ‚Erfahrungs-Kunst‘ des Experiments und der Beobachtung aufstellt (vgl. Kap. 3.3). Vgl. Georg Friedrich Meier, Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften [1749, 21755]. Teil II, Hildesheim/New York 1976, S. 248–251 (§ 368).
„[P]ropterea quod notiones rerum primae, quas mens haustu facili et supino excipit recondit atque accumulat (unde reliqua omnia fluunt), vitiosae sint et confusae et temere a rebus abstractae; neque minor sit in secundis et reliquis libido et inconstantia […].“ Bacon (1990), Neues Organon. Teilband 1, S. 2–3. Blumenberg sieht hier die frühe Formulierung einer aufklärerischen Lichtmetaphorik, welche das „‚Licht‘ in den Bereich des zu Leistenden“ rücke und damit dem grundlegenden Vertrauensverlust in die Zuverlässigkeit des Sehsinns seit den astronomischen Entdeckungen Galileis Rechnung trage. Hans Blumenberg, „Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung“ [1957], in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, Auswahl und Nachwort von A. Haverkamp, Frankfurt a. M. 2001, S. 139–171, hier: S. 168. Galilei unterstreicht jedoch auch sein Vertrauen in den Sehsinn. Vgl. Galilei (1965), „Sidereus Nuncius“, S. 81, S. 107 und S. 110. „SIMPLICIO Wenn man sich aber von Aristoteles lossagt, wer soll dann Führer in der Wissenschaft sein? Nennt irgendeinen Autor! SALVIATI Des Führers bedarf man in unbekannten wilden Ländern, in offener ebener Gegend brauchen nur Blinde einen Schutz. Wer zu diesen gehört, bleibe besser daheim. Wer aber Augen hat, körperliche und geistige, der nehme diese zum Führer!“ Galileo Galilei, „Dialog über die Weltsysteme“, in: ders., Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen. Dialog über die Weltsysteme (Auswahl). Vermessung der Hölle Dantes. Marginalien zu Tasso, hg. und eingeleitet von H. Blumenberg, Frankfurt a. M. 1965, S. 131–225, hier: S. 159; vgl. Galileo Galilei, „Letter to her Serene Highness, Madame the Dowager Grand Duchess“, in: ders., Selected Writings, übersetzt von W. R. Shea und M. Davie, New York 2012, S. 61–94. Allerdings zeigt sich in Il Saggiatore (1623), dass Galileis Verständnis des Sehsinns komplexer ist. Er rückt dort die Wahrnehmung sekundärer Eigenschaften (Geschmack, Geruch, Gehör) in die Nähe der arbiträren, das heißt vom Menschen und nicht den Dingen selbst abhängigen Zeichen. Vgl. Galilei (2012), „From The Assayer“, S. 121.
„[A]ntequam vero ad remotiora et occultiora naturae liceat appellere, necessario requiritur ut melior et perfectior mentis et intellectus humani usus et adoperatio introducatur.“ Bacon (1990), Neues Organon. Teilband 1, S. 26–27; vgl. ebd., S. 40–41 und S. 88–89 (XVIII). Siehe seine Kritik am mechanistischen Weltbild, vgl. ebd., S. 136–141 (LXVI). Um diesem Streben nach Vorurteilslosigkeit Nachdruck zu verleihen, gibt Robert Boyle an, sich nur oberflächlich mit den Werken Gassendis, Descartes’ und sogar Bacons auseinandergesetzt zu haben. Vgl. Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 68–69.
„Da die große Zahl der Einzeldinge so verstreut und weitläufig ist, daß sie den Geist zerstreut und verwirrt, ist von oberflächlichen Wortsammlungen, flüchtiger Kenntnisnahme und bloßen Übersichten nicht viel zu erhoffen.“ Bacon (1990), Neues Organon. Teilband 1, S. 220–221 (CII).
„Sensus enim fallunt utique, sed et errores suos indicant: verum errores praesto, indicia eorum longe petita sunt.“ Ebd., S. 46–47.
„Zum ersten gibt es vieles, was den Sinnen, selbst wenn sie völlig gesund und nicht beschädigt sind, entgeht, sei es wegen der Feinheit des ganzen Körpers, wegen der Kleinheit der Teile, der Entfernung des Ortes, wegen der Langsamkeit oder Schnelligkeit der Bewegung, der Bekanntheit des Gegenstandes oder wegen anderer Gründe. Aber auch dort, wo die Sinne ein Ding erfassen, sind ihre Wahrnehmungen nicht immer zuverlässig. Denn das Zeugnis und die Übermittlung der Sinne geschieht immer entsprechend dem Menschen, nicht entsprechend dem Weltall; und es ist ein großer Irrtum zu behaupten, die Sinne seien das Maß der Dinge.“ Ebd., S. 46–47. Vgl. ebd., S. 100–101 (XLI).
„Es gilt, die Stufen der Gewissheit zu bestimmen, die sinnliche Wahrnehmung durch Rückführung auf ihre Gründe zu sichern, aber das den Sinnen folgende Spekulieren des Geistes zu verwerfen, um so dem Verstande einen neuen, unfehlbaren Weg von der sinnlichen Wahrnehmung aus zu eröffnen und zu sichern.“ Ebd., S. 70–71.
„Nach meinem Weg dagegen werden die Lehrsätze ordnungsgemäß und einer nach dem andern aufgestellt und erst zuletzt gelangt man zu dem Allgemeinsten.“ Ebd., S. 44–45. Bacon unterstreicht weiter, dass es ihm dabei nicht um die Aufzählung von Einzelheiten gehe, sondern um eine Untersuchung, die zu den Grundprinzipien führen solle. Vgl. ebd., S. 118–119 (LVII) und S. 210–211 (XCV). Besonders anschaulich wird dies, wenn Bacon erklärt, die induktiven Erkenntnisse seien mit der Dekoration eines Brautzimmers zu vergleichen, in dem die Hochzeit des Geistes und des Universums vollzogen werde. Vgl. ebd., S. 50–51. Anders als Descartes gründet Bacon diesen Neubeginn nicht auf das Sehen eines Einzelnen, sondern entwirft die Naturforschung als Gemeinschaftsaufgabe, welche die Lebenszeit eines Menschen überschreite und von der zeitgenössischen Forschung und Kritik profitieren könne. Vgl. auch Galilei (1965), „Sidereus Nuncius“, S. 82–85 und S. 108–109. Dass es sich dabei um eine Forschungsgemeinschaft der Sehenden und nicht um die diskursiven Autoritäten handelt, macht folgender Zusatz Galileis zu seinem Dialog über die Weltsysteme deutlich: „Viele tun sich etwas zugute darauf, wenn sie zur Bestätigung ihrer Ansichten zahlreiche Autoritäten anführen können; ich möchte die meinigen zuerst und allein gefunden haben.“ Galilei (1965), „Handschriftliche Zusätze Galileis“, S. 226.
Robert Hooke, The Posthumous Works of Robert Hooke [1705], London 21971, S. 9. Für Boyles Experimente über die Eigenschaften der Luft baut Hooke 1658 und 1659 eine verbesserte Luftpumpe auf der Basis des Entwurfs von Otto von Guericke (1602–1686). Vgl. Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 26.
Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 9.
Vgl. ebd., S. 10.
Ebd.
Vgl. ebd. So erklärt Desaguliers die Mondillusion. Vgl. Jean Théophile Desaguliers, „An Attempt to Explain the Phænomenon of the Horizontal Moon Appearing Bigger, than when Elevated Many Degrees Above the Horizon. Supported by an Experiment“, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Band 39, Nr. 444 (1735), S. 390–392, hier: S. 390.
Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 11.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S. 12.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“); vgl. Allan Chapman, England’s Leonardo. Robert Hooke and the Seventeenth-Century Scientific Revolution, Bristol/Philadelphia 2005, S. 55–71. Posthum werden auch Hookes Lectures of Light, explicating its Nature, Properties, and Effects veröffentlicht. Vgl. Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 71–148. Zu Hookes Theorie des Lichts vgl. Darrigol (2012), A History of Optics, S. 53–58.
Hooke deutet damit ein zentrales Argument für die Repression der Sinne in theologischen und moralischen Schriften zum Ausgangspunkt einer positiven Entwicklung um. Newhauser zeigt dies anhand der langen Tradition der Regulierung und Erziehung der Sinne in Schriften des Mittelalters bis ans Ende des 18. Jahrhunderts. Vgl. Richard G. Newhauser, „Introduction. The Sensual Middle Ages“, in: ders. (Hg.), A Cultural History of the Senses in the Middle Ages, London/New York 2014, S. 1–22, hier: S. 12–22; vgl. Gerald Hartung, „Das ‚chymische Laboratorium‘. Zur Funktion des Experiments im Naturwissenschaftsdiskurs des 17. Jahrhunderts“, in: Helmar Schramm/Ludger Schwarte/Jan Lazardig (Hgg.), Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert, Berlin/New York 2006, S. 220–241. Ein Argument, welches bis ins 18. Jahrhundert immer wieder anzutreffen ist. Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 5 und S. 46–53; vgl. Kevin F. Hilliard, „‚Des Geistes schärfres Auge‘. Lessing über die Sinnlichkeit“, in: Alexander Košenina/Stefanie Stockhorst (Hgg.), Lessing und die Sinne, Hannover 2016, S. 11–26, hier: S. 11–12. Condillac nutzt es, um seine sensualistische Erkenntnistheorie theologisch abzusichern. Vgl. Étienne Bonnot de Condillac (Anonym), Essai sur l’origine des connoissances humaines. Ouvrage où l’on réduit à un seul principe tout ce qui concerne l’Entendement Humain. Erster Teil, Amsterdam 1746, S. 8–10.
„The Apprehension also or common Sense is not of the Nature of the things so sensated, but only with some peculiar Reference to our own Structure. Thus some Tastes are sweet or sowre to us, which I make a great doubt whether they are so to the Senses of other Creatures: And those things seem pleasant in the Smell to other Creatures Senses, which to our Senses seem quite otherwise. So that our Apprehensions of things seem to be appropriated to our Species: And that if there were another Species of Intelligent Creatures in the World, they might have quite another kind of Apprehension of the same thing, and neither perhaps such as they ought to be, and each of them adapted to the peculiar Structure of that Animal Body in which the Sensation is made.“ Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 8.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“).
Hiervon verspricht sich Hooke eine Erneuerung der Naturphilosophie. Genauer geht er auf diese in einer erst posthum veröffentlichten Schrift ein. Darin erklärt er die Schwächen der Naturphilosophie mit deren mangelndem Anspruch und fehlender Methode (keine Experimente oder anatomische Untersuchungen, keine Genauigkeit in Auswahl und Bewertung, zu starke Orientierung an antiken Autoren). Er grenzt sich auch von einer allgemeinen Skepsis ab: „I do not here with the Scepticks affirm, that nothing is or can be known […] mine on the other side supposes all things as possible to be known […].“ Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 5. Hooke entwirft in der Folge eine „Method of a Philosophical Algebra“. Ebd., S. 8.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“); vgl. Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 36–38.
„[A]nd they are to consist of such Directions as may inform us, what things are best to be stor’d up for our purpose, and which is the best way of so disposing them, that they may not only be kept in safety, but ready and convenient […].“ Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“).
Ebd.
Hooke stellt gar die Erfindung von Instrumenten für die anderen Sinne, inbesondere das Gehör, in Aussicht. Vgl. ebd.
Ebd.
Ebd. Hooke gesteht aber auch ein, dass seine Forschung nicht die begriffliche Genauigkeit erreichen könne, die der Leser von einem philosophischen Werk erwarte.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Jordynn Jack, „A Pedagogy of Sight. Microscopic Vision in Robert Hooke’s Micrographia“, in: Quarterly Journal of Speech. Band 95, Nr. 2 (Mai 2009), S. 192–209, hier: S. 192; vgl. Frédérique Aït-Touati, Fictions of the Cosmos. Science and Literature in the Seventeenth Century, übersetzt von Susan Emanuel, Chicago/London 2011, S. 133–173.
„Hooke’s instructions help readers to recognize microscopic bodies as bodies, and then constitute those bodies as tiny machines, designed by God, offering pleasure to those who would view them carefully.“ Jack (2009), „A Pedagogy of Sight“, S. 205.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“).
Ebd.
Vgl. ebd.
Ebd.
Ebd. Jack zeigt, dass sich die mechanistische Weltsicht auch in der Wortwahl spiegelt. Vgl. Jack (2009), „A Pedagogy of Sight“, S. 199–200.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“). Wie Bacon spricht sich Hooke gegen das Streben nach Vollständigkeit aus; vgl. ebd., S. 1. Vgl. ebd., o. P. („Préface“); vgl. Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 18–21.
Vgl. ebd., S. 9. Siehe ähnlich bei Van Leeuwenhoek, vgl. Snyder (2015), Eye of the Beholder, S. 316–318. Blumenberg unterstreicht: „In der Idee der ‚Methode‘, die von Bacon und Descartes ihren Ausgang nimmt, wird ‚Licht‘ als verfügbar gedacht. Das Gegebene steht nicht mehr im Licht, sondern es wird von einem bestimmten Aspekt her beleuchtet. Für das Ergebnis kommt es auf den Winkel an, aus dem das Licht auf den Gegenstand fällt und aus dem er gesehen wird – Bedingtheiten der Perspektive und ihre Bewußtmachung, ja ihre freie Wahl, bestimmen nun den Begriff des ‚Sehens‘. Die Bedeutung der Perspektive, des Standortbewußtseins, für die Neuzeit erforderte eine Untersuchung für sich.“ Blumenberg (2001), „Licht als Metapher der Wahrheit“, S. 170.
Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 9.
„Illustrationen – und das gilt eben auch für die Darstellungen Galileis – sind nicht einfach nur Impressionen. In den Illustrationen kondensieren sich ganze Erfahrungsreihen: Sie fixieren ein Wissen von der Welt, das die Impressionen interpretierbar und die Erfahrungen so als Beobachtungen notierbar macht.“ Breidbach (2005), Bilder des Wissens, S. 110.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“); vgl. Jack (2009), „A Pedagogy of Sight“, S. 196.
Vgl. Wolfgang Schäffner, „Punkt. Minimalster Schauplatz des Wissens im 17. Jahrhundert (1585–1665)“, in: Helmar Schramm/Ludger Schwarte/Jan Lazardzig (Hgg.), Kunstkammer – Laboratorium – Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert, Berlin/New York 2003, S. 56–74.
Vgl. Hooke (1667), Micrographia, S. 1.
Ebd.
Ebd., S. 2.
Ebd. Über das Rasiermesser schreibt er: „[T]here we may observe its very Edge to be of all kind of shapes, except what it should be.“ Ebd., S. 4.
Ebd., S. 2.
Ebd.
Ebd., S. 3.
Vgl. Hooke (1971), The Posthumous Works of Robert Hooke, S. 12–16 und S. 40–42.
Hooke (1667), Micrographia, o. P. („Préface“).
Ebd. Jacks Annahme, die Beschreibung sei der technischen Unausgereiftheit des von Hooke benutzten Mikroskops geschuldet, greift etwas zu kurz. Vgl. Jack (2009), „A Pedagogy of Sight“, S. 195.
Hooke (1667), Micrographia, S. 8; vgl. ebd., S. 2. Ähnlich formuliert es Smith noch 1738, wenn er den Aufbau eines künstlichen Auges von demjenigen des menschlichen Auges abhebt: „Though this construction of the eye appears not amiss at first sight, yet we shall see presently that the author of nature has wisely varied some things for the better, and added others absolutely necessary; though in every thing we cannot perceive his designs.“ Smith (1738), A Compleat System of Opticks. Band I, S. 26.
„The controversy with which we are concerned took place in England in the 1660s and early 1670s. The protagonists were Robert Boyle (1627–1691) and Thomas Hobbes (1588–1679). Boyle appears as the major practitioner of systematic experimentation and one of the most important propagandists for the value of experimental practices in natural philosophy. Hobbes takes the role of Boyle’s most vigorous local opponent, seeking to undermine the particular claims and interpretations produced by Boyle’s researches and, crucially, mobilizing powerful arguments why the experimental programme could not produce the sort of knowledge Boyle recommended.“ Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 7; vgl. ebd., S. 110–154 und S. 169–178. Im Gegensatz zu Hobbes formuliert Boyle keine explizite Erkenntnistheorie: „Boyle’s New Experiments did not offer any explicit and systematic philosophy of knowledge. It did not discuss the problem of justifying inductive inference, propose formal criteria for establishing physical hypotheses, nor did it stipulate formal rules for limiting causal inquiry. What New Experiments did do was to exemplify a working philosophy of scientific knowledge.“ Ebd., S. 49.
Thomas Hobbes, Elements of Philosophy. The First Section, Concerning Body Written in Latin by Thomas Hobbes of Malmesbury and Translated into English [1656], in: ders., The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury [1839], now first collected and edited by Sir W. Molesworth. Band I, Aalen 1966, S. 3; vgl. Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 22. Die Sprache der Philosophie beschreibt Hobbes als möglichst einfach: „I am not ignorant how hard a thing it is to weed out of men’s minds such inveterate opinions as have taken root there, and been confirmed in them by the authority of most eloquent writers; especially seeing true (that is, accurate) Philosophy professedly rejects not only the paint and false colours of language, but even the very ornaments and graces of the same; and the first grounds of all science are not only not beautiful, but poor, arid, and, in appearance, deformed.“ Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 2; vgl. Thomas Hobbes, Leviathan: or, The Matter, Form, and Power of a Commonwealth, Ecclésiastical and Civil [1651], in: ders., The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury [1839], now first collected and edited by Sir W. Molesworth. Band III, Aalen 1966, S. 18–29. Kleinkindern spricht Hobbes den Verstand gänzlich ab. Vgl. ebd., S. 35–36.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 66.
Vgl. Hobbes (1966), Leviathan, S. 29–38. Erst auf dieser Ebene will Hobbes auch von Irrtümern sprechen: „But neither things, nor imaginations of things can be said to be false, seeing they are truly what they are; nor do they, as signs, promise any thing which they do not perform; for they indeed do not promise at all, but we from them; nor do the clouds, but we, from seeing the clouds, say it shall rain.“ Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 56–57.
Ebd., S. 4.
Ebd., S. 5.
Hobbes’ erste philosophische Schriften (Tractatus Opticus I, ca. 1640; Tractatus Opticus II, 1644; A Minute or First Draught of the Optiques, 1646) und Briefe aus den Jahren 1634–1636 (an den Earl of Newcastle) und 1641 (Auseinandersetzung mit Descartes) beschäftigen sich mit der Optik. Sie wenden sich vor allem gegen die scholastische Theorie des Lichts und favorisieren materialistische und mechanistische Erklärungen. Zu Hobbes’ optischen Schriften vgl. Thomas Hobbes, De l’Homme. De Homine [1658], sous la direction de J. Terrel, Paris 2015, S. 31–82, S. 87–146 und S. 465–502; vgl. Thomas Hobbes, The Correspondance, hg. von N. Malcolm. Band I (1622–1659), Oxford 1994, S. 151; vgl. Darrigol (2012), A History of Optics, S. 49–52; vgl. Michael Hampe, „Thomas Hobbes. Empfinden und Konstruieren“, in: Dominik Perler/Markus Wild (Hgg.), Sehen und Begreifen. Wahrnehmungstheorien in der frühen Neuzeit, Berlin/New York 2008, S. 123–143; vgl. Jan Prins, „Hobbes on Light and Vision“, in: Tom Sorell (Hg.), The Cambridge Companion to Hobbes, Cambridge 1996, S. 129–156. Zur Auseinandersetzung mit Descartes vgl. Hobbes (1994), The Correspondance. Band I, S. 54–114; vgl. Noel Malcolm, Aspects of Hobbes, Oxford 2002, S. 13–14.
Vgl. Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 144.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 388. „Accordingly, as he did in the Tractatus Opticus I, Hobbes presents his views on the nature and operation of light as the assumptions of optics conceived as a branch not of applied mathematics, but of natural philosophy.“ Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 142.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 389.
Vgl. Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 146–147; vgl. Malcolm (2002), Aspects of Hobbes, S. 457–545.
Vgl. Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 131–134.
Die Stärke des Drucks bringt Hobbes in einem Brief an den französischen Naturforscher Samuel Sorbière (1615–1670) vom 8. Januar 1656 mit der Größenwahrnehmung in Verbindung. Vgl. Hobbes (1994), The Correspondance. Band I, S. 427–430.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 448; vgl. Thomas Hobbes, Thomas Hobbes’ A Minute or First Draught of the Optiques. A Critical Edition by Elaine Condouris Stroud [1646], University of Wisconsin-Madison 1983, S. 80–82 und S. 334. Im ersten Teil von Hobbes’ „Tripos in Three Discourses“ (1640) kommt das Herz bei der Beschreibung des Wahrnehmungsvorgangs nicht vor. Vgl. Thomas Hobbes, „Hobbes’ Tripos in Three Discourses“ [1640], in: ders., The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury [1840], now first collected and edited by Sir W. Molesworth. Band IV, Aalen 1966, S. 1–278, hier: S. 7. Prins merkt an, dass das Herz erst ab Hobbes’ Kommentar (1643) von Thomas Whites (1593–1676) De Mundo dialogi tres (1642) bei der Beschreibung des Sehvorgangs eine Rolle spielt. Vgl. Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 141. Aristoteles betrachtet bei seiner Beschreibung des Hühnerembryos das Herz als „zentrale[n] Punkt eines Organismus.“ Breidbach (2005), Bilder des Wissens, S. 50. Jean Pecquet schließt Ende des 17. Jahrhunderts in seiner Auseinandersetzung mit Edme Mariotte über die Retina das Herz explizit vom Sehvorgang aus. Vgl. Mariotte (1717), „Nouvelle Decouverte touchant la Vuë“, S. 504; vgl. Kärkkäinen (2014), „The Senses in Philosophy and Science“, S. 117–118.
„[A] two-part process […]“. Juhana Lemetti, „Sensation and Perception“, in: Sharon A. Lloyd (Hg.), The Bloomsbury Companion to Hobbes, London et al. 2013, S. 112–115, hier: S. 112. Vor allem Hobbes’ Auffassung, es handele sich um einen rein materiellen Vorgang, führt zu zahlreichen Auseinandersetzungen. Vgl. Hobbes (1994), The Correspondance. Band I, S. 38 und S. 60 (FN 4). In einem Brief vom 13./23. Juli 1670 zeigt sich Leibniz mit Hobbes’ Theorie der Empfindung als (einer Reaktion auf) Bewegung einverstanden. Er stellt jedoch die Schlussfolgerung in Frage, dass damit bereits die menschliche Wahrnehmung hinreichend erklärt sei: „So, in the last analysis, I suspect that brute animals do not possess true sensation, any more than boiling water experiences pain: the true sensation which we experience cannot be explained merely by the motion of bodies.“ Hobbes (1994), The Correspondence. Band II (1660–1679), S. 720.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 448; vgl. Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 133–134.
Hobbes erklärt so die Tatsache, dass der Mensch die Dinge als ihm äußerlich wahrnehme. Vgl. Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 391.
Miller (2013), „Optics“, S. 64. Allerdings ist fraglich, ob damit sogleich von einer subjektiven Wahrnehmung gesprochen werden kann, handelt es sich doch weder um einen individuellen noch um einen kreativen Prozess, sondern um die Weitergabe von Bewegung, die Hobbes verallgemeinernd für alle Menschen beschreibt.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 403.
Vgl. Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 145.
Vgl. Hobbes (1966), Leviathan, S. 3; vgl. Hobbes (1966), „Hobbes’ Tripos in Three Discourses“, S. 4–9; vgl. Hobbes (2015), De l’Homme. De Homine, S. 195.
Hobbes (1966), „Hobbes’ Tripos in Three Discourses“, S. 8.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 393.
Ebd., S. 394. Im Decameron Physiologicum spricht er folglich dem Neugeborenen die Fähigkeit ab, einen blauen Himmel zu sehen, wenn es sich um dessen erstes Seherlebnis handelt. Vgl. Thomas Hobbes, Decameron Physiologicum; or, Ten Dialogues of Natural Philosophy [1678], in: ders., The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury [1845], now first collected and edited by Sir W. Molesworth. Band VII, Aalen 1966, S. 67–177, hier: S. 83; vgl. Lemetti (2013), „Sensation and Perception“, S. 112–115.
„In many repects Hobbes’ ideas in the Tractatus Opticus I resemble those of Descartes. Both conceive light as the action of a luminous body, action that is instantaneously yet mechanically propagated through a medium. Both reject the idea that a motion in the optical nerve caused by light requires the emission of particles by the source of light. Consequently, both also reject the idea of ‚species intentionales‘. Both deny that sensible qualities are real entities, and drop the idea that with sensory perception, representation requires likeness. Vision is an acquired capacity based on complicated, unconscious inferences, presumably based on comparing experiences through trial and error. In a sense, both Hobbes and Descartes consider the relationship between vision and the visible as the product of an illusion.“ Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 138. Zu Hobbes’ Reaktion auf Descartes’ Méditations vgl. Descartes (1967), „Les Méditations, les objections et les réponses“, S. 599–631. Hobbes gesteht Descartes in der ersten „Objection“ die grundsätzliche Täuschungsanfälligkeit der Sinne zu, allerdings gibt er zu bedenken, dass dies keine neue Erkenntnis sei.
Hobbes (1966), Leviathan, S. 1. „The original of them all, is that which we call SENSE, for there is no conception in a man’s mind, which hath not at first, totally, or by parts, been begotten upon the organs of sense. The rest are derived from that original.“ Ebd.
Ebd.
Vgl. ebd., S. 2.
Vgl. ebd., S. 4; vgl. Hobbes (1966), „Hobbes’ Tripos in Three Discourses“, S. 9.
Hobbes (1966), Leviathan, S. 4; vgl. ebd., S. 5–6. Die Kenntnis und Vermittlung dieser Vorgänge in den Schulen erlaube es, so Hobbes, den Aberglauben an Geister und Hexen zu verdrängen. Vgl. ebd., S. 9–10.
Ebd., S. 13.
Ebd.
Vgl. ebd., S. 14–15.
Ebd., S. 16.
Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 7. „[R]eason is the pace; increase of science, the way; and the benefit of mankind, the end.“ Hobbes (1966), Leviathan, S. 36–37; vgl. Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 66 und S. 387–388.
Ebd., S. 7.
Vgl. ebd., S. 8–9.
Vgl. ebd., S. 7–8. Ausgeschlossen werden explizit das theologische und spirituelle Wissen (Gott, Engel, Astrologie) sowie die Geschichte der Politik und Natur, da es sich bei Letzteren nur um eine Ansammlung von vergangenen Erfahrungen handele. Vgl. ebd., S. 10–11.
Vgl. ebd., S. 8–9.
Hobbes (1966), „Hobbes’ Tripos in Three Discourses“, S. 37.
Ebd., S. 37–38.
Ebd., S. 38.
Vgl. Hobbes (1966), Leviathan, S. 112–113.
Ebd., S. 111.
Ebd., S. 113.
Ist diese Übertragung dauerhaft, ensteht aus ihr eine Gesellschaft. Geschieht dies durch Gewaltanwendung, spricht Hobbes von einem commonwealth by acquisition, einigen die Menschen sich untereinander darauf, ihre Macht abzugeben, von einem commonwealth by institution. Vgl. ebd., S. 157–184.
Hobbes (1966), „Hobbes’ Tripos in Three Discourses“, S. 1. Die menschliche Natur definiert Hobbes im Folgenden als die Summe seiner natürlichen, körperlichen und geistigen Eigenschaften und Fähigkeiten. Vgl. ebd., S. 2.
Hobbes (1966), Leviathan, S. X.
Ebd., S. XII.
Vgl. ebd., S. IX–X. Spione vergleicht Hobbes mit dem Auge des Commonwealth. Vgl. ebd., S. 231; vgl. Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 99–107. Die allegorische Darstellung des Staates als eines menschlichen Körpers ist nicht neu. So vergleicht Titius 1663 die Pulsadern mit dem Klerus, die Nerven mit dem „Weltliche[n] Stand“ und die „Blutadern“ mit dem „Haußstande“: „Denn wie durch die Adern das Blut von der Leber durch den gantzen Leib fein ordentlicher weise geführet wird; Also werden auch im Haußstande / durch ordentliche Haushaltung die Kammern voll aller köstlicher und lieblicher Reichthumb […].“ Titius (2008), Loci theologiae allegorici Oder Gleichnis Kästlein, S. 75.
Hobbes (1966), Leviathan, S. IX–X.
Ebd., S. 162.
Ebd., S. 164.
Vgl. ebd., S. 165.
Vgl. ebd., S. 173–177.
Hermann Diels (Hg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, griechisch und deutsch. Zweiter Band, Berlin 31912, S. 85. Wilhelm Capelle übersetzt wie folgt: „‚Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und den leeren Raum.‘“ Beide Übersetzer entscheiden sich für das Wort ‚scheinbar‘, unterstreichen jedoch, dass die wörtliche Übersetzung ‚der herkömmlichen Meinung nach‘ heißen müsste. Cappelle übersetzt einen längeren Abschnitt aus Galens Interpretation: „Denn sein Ausdruck ‚dem Herkommen nach‘ meint dasselbe wie ‚nach der Meinung‘ und ‚nur subjektiv‘ und ‚nicht entsprechend dem Wesen der Dinge selber‘, wofür er ‚in Wirklichkeit‘ sagt… . Danach wäre die Quintessenz seiner Meinung diese: bei den Menschen gilt zwar etwas als weiß oder schwarz oder süß oder bitter u. dgl.; in Wahrheit aber ist alles ‚Ichts‘ und ‚Nichts‘.“ Wilhelm Capelle (Hg.), Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte, übersetzt und eingeleitet von W. Capelle, Stuttgart 1968, S. 399–400. Zur Geschichte dieser Unterscheidung vgl. Lawrence Nolan (Hg.), Primary and Secondary Qualities. The Historical and Ongoing Debate, New York 2011.
Auch Locke verwendet dieses Beispiel. Vgl. Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 77–78 (§ 16).
Galilei (2012), „From The Assayer“, S. 119.
Perler (2008), „Verstümmelte und verworrene Ideen“, S. 186.
Descartes (1973), „Les principes de la philosophie“, S. 120.
Mariotte (1717), „De la Nature des Couleurs“, S. 196. Gleich zu Beginn des ersten Teils unterstreicht Mariotte: „Il est impossible d’établir aucune science dans les choses naturelles que par des expériences exactes, & pour suivre une bonne méthode il faut commencer par celles qui sont les plus simples, & qui peuvent servir de principes & de régles pour expliquer les autres.“ Ebd., S. 197.
Ebd., S. 196. Der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon – ein entschiedener Befürworter der Optik Newtons – unterscheidet in seinem Vortrag „Sur les couleurs accidentelles“, den er 1743 vor der Pariser Académie Royale des Sciences hält, zwischen Farben, die mit den physikalischen Eigenschaften des Lichts zu erklären sind, und den allein physiologisch zu erklärenden Farbempfindungen des Nachbildes, die ihn zu der These einer bestimmten Produktivität der Farbempfindung im Auge führen. Vgl. Ulrike Boskamp, „Nachbilder, nicht komplementär. Augenexperimente, Sehlüste und Modelle des Farbensehens im 18. Jahrhundert“, in: Werner Busch/Carolin Meister (Hgg.), Nachbilder. Das Gedächtnis des Auges in Kunst und Wissenschaft, Zürich 2011, S. 49–70. Im zweiten Band seiner Histoire naturelle, générale et particulière (1749) begründet Buffon die Aufnahme des Menschen in seine Naturgeschichte mit der Unterscheidung zwischen der physischen und der seelisch-geistigen Sinnesempfindung. Vgl. Georges-Louis Leclerc, comte de Buffon, Histoire naturelle, générale et particulière avec la description du Cabinet du Roy. Zweiter Band, Paris 1749, S. 429–444.
Zur Auseinandersetzung zwischen den Anhängern Newtons und Descartes’ in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. Ulrike Boskamp, Primärfarben und Farbharmonie. Farbe in der französischen Naturwissenschaft, Kunstliteratur und Malerei des 18. Jahrhunderts, Weimar 2009, S. 29–36.
Vgl. Darrigol (2012), A History of Optics, S. 78–108; vgl. Michael J. Duck, „Newton and Goethe on Colour. Physical and Physiological Considerations“, in: Annals of Science. Band 45, Nr. 5 (1988), S. 507–519. Dem Wissen seiner Zeit über die Anatomie des Auges und die visuelle Empfindung fügt Newton nichts wesentlich Neues hinzu: „And these Pictures, propagated by Motion along the Fibres of the Optick Nerves into the Brain, are the cause of Vision. For accordingly as these Pictures are perfect or imperfect, the Object is seen perfectly or imperfectly.“ Isaac Newton, Opticks or A Treatise of the Reflections, Refractions, Inflections & Colours of Light [1704], based on the fourth edition (London 1730), New York 1952, S. 15; vgl. Rupert A. Hall, All Was Light. An Introduction to Newton’s Opticks, Oxford 1993, S. 12–13. Die Defintion des Lichts und des Sehens als Bewegungsübertragung sowie Newtons Theorie der Farbe werden vor allem durch den großen Erfolg von Robert Smiths Standardwerk zur Optik im 18. Jahrhundert verbreitet. Vgl. Smith (1738), A Compleat System of Opticks. Band I, S. 1, S. 27 und S. 70–86. In seinem Notizbuch zu philosophischen Fragen (Questiones quædam Philosophicæ, ca. 1664–1665) zählt der junge Student Newton allerdings auch einige Gründe auf, die gegen die Definition des Lichts als Bewegungsübertragung durch Druck (engl. pression) sprechen, und beschäftigt sich etwas ausführlicher mit dem Sehen. Vgl. Newton (1983), Newton’s Trinity Notebook, S. 380–389. In den Forschungsfragen 12–16, die Newton schon der ersten Ausgabe der Opticks beifügt, vergleicht er den Weg der Vibrationen ins Gehirn mit der Übertragung von Wärme. Mit dem Binokularsehen, dem Nachbild und der Bewegungsillusion beschäftigen sich die Forschungsfragen 15 und 16; vgl. Newton (1952), Opticks, S. 345–347; vgl. Issac Newton, Correspondence of Sir Isaac Newton and Professor Cotes, Including Letters of Other Eminent Men […], by J. Edleston, London 1850, S. 264–272 (Newton an Briggs, 20. Juni 1682, N°XIX. Newton an Briggs, 12. Sept. 1682, N°XX). Zum Binokularsehen im Werk Desaguliers’, dessen beliebte öffentliche Vorlesungen und Experimente einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung von Newtons Theorien leisten, vgl. Wade (2000), „Jean Théophile Desaguliers“, S. 275–285.
Newton (1952), Opticks, S. 124–125. Für den Hinweis auf diese Stelle danke ich dem Wissenschaftshistoriker Gary Hatfield.
Rohault (1696), Traité de Physique, S. 291–292 (Hervorhebungen von E. D.).
Vgl. ebd., S. 298. Eine erste, kürzere Handschrift unter dem Titel Physique nouvelle ist bereits 1667 im Umlauf. Die gedruckte Fassung erscheint erstmals 1671 und wird in den folgenden Jahrzehnten mehrmals aufgelegt und übersetzt.
Vgl. ebd., S. 296–297.
Auch Nicolas Malebranche erklärt einen Teil der Sinnestäuschungen mit individuellen Geschmacksvorlieben und verbindet dieses Argument mit dem Hinweis auf Unterschiede der Anatomie des Auges, des Sehnervs und der anderen Sinne. Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 110–116.
Rohault (1696), Traité de Physique, S. 292–293.
Vgl. ebd., S. 293.
Condillac rechtfertigt sein Gedankenexperiment mit dem Verweis auf die Unmöglichkeit, als erwachsener Mensch zu seiner ersten sinnlichen Empfindung zurückzukehren. Das Gedankenexperiment ermögliche es ihm, diesen ersten Zustand an der Statue zu beobachten. Condillac fordert seine Leser auf, sich in die Statue hineinzufühlen. Die Wahl einer Marmorstatue erklärt er mit der Möglichkeit, nur einzelne Sinnesorgane zu öffnen, während der restliche Körper von äußeren Eindrücken abgeschirmt bleibe. Condillac erklärt auch, dass er an Lockes Auffassung über das Problem des Molyneux gezweifelt habe und mit dem Gedankenexperiment der Statue überprüfen wolle, ob ein Mensch eine Kugel und einen Würfel auf den ersten Blick tatsächlich nicht ohne die Hilfe des Tastsinns unterscheiden könne. Im Zentrum der dem Sehsinn gewidmeten Paragrafen stehen folglich Überlegungen zur Distanz- und Größenwahrnehmung. Vgl. Condillac, Traité des sensations. Band I, S. 1–6 und S. 456. Zum Sehen vgl. ebd., S. 157–199. Ein ähnliches Gedankenexperiment findet sich bereits einige Jahre zuvor bei Buffon, der den neugeborenen Menschen sich in der ersten Person Singular direkt an die Leser richten lässt. Vgl. Buffon (1749), Histoire naturelle. Dritter Band, S. 364–370.
Rohault (1696), Traité de Physique, S. 8–9.
Ebd., S. 9.
Vgl. ebd., S. 10–11.
Vgl. ebd., S. 11–14. Rohault macht insbesondere die alltägliche Gewohnheit und den Mangel an geeignetem Vokabular dafür verantwortlich, dass die meisten Menschen von den eigenen Empfindungen auf die äußere Welt schließen. Vgl. ebd., S. 14–15. Eine Erkenntnis, die Galilei bereits Kopernikus unterstellt. Vgl. Galilei (2012), „Letter to her Serene Highness“, S. 82.
Vgl. Rohault (1696), Traité de Physique, S. 16–17.
Vgl. ebd., S. 19.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 75 (§ 8).
Ebd., S. 76 (§ 9). An anderer Stelle spricht er von „real Qualities“. Ebd., S. 78 (§ 17).
Ebd., S. 75 (§ 9).
Ebd., S. 76 (§ 10); vgl. Andreas Kemmerling, „Locke über die Wahrnehmung sekundärer Qualitäten“, in: Dominik Perler/Markus Wild (Hgg.), Sehen und Begreifen. Wahrnehmungstheorien in der frühen Neuzeit, Berlin/New York 2008, S. 203–233, hier: S. 218.
Vgl. Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 76 (§ 10) und S. 81 (§ 23).
Ebd., S. 76 (§ 11); vgl. ebd., S. 78–80 (§ 18–22).
Vgl. ebd., S. 76 (§ 12).
Vgl. ebd., S. 77 (§ 13). Warum ein Impuls eine bestimmte Idee auslöst, beantwortet Locke mit dem Verweis auf Gott: „It being no more impossible, to conceive, that God should annex such Ideas to such Motions, with which they have no similitude; than that he should annex the Idea of Pain to the motion of a piece of Steel dividing our Flesh, with which that Idea hath no resemblance.“ Ebd., S. 77 (§ 13).
Ebd., S. 75 (§ 7).
Vgl. ebd., S. 78 (§ 17).
Ebd., S. 75 (§ 8). Die Verwendung dieser Begriffe im Rahmen einer deutlich mechanistischen Beschreibung der Sinnesempfindung ist seit den 1990er Jahren Ausgangspunkt einer Kontroverse über die Haltung Lockes zum mechanistischen beziehungsweise korpuskularen Weltbild, die bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen ist. Grund hierfür scheint die Tatsache zu sein, dass Locke selbst keine der Positionen ausschließlich vertritt, was nicht zuletzt in seiner Kritik an Malebranches Konzept eines ‚Sehens in Gott‘ deutlich wird, in der er die aristotelische Theorie der species für ebenso plausibel wie diejenige der Bewegungsübertragung hält. Vgl. John Locke, „An Examination of P. Malebranche’s Opinion of Seeing all Things in God“ [posthum 1706], in: ders., The Works of John Locke. Band II (Philosophical Works), with a preliminary Essay and Notes, by J. A. St. John, London 1872, S. 413–458, hier: S. 415–416. Anstey gibt einen Überblick über die verschiedenen Positionen und schlägt vor, die ambivalente Haltung Lockes mit Verweis auf sein Erkenntnisinteresse aufzulösen, welches die experimentelle Naturgeschichte Bacons und Boyles und nicht die sogenannte spekulative Philosophie – die Ende des 17. Jahrhunderts insbesondere mit Descartes in Verbindung gebracht wurde – favorisiere. Vgl. Peter R. Anstey, John Locke and Natural Philosophy, Oxford/New York 2011, S. 12–45.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 75 (§ 8). In Lockes „Elements of Natural Philosophy“ wird deutlich, dass er das Prismenexperiment Newtons anerkennt. James Axtell geht sogar davon aus, dass Newton Locke bei der Abfassung der kurzen Schrift half, die um 1698 entstand und für die Erziehung des Sohnes von Sir Francis Cudworth Masham bestimmt war. Locke wohnte von 1691 bis zu seinem Tod in dessen Landhaus und übernahm einen Teil der Erziehungsaufgaben. Vgl. John Locke, „Elements of Natural Philosophy“ [posthum 1720], in: ders., The Works of John Locke. Band II (Philosophical Works), with a preliminary Essay and Notes, by J. A. St. John, London 1872, S. 472–496, hier: S. 491–492; vgl. James L. Axtell, „Locke, Newton, and The Elements of Natural Philosophy“, in: Paedagogica Europaea. Band 1 (1965), S. 235–245.
Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 16.
Ebd., S. 17. Ein Argument, welches auch Philonous in Berkeleys „Three Dialogues Between Hylas and Philonous“ (1713) verwendet, wenn er Hylas dazu auffordert, mit einem Auge durch ein Mikroskop und mit dem anderen ohne die Hilfe des Instruments auf dasselbe Objekt zu sehen. Vgl. Berkeley (1975), „Three Dialogues Between Hylas and Philonous“, S. 150.
Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 22. Der ‚christliche Philosoph‘ paraphrasiert das anatomische Argument des Skeptikers im elften Kapitel wie folgt: „& puis les yeus ont une gráde multitude de membranes & d’humeurs differentes, qui empeschent que nous n’appercevions les obiets tels qu’ils sont. On peut treuver les mesmes empeschemens dans l’odorat, dans l’oüye, & dans les autres sentimens: mesme dans l’entendement lequel ne compréd rien que par le moyen des sens exterieurs, car le cerveau, & le cœur envoyent des vapeurs, qui se meslent avec les especes des obiets, & par consequent nous ne voyons pas les choses telles qu’elles sont selon leur nature: donc il faut suspendre son iugement de peur qu’on soit deceu.“ Ebd., S. 148. Ganz ähnlich argumentiert noch der Schweizer Theologe und Naturforscher Jean Senebier (1742–1809). Vgl. Senebier (1775), L’art d’observer, S. 99. Auch Johann Gottfried Herder verwendet dieses skeptizistische Argument: „Da die ganze Empfindung auf die Beschaffenheit der Nerven des Gefühls ankommt: so ist kein Mensch ganz genau im Gefühl mit dem andern einig; weil nicht leicht in zween Menschen das ganze Gebäude der Nerven völlig auf eine Art gestimmet sein kann. Daher kommt’s, daß so viele ein eigensinniges Gefühl haben, das bald in diesem, bald jenem Stück merklich von der Empfindung des andern abgeht.“ Johann Gottfried Herder, „‚Von der Veränderung des Geschmacks‘“ [posthum, ca. 1766], in: ders., Werke in zehn Bänden, hgg. von M. Bollacher et al. Band 1 (Frühe Schriften 1764–1772), hg. von U. Gaier, Frankfurt a. M. 1985, S. 149–160, hier: S. 154.
Vgl. Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 19. Von diesen abgesehen seien die Menschen sich jedoch über die wichtigsten Empfindungen – wie die Dunkelheit der Nacht oder die Hitze des Feuers – einig. Über sie ließen sich zumindest wahre Verhältnisbestimmungen treffen: „[U]n Elephant est plus grand qu’une fourmy […].“ Ebd., S. 140; vgl. ebd., S. 141–143. Auch hier widerspricht der Skeptiker mit dem Argument, der Mensch könne sich so lange nicht auf seinen Verstand verlassen, wie er das Wesen desselben nicht begriffen habe. Vgl. ebd., S. 186–187. Auch mehr als einhundert Jahre nach Mersenne stützt sich ein nicht genannter Autor im fünfzehnten Band der Encyclopédie auf die Zusammenarbeit der Sinne, um die Existenz der dem Menschen äußeren Welt zu beweisen. Außerdem seien die sinnlichen Empfindungen stärker als die Erinnerung an sie. Vgl. Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 36 („Sensations“).
Die Leidenschaften und ihr Einfluss auf die Erkenntnisfähigkeit des Menschen spielen auch in Malebranches theologischer Auseinandersetzung mit Descartes’ Erkenntnistheorie eine weit über diesen hinausreichende Rolle. Malebranche verbindet die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten explizit mit den von den Leidenschaften verursachten Irrtümern: „Les passions ont un si grand rapport avec les sens, qu’il ne sera pas difficile d’expliquer de quelle manière elles nous engagent dans l’erreur, après ce que nous avons dit dans le premier Livre. Car les causes générales des erreurs de nos passions sont entièrement semblables à celles des erreurs de nos sens. La cause la plus générale des erreurs de nos sens est, comme nous avons fait voir dans le premier Livre, que nous attribuons aux objets de dehors ou à notre corps les sensations qui sont propres à notre âme; que nous attachons les couleurs sur la surface des corps; que nous répandons la lumière, les sons et les odeurs dans l’air; et que nous fixons la douleur et le chatouillement dans les parties de notre corps, qui reçoivent quelques changements par le mouvement des corps qui les rencontrent. Il faut dire à peu près la même chose de nos passions. Nous attribuons imprudemment aux objets qui les causent ou qui semblent les causer, toutes les dispositions de notre cœur, notre bonté, notre douceur, notre malice, notre aigreur, et toutes les autres qualités de notre esprit. L’objet qui fait naître en nous quelque passion, nous paraît en quelque façon renfermer en lui-même ce qui se réveille en nous, lorsque nous pensons à lui: de même que les objets sensibles nous paraissent renfermer en eux-mêmes les sensations qu’ils excitent en nous par leur présence.“ Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 533–534.
Galilei (2012), „From The Assayer“, S. 120. Galilei äußert Zweifel an der Annahme, dass mit dem Begriff der Bewegungsübertragung bereits die ganze Komplexität der visuellen Empfindung erfasst sei. Vgl. Galileo Galilei, Il Saggiatore di Galileo Galilei [1623], Firenze 1864, S. 472. Es lohnt sich, hier einen Blick auf das italienische Original zu werfen, in dem Galilei das Sehen metaphorisch mit der Dunkelheit (also dem Nichtwissen) identifiziert. Eine Tatsache, die Maurice A. Finocchiaro wohl so seltsam erscheint, dass er „tra la luce e le tenebre“ kurzerhand mit „and dark to light“ übersetzt. (Galileo Galilei, The Essential Galileo, hg. und übersetzt von Maurice A. Finocchiaro, Indianapolis/Cambridge 2008, S. 188.) Galilei unterstreicht einige Paragrafen später: „But then if one arrives at the ultimate and highest decomposition into really indivisible atoms [„atomi“. Galilei (1864), Il Saggiatore, S. 476], one creates light, whose motion (or rather, expansion or propagation) is instantaneous; and it is capable of filling immense spaces on account of its subtlety, rarefaction, and immateriality, although I do not know whether these words are correct or whether we should speak of some other property as yet unnamed and different from all these.“ Galilei (2008), The Essential Galileo, S. 189.
Mariotte (1717), „De la Nature des Couleurs“, S. 283; vgl. ebd., S. 196.
Vgl. Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 63 (§ 25). Erst auf der Ebene der komplexen Ideen werde der Geist aktiv (Kombination, Verknüpfung, Unterscheidung). Vgl. ebd., S. 96–97 (§ 1–2). Allerdings geht Jütte zu weit, wenn er mechanistische, materialistische und sensualistische Wahrnehmungstheorien gleichsetzt und davon ausgeht, sie alle hätten den Wahrnehmungsvorgang als passiv gefasst. Vgl. Jütte (2000), Geschichte der Sinne, S. 141.
Bernier (1992), Abgrégé de la philosophie de Gassendi. Band 6, S. 111. Auf den folgenden zwei Seiten erklärt Gassendi so auch die Mondillusion.
Bereits Alhazen unterscheidet Sehen und Wahrnehmen im Zusammenhang mit der Einschätzung von Größen, Distanzen und Bewegungen. Zu den Ursprüngen dieser Unterscheidung bei Ptolemäus und deren Bedeutung für die mittelalterliche ‚Psychologie‘ vgl. Hamou (2002), Voir et connaître à l’âge classique, S. 33–36.
Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 54.
Die Wahrnehmungspsychologie erklärt die Tiefen- und Größenwahrnehmung heute als einen Lernprozess auf der Basis unterschiedlicher ‚Tiefenreize‘ (die Bewegung und das Zusammenspiel der beiden Augen, die relative Größe der Objekte und ihre Bewegung). Vgl. Goldstein (2008), Wahrnehmungspsychologie, S. 185–213.
Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 9 (§ 2).
Ein Argument, welches auch Pierre Gassendi anführt. Er hält jedoch eine von den Sinnen unabhängige Urteilskraft für die Voraussetzung, um Distanzen und Größen richtig einzuschätzen. Vgl. Bernier (1992), Abgrégé de la philosophie de Gassendi. Band 6, S. 109.
Descartes (1963), „La Dioptrique“, S. 678–713. Hamou vernachlässigt diese Einschränkung, wenn er unterstreicht, dass Descartes mit der kategorialen Trennung von res extensa und res cogitans eine dritte, vom Körper unabhängige Ebene der Wahrnehmung einführe, die auch aus unvollständigen oder teils fehlerhaften Informationen die richtigen Schlüsse ziehen könne und deren Existenz mit der Distanz- und Größenwahrnehmung begründet werde. Vgl. Hamou (2002), Voir et connaître à l’âge classique, S. 92.
Vgl. Smith (2015), From Sight to Light, S. 369.
So auch bei Malebranche, der sie als „sensation composée“ bezeichnet. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 69.
Vgl. Mersenne (1625), La Vérité des Sciences, S. 146–147; vgl. Smith (1738), A Compleat System of Opticks. Band I, S. 32–33.
Berkeley grenzt sich 1713 explizit von Malebranche ab, da dieser die Existenz der materiellen Welt voraussetze und sein Konzept des ‚Sehens in Gott‘ lediglich eine Brücken- und Interpretationsfunktion übernehme: „I shall not therefore be surprised, if some men imagine that I run into the enthusiasm of Malbranche, though in truth I am very remote from it.“ Berkeley (1975), „Three Dialogues Between Hylas and Philonous“, S. 169–170. Er erwähnt Malebranche auch in seinem „Notebook B“. Der französische Philosoph habe, so Berkeley, nicht bewiesen, dass Formen und Ausdehnungen außerhalb des Geistes existieren. Vgl. George Berkeley, „Philosophical Commentaries“ [1707–1708, Erstveröffentlichung 1871], in: ders., Philosophical Works Including the Works on Vision, introduction and notes by M. R. Ayers, London 1975, S. 251–336, hier: S. 277 (§ 288) und S. 286 (§ 388). Auf Gassendi geht Berkeley in einem Appendix ein, den er der zweiten Ausgabe des Essay hinzufügt. Vgl. Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 58–59.
Der vollständige Titel lautet De la recherche de la vérité. Où l’on traite de la nature de l’esprit de l’homme et de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences. Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité.
Ebd., S. 19.
Ebd. Auch der Hinweis auf Newtons Prismenexperiment und Mariottes Zweifel an der These, das Sehen finde auf der Retina statt, zeigt, dass Malebranche mit der zeitgenössischen Forschung vertraut ist. Vgl. ebd., S. 1072 und S. 1083–1085.
Ebd., S. 1066.
Ebd., S. 1072. An anderer Stelle geht Malebranche auf das umgekehrte Bild auf der Retina am Beispiel eines galoppierenden weißen Pferdes ein. Vgl. ebd., S. 1104–1105.
Ebd., S. 1086.
Vgl. ebd.
Vgl. ebd., S. 1097–1098.
Ebd., S. 58; vgl. ebd., S. 61–62. So argumentiert auch William Porterfield. Vgl. Porterfield (1752), A Treatise on the Eye. Band II, S. 363–364.
Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 59; vgl. ebd., S. 110–116. Auch Leibniz führt die unterschiedliche Beschaffenheit des Auges an: „On ne peut asseurer qu’il y ait deux hommes dans le monde, qui voyent de la même grandeur, les yeux n’estant pas apparemment tout à fait semblables. Quand le cristallin est plus convexe les images sont plus petites. Pour l’ordinaire un homme voit les objets plus grands de l’œil gauche que de l’œil droit.“ Leibniz (1999), „Aus und zu Malebranche“, S. 1821.
Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 3; vgl. ebd., S. 5–6; vgl. Andrew Pyle, „Malebranche über Wahrnehmung. Augustinische Lösungen für cartesische Probleme“, aus dem Englischen übersetzt von Simone Ungerer, in: Dominik Perler/Markus Wild (Hgg.), Sehen und Begreifen. Wahrnehmungstheorien in der frühen Neuzeit, Berlin/New York 2008, S. 145–175; vgl. Denis Moreau, „Nicolas Malebranche“, in: Luc Foisneau (Hg.), Dictionnaire des philosophes français du XVIIe siècle. Acteurs et réseaux du savoir, Paris 2015, S. 1140–1146. Malebranche verallgemeinert die sinnlichen Irrtümer zum Urspung allen menschlichen Übels und sieht seine Aufgabe in der Anleitung des Menschen, sich hiervon zumindest teilweise zu befreien und auf den Weg zu Wahrheit und Glück zu finden. Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 21.
Ebd., S. 1086.
Vgl. ebd., S. 1087. „On voit en un mot que c’est la même sagesse qui a tout réglé, la même puissance qui a tout produit, la même providence qui conserve tout.“ Ebd., S. 1097. Ähnlich argumentiert ein ungenannter Autor im Artikel „Sensations“ der Encyclopédie. Er nimmt an, Gott habe gewollt, dass der Mensch von seinen Sinnesempfindungen auf die ihm äußere Welt schließe, und dies sei der einzige Weg, den Menschen von der Existenz dieser Welt zu überzeugen. Vgl. Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 36 („Sensations“).
Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 1100. Eine These, die Malebranche im Rahmen der Präformationslehre bereits im sechsten Kapitel des ersten Buchs entwickelt. Vgl. ebd., S. 56–58. Die entwicklungsbiologische Theorie oder Lehre der Präformation, die bereits in der griechischen Antike vertreten wird und ab dem 17. Jahrhundert mit der Erfindung des Mikroskops erneut zahlreiche Anhänger findet (so beispielsweise van Leuuwenhoek und Swammerdam), geht davon aus, dass der gesamte Organismus eines Lebewesens bereits im Samen, Spermium oder Ei vorgebildet ist.
Ebd., S. 1101.
Vgl. ebd., S. 1087–1088.
Malebranche geht näher auf die Flüssigkeiten im Auge und die Bewegung der Iris ein. Vgl. ebd., S. 1088–1090.
Ebd., S. 1106.
Ebd., S. 43. „Il est vrai que Dieu ne nous trompe jamais, mais nous nous trompons nous-mêmes, en jugeant des choses avec trop de précipitation.“ Ebd., S. 60.
Ebd., S. 51.
Ebd., S. 10. „Car on y démontre en plusieurs manières, que nos sens, notre imagination, et nos passions nous sont entièrement inutiles pour découvrir la vérité et notre bien; qu’ils nous éblouissent au contraire, et nous séduisent en toutes rencontres; et généralement que toutes les connaissances que l’esprit reçoit par le corps, ou à cause de quelques mouvements qui se font dans le corps, sont toutes fausses et confuses, par rapport aux objets qu’elles représentent […].“ Ebd., S. 12.
Ebd., S. 14.
Zu Berkeleys Wahrnehmungstheorie vgl. Katia Saporiti, „Weshalb die Welt so ist, wie wir sie sehen. Berkeleys These der Unfehlbarkeit unserer Wahrnehmung“, in: Dominik Perler/Markus Wild (Hgg.), Sehen und Begreifen. Wahrnehmungstheorien in der frühen Neuzeit, Berlin/New York 2008, S. 265–286; vgl. Margaret Atherton, Berkeley’s Revolution in Vision, Ithaca/London 1990; vgl. Margaret Atherton, „Berkeley’s Theory of Vision and its Reception“, in: Kenneth P. Winkler (Hg.), The Cambridge Companion to Berkeley, New York 2005, S. 94–124.
Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 22 (§ 50).
Vgl. George Berkeley, „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge wherein the Chief Causes of Error and Difficulty in the Sciences, with the Grounds of Scepticism, Atheism, and Irreligion, are inquired into“ [1710, 21734], in: ders., Philosophical Works Including the Works on Vision, introduction and notes by M. R. Ayers, London 1975, S. 61–127, hier: S. 89 (§ 43). „My design is to shew the manner wherein we perceive by sight the distance, magnitude, and situation of objects.“ Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 9 (§ 1).
Berkeley (1975), „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, S. 89 (§ 42).
Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 9 (§ 4).
Berkeley (1975), „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, S. 89 (§ 43). Berkeleys Beschreibung des Sehvorgangs im zweiten Teil des „Essays“ macht deutlich, dass er die Theorien des 17. Jahrhunderts genau kennt. Vgl. Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 34 (§ 88).
Ebd., S. 35 (§ 90).
„(beside the humour of making one see by geometry)“. Ebd., S. 23 (§ 53). Vgl. Hamou (2002), Voir et connaître à l’âge classique, S. 122. Dass Berkeley sich mit dieser Auffassung nicht durchsetzen kann, zeigt das Beispiel William Porterfields, der 1759 erklärt: „For our two Eyes are like two different Stations of Longimetry, by the Assistance of which Distances are taken; whence it follows, that Creatures that look differently with their Eyes, as Fishes, Fowls, the Hare, Chamelion &c. cannot judge of the Distance of Objects from this Angle, and therefore must be more liable to Mistakes than we are […].“ Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 76–77. Ähnlich findet sich diese Auffassung in der Encyclopédie. Vgl. Denis Diderot/Jean-Baptiste Le Rond d’Alembert (Hgg.), Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, par une Société de Gens de Lettres. Siebzehnter Band, Neufchastel 1765, S. 340–343 („Visible“), hier: S. 341; vgl. Condillac (1754), Traité des sensations. Band I, S. 310–312; vgl. Étienne Bonnot de Condillac, Traité des sensations, A Madame la Comtesse de Vassé. Band II, Paris 1754, S. 27–29. Voltaire folgt hingegen Berkeley: „Comment nous représentons-nous donc les grandeurs et les distances? De la même façon dont nous imaginons les passions des hommes, par les couleurs qu’elles peignent sur leurs visages, et par l’altération qu’elles portent dans leurs traits. […] C’est la langue que la nature parle à tous les yeux; mais l’expérience seule apprend ce langage.“ Voltaire (1830), „Éléments de la philosophie de Newton“, S. 119; vgl. ebd., S. 113–124.
Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 10 (§ 12); vgl. ebd., S. 12 (§ 22) und S. 35 (§ 90). Allerdings beschäftigt sich auch Berkeley mit den Eigenarten von Lichtstrahlen und scheint dabei von dem Menschen äußerlichen Körpern zu sprechen. Vgl. ebd., S. 28 (§ 72). Er verweist explizit auf das Problem, seine Wahrnehmungstheorie auszuformulieren, da die Sprache immer die Existenz äußerer Dinge suggeriere. Vgl. ebd., S. 43–44 (§ 120).
Berkeley (1975), „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, S. 89 (§ 43).
Diese Arbitrarität schreibt er in seiner letzten Schrift sogar Gottes Sprache zu und scheint damit das Paradoxon einer natürlichen arbiträren Sprache zu entwerfen: „A great number of arbitrary signs, various and apposite, do constitute a language. If such arbitrary connexion be instituted by men, it is an artificial language; if by the Author of Nature, it is a natural language.“ George Berkeley, „The Theory of Vision or Visual Language Shewing the Immediate Presence and Providence of a Deity Vindicated and Explained“ [1733], in: ders., Philosophical Works Including the Works on Vision, introduction and notes by M. R. Ayers, London 1975, S. 229–250, hier: S. 241 (§ 40).
Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 22 (§ 51). „Those ideas being in their own nature equally fitted to bring into our minds the idea of small or great, or no size at all of outward objects; just as the words of any language are in their own nature indifferent to signify this or that thing or nothing at all.“ Ebd., S. 26 (§ 64). Nicht aber arbiträr sei die Verbindung von Wort und Laut. Berkeleys Beispiel ist ausgerechnet das mit ‚arbitrary‘ alliterierende Wort ‚adultary‘. Vgl. ebd., S. 50 (§ 143).
Berkeley (1975), „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, S. 89 (§ 43). „From what hath been premised it is a manifest consequence that a man born blind, being made to see, would, at first, have no idea of distance by sight; the sun and stars, the remotest objects as well as the nearer, would all seem to be in his eye, or rather in his mind. The objects intromitted by sight would seem to him (as in truth they are) no other than a new set of thoughts or sensations, each whereof is as near to him as the perceptions of pain or pleasure, or the most inward passions of his soul. For our judging objects perceived by sight to be at any distance, or without the mind, is […] entirely the effect of experience, which one in those circumstances could not yet have attained to.“ Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 19 (§ 41); vgl. ebd., S. 47–48 (§ 132–133).
Das Problem des umgekehrten Bildes auf der Retina lässt sich so ebenfalls beantworten. Vgl. ebd., S. 34–43 (§ 88–119); vgl. Berkeley (1975), „The Theory of Vision or Visual Language“, S. 244–245 (§ 49–53).
Berkeley (1975), „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, S. 89 (§ 44).
Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 11 (§ 17).
Ebd., S. 12 (§ 20). Hierzu gehört auch die Tatsache, dass sehr nahe Gegenstände unscharf wirken. Vgl. ebd., S. 33 (§ 83); vgl. ebd., S. 12 (§ 21).
Vgl. George Berkeley, „De Motu. Sive de motus principio & natura et de causa communicationis motuum“ [1721], übersetzt von A. A. Luce, in: ders., Philosophical Works Including the Works on Vision, introduction and notes by M. R. Ayers, London 1975, S. 209–227, hier: S. 213 (§ 13).
Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 24 (§ 59).
Ebd., S. 51 (§ 147). In seiner letzten Schrift zur visuellen Wahrnehmung schreibt Berkeley: „[V]ision is the language of the Author of Nature […]“. Berkeley (1975), „The Theory of Vision or Visual Language“, S. 241 (§ 38).
Ebd., S. 231–234 (§ 1–8). Berkeley erklärt diese stärkere theologische Fundierung seiner Wahrnehmungstheorie mit der Zunahme atheistischer Tendenzen, die er vor allem mit dem Deismus und der natürlichen Religion in Verbindung bringt. Abgesehen von diesem Bedeutungsgewinn der theologischen Argumentation und einem stärkeren Schwerpunkt auf der zu Beginn des 18. Jahrhunderts diskutierten Frage der Verbindung von Tast- und Sehsinn verändert Berkeley seine Theorie der visuellen Wahrnehmung in dieser späten Schrift nicht entscheidend.
Vgl. Berkeley (1975), „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, S. 85–86 (§ 30).
Berkeley selbst unterstreicht die Verbindung der „Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“ mit den Dialogen, die er als eine Art Kommentar zu den „Principles“ sieht. Vgl. Berkeley (1975), „Three Dialogues Between Hylas and Philonous“, S. 131.
„As it was my intention to convince sceptics and infidels by reason, so it has been my endeavour strictly to observe the most rigid laws of reasoning. And, to an impartial reader, I hope, it will be manifest, that the sublime notion of a God, and the comfortable expectation of immortality, do naturally arise from a close and methodical application of thought: whatever may be the result of that loose, rambling way, not altogether improperly termed free-thinking, by certain libertines in thought, who can no more endure the restraints of logic, than those of religion, or government.“ Ebd., S. 132.
Ebd., S. 136.
Ebd., S. 137.
Ebd., S. 143; vgl. ebd., S. 138–143.
Ebd., S. 147; vgl. ebd., S. 146–148.
Vgl. ebd., S. 149–151.
Vgl. ebd., S. 151. Zu primären und sekundären Qualitäten vgl. ebd., S. 148–149 und Kap. 2.4.
Ebd., S. 171. Den Unterschied zur menschlichen Einbildungskraft erklärt Philonous qualitativ. Die Vorstellungen der Einbildungskraft seien nicht so klar, dauerhaft, deutlich und lebendig. Vgl. ebd., S. 171.
Zur Genesis vgl. ebd., S. 198–203. Zur Theodizee vgl. ebd., S. 187–191.
Ebd., S. 168.
Ebd., S. 170.
Ebd., S. 131.
Ebd., S. 183. Berkeley selbst unternimmt diesen Versuch in der kurzen Schrift „De Motu“. Vgl. Berkeley (1975), „De Motu“, S. 209–227.
Vgl. ebd., S. 211–212 (§ 4). Porterfield erklärt hingegen sowohl die Richtung von Lichstrahlen als auch die Ursache von Refraktion und Reflexion mit einer der Gravitation vergleichbaren Anziehungkraft. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 292.
Berkeley (1975), „Three Dialogues Between Hylas and Philonous“, S. 131.
Beispielhaft formuliert diesen Vorwurf ein ungenannter Autor im Artikel „Sensations“ der Encyclopédie: „Je ne nie pourtant pas qu’il ne puisse y avoir des hommes, qui dans leurs sombres méditations, se sont tellement affoiblis l’esprit par des abstractions continuelles, &, si je l’ose dire, tellement alambiqué le cerveau par des possibilités métaphysiques, qu’ils doutent effectivement s’il y a des corps. Tout ce que l’on peut dire de ces contemplatifs, c’est qu’à force de réfléxions ils ont perdu le sens commun, méconnoissant une premiere vérité dictée par le sentiment de la nature, & qui se trouve justifiée par le concert unanime de tous les hommes.“ Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 37 („Sensations“).
Schon Gassendi hatte auf die Notwendigkeit eines Lernprozesses bei der Wahrnehmung von Größen und Distanzen hingewiesen. Im Laufe des Lebens bilde sich eine „faculté supérieure au Sens“, welche die sinnliche Erfahrung mit einer „opinion antecedente“ vergleichen und die richtigen Schlussfolgerungen aus diesem Vergleich ziehen könne. Je nach Erfahrung und Bildung des einzelnen Menschen kann diese Schlussfolgerung mehr oder weniger korrekt sein. Eine unerwartete Erscheinung im Blickfeld führe folglich oft zu einer Fehleinschätzung. Bernier (1992), Abgrégé de la philosophie de Gassendi. Band 6, S. 109–110.
Atherton zeigt, dass Berkeleys theologische Begründung seiner Theorie der visuellen Wahrnehmung von den meisten Autoren des 18. Jahrhunderts ignoriert oder zurückgewiesen wird. Vgl. Atherton (2005), „Berkeley’s Theory of Vision“, S. 94–124.
Vgl. Voltaire (1830), „Éléments de la philosophie de Newton“, S. 117–119. Vgl. mit Verweis auf Voltaire Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 26–27 („Sens“); vgl. Condillac (1754), Traité des sensations. Band I, S. 165–166. Diderot macht die ausgeschlagene Bitte, einer von Réaumur durchgeführten Kataraktoperation beiwohnen zu dürfen, zum Ausgangspunkt seiner 1749 anonym erschienenen Lettre sur les aveugles à l’usage de ceux qui voient. Er denunziert damit den restriktiven Zugang zu und die unkritische Durchführung von Experimenten. Im Zentrum seiner Schrift stehen jedoch die Fähigkeiten mehrerer blinder Figuren, deren Beschreibung Diderot für eine Gesellschaftskritik nutzt, welche die Bereiche der Moral, der Tugenden und des Glaubens ebenso berührt wie das Selbstverständnis der Gelehrten: „Il s’exprime aussi sensément que nous, sur les qualités et les défauts de l’organe qui lui manque: s’il n’attache aucune idée aux termes qu’il emploie, il a du moins sur la plupart des autres hommes l’avantage de ne les prononcer jamais mal à propos.“ Denis Diderot, Lettre sur les aveugles à l’usage de ceux qui voient [1749], texte établi et présenté par R. Niklaus, in: ders., Œuvres complètes, édition critique et annotée, présentée par Y. Belaval, R. Niklaus, J. Chouillet et al. Band IV (Le nouveau Socrate. Idées II), Paris 1978, S. 1–107, hier: S. 20; vgl. ebd., S. 28. Zum Problem des Molyneux vgl. ebd., S. 55–72. In den 1782 veröffentlichten Zusätzen („Additions“) bestärkt Diderot seine in der Lettre vertretenen Positionen und führt weitere Beispiele an. Neben der Parodie einer Kataraktoperation findet sich ein Abschnitt über visuelle Täuschungen. Vgl. ebd., S. 91–107. Auch Le Rond d’Alembert unterstreicht im „Discours préliminaire“: „Qu’on jette les yeux sur les prodiges des aveugles nés, & des sourds & muets de naissance; on verra ce que peuvent produire les ressorts de l’esprit, pour peu qu’ils soient vifs & mis en action par les difficultés à vaincre.“ Le Rond d’Alembert (1751), „Discours préliminaire des éditeurs“, S. X.
Voltaire (1830), „Éléments de la philosophie de Newton“, S. 121. Die theologische Begründung Berkeleys klammert Voltaire jedoch aus und äußert sich kritisch über die Thesen Malebranches. Zur Mondillusion vgl. ebd., S. 124–128.
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gerät mit den weit über den englischen Sprachraum hinaus rezipierten Schriften des schottischen Mediziners William Porterfield die Akkomodation – Porterfield führt diesen Begriff in die Augenheilkunde ein – in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen über die Größen- und Distanzwahrnehmung. Porterfield stützt sich dabei sowohl auf anatomische als auch auf experimentelle Untersuchungen. Vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part I“, S. 129–210; vgl. William Porterfield, „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part II. Of their internal Motions“, in: Medical Essays and Observations, Published by a Society in Edinburgh, the Fourth Edition, Revised and Enlarged by the Authors. Band IV, Edinburgh 1752, S. 103–236. Porterfield befasst sich außerdem mit der Tatsache, dass der Mensch nur einen kleinen Teil seines Gesichtsfeldes scharf sieht, und nimmt an, dass er von der Verteilung und dem Wandel scharfer beziehungsweise unscharfer Ausschnitte sowie den Bewegungen der Augen auf die Größe und Distanz der gesehenen Objekte schließen könne. Die Täuschung, ein ganzes Bild scharf zu sehen, erklärt er als Folge einer Reihe von Nachbildern. Als Beispiel fordert er seine Leser auf, den Buchstaben M im Wort Medizin zu fixieren. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band II, S. 221. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 102–108. Zu farbigen Nachbildern vgl. ebd., S. 343–345. Auch Porterfield vergleicht das Auge mit der Camera obscura. Vgl. ebd., S. 353–354. Die Rolle der Akkomodation bei der Wahrnehmung von Distanzen erwähnt Christian Wolff bereits in seinen Anfangs-Gründen (1710) und in der Deutschen Physik (1723). Vgl. Christian Wolff, Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften. Teil III [1710, 71750], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, J. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 14, Hildesheim/New York 1999, S. 958 (§ 34–35); vgl. Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur [1723], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 6 (Vernünftige Gedanken 5 (Deutsche Physik)), Hildesheim/New York 1981, S. 686 (§ 426).
Desaguliers (1735), „An Attempt to Explain the Phænomenon of the Horizontal Moon“, S. 391.
Ebd. „Using naïve participants in perceptual studies was indeed a novelty, and one which was not adopted by many others until the late nineteenth century.“ Wade (2000), „Jean Théophile Desaguliers“, S. 281. Auch Voltaire verlässt sich bei der Untersuchung der Mondillusion auf den Blick unerfahrener Kinder. Vgl. Voltaire (1830), „Éléments de la philosophie de Newton“, S. 124–125. Diderot äußert sich hingegen im Kontext des Molyneux-Problems kritisch: „Pour moi, j’écouterais avec plus de satisfaction sur la théorie des sens un métaphysicien à qui les principes de la physique, les éléments des mathématiques et la conformation des parties seraient familiers, qu’un homme sans éducation et sans connaissances, à qui l’on a restitué la vue par l’opération de la cataracte.“ Diderot (1978), Lettre sur les aveugles, S. 54; vgl. ebd., S. 67–68. Daston und Lunbeck datieren die wachsende Bedeutung unvoreingenommener Beobachter auf die Jahre nach 1820 und bringen dies in Verbindung mit einer epistemologischen Trennung von Beobachtung und Experiment. Vgl. Daston/Lunbeck (2011), „Introduction. Observation Observed“, S. 3–4.
Desaguliers (1735), „An Attempt to Explain the Phænomenon of the Horizontal Moon“, S. 391. In seinen Vorlesungen beschäftigt sich Desaguliers im Bereich der Optik vor allem mit der Katoptrik, mit Newtons Theorien und der Frage des deutlichen beziehungsweise undeutlichen Sehens. Dort findet sich auch eine theologische Begründung der Anatomie: „The Eye is a Lens contrived by God to project the Images of external Objects on the Retina […].“ Jean Théophile Desaguliers, Lectures of Experimental Philosophy. Wherein the Principles of Mechanicks, Hydrostaticks, and Opticks, are Demonstrated and Explained at Large, by a Great Number of Curious Experiments […], London 1719, S. 165.
Voltaire, Lettres philosophiques, Amsterdam 1734, S. 106.
Condillac (1754), Traité des sensations. Band I, S. 2–3. Condillac unterstreicht, dass er zu dieser Einsicht erst durch die Kenntnis des Molyneux-Problems (welches er in Lockes Schriften kennenlernt) gekommen sei.
Vgl. Galilei (2012), „Letters on the Sunspots“, S. 52; vgl. Descartes (1963), „Discours de la méthode“, S. 581.
„Restabat illud unum ut res de integro tentetur melioribus praesidiis, utque fiat scientiarum et artium atque omnis humanae doctrinae in universum Instauratio, a debitis excitata fundamentis.“ Bacon (1990), Neues Organon. Teilband 1, S. 4–5. „Jeder Schritt muss von der ersten sinnlichen Wahrnehmung an in fester Weise gesichert sein.“ Ebd., S. 26–27.
„[C]ommercium istud Mentis et Rerum […] restitui posset in integrum […].“ Ebd., S. 2–3. „Ist es doch wertvoller, einen Anfang zu machen, der vielleicht Erfolg und Aufstieg in sich birgt, als seine Kräfte an Aussichtslosem zu zerreiben.“ Ebd., S. 4–5; vgl. ebd., S. 70–71 und S. 96–97 (XXXI).
Molyneux (1709), Dioptrica Nova, o. P. („To the Illustrious The Royal Society“).
Zum anthropologischen Diskurs des 18. Jahrhunderts unterstreicht Stanitzek: „Von der leitenden Kategorie der Perfektion wird umgestellt auf Perfektibilität, welche dann als Basis von Fortschritt und Vervollkommnung gedacht werden kann.“ Georg Stanitzek, Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18. Jahrhundert, Tübingen 1989, S. 152.
In der „Epistle to the Reader“ unterstreicht Locke: „We have our Understandings no less different than our Palates; and he that thinks the same Truth shall be equally relished by every one in the same dress, may as well hope to feast every one with the same sort of Cookery.“ Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 5.
Ebd., S. 17 (§ 1). Den Verfechtern angeborener Ideen wirft er vor, den philosophischen Zweifel zu untergraben und nichts als „Dictator[s] of Principles, and Teacher[s] of unquestionable Truths“ zu sein. Ebd., S. 52 (§ 24). „There is nothing more commonly taken for granted, than that there are certain Principles both Speculative and Practical (for they speak of both) universally agreed upon by all Mankind: which therefore they argue, must needs be the constant Impressions, which the Souls of Men receive in their first Beings, and which they bring into the World with them, as necessarily and really as they do any of their inherent Faculties.“ Ebd., S. 17 (§ 2).
Ebd., S. 14 (§ 3). „It [i. e. Idea] being that Term, which, I think, serves best to stand for whatsoever is the Object of the Understanding when a Man thinks, I have used it to express whatever is meant by Phantasm, Notion, Species, or whatever it is, which the Mind can be employ’d about in thinking […].“ Ebd., S. 16 (§ 8). Wie umfassend der Begriff ‚Idee‘ bei Locke gehalten ist, verdeutlicht der Beginn des zweiten Buches: „Every Man being conscious to himself, That he thinks, and that which his Mind is employ’d about whilst thinking, being the Ideas, that are there, ’tis past doubt, that Men have in their Minds several Ideas, such as are those expressed by the words, Whiteness, Hardness, Sweetness, Thinking, Motion, Man, Elephant, Army, Drunkenness, and others […].“ Ebd., S. 54 (§ 1); vgl. Kemmerling (2008), „Locke über die Wahrnehmung sekundärer Qualitäten“, S. 205–208.
Das von Locke angeführte Beispiel der angeborenen Idee von Farben macht klar, wie weit er von der tatsächlichen Position Descartes’ entfernt ist, der diese als sekundäre Qualität definiert, die erst im menschlichen Geist hervorgerufen werde und nicht bereits dort existiere. Vgl. Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 17 (§ 1).
Vgl. ebd., S. 19–20 (§ 8–9).
Ebd., S. 18 (§ 4–5). Dies führt er auch gegen die Vorstellung an, es gebe eine angeborene Idee von Gott: „Besides the Atheists, taken notice of amongst the Ancients, and left branded upon the Records of History, hath not Navigation discovered, in these latter Ages, whole Nations amongst whom there was to be found no Notion of a God, no Religion.“ Ebd., S. 43–44 (§ 8). Die Existenz Gottes sieht Locke als eine notwendige Schlussfolgerung aus der Betrachtung der Schöpfung. Vgl. ebd., S. 44–45 (§ 9). Vergleichbar sei das Beispiel des Blinden, der keine angeborene Idee der Sonne oder des Lichts habe. Vgl. ebd., S. 48–49 (§ 19).
Ebd., S. 17 (§ 1).
Ebd., S. 23 (§ 15). „And if these Organs, or the Nerves which are the Conduits, to convey them from without to their Audience in den Brain, the mind’s Presence-room (as I may so call it) […].“ Ebd., S. 65–66 (§ 1).
Vgl. ebd., S. 31 (§ 3); vgl. ebd., S. 45–46 (§ 12), S. 70–71 (§ 1–5) und S. 136–139 (§ 1–18).
Vgl. ebd., S. 87–91 (§ 1–10).
Vgl. ebd., S. 64–65 (§ 1–3). Die Unterscheidung findet sich bereits bei Gassendi, dessen Werk Locke zwar nicht zitiert, durch die Begegnung mit Bernier in Paris 1677–1678 aber vermutlich kennt. Vgl. Bernier (1992), Abgrégé de la philosophie de Gassendi. Band 1, S. 30–32; vgl. die Grafik ebd. S. 35.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 23 (§ 15).
Ebd., S. 23 (§ 15); vgl. ebd., S. 94 (§ 9). Das gesamte dritte Buch des Essay ist der Sprache gewidmet. Der französische Geistliche und Philosoph Étienne Bonnot de Condillac sieht seine erste Schrift als Fortsetzung und Weiterentwicklung der, so Condillac, von Locke nicht überzeugend ausgearbeiteten sensualistischen Sprachtheorie. Vgl. Condillac (1746), Essai sur l’origine des connoissances humaines, S. XIX–XXIII.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 46 (§ 12).
„[T]abulae abrasae“. Bacon (1990), Neues Organon. Teilband 1, S. 48–49; vgl. Coirault (1957), „Gassendi et non Locke créateur de la doctrine sensualiste moderne sur la génération des idées“, S. 84.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 54 (§ 2). Dass diese Rückkehr an den Nullpunkt des Denkens eigentlich eine Fiktion ist, macht Locke noch im letzten Satz des ersten Buches deutlich: „[A]nd this is enough for a Man who professes no more, than to lay down candidly and freely his own Conjectures, concerning a Subject lying somewhat in the dark […].“ Ebd., S. 53 (§ 25).
Ebd., S. 54 (§ 2).
„When the Mind turns its view inwards upon it self, and contemplates its own Actions, Thinking is the first that occurs. In it the Mind observes a great variety of Modifications, and from thence receives distinct Ideas.“ Ebd., S. 134 (§ 1). Im Kapitel über klare und undeutliche Ideen erklärt er: „The Perception of the Mind, being most aptly explained by Words relating to the Sight […].“ Ebd., S. 226 (§ 2). Das Resultat dieser Betrachtung ist auch die Idee der eigenen Handlungsmacht, der Locke ein langes Kapitel widmet. Vgl. ebd., S. 140–174 (§ 1–73).
Vgl. ebd., S. 63 (§ 25). Erst auf der Ebene der komplexen Ideen sieht Locke eine Aktivität des Geistes (Kombination, Verknüpfung, Abgrenzung von Ideen). Vgl. ebd., S. 96–97 (§ 1–2).
Ebd., S. 54–55 (§ 3).
Ebd., S. 55 (§ 4).
Ebd.
Nicht unbedeutend für Lockes weitere Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung ist, dass er diese – wie das Nachdenken, Erinnern und Zweifeln – dem Bereich der reflection zuordnet und so von der Sinnesempfindung chronologisch und qualitativ unterscheidet. Vgl. ebd., S. 82–87 (§ 1–15). Wahrnehmung sei die erste Fähigkeit des Geistes, im Unterschied zum Denken aber meist passiv.
Ebd., S. 55 (§ 4).
Vgl. ebd., S. 55 (§ 5).
Vgl. ebd., S. 76 (§ 11–12) und S. 78–79 (§ 18); vgl. Kemmerling (2008), „Locke über die Wahrnehmung sekundärer Qualitäten“, S. 208–210.
Vgl. Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 350 (§ 16); vgl. Kemmerling (2008), „Locke über die Wahrnehmung sekundärer Qualitäten“, S. 204.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 134 (§ 1).
Locke (1872), „An Examination of P. Malebranche’s Opinion“, S. 420.
„But when by this means an image is made on the retina, how we see it, I conceive no more than when I am told we see it in God. How we see it is, I confess, what I understand not in the one or in the other […]. […] Impressions made on the retina by rays of light, I think I understand; and motions from thence continued to the brain may be conceived, and that these produce ideas in our minds, I am persuaded, but in a manner to me incomprehensible.“ Ebd., S. 421. Auch Porterfield nutzt die Begriffe ‚species‘ und ‚images‘ synonym. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 52.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 173 (§ 73).
Vgl. Anstey (2011), John Locke and Natural Philosophy, S. 16–30.
Locke erwähnt Descartes im Essay in Zusammenhang mit der Frage nach der Einheit der immateriellen Seele und nach der Existenz des Vakuums, nicht jedoch dessen optisches Werk. Vgl. Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 210 (§ 12) und S. 388–389 (§ 12–13). Deutlich wird die Abgrenzung auch, wenn Locke die mechanistische These zurückweist, Ausdehnung und Körper seien dasselbe. Vgl. ebd., S. 102–108 (§ 11–26).
Ebd., S. 235 (§ 2).
Vgl. ebd., S. 227 (§ 3).
Vgl. ebd., S. 237 (§ 4–5) und S. 242–248 (§ 1–26). Auf den Einfluss von Erziehung, Gewohnheiten und persönlichen Interessen geht Locke im letzten Kapitel des zweiten Buches ein. Vgl. ebd., S. 248–253 (§ 1–19).
Vgl. Anstey (2011), John Locke and Natural Philosophy, S. 46–69.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 56 (§ 5).
Vgl. ebd., S. 62 (§ 21) und S. 84 (§ 7).
Vgl. ebd., S. 56 (§ 6). Der ungenannte Autor des Artikels „Sensations“ in der Encyclopédie veranschaulicht dies am Beispiel der Ananas: „Mais nous ne voyons pas que personne acquiere le goût des ananas, avant qu’il aille aux Indes où se trouve cet excellent fruit, & qu’il en goûte actuellement.“ Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 36 („Sensations“). Die Zeitlichkeit dieser Auffassung stellt Lessing in den Mittelpunkt und sieht sie – hypothetisch – auch für den Erwerb der fünf und weiterer über sie hinausgehender Sinne: „2) Da sie [i. e. die Seele] aber ein endliches Wesen ist, so ist sie dieser unendlichen Vorstellungen nicht auf einmal fähig, sondern erlangt sie nach und nach in einer unendlichen Folge von Zeit. / 3) Wenn sie ihre Vorstellungen nach und nach erlangt, so muß es eine Ordnung geben, nach welcher, und ein Maß, in welchem sie dieselbe erlangt. / 4) Diese Ordnung und dieses Maß sind die Sinne.“ Lessing (2001), „Dass mehr als fünf Sinne für den Menschen sein können“, S. 229. Oft wird auch auf Lessings Übersetzung der Schrift Examen de ingenios para las sciencias (1575) des spanischen Arztes Juan Huarte de San Juan (1529–1588) verwiesen, der klar zwischen den äußeren Sinnen, der Einbildungskraft und dem Verstand unterscheidet und sich mit dem Zusammenhang von Psychologie und Physiologie befasst, dabei aber im Wesentlichen auf die antike Humoralpathologie zurückgreift. Vgl. Juan Huarte de San Juan, Johann Huarts Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften […] [1575], aus dem Spanischen übersetzt von Gotthold Ephraim Leßing, Zerbst 1752, S. 48–49 und S. 239–241.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 56 (§ 7).
Vgl. ebd., S. 57 (§ 7). Hier grenzt sich ein ungenannter Autor im fünfzehnten Band der Encyclopédie explizit von Locke ab. Sinnesempfindungen (frz. sensations) seien immer verworren beziehungsweise dunkel (frz. obscur, confus) und sollten deswegen nicht mit Ideen verwechselt werden. Erst der aktive Umgang des Geistes mit den Empfindungen führe zu Ideen, die immer klar (frz. clair) seien. Unterschieden werden folglich drei Vorgänge: 1. passiv von außen aufgenommene Sinnesempfindungen, die immer dunkel und verworren, also nie einfach (frz. simple) sind, weil sie zu schnell auf die Sinnesorgane treffen, um einzeln empfunden zu werden; 2. aktiv, das heißt willentlich im Menschen hervorgebrachte, dunkle und verworrene Leidenschaften (frz. passions); 3. Ideen, die der Mensch zwar auf die Sinnesempfindungen und diese wiederum auf äußere Gegenstände zurückführt, mit denen er jedoch willentlich umgehen kann. Mit dem Begriff der petites perceptions verweist der Autor – ohne ihn zu nennen – auf Leibniz. Vgl. Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 34–35 („Sensations“).
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 57 (§ 8).
Eine Abwertung, die Berkeley – ohne dabei auf Locke zu verweisen – nicht übernimmt: „PHILONOUS. I do not pretend to be a setter-up of new notions. My endeavours tend only to unite and place in a clearer light that truth, which was before shared between the vulgar and the philosophers […].“ Berkeley (1975), „Three Dialogues Between Hylas and Philonous“, S. 207.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 29 (§ 27).
Ebd., S. 86 (§ 15). Ganz anders bereits bei Leibniz, der nicht nur Blinden geometrisches Wissen zutraut, sondern auch anhand einiger Fallgeschichten zeigt, dass er Menschen mit einer Sinnesbehinderung durchaus nicht pauschal für dumm hält. Allerdings spricht sich Theophilus an anderer Stelle nicht gerade für die geistigen Fähigkeiten der ‚Barbaren‘ aus, die er mit Tieren vergleicht. Im dritten Buch dann vertritt er jedoch die Meinung, dass es keine unterschiedlichen Menschenrassen gebe, da alle Menschen gleichermaßen einen Verstand besäßen und so von den Tieren zu unterscheiden seien. Vgl. Leibniz (1962), „Nouveaux essais sur l’entendement humain“, S. 98–99 (Buch I, Kap. 2), S. 137–138 (Buch II, Kap. 9) und S. 325–326 (Buch III, Kap. 6).
Blumenthal und Pethes führen Beispiele von ‚wilden‘ Kindern an, denen von Zeitgenossen ein besonders guter Geruchssinn zugeschrieben wurde, vgl. P. J. Blumenthal, Kaspar Hausers Geschwister. Auf der Suche nach dem wilden Menschen, Stuttgart 22018, S. 111–112; vgl. Nicolas Pethes, Zöglinge der Natur. Der literarische Menschenversuch des 18. Jahrhunderts, Göttingen 2007, S. 81–97. Die Frage, ob und wie sehr die nach dem heutigen Begriff soziokulturelle Umgebung eines Menschen – abgesehen von Behinderungen der Sinnesorgane – einen qualitativen Einfluss auf dessen sinnliche Empfindung hat, bleibt im 18. Jahrhundert umstritten. Leitet d’Alembert aus der Gleichheit der physischen Vorgänge bei gesunden Sinnesorganen die Gleichheit aller Menschen ab, so gehen beispielsweise Kästner, Sulzer (vgl. Kap. 3.5), Herder und Goethe (vgl. Kap. 4.1) davon aus, dass ‚Wilde‘ über bessere oder im Gegenteil über ‚stumpfere‘ Sinne verfügten. Vgl. Le Rond d’Alembert (1751), „Discours préliminaire des éditeurs“, S. IX.
Vgl. Michael Bruno/Eric Mandelbaum, „Locke’s Answer to Molyneux’s Thought Experiment“, in: History of Philosophy Quarterly. Band 27, Nr. 2 (April 2010), S. 165–180, hier: S. 175–176.
Vgl. John Locke, The Correspondence of John Locke. In Eight Volumes, hg. von E. S. de Beer. Band 3 (Letters nos. 849–1241), Oxford 1978, S. 482–483 (William Molyneux an die Autoren der Bibliotheque universelle, 7. Juli 1688, Nr. 1064). In diesem ersten Brief stellt Molyneux außerdem die Frage, ob der ehemals Blinde die Objekte als von ihm entfernt sehen würde. Molyneux schickt die Frage auch an den Radierer und Kupferstecher Sébastien Le Clerc (1637–1714), der 1712 eine Schrift zum Sehvorgang veröffentlicht. Vgl. Sebastien Le Clerc, Systeme de la vision, fondé sur de nouveaux principes [1712], Paris 1719. Weder Leclerc noch Locke reagieren auf diesen ersten Brief. Molyneux wiederholt seine Frage in einem Brief an Locke vom 2. März 1693, und dieser integriert das Problem daraufhin in seinen Essay. Vgl. John Locke, The Correspondence of John Locke. In Eight Volumes, hg. von E. S. de Beer. Band 4 (Letters nos. 1242–1701), Oxford 1979, S. 647–652, hier: S. 651 (William Molyneux an Locke, 2. März 1693, Nr. 1609).
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 84 (§ 8).
Ebd.
„En second lieu nous nous trompons encore lorsque nous mettons une cause pour l’autre, et croyons que ce qui ne vient que d’une platte peinture, est derivé d’un corps, de sorte qu’en ce cas il y a dans nos jugemens tout à la fois une metonymie et une metaphore; car les figures mêmes de Rhetorique passent en sophismes lorsqu’elles nous abusent.“ Leibniz (1962), „Nouveaux essais sur l’entendement humain“, S. 135 (Buch II, Kap. 9).
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 84 (§ 8).
Diejenigen Philosophen, die eine positive Antwort auf das Problem des Molyneux geben, gehen hingegen davon aus, dass der ehemals Blinde schon vor seiner Operation Wissen über die Form der materiellen Objekte erworben habe und so in der Lage sei, die neuen visuellen Informationen auch ohne erneute Zuhilfenahme des Tastsinns zu interpretieren. In Leibniz’ 1765 posthum veröffentlichtem, dialogischem Kommentar zu Lockes Essay („Nouveaux essais sur l’entendement humain“, 1704) wagt Theophilus eine erste Antwort: „Il me faudroit donner du temps pour mediter cette question, qui me paroit assez curieuse: mais puisque vous me pressés de repondre sur le champ, je hazarderai de vous dire entre nous, que je crois que, supposé que l’aveugle sache que ces deux figures qu’il voit sont celles du cube et du globe, il pourra les discerner, et dire sans toucher, ceci est le globe, ceci le cube.“ Leibniz (1962), „Nouveaux essais sur l’entendement humain“, S. 136 (Buch II, Kap. 9). Theophilus unterstreicht im darauffolgenden Paragrafen mit weiteren Vokabeln aus dem Bereich des rationalen wie sinnlichen Wissens (discerner, savoir, par les principes de la raison, connoissance sensuelle), dass der ehemals Blinde die Figuren schon kennt, bevor er sie sieht. Das geometrische Wissen erlange er nicht nur durch den Tastsinn, sondern es sei ihm auch als eine Art Neigung angeboren: „C’est ainsi que les idées et les verités nous sont innées, comme des inclinations, des dispositions, des habitudes ou des virtualités naturelles, et non pas comme des actions […].“ Ebd., S. 52 („Préface“). Allerdings müsse der ehemals Blinde erst darauf hingewiesen werden, was er sehen soll: „[S]ans cette instruction préalable, j’avouë qu’il ne s’avisera pas d’abord de penser, que ces espèces de peintures, qu’il s’en fera dans le fond de ses yeux, et qui pourroient venir d’une platte peinture sur la table représentent des corps, jusqu’à ce que l’attouchement l’en aura convaincû, ou qu’à force de raisonner sur les rayons suivant l’optique, il aura compris par les lumières et les ombres, qu’il y a une chose qui arrête ces rayons, et que ce doit étre justement ce qui lui res[is]te dans l’attouchement: à quoi il parviendra enfin, quand il verra rouler ce globe et ce cube, et changer d’ombres et d’apparences suivant le mouvement; ou même quand ces deux corps, demeurant en repos, la lumiére qui les éclaire, changera de place; ou que ses yeux changeront de situation.“ Ebd., S. 138 (Buch II, Kap. 9). Aus einer materialistischen Perspektive heraus vertritt auch La Mettrie die Meinung, dass der ehemals Blinde den Würfel und die Kugel unterscheiden könne. Vgl. La Mettrie (1745), Histoire naturelle de l’ame, S. 349–354.
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 85 (§ 8). „It is this link between habitual judgments and perception that will help illuminate the consistency of Locke’s response to the Molyneux problem.“ Bruno/Mandelbaum (2010), „Locke’s Answer to Molyneux’s Thought Experiment“, S. 169. So urteilt auch Georg Friedrich Meier: „[S]o wird er unmöglich wissen können, welcher die Kugel und welcher der Würfel ist: denn er stelt sich nun vor, wie diese beyden Körper aussehen, allein das ist von demjenigen sehr unterschieden, was wir uns vorstellen, wenn wir diese Körper befühlen.“ Georg Friedrich Meier, Georg Friedrich Meiers […] Metaphysik. Dritter Teil [1757, 21765], in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von J. Ecole, H. W. Arndt, R. Theis, W. Schneiders und S. Carboncini-Gavanelli. Band 108.3, Hildesheim/Zürich/New York 2007, S. 95 (§ 533).
Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 85 (§ 9). Berkeley verschärft bei seiner Auseinandersetzung mit dem Problem des Molyneux diesen Lernprozess, wenn er davon ausgeht, dass der ehemals Blinde die gesehenen Objekte nicht einmal als vom ihm entfernte Gegenstände begreifen könne. Vgl. Berkeley (1975), „A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge“, S. 89 (§ 43). „From what hath been premised it is a manifest consequence that a man born blind, being made to see, would, at first, have no idea of distance by sight; the sun and stars, the remotest objects as well as the nearer, would all seem to be in his eye, or rather in his mind. The objects intromitted by sight would seem to him (as in truth they are) no other than a new set of thoughts or sensations, each whereof is as near to him as the perceptions of pain or pleasure, or the most inward passions of his soul. For our judging objects perceived by sight to be at any distance, or without the mind, is […] entirely the effect of experience, which one in those circumstances could not yet have attained to.“ Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 19 (§ 41); vgl. ebd., S. 47–48 (§ 132–135).
Vgl. Bruno/Mandelbaum (2010), „Locke’s Answer to Molyneux’s Thought Experiment“, S. 169–170. Locke geht – anders als Berkeley – davon aus, dass die primären Qualitäten gesehener Objekte in keinem arbiträren Verhältnis zu den Ideen stehen. Eine Überlegung, die in der Formulierung Leibniz’ zu dessen positiver Antwort auf die Frage Molyneux’ führt, allerdings, so Brian Glenney, die Vorstellung angeborener Ideen voraussetzt. Vgl. Brian Glenney, „Leibniz on Molyneux’s Question“, in: History of Philosophy Quarterly. Band 29, Nr. 3 (2012), S. 247–264. Im Gegensatz zu Berkeley setzt Locke die Existenz und sinnliche Zugänglichkeit einer äußeren Welt voraus und räumt theologischen Begründungen einen weit geringeren Platz ein. Vgl. Bruno/Mandelbaum (2010), „Locke’s Answer to Molyneux’s Thought Experiment“, S. 165–180.
Der ‚graue‘ (Katarakt), ‚grüne‘ (Glaukom) oder ‚schwarze‘ (Amaurose) Star gehört zu den Augenkrankheiten, die in den augenheilkundlichen Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts am ausführlichsten behandelt werden. Vgl. Schalling (1615), Ophthalmia, S. 89–98.
William Cheselden, „An Account of Some Observations Made by a Young Gentleman, who Was Born Blind, or Lost his Sight so Early, that he Had no Remembrance of Ever Having Seen, and Was Couch’d between 13 and 14 Years of Age“, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Band 35, Nr. 402 (1728), S. 447–450, hier: S. 448.
Ebd.
Vgl. ebd., S. 450.
Cheselden (1750), The Anatomy of the Human Body, S. 294; vgl. ebd., S. 294–296. Der Bericht aus den Philosophical Transactions ist hier Teil des Kapitels über das Auge. Vgl. ebd., S. 300–304.
Mersenne erklärt das binokulare Sehen noch als optische Täuschung, und Gassendi vertritt die Auffassung, ein Auge sei am Sehvorgang jeweils nur passiv beteiligt. Im 17. Jahrhundert dominiert jedoch die auch von Cheselden zitierte Auffassung, das perspektivische Sehen komme durch die Punktkorrespondenz der Lichtstrahlen in den Augen zustande. Vgl. Nicéron/Mersenne (1652), La perspective curieuse du Reverend P. Niceron, S. 71; vgl. Bernier (1992), Abgrégé de la philosophie de Gassendi. Band 6, S. 127–131. Der Coburger Priester Johann Michael Conradi (1676–1751) erläutert 1710 die unterschiedlichen Theorien. Besonders ist hierbei, dass er seiner Schrift Illustrationen der bereits verworfenen Theorien beifügt. Vgl. Johann Michael Conradi, Der dreyfach geartete Sehe=Strahl / In einer kurtzen doch deutlichen Anweisung zur Optica Oder Sehe=Kunst / Bey übrigen und einsamen Stunden zu Erhebung Göttlicher Weißheit und den Kunst=begierigen zur Handleitung, Coburg 1710, S. 24 (Fig. I und II).
Cheselden (1750), The Anatomy of the Human Body, S. 295.
Allerdings erklärt er das perspektivische Sehen anders. Die Sehnerven beider Augen kommen sich, so Porterfield, im Gehirn so nahe, dass sie sich gegenseitig stabilisieren und so bei Schlägen auf den Kopf in ihrer Position nicht verrutschen. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 191–192 und S. 202; vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part I“, S. 157–167. Die anatomische Untersuchung der Sehnerven führt Anfang des 18. Jahrhunderts auch zu einer Infragestellung der These, die Sinnesempfindung beruhe auf einer Bewegungsübertragung. Im Kapitel über die Nerven schließt Cheselden sich der Auffassung des schottischen Mediziners Alexander Monro (1697–1767) an, dem zufolge diese Übertragung gespannte, gerade verlaufende Nerven wie die Saiten einer Gitarre voraussetze. Die Sehnerven seien „slack, moist, and surrounded with soft parts“ und somit „unfit for vibrations“. Außerdem sei bei ihrer mikroskopischen Untersuchung weder eine Flüssigkeit („animal spirit“) noch der für den Transport einer Flüssigkeit notwendige Hohlraum erkennbar. Der Eindruck der Lichtstrahlen auf der Retina könne folglich weder als Bewegungsimpuls durch die Nerven noch als Vibration der Nerven selbst verstanden werden, wie dies Cheseldens Zeitgenosse, der englische Philosoph David Hartley (1705–1757) 1749 annimmt. Cheselden vertritt die Auffassung, nur eine Kombination beider Erklärungen (Vibration und Flüssigkeit) könne den Vorgang erklären. Vgl. Cheselden (1750), The Anatomy of the Human Body, S. 248; vgl. David Hartley, Observations on Man. His Frame, his Duty, and his Expectations. In Two Parts. Part the First: Containing Observations on the Frame of the Human Body and Mind, and on their Mutual Connections and Influences [1749], Warrington 41801, S. 7–34 und S. 191–222.
Zedler bezeichnet die Schrift als „das beste Buch, welches wir besonders von dieser Wissenschafft haben […].“ Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 36, Leipzig/Halle 1743, S. 1310. Kästner kommentiert und übersetzt das Werk 1755 ins Deutsche, der Mathematiker Esprit Pézenas (1692–1776) 1767 ins Französische. Wie Lessing verweisen auch Goethe, Herder, Lichtenberg, Kant und Arnim in ihren anthropologischen und naturforschenden Schriften auf Kästners Übersetzung. Vgl. Robert Smith, Vollständiger Lehrbegriff der Optik nach Herrn Robert Smiths Englischen mit Aenderungen und Zusätzen ausgearbeitet von Abraham Gotthelf Kästner, Altenburg 1755; vgl. Robert Smith, Cours complet d’optique, traduit de l’anglois de Robert Smith, contenant la Théorie, la Pratique & les Usages de cette Science […]. Erster Band, Avignon 1767.
Smith (1738), A Compleat System of Opticks. Band I, S. 44.
Vgl. ebd., S. 45–51.
Ebd., S. 45.
Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 114; vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part I“, S. 147–148.
Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 114–115.
Ebd., S. 118.
Vgl. ebd.
Ebd., S. 119–120. Im zweiten Band nimmt er an, dass Kinder schielen, wenn sie in den ersten Monaten seitlich zu einer Lichtquelle gelegt werden und ein Auge immer in diese Richtung strebe. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band II, S. 318–319; vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part I“, S. 192. Für Illustrationen von das Schielen vorgeblich heilenden Masken vgl. Bartisch (1686), Augen=Dienst: Oder Kurtz und deutlich verfasster Bericht, S. 25–26.
Vgl. Smith (1738), A Compleat System of Opticks. Band I, S. 48–49. Smiths Zeitgenosse William Porterfield sieht in der Tatsache, dass die meisten Lebewesen zwei Augen haben, den Grund für die besondere Schärfe des gesehenen Bildes: „[F]or since each Eye apart impresses the Mind with an Idea of the same Object, the Impression must be stronger and more luminous, when both Eyes concur, than when only one; and consequently the Mind will receive a more strong, lively and perfect Idea of the Object in View.“ Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 70. Er erklärt mit der simultanen Bewegung der Augen auch die Tatsache, dass ein Objekt mit beiden Augen nicht doppelt gesehen wird, und verweist darauf, dass der Mensch ja auch Töne nicht doppelt hört. Vgl. ebd., S. 109 und S. 193. Im zweiten Buch widmet er der Frage ein ganzes Kapitel. Einleitend entwirft er eine kurze Geschichte der Thesen zu diesem Problem. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band II, S. 279–328.
Smith (1738), A Compleat System of Opticks. Band I, S. 45–46.
Ebd., S. 50. Er sieht hierin eine Lösung für das Problem des umgekehrten Bildes, welches durch Erfahrung und Gewohnheit so schnell herumgedreht werde, dass sich ein erwachsener Mensch dessen nicht mehr bewusst sei. Vgl. ebd., S. 46.
Vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part II“, S. 107–108.
Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 362. So stellt auch das umgekehrte Bild auf der Retina kein Problem mehr dar. Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band II, S. 329–330; vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part I“, S. 171.
Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 363.
Vgl. Nicholas J. Wade, „William Porterfield (ca. 1696–1771) and His Phantom Limb. An Overlooked First Self-report by a Man of Medicine“, in: Neurosurgery. Band 52, Nr. 5 (2003), S. 1196–1199; vgl. Nicholas J. Wade, „Porterfield and Wells on the Motions of Our Eyes“, in: Perception. Band 29, Nr. 2 (2000), S. 221–239; vgl. Johann Georg Sulzer, „Ueber die Unsterblichkeit der Seele, als ein Gegenstand der Physik betrachtet“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Schriften. Eine Fortsetzung der vermischten philosophischen Schriften desselben. Nebst einigen Nachrichten von seinem Leben, und seinen sämtlichen Werken. Zweyter Theil, Leipzig 1781, S. 1–84, hier: S. 7–8.
Vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 364–365. Genauer geht Porterfield in folgenden Textabschnitten auf Farbe und Farbwahrnehmung ein, vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part I“, S. 173–177; vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band II, S. 331–362.
Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 371–372. Allerdings geht Porterfield davon aus, dass diese Verknüpfung nach einem angeborenen, überindividuellen Gesetz verlaufe. Er folgert hieraus, dass der ehemals Blinde durchaus in der Lage sei, Würfel und Kugel spontan zu unterscheiden. Vgl. ebd., S. 372; vgl. Porterfield (1752), „An Essay Concerning the Motions of our Eyes. Part I“, S. 172 und S. 181–187; vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band II, S. 300–308 und S. 414–416. Auch Porterfield unterstreicht allerdings, dass die Verbindung zwischen den Bewegungen des Sehnervs und den geistigen Ideen nicht bekannt sei: „The Connection betwixt these Ideas and the Motions or Agitations excited in the Retina, optic Nerves and Sensorium, is unknown to us; neither need we ever expect to discover it […].“ Ebd., S. 214. Im Folgenden geht Porterfield davon aus, dass diese Verbindung allein auf dem Willen Gottes beruhe und keine physische Ursache habe. Vgl. ebd., S. 214–221.
Georg Friedrich Meier, Georg Friedrich Meiers […] Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere [1749, 21750], Halle 1750, S. 30–31 (§ 15).
Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 156 (§ 334).
Ebd., S. 157 (§ 334).
Vgl. ebd., S. 164 (§ 337).
Ebd., S. 158 (§ 334).
Ebd., S. 169 (§ 339).
In seiner 1770 veröffentlichten Schrift „Von dem Ursprunge der menschlichen Erkenntniß“ geht Meier noch vor diese ersten Empfindungen der Kindheit zurück. Er nimmt gegen John Locke an, jeder Mensch habe angeborene Vorstellungen, diese seien jedoch nicht wie bei Descartes mit klaren oder gar deutlichen Vorstellungen zu verwechseln. Leibniz folgend geht Meier davon aus, dass jedem Menschen die vollkommen dunkle Vorstellung der gesamten Welt angeboren und dies ein Geschenk Gottes an den Menschen sei. Erst mit der Geburt würden durch den Gebrauch der Sinne aus einigen dunklen nach und nach klare oder auch deutliche Vorstellungen. In der Kindheit unterliege die Auswahl jedoch der Umgebung (Familie, Kultur, Klima) und den angenehmen oder unangenehmen Erfahrungen. Erst der freie Wille erlaube es dem Menschen, diese kindlichen Prägungen – wenn auch unter Mühen – zu überwinden und die Erkenntniskräfte (die Meier hier in die sinnliche Erfahrung, die Abstraktionsfähigkeit und die Einbildungskraft unterteilt) frei zu nutzen. Meier geht davon aus, dass diese Entwicklung beim einzelnen Menschen genauso wie bei ganzen Völkern verlaufe, und plädiert dafür, den ‚barbarischen‘ Völkern ihr Verhalten nicht vorzuwerfen, weil diese ihren freien Willen noch nicht genug entwickelt hätten. Vgl. Georg Friedrich Meier, „Die sechste Untersuchung. Von dem Ursprunge der menschlichen Erkenntniß“, in: ders., Georg Friedrich Meiers […] Untersuchung verschiedener Materien aus der Weltweisheit. Dritter Theil, Halle 1770, S. 5–68 (§ 1–32), hier: S. 6 (§ 1), S. 10 (§ 3), S. 13–14 (§ 5), S. 17–18 (§ 7), S. 21 (§ 9) und S. 48–50 (§ 23).
Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 171 (§ 340).
Ebd., S. 172 (§ 340).
Ebd.
Ebd., S. 173 (§ 340). Ähnlich unterstreicht Sulzer: „Wir haben eine vorzügliche Lebhaftigkeit und Thätigkeit des Geistes mit zu den Grundlagen einer lebhaften und leichten Einbildungskraft gezählt, und auch diese muß durch Uebung vermehrt werden. Jede Seele kann durch Hemmung der Thätigkeit träg werden. Man gebe nur auf die Würkungen der weiblichen Erziehung Achtung, bey der das erste Gesez ist, das vornehme Kind von allem, was ihm Mühe machen könnte, von allem, wobey ihm eigene Ueberlegung und Anstrengung seiner Kräfte nöthig wären, zurükzuhalten; jeder Begierde und jeder Aeusserung seiner Würksamkeit zuvorzukommen. Durch eine solche Erziehung wird der Seele ihre männliche Kraft weggeschnitten, alle Nerven werden schlaff, und man macht aus dem Menschen eine Mißgebuhrt, der die wesentlichste Eigenschaft eines vernünftigen Geschöpfes, die innere thätige Würksamkeit benommen ist.“ Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt. Erster Theil, von A bis J, Leipzig 1771, S. 293 („Einbildungskraft (Schöne Künste)“).
Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 173 (§ 340); vgl. Georg Friedrich Meier, Georg Friedrich Meiers […] theoretische Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt [1744, 21759], Halle 1759, S. 228–229 (§ 117).
Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 173 (§ 340).
Meier (1759), Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 148–149 (§ 82).
Allerdings werden zuweilen auch Frauen mit besonders guten Sinnen erwähnt. So verweist Meier auf einen Bericht des englischen Dichters und Journalisten Joseph Addison (1672–1719) in der Zeitung The Spectator über eine Frau, die eine große Anzahl unterschiedlicher Teesorten auseinanderhalten konnte. Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 166 (§ 337). Sulzer nimmt 1768 an, die Frauen der ‚Wilden‘ bildeten sich leichter Begriffe, da sie durch die Hausarbeit von der – nach Sulzer – üblichen Faulheit abgehalten würden. Vgl. Johann Georg Sulzer, Vorübungen zur Erweckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens. Zum Gebrauch einiger Classen des Königl. Joachimsthalischen Gymnasium, Berlin 1768, S. 42. Auch Herder nimmt an, Frauen verfügten über empfindlichere Sinne. Vgl. Herder (1985), „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“, S. 707. Die These des Einflusses der Einbildungskraft einer Schwangeren auf ihr ungeborenes Kind verteidigt Herder in der ersten Version seiner Preisschrift von 1774. Vgl. Johann Gottfried Herder, „Übers Erkennen und Empfinden in der Menschlichen Seele“ [1774], in: ders., Werke in zehn Bänden, hgg. von G. Arnold et al. Band 4 (Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Altertum 1774–1787), hgg. von J. Brummack und M. Bollacher, Frankfurt a. M. 1994, S. 1090–1127, hier: S. 1113–1114. Ende des 18. Jahrhunderts verweist der englische Instrumentenbauer George Adams (1750–1795) – hier in der zeitgenössischen Übersetzung des Gothaer Lehrers Friedrich Kries – auf einen Bericht des schottischen Naturforschers Alexander Russell (ca. 1715–1768) über die Bewohnerinnen von Aleppo, die durch einen schwarzen Lidstrich stärkere Augen bekommen hätten. Vgl. George Adam, George Adam’s Anweisung zur Erhaltung des Gesichts und zur Kenntniß der Natur des Sehens, aus dem Englischen übersetzt und mit Zusätzen und Anmerkungen versehen von F. Kries, Gotha 1794, S. 17.
Samuel Dale, „An Abstract of a Letter from Mr. Samual Dale, to Dr. William Briggs, M. D. F. R. S. Concerning a Contumacious Jaundice, Accompanied with a Very Odd Case in Vision“, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Band 18, Nr. 211 (1694), S. 158–159, hier: S. 158.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S. 159. William Briggs hatte bereits zehn Jahre zuvor der Royal Society einen Bericht eines Arztes zur Publikation überreicht, der sich mit der Nachtblindheit eines jungen Mannes beschäftigt. Vgl. William Briggs, „Two Remarkable Cases Relating to Vision, Communicated to the Publisher, by the Learned and Ingenious Wil. Briggs M. D. Fellow of the College of Physicians, and Physician of St. Thomas’s Hospital, London“, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Band 14, Nr. 159 (1684), S. 559–565.
Dale (1694), „An Abstract of a Letter from Mr. Samual Dale“, S. 159.
In seiner Farbenlehre zählt Goethe eine Reihe von krankheitsbedingten optischen Täuschungen auf, ohne dabei jedoch – mit einer Ausnahme, in der es um einen von Boyle berichteten Fall einer gestürzten Frau geht – auf das Geschlecht der Kranken zu verweisen. Vgl. Goethe (1991), Sämtliche Werke. I. Abteilung, Band 23/1 (Zur Farbenlehre), S. 65–67. Zur „Entfaltung einer Semantik, welche einen spezifisch weiblichen ‚Geschlechtscharakter‘ moralisch normiert“ (ohne dabei auf die Sinne einzugehen), vgl. Stanitzek (1989), Blödigkeit, S. 233–242.
Dürbeck unterstreicht: „Fast alle Ärzte, aber auch an medizinischen Fragen interessierte Laien, bezogen Stellung zu dieser Streitfrage, die so alt ist wie die medizinische Beschäftigung mit dem Menschen. Im Abendland reicht die Tradition zurück bis zu Aristoteles, Hippokrates, Galen und Plinius, die eine ausufernde Kasuistik hervorbrachten, und auf die man sich noch in der Frühen Neuzeit wie in der Aufklärungsepoche mit immer neuen Fallbeispielen berufen konnte.“ Gabriele Dürbeck, Einbildungskraft und Aufklärung. Perspektiven der Philosophie, Anthropologie und Ästhetik um 1750, Tübingen 1998, S. 156–157. Auf die Muttermale konzentriert sich in der deutschsprachigen Aufklärung besonders der Arzt und Naturforscher Johann Gottlob Krüger (1715–1759). Vgl. Johann Gottlob Krüger, D. Johann Gottlob Krügers […] Versuch einer Experimental=Seelenlehre, Halle/Helmstädt 1756, S. 156–163 (§ 38–39). Er nimmt an, dass sich die Figur dessen, was die Mutter gesehen habe, in der Form des Muttermals wiederfinde: „Ein berühmter Gelehrter auf einer benachbarten Universität, zeigte mir vor ungefähr zwölf Jahren in seinen einem Auge die vollkommene Gestallt einer Fliege mit einen Flügel, und der andere Flügel war in dem andern Auge eben so sauber abgemahlt, doch ohne daß ihm dieses am Sehen im geringsten gehindert hätte. Er erzählte mir dabey, daß sich seiner Mutter, da sie mit ihm schwanger gegangen, eine Fliege auf das Auge gesetzt, welche sie mit der Hand todt geschlagen, und den einen Flügel, der an den Fingern kleben geblieben, in das andre Auge gewischt hätte.“ Ebd., S. 157 (§ 38).
„[S]ich Versehen an etwas, Heisset bey denen schwangern Weibern, wann sie sich bey Anschauung ein und anderen Dinges einen solchen starcken Concept und Einbildung machen, daß hernach solche Phantasie durch ihre Krafft und Impression bey Bildung und Formirung der Geburth, von solchen vor Augen habenden Object der sich formirenden Frucht etwas mit anklebet und zueignet; z. Ex. Hasen=Scharten, Feuer=Mähler, u. d. g.“ Amaranthes (1715), Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer=Lexicon, S. 2071; vgl. Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 47, Leipzig/Halle 1746, S. 1785; vgl. Ute Helduser, Imaginationen des Monströsen. Wissen, Literatur und Poetik der „Missgeburt“ 1600–1835, Göttingen 2016, S. 55. Das Gegenstück zum Versehen ist der bis ins alte Ägypten zurückreichende Volksglaube des ‚bösen Blicks‘. In seiner Geschichte der Mathematik (1797) verweist Abraham Gotthelf Kästner humoristisch auf einen solchen speziell von Frauen ausgehenden Blick: „Noch der so spitzfindige Andreas Rüdiger behauptet es […], daß alte Weiber mit ihren Augen schaden, (von jungen Mädchen glaube ich es selbst) und eines Mannes oculorum acies so groß gewesen sey, daß sie seine Brillen nach und nach durchbohrt habe, und er öfters andre Brillen gebraucht.“ Abraham Gotthelf Kästner, Geschichte der Mathematik seit der Wiederherstellung der Wissenschaften bis an das Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Zweyter Band, Göttingen 1797, S. 247.
Vgl. Pierre Louis Moreau de Maupertuis, Venus physique. Contenant deux dissertations, L’une, sur l’origine des hommes et des animaux; Et l’autre, sur l’origine des noirs, La Haye 1746, S. 85–90.
Vgl. ebd., S. 4–5.
Maupertuis verweist auf eine in den Jahren 1724 bis 1740 in den Mémoires de l’Académie Royale des Sciences geführte Debatte zwischen den Medizinern Louis Lémery (1677–1743) und Jacques-Bénigne Winslow (1669–1760) über die Frage, ob die Fehlbildung bereits im Samen oder dem Ei vorgebildet sei oder sich erst durch äußere Einflüsse entwickle, ohne jedoch klar Position zu beziehen. Vgl. ebd., S. 80–84; vgl. Helduser (2016), Imaginationen des Monströsen, S. 86. Auf den Zusammenhang zwischen der Präformationslehre und dem Standpunkt der Imaginationisten verweist auch Dürbeck im Zusammenhang mit der von ihr als ersten Höhepunkt der Debatte im 18. Jahrhundert (mit Auswirkungen weit über den englischen Sprachraum hinaus) bezeichneten Auseinandersetzung zwischen den Ärzten James Augustus Blondel (ca. 1666–1734) und Daniel Tuner (1667–1741). Vgl. Dürbeck (1998), Einbildungskraft und Aufklärung, S. 157–159 und S. 174–175; vgl. Helduser (2016), Imaginationen des Monströsen, S. 73–84.
„Qu’une femme troublée par quelque passion violente, qui se trouve dans un grand péril, qui a été épouvantée par un animal affreux, accouche d’un enfant contrefait, il n’y a rien que de très facile à comprendre. Il y a certainement entre le Fœtus & sa mère, une communication assez intime, pour qu’une violente agitation dans les esprits ou dans le sang de la mère, se transmette dans le Fœtus, & y cause des desordres auxquels les parties de la mère pouvoient résister, mais auxquels les parties trop délicates du Fœtus succombent. Tous les jours nous voyons ou éprouvons de ces mouvemens involontaires, qui se communiquent de bien plus loin que de la mère à l’enfant qu’elle porte.“ Maupertuis (1746), Venus physique, S. 86. 1723 erklärt Christian Wolff den Einfluss der schwangeren Mutter auf die körperliche Entwicklung des ungeborenen Kindes mit dem Blut, welches beide austauschen: „Weil das Geblütte sich aus der Mutter in die Frucht und aus der Frucht in die Mutter beweget […]; so muß das Blut des Kindes in seiner Bewegung eben solchen Veränderungen unterworffen seyn, die das Blut der Mutter leidet. Weil nun dieses durch ihre Sinnen und Einbildungs=Krafft in allerhand ausserordentliche Bewegungen gesetzt werden kann […]; so muß auch zu gleich das Geblüte des Kindes darein gerathen. In der Frucht ist, sonderlich im Anfange, noch alles sehr weich und kan daher durch eine starcke Bewegung des Geblütes leicht eine Verrückung oder auch wohl gar eine Verletzung einiger Theile erfolgen.“ Wolff (1981), Deutsche Physik, S. 724 (§ 448). Zu Wolff vgl. Helduser (2016), Imaginationen des Monströsen, S. 75–80. Nicolai stellt diese Übertragung über das Blut in den Mittelpunkt, vgl. Ernst Anton Nicolai, Ernst Antons Nicolai […] Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen und Mondkälber, Halle 1749, S. 69–78 (§ 26–30). Bei Krüger findet sich ein Bericht von der Heilung dieser Folgen der Einbildungskraft durch Blut. Vgl. Krüger (1756), Versuch einer Experimental=Seelenlehre, S. 158 (§ 38). Wolff verweist auf Malebranches De la recherche de la vérité. Dieser geht gar davon aus, dass der Fötus dasselbe sehe und höre wie seine Mutter. Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 174.
Maupertuis (1746), Venus physique, S. 88.
Ebd., S. 85–86; vgl. ebd., S. 89–90. Das Beispiel der Früchte findet sich bei Malebranche: „Car non seulement elles font des enfants difformes, mais encore des fruits dont elles ont souhaité manger; des pommes, des poires, des grappes de raisin et d’autres choses semblables. Les mères imaginant et désirant fortement de manger des poires, par exemple, les enfants si le fœtus est animé, les imaginent et les désirent de même avec ardeur: et (que le fœtus soit ou ne soit pas animé) le cours des esprits excité par l’image du fruit désiré, se répandant dans un petit corps fort capable de changer de figure à cause de sa mollesse; ces pauvres enfants deviennent semblables aux choses qu’ils souhaitent avec trop d’ardeur.“ Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 180–181; vgl. Krüger (1756), Versuch einer Experimental=Seelenlehre, S. 158 (§ 38).
Vgl. Maupertuis (1746), Venus physique, S. 87–88. Das Beispiel findet sich bereits bei Malebranche. Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 178–179. Meistens führe die starke emotionale Reizung jedoch zur Fehlgeburt.
Vgl. Maupertuis (1746), Venus physique, S. 86–87. So bereits bei Malebranche und Wolff. Vgl. Malebranche (1979), De la recherche de la vérité, S. 174–177; vgl. Wolff (1981), Deutsche Physik, S. 725–726 (§ 448).
Dieses Argument geht auf Malebranche zurück. Vgl. Helduser (2016), Imaginationen des Monströsen, S. 66–67.
Nicolai (1749), Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen, S. 65 (§ 25). Nicolai stützt sich bei seinen Beispielen im Wesentlichen auf Maupertuis, verweist aber auch auf Malebranche und Wolff. Vgl. ebd., S. 64–68 (§ 25) und S. 71–74 (§ 27). Ähnlich argumentiert Röderer. Vgl. Dürbeck (1998), Einbildungskraft und Aufklärung, S. 169–170. Krüger nimmt hingegen alle bekannten Geschichten auf und fügt weitere hinzu. Vgl. Krüger (1756), Versuch einer Experimental=Seelenlehre, S. 156–163 (§ 38–39). Mit seiner Schrift antwortet Krüger auf eine 1756 von der St. Petersburger Akademie ausgeschriebene Preisfrage. Der Leipziger Arzt Carl Christian Krause (1716–1793) gewinnt die Ausschreibung mit einer Schrift, in der er sich für den Einfluss der Einbildungskraft der Mutter über die Nerven auf das Kind ausspricht. Vgl. Carl Christian Krause, Herrn Carl Christian Krausens […] Abhandlung von den Muttermälern, welche mit dem, von der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg, auf das Jahr 1756 ausgesetzten Preise gekrönt worden; Nebst einer andern Abhandlung, welche die gegenseitige Meynung behauptet, aus dem Lateinischen übersetzt von C. A. Wichmann, Leipzig 1758. Die Gegenmeinung wird von der Preisschrift des Göttinger Professors für Geburtshilfe Johann Georg Röderer (1726–1763) vertreten. Vgl. Dürbeck (1998), Einbildungskraft und Aufklärung, S. 159–173.
Nicolai (1749), Gedancken von der Erzeugung der Misgeburthen, S. 69 (§ 26). Zu Nicolai vgl. Gabriele Dürbeck, „Physiologischer Mechanismus und ästhetische Therapie. Ernst Anton Nicolais Schriften zur Psychopathologie“, in: Carsten Zelle (Hg.), „Vernünftige Ärzte“. Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung, Tübingen 2001, S. 104–119; vgl. Helduser (2016), Imaginationen des Monströsen, S. 80–82.
Helduser unterstreicht zu Recht, dass die Annahme eines Einflusses der mütterlichen Einbildungskraft auf den Fötus im 18. Jahrhundert keinesfalls zum Aberglauben zu rechnen ist, sondern von den Autoren sogar gegen den Wunderglauben (in Gestalt allzu fantasievoller Fallgeschichten) vorgebracht wird. Vgl. ebd., S. 60.
Vgl. Johann Theodor Eller, „Recherches sur la force de l’imagination des femmes enceintes sur le foetus, à l’occasion d’un chien monstrueux“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres de Berlin. Année 1756, Berlin 1758, S. 3–19, hier: S. 8–10. Ähnlich argumentiert Röderer – jedoch gegen den Einfluss der Einbildungskraft der Mutter auf das ungeborene Kind. Vgl. Dürbeck (1998), Einbildungskraft und Aufklärung, S. 163–168.
Dies kann auch erklären, warum Blondels Schriften – in denen er sich klar gegen den Einfluss der mütterlichen Einbildungskraft auf das ungeborene Kind ausspricht – im deutschsprachigen Raum einen weniger großen Einfluss ausüben. Vgl. ebd., S. 158–159.
Auch Lessing erwähnt die „Einbildungskraft der Mütter“ in seinem Laokoon. Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie [1766], in: ders., Werke und Briefe in zwölf Bänden, hgg. von W. Barner et al. Band 5/2 (Werke 1766–1769), hg. von W. Barner, Frankfurt a. M. 1990, S. 11–321, hier: S. 25. Einer der bedeutendsten Gegner dieser Auffassung ist der Schweizer Arzt und Dichter Albrecht von Haller, der den Einfluss der Einbildungskraft der Mutter auf den Fötus in den Bereich der Fantasie verweist und dessen Untersuchungen von Fehlbildungen den Grundstein für die moderne teratologische Forschung legen. Vgl. Helduser (2916), Imaginationen des Monströsen, S. 84–99. „Sowohl Mechanisten wie Malebranche als auch Animisten hatten diese Hypothese in ihre Systeme zu integrieren verstanden, so dass erst die Erkenntnis von getrennten Blutkreisläufen bei Mutter und Kind sowie die Fundierung der Physiologie und Anatomie auf überzeugende empirische Grundlagen den Imaginationisten die Unhaltbarkeit ihrer Prämissen vor Augen führte[n].“ Dürbeck (1998), Einbildungskraft und Aufklärung, S. 175. Für Beispiele von Gottsched über Jean Paul bis Wezel und Hoffmann vgl. Helduser (2016), Imaginationen des Monströsen, S. 54–108. Helduser weist aber auch für das 19. und 20. Jahrhundert noch eine Beschäftigung mit der Frage unter Medizinern nach. Vgl. ebd., S. 58 und S. 63. Für den englischen Sprachraum von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert vgl. Marie Hélène Huet, Monstrous Imagination, Cambridge/London 1993.