Kapitel 3 Das innere Sehen und die Kunst

In: Die „krumme Bahn der Sinnlichkeit“
Author:
Evelyn Dueck
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3.1 Das notwendige Vermögen der Sinne (Christian Thomasius, Christian Wolff)

Redevables de mille découvertes à l’expérience, il convenoit en quelque façon, qu’après l’avoir employée si utilement pour surprendre une partie des secrets de la Nature, nous nous en servissions pour épier & pour pénétrer ceux de l’Ame; ce que l’on n’auroit presque pû penser, M. W. l’a tenté, cette même expérience, ce grand instrument qui demande des yeux si perçants, & des mains si habiles, il a osé l’appliquer à l’Ame même, il l’a soumise comme le reste de la Nature à un examen, & l’a assujettie à des loix: entrons à sa suite dans ce labyrinthe, & tâchons de saisir le fil qu’il nous présente pour y marcher.1

1722 veröffentlicht der Philosoph, Mathematiker und Jurist Christian Wolff im dritten Band seiner Deutschen Experimentalphysik das Kapitel „Von dem, was die Vergrösserungs=Gläser zeigen“.2 In der Vorrede zu dieser Schrift – von der bereits 1729 eine überarbeitete Fassung erscheint – stellt er seinen „Versuchen“ die Überlegung voran, die Sinnesorgane reichten für die Erkenntnis der Natur nicht aus und bildeten dennoch deren Grundlage: „Freylich meinen viele, es würden zur Erfahrung weiter nichts als Augen und, wenn es weit käme, die übrigen Sinnen erfordert: allein wie sehr sie sich betrügen, kan man aus gegenwärtigen Versuchen abnehmen.“3 Im Folgenden zählt Wolff die wesentlichen Argumente der skeptizistischen Sinneskritik auf, welche er durch die Mikroskopie beispielhaft veranschaulicht und sogar verschärft sieht. Er verweist erstens auf die Beschränktheit des für das menschliche Auge Sichtbaren, zweitens auf die Überforderung des Sehsinns durch die Anzahl der sichtbaren Objekte und drittens auf die Probleme der richtigen Auswahl und weiteren Verwendung des Gesehenen. Oft übersehe der Naturforscher „das beste und nöthigste“ und wisse seine Beobachtungen nicht richtig einzuordnen.4 Zugleich unterstreicht Wolff den grundlegenden Nutzen der sinnlichen Erfahrung für die Naturforschung: „Unterdessen bleibet es gewiß, daß die Erfahrung die rechte Quelle ist, daraus die Erkäntniß der Natur quillet.“5 Gerade das Mikroskop scheint ihm geeignet, die induktive Methode mit der rationalistischen Philosophie der „genungsame[n] Gewisheit Gründe“,6 der Sinneskritik und dem metaphysischen Apriori einer Gott vorbehaltenen vollständigen Einsicht in die Schöpfung in Einklang zu bringen und so die Naturforschung sowohl philosophisch als auch theologisch zu begründen.7 Die mikroskopischen Versuche lieferten dabei die „untrügliche[n] Proben“8 für zuvor formulierte Annahmen, deren allgemeines Ziel es sei, die „Bequemlichkeit“ des „gemeinen Leben[s]“ zu befördern:9

Da ich nun auf diese Weise zur Erkäntnis der Natur zu gelangen mir vorgenommen; so ist die erste Arbeit, die hierbey vorzunehmen, daß man sich in der Natur fleißig umsiehet, und alles genau anmercket, was man darinnen antrifft, und was daselbst vorgehet, auch in den Schrifften, die von geschickten Männern herausgegeben worden, nachforschet, was sie von natürlichen Begebenheiten und ihren besonderen Umständen angemercket. Allein, weil uns die Natur nicht allzeit zeiget, was wir zu wissen verlangen; so müssen wir keinen Fleiß und keine Kosten sparen zu versuchen, ob wir sie nicht dahin vermögen können, daß sie uns sehen lässet, was zu unserem Unterricht dienet.10

Der Forschende solle nicht nur auf jedes Detail achtgeben, sondern auch sein Vorgehen und die verwendeten Instrumente, mit denen er sich Zugang zu bislang Unsichtbarem verschafft, „haar=klein“ beschreiben, um so die Wiederholbarkeit der Versuche zu ermöglichen.11 Diesem Streben nach Genauigkeit sei es geschuldet, so Wolff, dass die Deutsche Experimentalphysik auf drei Bände angewachsen sei.12 Im ersten Band beschäftigt er sich mit der Schwere und Bewegung von Körpern und vor allem mit der Luft (unter anderem mit dem Wind und der Luftpumpe). Der zweite Band behandelt die Fallgesetze, eine Reihe wissenschaftlicher Instrumente (Barometer, Thermometer) und beschäftigt sich mit dem Feuer, der Wärme, dem Licht und den Farben. Im dritten Band kommt Wolff noch einmal auf den Luftdruck zu sprechen und stellt Versuche zum Schall und zu Magneten sowie Überlegungen über die Tiere und die menschlichen Sinne an.13

Zu diesem dritten Band gehört auch Wolffs Beschäftigung mit dem Mikroskop.14 In der Vorrede rechtfertigt er die Länge dieses Kapitels mit dem Ziel, den Lesern zu vermitteln, „wie man im Experimentiren und Observiren verfahren müsse und wie man die Versuche und Observationen nutzen könne.“15 Wolff beginnt mit einem kurzen Paragrafen über die noch junge Geschichte der Mikroskopie. Er verweist auf Hookes Micrographia (1667) und Antoni van Leeuwenhoeks Briefe an die Royal Society, deren gesammelte Ausgabe er als ein Desiderat der Forschung bezeichnet. Daran anschließend beschreibt Wolff verschiedene Arten von Mikroskopen und erläutert den Unterschied zum Teleskop.16 Der Beschreibung der einzelnen Beobachtungen, die den größten Teil des Kapitels einnehmen, stellt er außerdem einen methodischen Abschnitt voran. Dort empfiehlt Wolff, das Objekt zuerst unter einem wenig vergrößernden Mikroskop zu betrachten und ihm so zu einer ersten Sichtbarkeit zu verhelfen beziehungsweise es vor dem Auge des Naturforschers erst zu konstituieren. Ist das zu untersuchende Objekt teilbar, so sollen dessen Bestandteile in einem zweiten Schritt getrennt voneinander betrachtet werden. Es sei dabei auf „die Figur und Proportion der Theile gegen einander und gegen das gantze, und auf die Verknüpffung der Gliedmassen und Theile“ zu achten.17 Wenn die Größe des Objektes es unmöglich mache, dieses zugleich als Ganzes und in seinen Teilen zu studieren, empfiehlt Wolff, das Objekt in Abschnitten zu betrachten und diese abzuzeichen. Die einzelnen Zeichnungen ließen sich dann zu einem Ganzen zusammensetzen.18 Wolff sieht hier den Schwachpunkt von Leeuwenhoeks mikroskopischen Forschungen, da der niederländische Naturforscher weder habe zeichnen können noch in der Lage gewesen sei, „deutliche und vollständige Begriffe zu formiren.“19 Im Anschluss an die mikroskopische Betrachtung eines Haares kommt Wolff auf die Frage zu sprechen, ob dem Bild unter dem Mikroskop getraut werden dürfe. Er räumt ein, dass das Instrument häufig täusche, will dies jedoch nicht verallgemeinern:

Ich gebe zu, daß bey den Observationen durch Vergrösserungs=Gläser vieler Betrug der Sinnen vorgehe, will auch nicht leugnen, daß unterweilen viel irriges von denen angegeben wird […] allein deswegen folget noch nicht, daß man nicht entscheiden könne, ob die Sache auch würcklich so beschaffen sey, wie sie aussiehet.20

Werde das Objekt unter immer stärkeren Mikroskopen immer deutlicher, verändere sich aber ansonsten nicht, könne man davon ausgehen, dass es sich nicht um eine Täuschung handle.21

Den längsten Versuch widmet Wolff verschiedenfarbigen Proben sogenannten Streusands, und es zeigt sich hier, warum er gerade der Mikroskopie methodologische Bedeutung beimisst. Das Mikroskop macht sichtbar, dass nichts in der materiellen Welt vollkommen gleich aussieht und sich die Erkenntnis der Natur somit auf die Unterscheidung von Objekten und deren Bestandteile gründen lässt. Das Staubkorn lädt als Grundbaustein und theologischer Ausgangspunkt der Physis22 zur Verallgemeinerung dieser Auffassung ein:

Vielmehr lernen wir, daß ein jedes Stäublein Materie von einem jeden andern Stäublein derselben unterschieden ist, und zwar einen solchen Unterscheid hat, den wir im grossen für zulänglich halten die Dinge in gantz verschiedene Arten einzutheilen, wodurch also die Aehnlichkeit völlig aufgehoben wird […].23

Wolff verweist auf den evidenten Bezug zur Definition deutlicher Begriffe, die er in der Deutschen Logik (1713) zur Basis seiner Epistemologie macht.24 Der Vorteil des Mikroskops bestehe nun darin, dieser Unterscheidbarkeit auch dort Evidenz zu verschaffen, wo das menschliche Auge sich zuvor nur eine (sowohl visuell als auch begrifflich) undeutliche Vorstellung machen konnte:

Ich habe auf die schwartze Seite des Tellerleins ein wenig weissen Streusand gestreuet und unter das zusammengesetzte Vergrösserungs=Glaß gebracht. Mit blossen Augen sehen die Körnlein nur wie kleine Stäublein aus und, weil ich den Sand wegbließ, so blieben nur einzele Körnlein oder vielmehr Stäublein hin und wieder hangen. Es war mir nicht möglich das geringste in ihnen zu unterscheiden, so genau als ich sie betrachtete und soviel ich auch das Gesichte anstrengete, daß ich davon einigen Schmertz im Auge empfand.25

Erst unter dem Mikroskop bemerkt Wolff „ein[en] über die maassen merckliche[n] Unterscheid sowohl an der Grösse, als der Figur, auch in der übrigen Beschaffenheit.“26 Dank dieses Unterschieds könne jedes Korn in seiner Einzigartigkeit bestimmt und beschrieben werden. Der epistemologische Wert der Verwendung optischer Instrumente ebenso wie der Sinnesempfindung liegt für Wolff in dieser Steigerung der Deutlichkeit: „Derowegen müssen wir in Wissenschafften den Sinnen nicht weiter trauen, als in so weit sie den Unterscheid der Dinge deutlich zeigen: denn in so weit solches geschiehet, in so weit kann kein Irrthum vorgehen.“27 Beispielhaft will Wolff dies an der „besondere[n] Gestalt einiger Sand=Körnlein“ veranschaulichen, die alle „vortrefflich von einander zu unterscheiden“ seien.28

Die dann folgende Beschreibung löst dieses Versprechen jedoch nicht ein. Wolff beschreibt nicht wie angekündigt die Figur, die Proportion und das Verhältnis der Teile der Staubkörner zueinander, sondern es folgt eine Reihe recht umständlicher Vergleiche, die wenig mehr zu verstehen geben als die Verschiedenheit selbst: „wie ein Crystall“, „wie Glaß, welches von der Nässe zerspringet und unzehlich viel Brüche bekommet, indem es warm ist und kaltes Wasser darauf gegossen“, „wie Stücklein Zucker, wenn die Körnlein etwas grob sind“, „als wenn man ein ausgeblasenes Ey hätte und ohngefehr ein Stücke Schaale unordentlich von oben wegbräche“.29 Wolff bezeichnet diesen Reichtum an Formen als unordentlich und vergleicht sein Empfinden mit einem Blick in die Ferne, „da immer eines auf das andere folget.“30 Er überblendet so den Blick in die Welt des Kleinen mit demjenigen in die Weite und beschreibt in beiden Fällen nicht deren Bestandteile, sondern vielmehr die Überforderung der eigenen Sinne angesichts der Masse des potenziell zu Unterscheidenden. Der Eindruck des Sandkorns unter dem Mikroskop sei mit einem Blick in die Ferne vergleichbar, „als wenn man nach dem Untergange der Sonne gegen den Horizont die Wolcken über und hinter einander gethürmet siehet, da die Einbildungs=Krafft allerhand Figuren herausbringet, wenn man lange darauf siehet.“31 Von dem methodischen Anspruch detaillierter Beschreibung wechselt Wolff über den sprachlichen Vergleich – der statt zu trennen Bildfelder zusammenführt – in den Bereich der Einbildungskraft, also denjenigen von „Vorstellungen solcher Dinge, die nicht zugegen sind […].“32 Die Anhäufung immer neuer Vergleiche entspricht dabei seinem Forschungsobjekt eher performativ und überschreitet auch für Wolff die Grenze zum Wunderbaren:

Von dem was man in dieser perspectivischen Reihe in dem Stäublein erblickte, war immer eines heller als das andere, einiges aber gantz dunckel, einiges blaulicht wie der Himmel: woraus man ersiehet, daß dieses kleine Räumlein, welches das Stäublein einnimmet, gar viel wunderbahre Dinge in sich fassen muß.33

Zwar ist vor diesem Hintergrund der Auffassung Kreimendahls zuzustimmen, weder Wolff noch seine Schüler hätten „nennenswerte Entdeckungen“ im Bereich der Naturforschung vorzuweisen,34 gerade Wolffs Überlegungen zur sinnlichen Empfindung bilden jedoch eine wichtige Grundlage für die Entwicklung der wissenschaftlichen Ästhetik bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein. Besonders einflussreich ist dabei neben der die Philosophie entscheidend prägenden Terminologie Wolffs Formulierung der in ihrer modernen Form auf Kepler und Descartes zurückgehenden Unterscheidung des physischen und des geistigen Sehvorgangs sowie die hieraus abgeleitete Annahme, die Bewegungsübertragung im Körper könne nicht falsch sein.35 Wolff macht die Sinne so zu einem Teil der rationalistischen Epistemologie und grenzt sie zugleich von der skeptizistischen Sinneskritik und den sensualistischen (oder gar materialistischen) Theorien ab.

Wie Kepler ordnet Wolff den physischen und den geistigen Vorgang unterschiedlichen Forschungsfeldern zu. Optik und Anatomie beschäftigen sich mit der Untersuchung des körperlichen Sehens.36 Der dritte Teil der Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften (1710) befasst sich folglich mit der Optik, Katoptrik, der Dioptrik und der zeichnerischen Perspektive. Die geistige Wahrnehmung hingegen verweist Wolff in den Aufgabenbereich der Metaphysik:37

Ich habe nur die Gesetze erkläret, nach welchen sich die Natur im Sehen richtet: welches auch die Absicht der Optick ist. Woher es aber kommt, daß, wenn ein Bildlein von einer Sache in dem Auge formiret wird, wir uns derselben als ausser uns bewust sind […] dieses wollen und dürfen wir hier nicht untersuchen. Wir haben aber solches in der Metaphysik ausgeführet.38

Dieser Hinweis auf die Distanzwahrnehmung ebenso wie die Tatsache, dass Wolff alle wichtigen Namen der Optikgeschichte von Euklid bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts anführt, und die genaue Beschreibung des umgekehrten Bildes auf der Retina machen deutlich, dass er neben den antiken die deutsch-, französisch- und englischsprachigen Diskurse rezipiert hat.39 Über Kepler schreibt Wolff 1750, er habe „die wahre Beschaffenheit des Sehens entdeckt“.40

Anders als Kepler ist sich Wolff jedoch sicher, dass die Lichtstrahlen ebenso wie der Schall oder die Berührung als Bewegungsimpulse über eine Nervenflüssigkeit ins Gehirn übertragen werden:41 „Das Licht, welches auf dem netzförmigen Häutlein ein der Sache ähnliches Bildlein formiret, theilet dem Gesichts=Nerven eine Bewegung mit, die bis in das Gehirne gebracht wird […]. Und hierinnen bestehet die Veränderung, welche in dem Leibe vorgehet, indem wir sehen.“42 Die physische Veränderung sei jedoch noch keine Empfindung (Wolff verweist auf das retinale Bild im Auge eines Toten). Diese entstehe erst durch den bewussten, geistig-seelischen Umgang mit den physischen Impulsen. Er bezeichnet ihn als Erfahrung und nimmt an, er verschaffe dem Menschen nicht nur Zugang zur äußeren Welt, sondern ermögliche ihm auch, die eigene Seele zu untersuchen.43 Obgleich damit die seelisch-geistigen Vorgänge von der Vorstellung bis zur Formierung von Begriffen auf den körperlichen Veränderungen beruhen,44 unterscheidet Wolff beide Bereiche klar:

Vielleicht werden sich einige wundern, daß ich die Empfindungen unter die Gedancken der Seele rechne; denn sie werden meinen, daß die Empfindungen für den Leib gehören. Wir sagen ja, das Auge siehet, das Ohr höret, die Nase riechet, die Zunge schmecket, der Leib hat ein Gefühle. Allein, es ist aus dem vorhergehenden zu sehen, daß bey einer jeden Empfindung so wohl eine Veränderung in unserem Leibe geschiehet, als auch daß wir uns derer Dinge, die diese Veränderung veranlassen, bewust sind […]. Beyde müssen bey einander seyn, wenn wir sagen, daß wir empfinden.45

Wolff stützt sich bei der Frage des commercium mentis et corporis (das „bey einander seyn“) auf Leibniz’ Theorie der prästabilierten Harmonie. Obgleich er nicht ausschließen will, dass die Hirnforschung eines Tages den Übergang von Körper und Geist sichtbar machen werde, hält Wolff Leibniz’ Theorie für die bislang überzeugendste Erklärung.46 Die Seele habe die Bilder und Begriffe, so Wolff in der Deutschen Metaphysik (1720), „in der That schon in sich, nehmlich auf die Art und Weise, wie es in ihr als einem endlichen Dinge […] möglich ist, nicht würklich, sondern bloß dem Vermögen nach […].“47 Ausdrücklich richtet er sich gegen den Sensualismus Lockes und nimmt an,48 die Seele „wickel[e] sie [i. e. die Bilder] nur gleichsam in einer mit dem Leibe zusammenstimmenden Ordnung aus ihrem Wesen heraus“ und bestimme sich selbst dazu, „das mögliche würcklich zu machen.“49 Er fügt hinzu, dass das retinale Bild den geistigen Vorstellungen visuell ähnlich sei,50 weil sich die Seele nach den körperlichen Impulsen im Gehirn richte und dabei nicht nur alle von den Nerven weitergeleiteten Unterschiede in den „Pünctlein“ und Bewegungen beibehalte,51 sondern die geistigen Vorstellungen auch zeitgleich mit den physischen Vorgängen enstünden: „Wenn die äusserlichen Dinge eine Veränderung in den Gliedmassen unserer Sinnen hervor bringen; so entstehen in unserer Seele zugleich Empfindungen […].“52 Das Gehirn bestimmt Wolff als eine „Werckstat / darinnen die Veränderungen sich ereignen / mit denen die Empfindungen und andere Verrichtungen der Seelen vergesellschafftet sind.“53 Er warnt jedoch davor, der Frage des commercium mentis et corporis „der Wahrheit zum Nachtheile“54 zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, und schließt seine Überlegungen mit dem Hinweis, dass die Philosophie nicht von etwas ausgehen dürfe, von dem sie (noch) keinen deutlichen Begriff habe:55

Wir nehmen weiter nichts wahr, als daß zwey Dinge zugleich sind, nehmlich eine Veränderung, die in den Gliedmassen der Sinnen vorgehet, und einen Gedancken, dadurch sich die Seele der äusserlichen Dinge bewust ist, welche die Veränderung verursachen. Keinesweges aber erfahren wir eine Würckung des Leibes in die Seele. Denn wenn dieses seyn solte, müsten wir von ihr einen, ob zwar nicht deutlichen, doch wenigstens klaren Begrif haben […]. Wer aber auf sich selbst genau acht hat, der wird finden, daß er von einer dergleichen Würckung nicht den allergeringsten Begrif hat. Und demnach können wir nicht sagen, es sey die Würckung des Leibes in die Seele in der Erfahrung gegründet. […] Unterdessen ist wohl zu mercken, daß man hier deswegen die Würckung des Leibes in die Seele noch nicht verwirft, sondern man lässet es zu weiterer Untersuchung ausgesetzet.56

Obgleich sich Wolff also nicht festlegen will, nimmt er doch an, dass die geistig-seelische Empfindung sich auf die Richtigkeit der körperlichen Impulse verlassen könne. Er stützt sich dabei auf Descartes’ Theorie der Bewegungsübertragung und definiert die physischen Sinne als Organe, welche die materielle Welt außerhalb des eigenen Körpers unmittelbar empfinden: „Das Vermögen, Dinge, die ausser uns sind, unmittelbahr zu empfinden, führet den Namen der Sinnen, deren man fünf zu zehlen pfleget, als Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken.“57 Hiervon ausgehend verfüge die Empfindung über einen möglichen,58 das heißt einen auf Gründen beruhenden Zugang zur äußeren Welt, von dem ein Wahrheitsanspruch abgeleitet werden könne: „Wenn wir durch die Sinnen zu einem Begriffe geleitet werden; so ist nicht zu zweiffeln, daß er möglich sey. Denn wer wolte zweifeln, daß dieses seyn könne, welches wir würcklich antreffen; daher legen dergleichen Art Begriffe einen sichern Grund zu richtiger Erkäntniß.“59 Anders als Descartes, der die Entscheidung über die Wahrheit einer Erkenntnis gerade nicht auf die Sinne stützen will, schließt Wolff von der mechanischen Übertragung der Bewegungen im Körper auf deren notwendige Richtigkeit und macht sie so zu einer verlässlichen Basis für die geistig-seelische Empfindung und die Erkenntnis der materiellen Welt. Kreimendal bezeichnet dies als die „Isomorphiethese“ Wolffs, da der Philosoph davon ausgehe, „dass der Vernunft und der Erfahrung isomorphe Strukturen zugrunde liegen.“60

Zwar fügt sich diese „Isomorphiethese“ in Leibniz’ Theorie der prästabilierten Harmonie, sie findet sich jedoch auch bereits 1688 in Thomasius’ früher Schrift Introductio ad philosophiam aulicam und wird von den Thomasius- Anhängern in Halle und Leipzig ohne grundlegende Änderungen über das erste Drittel des 18. Jahrhunderts hinaus weitergegeben:61 „Primum criterium veritatis diximus esse sensum.“62 Unter Verweis auf Descartes63 beschreibt auch Thomasius die physische Sinnesempfindung als einen durch Bewegung ausgelösten mechanischen Eindruck im Gehirn, den er als unmittelbar und notwendig bezeichnet.64 Wie Wolff unterstreicht er, dass der Mensch seine Seele erst anhand des Umgangs mit den körperlichen Eindrücken erfassen und untersuchen könne, denn dieser sei die „prima mentis operatio“.65 Thomasius fasst diesen Umgang als „innerliche[n] Rede“, die der Mensch beständig mit sich selbst über die physischen Sinneseindrücke führe.66 Durch diese empfinde er passiv die Existenz und Wirkung der einzelnen, materiellen Dinge, mit dem Verstand hingegen aktiv die Essenz und Ursache der allgemeinen, geistigen Dinge.67 In den Grundlehren des Natur- und Völkerrechts (1709) nennt Thomasius diesen Umgang mit den Eindrücken im Gehirn schlicht die „menschliche Sinnligkeit“ und unterscheidet sie klar von den „äuserlichen oder bestialischen Sinne[n]“.68 Anders als Wolff verbindet er diese Unterscheidung mit der zentralen sensualistischen Maxime, die – so unterstreicht er – ohne Ausnahme wahr sei: „Es ist nichts im Verstande / das nicht zuvor in den Sinnen gewesen / s) Item: Was man nicht kennet / das achtet man nicht.“69 Peter Schröder unterstreicht in seiner Einführung zu Thomasius’ Werk, dass diese sensualistische Position nicht der Rezeption von Lockes Essay Concerning Human Understanding (1690) enstammen kann, da der Essay erst zwei Jahre nach der Göttlichen Rechtsgelahrtheit (1688) erscheint.70 Thomasius’ zahlreiche Verweise auf Gassendi legen nahe, dass er diesen Gedanken von dem frühen Sensualisten übernommen und nicht – wie Schröder nahelegt – selbst entwickelt hat.71 Den Umgang der seelisch-geistigen Empfindung mit den körperlichen Eindrücken – in dem auch Thomasius den Unterschied von Mensch und Tier sieht72 – entwirft er jedoch anders als der französische Sensualist als einen evidenten Prozess von Ursache und Wirkung:

Nachdem die äusserlichen objecta die äuserlichen Sinnligkeiten gerühret / folget die erste Wirckung des Verstandes / darauf folget die Begierde / welche entweder stracks der Bewegungs=Krafft befiehlet / q) oder die Sache die sie überlegen will r) der andern Wirckung des Verstandes zuschicket […].73

Deutlich wird hier, dass für Thomasius weniger die körperlichen Impulse oder der geistig-seelische Umgang im Zentrum stehen, sondern die auf beide folgende Handlung. Die Annahme, erstens, einer notwendigen Übertragung im Körper und, zweitens, eines bewussten Umgangs mit dieser ermöglicht Thomasius eine anthropologische Begründung seiner Rechtslehre. Nur wenn davon ausgegangen werden kann, dass ein Mensch sich (meist) auf seine Sinne verlassen kann und sich seiner Empfindungen bewusst ist, das heißt dass er sowohl über Erkenntnisfähigkeit als auch über Willensfreiheit verfügt, ist es möglich, ihn für seine Handlungen verantwortlich zu machen:

Da nun der Mensch lebet / isset und trincket / wächset / sich von einem Ort zum andern beweget / empfindet / verstehet und will / müssen wir nun auch betrachten / welche Verrichtungen des Menschen durch die Gesetze regieret werden? Uberhaupt diejenigen / welche in des Menschen Willkühr stehen. u) Nun sinds aber diese nicht / die man insgemein zur wachsthümlichen Seele rechnet / noch die Leidenschafften der äuserlichen Sinne / x) noch die erste Wirckung im Verstande / auch nicht die ersten Bewegungen in der Begierde. Bleiben derhalben die Verrichtungen übrig / die in des Menschen Willkühr stehen / nemlich die Abfertigung des Willens zur andern Wirckung des Verstandes / und auff gewisse masse y) die andere Wirkung des Verstandes selbst mit der drauff folgenden Wahl / Item ordentlicher weise die Bewegungs=Krafft.74

So könne etwa – erläutert Thomasius in einer Fußnote auf derselben Seite – ein Vater seinem Sohn die Leidenschaft fürs Theater nicht verbieten, wohl aber den Besuch einer Komödie oder das Auswendiglernen eines Gedichts.

Trotz dieser Annahme eines notwendigen und unmittelbaren Vorgangs im körperlichen Bereich der Sinnesempfindungen geraten die Beeinflussbarkeit und in Wolffs Schriften die Begrenztheit und Täuschungsanfälligkeit der Sinne nicht aus dem Blick. Mit Verweis auf das heliozentrische Weltbild erinnert Wolff an die Tatsache, dass die Sinne die dem Körper äußere Welt nicht immer so zeigen, wie sie tatsächlich beschaffen ist und damit zu Irrtümern Anlass geben.75 Mit der Thematisierung der Distanz- und Größenwahrnehmung verweist er auf die um 1700 in der Epistemologie am intensivsten diskutierte optische Frage und zeigt in der Deutschen Metaphysik, dass er mit den Problematiken des retinalen Bildes vertraut ist.76 Wie Kepler sieht Wolff in der Kenntnis der Naturgesetze und der mathematischen Wissenschaften die Möglichkeit, diese Täuschungen zu korrigieren, und ruft dazu auf, im Umgang mit den Sinnesimpulsen auf den Verstand zu setzen: „Die Optick und zum Theil die Astronomie weisen einen klaren Unterscheid zwischen der Erkenntniß des Verstandes und der Vorstellung der Dinge in den Sinnen und der Imagination.“77 Neben diesen Verweisen auf die zeitgenössischen Diskurse dominieren jedoch Argumente, die an eine theologische Infragestellung der Sinne anschließen und sie in die Nähe der Affekte und Leidenschaften und damit in Opposition zum (vor allem mathematisch gebildeten) Verstand positionieren,78 den „nicht mehr ein jeder Wind der Lehre bald hieher, bald dorthin treiben dürffe[n], wie wir sehen, daß denjenigen wiederfähret, die ihre fünf Sinnen an statt des Verstandes brauchen wollen.“79 In der Deutschen Ethik hält Wolff den Sinnen vor, sie schläferten das Gewissen ein, da sie nur das Gegenwärtige zeigten und so begehrenswert machten. Erstrebenswert erscheine dem seinen Sinnen folgenden Menschen nurmehr das Angenehme, welches häufig nicht mit dem Tugendhaften in Einklang zu bringen sei.80 Ursachen und vor allem Konsequenzen der Sinneslust gerieten so aus dem Blick:

Da nun aber bey den Affecten der Mensch nicht bedencket, was er thut […], und er demnach seine Handlungen nicht mehr in seiner Gewalt hat; so wird er gleichsam gezwungen zu thun und zu lassen, was er sonst nicht thun, noch lassen würde, wenn er deutlich begriffe, was es wäre. Derowegen weil die Affecten von den Sinnen und der Einbildungs=Kraft herrühren […]; so macht die Herrschaft der Sinnen, der Einbildungs=Kraft und Affecten die Sclaverey des Menschen aus. Und nennet man dannenhero auch Sclaven diejenigen, welche sich ihre Affecten regieren lassen, und bloß bey der undeutlichen Erkäntniß der Sinnen und Einbildungs=Kraft verbleiben.81

Die Sinne zerstreuten den Menschen und verhinderten die für Philosophie und Naturforschung so wichtige Aufmerksamkeit: „Z. E. In einem sehr warmen Zimmer, wo man in der Nähe viel lermet, absonderlich wenn man starck dürstet und dabey grosse Kopf=Schmertzen empfindet, fället es schwer darauf acht zu haben, was man liset.“82 Vor allem in der Deutschen Teleologie führt Wolff die raum-zeitliche Begrenztheit der menschlichen Sinne mit theologischen Argumenten zusammen. Jedem Menschen sei durch die Sinne nur eine „besondere Probe von dieser / oder jener göttlichen Vollkommenheit“ zugänglich:83 „[S]o lernen wir dadurch die enge Schrancken unserer Sinnen und unserer Einbildungs=Krafft erkennen / und ihren Grad der Vollkommenheit / wie geringe er ist / ermessen […].“84 Dem mit den Blicken nicht zu erfassenden Ausmaß des Weltalls85 entspreche der (unter dem Mikroskop noch evidentere) Detailreichtum eines jeden Blickfeldes: „Weil nun aber die Vorstellungen der cörperlichen Dinge so gar viel in sich fassen […] insonderheit auch die Betrachtungen / die man durch die Vergrösserungs=Gläser anstellet / ausweisen […] / daß es im kleinen so herunter / wie im grossen hinauf gehet […].“86 Wolff beschäftigt vor allem die Tatsache, dass jedes neue, schärfere Mikroskop die zuvor für deutlich gehaltene Empfindung als verworren denunziert und die Frage aufwirft, ob der Mensch überhaupt in der Lage ist, ein Objekt der materiellen Welt vollkommen deutlich zu sehen: „Aber eben deßwegen weil ein jedes Stäublein der Materie unendlichen vielen Unterscheid in sich fasset […] / so ist auch kein Mensch geschickt durch die Vernunfft heraus zu wickeln / was die Sinnen darinnen verwirren.“87 Zumindest aber erlaubt das Mikroskop dem Menschen – so zeigen es Wolffs Versuche mit Streusand –, diese Beschränktheit und Vorläufigkeit seines Wissens zu erfassen. Wolffs Theorie der Sinnesempfindung unternimmt so den Versuch, die rationalistische Philosophie nicht auf die pauschale Abwertung oder Infragestellung der Sinne aufzubauen, sondern sie mit der empiristischen Naturforschung ebenso wie mit den zeitgenössischen optischen und anatomischen Kenntnissen in Einklang zu bringen. Zwar erweisen sich dabei die Annahme einer unmittelbaren und notwendigen Übertragung der Impulse im Körper sowie Wolffs Isomorphiethese als besonders prägend, dies darf aber nicht die Tatsache verdecken, dass Wolff sich auch affirmativ mit den wichtigsten Argumenten der skeptizistischen Sinneskritik beschäftigt.

Wolffs Überlegungen zur sinnlichen Empfindung lassen sich also keineswegs mit dem einfachen Verweis auf ein ‚klassisches‘ oder ‚rationalistisches‘ Wahrnehmungsmodell angemessen erfassen. Seine Schriften zeugen nicht nur von einer genauen Kenntnis der Theorien der Sinnesempfindung des 17. Jahrhunderts, sondern nehmen auch die wichtigsten Argumente der skeptizistischen wie theologischen Sinneskritik in die Ausarbeitung der eigenen Theorie auf. Eine besondere Rolle kommt dabei der bei der Umsetzung im Bereich der Mikroskopie deutlich werdenden Überforderung des Sehsinns zu. Wolff versucht dieser Herausforderung zwar mit der Beschränkung des Gesichtsfeldes zu begegnen, muss aber feststellen, dass eine deutliche Unterscheidung der Figuren und Proportionen aller Bestandteile selbst eines einzigen Staubkorns seine visuelle Aufnahmefähigkeit überfordert. Wolffs These von der Verlässlichkeit der physischen Sinnesempfindung geht also nicht mit der Behauptung ihrer unmittelbaren Deutlichkeit einher, sondern verlagert diese in den Bereich der seelisch-geistigen Wahrnehmung – und auch hier nur als ein erst zu Leistendes. Wolffs Philosophie kennzeichnet damit eine komplexe und oft ambivalente Haltung zum Sehsinn, die gerade mit der Beobachtung einer physiologisch wahren, aber geistig undeutlichen Empfindung auf die Ästhetik als eine Theorie des sinnlich Schönen vorausweist.

3.2 Das Schöne sehen (Johann Christoph Gottsched)

Bereits 1949 vertritt Andrew Brown die Auffassung, dass der „eingeschworene[] Wolffianer“88 Johann Christoph Gottsched bei der Frage der angeborenen Ideen eine sensualistische Position einnehme und damit in einem entscheidenden Punkt von Wolffs Erkenntnistheorie abweiche.89 Brown stützt sich hierfür auf das 48. Stück des zweiten Teils der Vernünftigen Tadlerinnen vom 29. November 1726 mit dem Titel „Gegen das Ammenwesen; über die große Bedeutung der frühen Erziehung“. Dort spricht sich die fiktive Herausgeberin Calliste gegen die Erziehung der Kleinkinder durch Ammen aus und sie plädiert zumindest für deren sorgfältige Auswahl.90 Sie rechtfertigt diese Kritik mit dem direkten Einfluss der Sinnesempfindungen nicht nur auf die Entwicklung der Erkenntnisfähigkeit der Kinder, sondern auch auf deren körperliche Gesundheit, „alle[] Gemüthsneigungen und Begierden […] Tugenden und Laster[].“91 Durch die Empfindung „formirt sich diejenige Beschaffenheit unseres Wesens, welche man das Naturell zu nennen pflegt.“92 In der „Morgenröthe unsers Lebens“93 werde jeder Sinneseindruck besonders stark empfunden, da er nicht durch die Vernunft gedeutet werde und die Seele noch gänzlich leer sei:

Den augenblick da wir gebohren werden, wissen unsre Seelen noch von sich selber nicht. Die Sinne machen den allerersten Eindruck in die leeren Tafeln unsers Gemüthes, und legen den Grund zu allem unserm künfftigen Erkenntnisse. Die Seele erstaunet gleichsam, wenn sich die Augen zum erstenmahle öffnen und in ihr, die bis dahin unbekannten Begriffe von Licht und Farben erwecken.94

Ebenso ergehe es ihr bei den ersten Eindrücken, die sie durch das Ohr, den Mund und die Nase erhalte. Im Mutterleib sei es in der Seele noch „stockfinster“, und erst durch die Sinne erwache sie „gleichsam aus einem tiefen Schlafe“.95 Calliste nimmt wie John Locke an, der menschliche Körper sei vor der Geburt einer Pflanze vergleichbar und gehe als Neugeborenes in das Stadium des Tiers über.96 Das Kind schlafe auch nach der Geburt weiterhin viel, da seine Sinne noch nicht an die neuen Eindrücke gewöhnt seien: „Ihr Gemüthe thut nur zuweilen einen kleinen Blick in die Welt; und gewöhnet sich allmählich den starcken Eindruck der Sinnen zu ertragen.“97 Nach drei Monaten erst beginne der Säugling, die einzelnen Dinge in seiner Umgebung nach deren Ähnlichkeit und Differenz zu unterscheiden und ausgehend von den sinnlichen Vorstellungen Begriffe zu bilden. Diesen Vorgang unterstütze der Erwerb der Sprache durch die Nachahmung der Eltern: „Und dann geht allererst der Gebrauch ihrer Vernunfft recht an. Sie fangen an deutlich zu urtheilen; Sie schließen eins aus dem andern, und werden also zu wircklichen Menschen […].“98

Auch in seinen philosophischen Schriften gründet Gottsched die Theorie der Sinnesempfindung auf die originäre Schwäche des Menschen und deutet diese sowohl onto- als auch phylogenetisch.99 Aufgrund dieser Schwäche richteten sich die ersten Bedürfnisse des Neugeborenen beziehungsweise des ersten Menschen auf seine physische Erhaltung: „Hunger und Durst, Hitze und Frost, sind also wohl seine ersten Lehrmeister gewesen; und man kann daher sagen: daß die sinnlichen Empfindungen uns die ersten Buchstaben der Weltweisheit beygebracht haben.“100 Bis er genügend Erfahrungen gesammelt habe, um sich in seiner Umgebung zu orientieren, sei der Mensch diesen ersten Empfindungen der physischen Not hilflos ausgeliefert. Eine geschützte und wohlgenährte Existenz könne er folglich nur durch die Entwicklung seiner sinnlichen und geistigen Fähigkeiten erreichen. Gottsched sieht die Aufgabe seiner Weltweisheit als einer „Wissenschaft der Glückseligkeit“ darin,101 diesen Weg für den Einzelnen zu erleichtern.102 Die Entwicklung der Sinne und des Verstandes ermöglichten außerdem die Einsicht in die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung und verstärkten so die Freude am physischen durch ein metaphysisches Wohlbefinden: „Das Vergnügen entsteht aus dem Anschauen, oder aus dem Genusse der Vollkommenheiten.“103 Die Sinne dienen damit nicht nur der überlebenswichtigen Erfahrung und Orientierung, sondern bilden auch die Grundlage für eine „gründliche[] Erkenntniß“104 der Welt sowie der theologischen Verortung des Menschen in Raum und Zeit. Gottsched sichert seine sensualistische Position so zugleich gegen die skeptizistische und die theologische Sinneskritik ab und wehrt sich entschieden gegen den „thörichten Wahn[] der Zweifler“.105

Auffallend ist, wie eng Gottsched diese positive Bewertung der Sinne an die Gefühlsqualität bindet. Nicht das Sehen, Hören oder Schmecken allein, sondern das mit ihnen verbundene angenehme oder unangenehme Gefühl ermögliche es dem Menschen, sich in der Welt zurechtzufinden und orientiere so seine Erkenntnisfähigkeit. Der wohligen Wärme oder dem süßen Geschmack entspreche auf der visuellen Ebene der Genuss der göttlichen Vollkommenheit. Auch Gottsched unterscheidet klar zwischen der körperlichen und der seelisch-geistigen Sinnesempfindung: „Empfinden heißt, sich eine Sache in Gedanken vorstellen, oder abbilden.“106 Die körperlichen Organe seien hierbei nur die „Werkzeuge der Sinne“:107

Man kann also die sogenannten fünf Sinne deutlich erklären, wenn man sie als Kräfte der Seele beschreibt, sich diese oder jene Art der Dinge, vermittelst der Augen, der Ohren, der Zunge, u. s. w. klar vorzustellen, oder zu empfinden. Die Seele selbst nämlich sieht, höret, schmecket, riecht und fühlet; nicht aber das Auge, das Ohr, die Zunge, die Nase, oder die Hand: weil zu dem Empfinden ein Bewußtseyn gehöret; wozu diese Gliedmaßen ganz unfähig sind.108

Den Vorgang im Körper beschreibt Gottsched – Descartes und Wolff folgend – als mechanische Übertragung von Bewegungsimpulsen, die den Dingen visuell ähnliche Bilder ins Gehirn eindrückt. Er entwirft das Gehirn dabei als eine Art auf die Retina folgende zweite Leinwand (vgl. Abbildung 15):

Abbildung 15
Abbildung 15

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 496 (Fig. 68).

Den hintersten Boden des Auges umspannet ein netzförmiges Häutlein HH, darein sich der Gesichtsnerven N ausbreitet. Auf diesem Häutlein nun werden alle die Körper, deren Stralen ins Auge fallen, mit lebendigen Farben abgeschildert: und die davon entstandene Bewegung wird von den Gesichtsnerven bis ins Gehirn fortgesetzet.109

Im Gehirn werden dann „bey einer jeden Empfindung […] gewisse materialische Abbildungen von der empfundenen Sache eingedrücket“.110 Wie genau diese Umcodierung von visuell ähnlichen Bildern zu diachronen Bewegungsimpulsen und wiederum Bildern vor sich geht, hält Gottsched jedoch für nicht erklärbar: „Was nun daselbst, nach Verschiedenheit der Bilder, für unterschiedliche Bewegungen entstehen mögen, und wie diese, vermittelst des Nervensaftes, hernach in die andern Gliedmaßen des Leibes wirken; das können wir weder wissen, noch erklären.“111 Dennoch ist er überzeugt, dass beide Bereiche in einem notwendigen Verhältnis zueinander stehen und damit – trotz der unbekannten Vorgänge – von den körperlichen Sinnesempfindungen ein Erkenntnisanspruch abgeleitet werden kann, den Gottsched allerdings vorsichtiger formuliert als die Thomasianer.112 Die seelisch-geistigen Bilder müssten den gesehenen Dingen „einigermaßen ähnlich seyn“,113 denn nur so lasse sich erklären, warum der Mensch sich in der Welt zurechtfinde:

Der Obersatz dieser Schlußrede heißt also: Was ich vermittelst meiner Sinnen empfinde, das ist wahr; der Untersatz aber so: Dieses oder jenes empfinde ich durch die Sinne. Beyde müssen wahr und fest seyn, wenn der Schlußsatz nicht zweifelhaft seyn soll. So schwer es aber ist, so wohl den einen, als den andern Satz zu der Gewißheit zu bringen, daß so wohl ein Zweifler, als ein Idealist sie zugeben muß: so sicher verläßt sich doch fast das ganze menschliche Geschlecht auf dieselben; indem es sie beyde ohne Beweis annimmt, und sich doch selten dabey betrogen findet.114

Zwar geht Gottsched also wie der Sensualismus davon aus, dass der Mensch erst durch den Gebrauch der Sinne zu einer Erkenntnis seiner selbst und der ihn umgebenden Welt gelangt, und verbindet hiermit sogar einen für die Sinnesempfindung allgemein geltenden Erkenntnisanspruch, er entwirft den physischen Vorgang jedoch als rein mechanische Übertragung von Bewegungsimpulsen und verortet alle wesentlichen Aspekte der Empfindung in einem seelisch-geistigen Bereich.

Wolffs auf Leibniz und Descartes zurückgehende Terminologie aufgreifend, unterscheidet Gottsched zwischen der klaren (wiedererkennbaren) und dunklen, der deutlichen (benennbaren) und undeutlichen Empfindung sowie zwischen der ausführlichen (immer ausreichend, um ein Objekt zu unterscheiden) und mangelhaften, der vollständigen und unvollständigen Empfindung.115 Der von den mechanischen Vorgängen im Körper abgeleitete Erkenntnisanspruch gilt so zwar für die Sinnesempfindung allgemein, als Grundlage für die Begriffsbildung verbindet Gottsched mit der graduellen Charakterisierung der Empfindungen allerdings eine klare Wertung: „Die ausführlichen Begriffe sind also besser, als die unausführlichen; die deutlichen besser, als die undeutlichen; die klaren besser, als die dunkeln.“116 Der Mensch könne und solle sogar mit seinen Vermögen der „Aufmerksamkeit auf unsere Empfindungen“,117 der Scharfsinnigkeit („in kurzer Zeit viel an einem Dinge wahrzunehmen“118 ) und des Witzes („Vermögen, die Aehnlichkeiten der Dinge leicht wahrzunehmen“)119 die einzelnen Empfindungen zu möglichst deutlichen Begriffen führen.120 So solle beispielsweise der Naturforscher alle Bestandteile eines Objektes aufmerksam betrachten und dabei auf die Unterschiede, Ähnlichkeiten und Verbindungen der Teile zueinander achten, um so nach und nach zu einem deutlichen Begriff des Objektes zu gelangen.121 Die seelisch-geistige Empfindung wird damit zwar in einem allgemeinen Sinne als wahr, ihr Nutzen für die Begriffsbildung und damit rationale Erkenntnis jedoch unter dem Blickwinkel der Perfektibilität betrachtet. Nicht das Licht oder die mechanische Übertragung der Impulse im Körper, wie dies Blumenberg formuliert, sondern die seelisch-geistige Empfindung und vor allem die hieraus abgeleitete Begriffsbildung rücken so „in den Bereich des zu Leistenden“.122 Anders als in der sensualistischen Theorie wird diese Leistung nicht (vor allem) in der frühen Kindheit erbracht, sondern bleibt eine beständige Aufgabe des erwachsenen und gerade auch des philosophisch gebildeten Menschen.

Sieht sich Wolff beim Blick durch das Mikroskop mit der Abgründigkeit dieser Aufgabe konfrontiert, so konstatiert auch Gottsched die generelle Unmöglichkeit des Menschen, den Detailreichtum der gesamten materiellen Welt deutlich zu erfassen. Nur Gott verfüge über den hierfür notwendigen „reine[n] Verstand“.123 Die menschliche Empfindungsfähigkeit bleibe aufgrund ihrer Körperlichkeit raumzeitlich beschränkt und deswegen nie vollständig deutlich.124 Zwar erweiterten die optischen Instrumente die Fähigkeiten des Menschen, eröffneten aber zugleich immer neue Stufen des noch zu Bestimmenden und ließen weiter Unsichtbares erahnen.125 Gottsched veranschaulicht dies im Frontispiz seiner Ersten Gründe der gesammten Weltweisheit (vgl. Abbildung 16). Problematisch ist die Sinnesempfindung hier also nicht, weil sie etwas falsch übermittelt oder zu eng an die Gefühlsqualität gebunden ist, sondern weil das Übermittelte den Wahrnehmenden überfordert und so dem Anspruch einer möglichst deutlichen Erkenntnis der Welt entgegensteht.

Abbildung 16
Abbildung 16

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), Frontispiz.

Dieser Überforderung stellt Gottsched ein seelisches Vermögen an die Seite, welches das ‚Viele‘ zwar empfinden, seine Bestandteile aber nicht deutlich benennen kann. Wolffs Psychologia empirica (1732) entlehnt er die bildliche Bezeichnung dieses Empfindungsvermögens als untere Erkenntniskraft: „Den untern Grad der erkennenden Kraft nennen wir denjenigen, da sich ein empfindendes Wesen die Dinge nur klar und verwirrt vorstellet und abbildet.“126 Gottsched sieht hier den besonderen Bereich der Schönheit, da die untere Erkenntniskraft die Zusammenstellung des Vielen nicht nur empfinden, sondern auch als vollkommen (schön) oder unvollkommen (hässlich) beurteilen könne:

Wenn man in zusammengesetzten Begriffen viel übereinstimmendes wahrzunehmen vermeynet; selbiges aber nicht deutlich aus einander setzen, oder die Regeln der Vollkommenheit, die darinn befindlich sind, erklären kann: so urtheilet man, ein Ding sey schön […]; wie wir im Gegenfalle dasselbe für häßlich halten. Diese Kraft der Seele, von einer klar empfundenen Vollkommenheit oder Unvollkommenheit zu urtheilen, heißt der Geschmack.127

Vollkommenheit definiert Gottsched folglich als „Uebereinstimmung des Mannichfaltigen“:128 „Wenn eine solche Vollkommenheit in die Sinne fällt, und, ohne deutlich eingesehen zu werden, nur klar empfunden wird, so heißt sie eine Schönheit.“129 Gottsched vergleicht dieses Vermögen in seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst (1729) mit dem physischen Geschmackssinn, der von einer Speise zwar klar, aber nicht deutlich urteilen könne.130 Das so Beurteilte könne zwar nicht deutlich erkannt werden, sei aber notwendig wahr, da die Empfindung unmittelbar auf die physischen, das heißt mechanischen Vorgänge folge. Die Beurteilung der Schönheit beruhe damit nicht auf Modeerscheinungen oder persönlichen Vorlieben: „Die Regeln nämlich, die auch in freyen Künsten eingeführet worden, kommen nicht auf den bloßen Eigensinn der Menschen an; sondern sie haben ihren Grund in der unveränderlichen Natur der Dinge selbst; in der Uebereinstimmung des Mannigfaltigen, in der Ordnung und Harmonie.“131 Der Witz, also die Fähigkeit, Ähnlichkeiten und Differenzen rasch wahrzunehmen, wird damit zum wichtigsten Vermögen des Dichters und das Ziel seiner Dichtung eine auf „gründliche[r] Erkenntniß des Menschen“132 beruhende Nachahmung.133 Mit seinen Überlegungen zur Erkenntnis der Schönheit kommt Gottsched damit zumindest in Ansätzen einem Desiderat nach, welches Wolff am Ende des ersten Bandes seiner Deutschen Experimentalphysik (1721) formuliert und das erst mit Baumgartens wissenschaftlicher Ästhetik erfüllt wird.134 Gottscheds Theorie der sinnlichen Erkenntnis entwirft ein Wahrnehmungsmodell, welches dem der rationalistischen Frühaufklärung zugesprochenen geradezu entgegengesetzt ist, da es sich explizit auf die Grenzen der sinnlichen Empfindung gründet und deren grundsätzliche Überforderung zum Ausgangspunkt der ‚unteren Erkenntniskraft‘ macht.

3.3 Das Sehen und die unteren Erkenntniskräfte (Alexander Gottlieb Baumgarten)

Sicut in opticis, in aestheticis etiam quilibet suum horizontem habet […].135

Bereits in seiner Dissertationsschrift Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus (1735) stellt Alexander Gottlieb Baumgarten die Frage, ob es nicht „eine Wissenschaft geben kann […] wie etwas sensitiv zu erkennen ist“ („scientiam dari posse […] sensitive quid cognoscendi“).136 Diese Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis bindet er eng an eine Theorie der Künste, durch welche „die niederen Erkenntiskräfte verfeinert, geschärft und glücklicher zum Nutzen der Welt geübt werden könnten.“137 Baumgarten entwickelt damit nicht nur einen Gedanken weiter, den der Wolff-Schüler Georg Bernhard Bilfinger (1693–1750) in seinen 1725 erschienenen Dilucidationes philosophicae bereits gefordert hatte, sondern erweitert Bilfingers Beschäftigung mit dem „Vermögen des Fühlens, der Einbildung der Aufmerksamkeit, der Abstraktion“ und dem „Gedächtnis“138 zu einer „philosophischen Poetik“ („Philosophia poetica“),139 also einer allgemeinen Kunsttheorie.140 Baumgarten selbst begründet diese Erweiterung in seiner ersten Schrift biografisch, da zu einem lebenslangen Interesse an der Dichtung die Möglichkeit gekommen sei,141 dieses beim Unterricht lateinischer Dichtung an August Hermann Franckes (1663–1727) Waisenhaus „mit sogenannter rationaler Philosophie“ („cum philosophia quam vocant rationali“) zu verbinden.142

Wie die heutige Sekundärliteratur begreift sich Baumgarten auch selbst als Begründer einer neuen Wissenschaft, die einen der Logik unzugänglichen Teil der Erkenntnis zu erfassen sucht.143 Er zitiert damit den spätestens seit Descartes’ „Discours de la méthode“ (1637), Spinozas Tractatus theologico-politicus (1670) und Lockes Essay Concerning Human Understanding (1690) zur ‚neuen Philosophie‘ gehörenden (Be-)Gründungstopos und verknüpft ihn mit der aufklärerischen Lichtmetaphorik:144 „Ich mußte mich darauf einlassen, das noch einmal zu überdenken, was ich auf historische Weise, durch praktische Gewohnheit, durch wenn nicht blinde, so doch einäugige Nachahmung und durch Erwartung ähnlicher Fälle kennen gelernt hatte.“145 Nun sehend, will er die sinnliche Erkenntnis wissenschaftlich erfassen und zugleich die „sensitive Rede zur Vollkommenheit“ („ad perfectionem dirigens orationem sensitivam“) hinlenken:146 „Der Zweck der Ästhetik ist die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher. Dies aber ist die Schönheit.“147 Die Ästhetik ist damit als eine „Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis und Darstellung“ definiert („Scientia sensitive cognoscendi et proponendi“).148 Baumgarten spricht der sinnlichen Empfindung eine eigene Form der Erkenntnis zu, die ebenso wie die Logik auf der Fähigkeit beruhe, „die Übereinstimmungen und Verschiedenheiten wahrzunehmen, und daher [auf, E.D] Witz, Scharfsinnigkeit und Feinsinnigkeit“, allerdings im Unterschied zur Logik nicht „deutlich“ („distincte“), sondern „sinnlich“ („sensitive“).149 Das sinnliche oder untere Erkenntnisvermögen sei, so die berühmte Definition, als „ANALOGON RATIONIS“150 zu begreifen und könne damit untersucht, bestimmt und sogar verbessert werden. Es ist dem Verstand nicht untergeordnet, sondern „gleichberechtigt und als gleichermaßen wahrheitsfähig an die Seite zu stellen“.151 Die sinnliche Empfindung ist in Baumgartens Ästhetik damit keine Vorstufe und kein Hindernis der rationalen Erkenntnis,152 sondern ihr wird als jüngerer „Schwester“ („soror“)153 der Logik eine eigene Form der Erkenntnis zugesprochen. Frauke Berndt unterstreicht treffend: „Baumgarten überführt Leibniz’ vertikale Raumordnung in eine horizontale, in der die Sinnlichkeit gleichrangig und gleichwertig neben dem Verstand steht.“154 Allerdings gilt dies nur für die Frage der Wertigkeit, nicht aber für diejenige der Chronologie, denn die Sinnlichkeit bleibt auch in Baumgartens Ästhetik dem Verstand sowohl phylo- als auch ontogenetisch vorgelagert.

Dieser Entwurf einer Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis lässt die Erwartung aufkommen, Baumgarten habe sich intensiv mit den Sinnen beschäftigt und in der Diskussion über das Verhältnis von physischer Sinnlichkeit und dem Erkennen Stellung bezogen, ja anders als Rationalismus, Sensualismus und Empirismus den Sinnen selbst eine prinzipielle Befähigung zu wahrer Erkenntnis zugesprochen und diese überzeugend begründet.155 Nimmt Baumgarten doch an, die sinnliche Erkenntnis mache einen „große[n] Teil der menschlichen Erkenntnis“ aus, und fordert den Philosophen auf, sich als „Mensch unter Menschen“ („homo est inter homines“) zu begreifen.156 Auch sein nur vier Jahre jüngerer Schüler und Freund Georg Friedrich Meier unterstreicht in den Anfangsgründen (1748), die Ästhetik ‚bearbeite‘ „die Menschen zunächst als sinliche Creaturen“.157 Beendet die Ästhetik damit die lange Geschichte der Skepsis an den Sinnen, die Porterfield nur ein Jahr nach der Publikation des zweiten Bandes der Aesthetica (1758) noch einmal stellvertretend formuliert?

[S]ince our Senses are not given us to inform us what Things are in themselves, but only what they are relatively to our Bodies […]. […] From all which, it is manifest, that the Judgments which our Senses induce us to make concerning the sensible Qualities, are exceeding just, if considered with respect to the Preservation of our Bodies, for which they were only given us; tho’, at the same Time, it is most certain, that they are altogether extravagant, and vastly removed from Truth.158

Entgegen dieser Erwartung beschäftigt sich Baumgarten nur ganz am Rand mit den physischen Sinnen,159 leitet also durchaus nicht „die Ästhetik aus der Sinnesphysiologie“ ab.160 Einzig Baumgartens zweite Schrift, die schon zu seinen Lebzeiten äußerst erfolgreiche Metaphysica, enthält ein kurzes Kapitel über den Sinn (lat. sensus).161 Er geht darin weder auf die Anatomie noch die Funktionsweise der Sinne ein, fügt keine Illustrationen bei und verweist auf keinen der wichtigen Diskurse seiner Zeit. Baumgarten definiert die fünf Sinnesorgane knapp als „AESTHETERIA (organa sensuum)“, ein Begriff, den er ab der vierten Auflage der Metaphysica mit „Werkzeuge der Sinnen“ übersetzt.162 Er übernimmt damit den auf Descartes zurückgehenden Dualismus von physischer und seelisch-geistiger Sinnesempfindung und beschreibt das körperliche Sehen als Bewegungsübertragung.163 Wolffs Beschränkung der prästabilierten Harmonie auf das Verhältnis von Körper und Geist aufgreifend,164 geht er davon aus, dass mit jeder Bewegung in den Sinnesorganen eine äußere Sinnesempfindung koexistiere („coexsistit“165 ) – eine Prämisse, welche die Frage nach dem Übergang von Körper und Geist geradezu ausschließt.166 Cassirer unterstreicht in diesem Sinne:

[D]enn nicht nur diese oder jene, sondern schlechthin alle Einwirkung, die der Geist ‚von außen‘ erfährt, ist durch den Grundgedanken der Monadenlehre ein für allemal aufgehoben. Auch das sinnliche ‚Empfangen‘ des Eindrucks ist daher noch eine Form des geistigen Tuns; auch jede bloße Rezeptivität löst sich für die tiefere Einsicht in Spontaneität auf. Zwischen den ‚verworrenen‘ Vorstellungen der Sinnlichkeit und den ‚deutlichen‘ des Verstandes besteht daher nicht der Unterschied, daß wir uns in den einen rein leidend, in den andern rein tätig verhalten – sondern nur der Grad der Tätigkeit selbst kann es sein, der beide unterscheidet.167

Baumgartens Theorie der sinnlichen Erkenntnis beschäftigt sich folglich mit dem Empfindungsvermögen der Seele und nicht mit den Sinnesorganen. In der Kollegnachschrift heißt es: „Man sehe hier nicht auf die Werkzeuge derselben, z. B. auf das Auge oder Ohr, sondern auf die Sinne, insofern sie lebhafte und klare Empfindungen in ihm [i. e. dem schönen Geist] hervorbringen.“168 Baumgarten verwendet konsequenterweise die Verben ‚denken‘, ‚vorstellen‘ und ‚empfinden‘ weitgehend synonym: „Ich denke meinen gegenwärtigen Zustand. Also stelle ich mir meinen gegenwärtigen Zustand vor, d. h. ICH EMPFINDE.“ („Cogito statum meum praesentem. Ergo repraesento statum meum praesentem, i. e. SENTIO.“)169 An anderer Stelle definiert er knapp: „Gedanken sind Vorstellungen“ („Cogitationes sunt repraesentationes.“)170

Das Empfindungsvermögen der Seele unterteilt Baumgarten nach dessen Empfindungsobjekt in die innere und die äußere Empfindung. Letztere bezeichnet nicht die Empfindung der Sinnesorgane, sondern das Vermögen der Seele, den eigenen Körper wahrzunehmen.171 Hiervon unterschieden ist der sogenannte „INNERE[] SINN“ („SENSUS […] INTERNUS“),172 also das Selbstempfinden der Seele, durch welches sie sich – so die Grundannahme aus Wolffs Psychologia empirica (1732) – ihrer Existenz erst bewusst wird.173 Die Funktionsweise der physischen Sinnesorgane wird hierbei geradezu vorausgesetzt. Auch Baumgarten geht folglich davon aus, dass die Bewegungen der Sinnesorgane nicht falsch sein können und Täuschungen erst auf der Ebene der seelisch-geistigen Empfindung – vornehmlich durch ein vorschnelles Urteil174 – entstehen:

Da Empfindungen selbst den gegenwärtigen Zustand des Körpers oder der Seele oder beider vorstellen (§ 535), erfassen innere wie äußere Empfindungen Wirkliches (§ 205, 298), folglich auch Mögliches (§ 57), und zwar Mögliches dieser Welt (§ 377), sie sind also die wahrsten der ganzen Welt (§ 184), und keine von ihnen ist eine Sinnestäuschung (§ 545).175

Im zweiten Brief der 1741 herausgegebenen Wochenschrift Aletheophilus erklärt Baumgarten die Sinnestäuschung als ‚Fehler des Erschleichens‘.176 Der Mensch täusche sich in erster Linie, weil er aus Gewohnheit von seinen Erfahrungen auf Empfindungen und von diesen auf das Wesen der Dinge schließe. Folglich basieren die Täuschungen, welche Baumgarten den „Vorstellungen des gegenwärtigen innern Zustandes unserer Seelen“ zuordnet,177 im Wesentlichen auf Unaufmerksamkeit und Fehlurteilen: „Dieses alles und weit mehrers meint ein jeder aus langer Erfahrung zu haben, doch irren sich viele, wenn ich mich nicht irre.“178 Dasselbe gelte für die äußeren Empfindungen. Baumgarten führt hier jedoch, anders als bei den Täuschungen der inneren Empfindung, keine Beispiele an und setzt voraus, dass es sich um eine bekannte Tatsache handelt.179 Er verweist auf den niederländischen Mediziner und Naturforscher Pieter van Musschenbroek (1692–1761), dessen einflussreiche Schrift Elementa Physicæ Conscripta in usus Academicos (1726) auch ein Kapitel über das Auge enthält, und die englischen Naturforscher Francis Bacon und Robert Boyle.180 Die Sinnestäuschungen werden damit in einem Diskurs verortet, der sich nicht nur intensiv mit der Frage der Verlässlichkeit der Sinnesorgane und insbesondere des Auges auseinandersetzt, sondern auch, so Baumgarten, mithilfe einer Theorie des Experiments zeige, dass es „nicht unmöglich sei[], manche gemeine Gesetze der bloß sinnlichen Erfahrung fest zu setzen.“181 Noch deutlicher wird dies anhand seines Verweises auf das erste Buch von Nicolas Malebranches De la recherche de la vérité (1674), in dem der französische Philosoph ausführlich die Täuschung der Sinnesorgane behandelt. Im Rahmen der Ästhetik will Baumgarten diesen Täuschungen eine „Ästhetische Erfahrungs-Kunst“ entgegensetzen,182 die sich hauptsächlich mit den optischen Instrumenten, den „Hülfs-Mittel[n], wodurch die Sinnen erhöht und erweitert werden könnten“, beschäftigen soll.183 Dieser Teilbereich der Ästhetik – der durchaus nicht einfach mit der Ästhetik gleichzusetzen ist184 – sei auf der Grenze zwischen Naturforschung und Medizin verortet, die „für demjenigen warnen [solle], was sie [i. e. die Sinne] vor der Zeit stumpf und ungeschickter“ mache.185 Aus diesen intertextuellen Verweisen und der Aufzählung der Instrumente lässt sich ersehen, dass Baumgarten die zeitgenössischen Diskurse vertraut sind und er diese als Aufgabenbereich der Ästhetik wahrnimmt.186 Im Aletheophilus belässt er es jedoch bei einigen Andeutungen: „Platz und Zeit erlauben diesmal nicht, E. W. die folgenden Teile dieser neuen Wissenschaft anzuführen.“187 Wie Baumgarten tatsächlich den Bereich der „Erfahrungs-Kunst“, also der Anleitung zur naturforschenden Praxis des Sehens, ausformuliert hätte, bleibt offen. Baumgartens erst aus dem Nachlass publizierter Plan einer „Philosophia Generalis“ (ca. 1742) führt nur den Bereich der „ästhetischen Empirik“ („EMPIRICA AESTHETICA“) auf,188 die sich mit dem „innern Zustand[] unsrer Seelen“ beschäftigt.189 Hans Rudolf Schweizer nimmt an, Baumgarten habe nur im Bereich der Poetik und Rhetorik, nicht jedoch in denjenigen der Naturforschung und Medizin „der Beunruhigung durch die erkenntniskritischen Grundfragen so weit“ nachgeben können, „daß sich ein lebendiges Denken, wie es in der ‚Aesthetica‘ vorliegt, zu entwickeln vermochte.“190 Eine einfachere Erklärung wäre, dass Baumgarten keine Notwendigkeit sah, den Ausführungen Meiers im zweiten Band der Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften (1749) etwas hinzuzufügen.

Im Kapitel „Von den Sinnen“ unterscheidet Meier hier zwischen der Erfahrung und dem Experiment anhand des Kriteriums der Wahrnehmungssteuerung. Beide seien gleichermaßen „Stützen aller Disciplinen und Wissenschaften, die sich auf die Erfahrung gründen, ja aller menschlichen Klugheit in allen Ständen des Lebens.“191 Besonders die Astronomie nutze die Erfahrung: „Galiläus ergreift das Seherohr, und hat wol manche Nacht umsonst den Jupiter betrachtet. Endlich entdeckt er ohne alles Vermuthen die vier Trabanten desselben, und das war eine Beobachtung.“192 Die Naturforschung verlasse sich hingegen eher auf das Experiment, das heißt auf eine Erfahrung, „die in unserer Gewalt steht.“193 Als Beispiel führt Meier Versuche mit dem Luftdruck an, und er geht davon aus, dass die Vernunftlehre „von dieser Sache […] nicht ausführlich genung“ gehandelt habe.194 Er macht es sich nicht nur zur Aufgabe, beide Formen der Erfahrung zu definieren, sondern stellt auch nicht weniger als sechsunddreißig Regeln auf, nach denen Experiment und Beobachtung „auf eine aesthetische Art“ durchgeführt werden sollen.195 Die meisten dieser Regeln beschäftigen sich mit den Voraussetzungen und materiellen Bedingungen des Sehens. So müsse man – nach Meiers zweiter Regel – das Objekt der Beobachtung zuallererst genau bestimmen. Hierzu solle man sich „viele Prädicate, Eigenschaften, zufällige Beschaffenheiten, Würkungen u. s. w. ausdenken“, die dem Gegenstand zukommen, den man beobachten will. Erst nach dieser verbalen Bestimmung des Objekts könne die Beobachtung gezielt durchgeführt werden: „Widrigenfals weiß man nicht, worauf man seine Aufmerksamkeit richten will, sie schweift unbestimt herum, und man übersieht fast alles.“196 So könnten auch die Vorbereitungen für ein Experiment auf das zu untersuchende Objekt abgestimmt werden. Als Beispiel dient Meier die Erforschung der Elektrizität:

So haben z. E. die Naturlehrer schon viele Beschaffenheiten und Grössen von dem Feuer demonstrirt. Wer also eine Erfahrung anstellen will über eine Sache, die mit dem Feuer verwandt ist, der erinnere sich vorher alles dessen, was man schon von dem Feuer weiß, und brauche dasselbe zu einem Leitfaden in der Erfahrung, die er machen will. So hat mans mit der Electricität gemacht. Es hat jemand gedacht, ob auch die electrischen Funken zünden. Er hat dazu dienliche Versuche und Vorbereitungen gemacht, und man hat befunden, daß sie zünden.197

Auch das Ziel der Erfahrung müsse zuvor bestimmt werden. Im Falle der Experimente unterscheidet Meier in der sechzehnten Regel unter Verweis auf Bacon erklärende und beweisende Experimente, die wiederum überredend (wahrscheinlich) oder überzeugend (beweisend) sein können.198 Er verbindet hierbei Methode und Darstellung:

Wer z. E. durch ein Experiment blos etwas erklären und demonstriren will, der muß nicht nur viel genauer gehen, sondern er kan auch viel kürzer davon kommen. Wer aber überredende und erleuchtende Experimente anstellen will, der muß die Experimente prächtiger, kostbarer und in die Augen fallender machen.199

Man solle sich jedoch – so Meiers dritte Regel – davor hüten, dem Gegenstand vor der Beobachtung oder dem Experiment Eigenschaften zuzuweisen, die erst durch die Untersuchung erwiesen werden sollen.200 Dies könne dazu führen, dass das Ergebnis den Wünschen des Forschenden entspreche: „Was wir wünschen, das sehen und hören wir ofte, und wir werden das nicht gewahr, was wir doch sehen, weil wir es nicht zu sehen verlangen.“201 Forschende seien zuweilen so in ihre Hypothesen verliebt, dass sie diese auch gegen alle Evidenz in den Experimenten bestätigt sähen:

Wer schon zum voraus setzt, daß die Seele in den Körper auf eine physische Art würkt, ehe er noch Erfahrungen anstellt, der findet hernach in den Muttermälern und andern solchen Zufällen diesen Einfluß, ob ihn gleich kein unpartheyischer und uneingenommener Beobachter in denselben gewahr werden kan.202

Meier verweist mehrmals auf Descartes und rechnet die Cartesianer in der 35. Regel sogar unter die schwärmerischen Forscher: „Diese Schwärmerey wird von allen denjenigen begangen, welche alles, was sie zu empfinden glauben, für eine unmittelbare Würkung Gottes halten, wie die Cartesianer und alle Pantheisten thun.“203 Aber auch die Empiriker und Skeptiker verfolgten ihre Hypothesen von der Zuverlässigkeit oder der Unzuverlässigkeit der Sinne, ohne den konkreten Erfahrungen Rechnung zu tragen, die – so Meier in der 36. Regel – in der Mitte beider Annahmen verortet seien:

Die Mittelstrasse ist auch hier die beste. Man muß sich überzeugen, daß man von vielen Erfahrungen völlig versichert werden könne; daß es aber auch viele gebe, bey denen man nicht behutsam genug seyn kan. Die erste Ausschweifung stürtzt uns unvermeidlich in tausend Irrthümer, und die letzte macht alle Erfahrungen unnütz.204

Zur beständigen Selbstreflexion der eigenen Einstellungen und Vorgehensweisen gehöre auch, so Meiers vierte Regel, das Bewusstsein der eigenen Fertigkeiten.205 Nicht nur zum Experimentieren, sondern auch zum Beobachten gehörten Übung und Geschick, die sich ein Forschender bei erfahreneren Kollegen abschauen solle. So könne auch das erlernt werden, was sich nicht in allgemeine Regeln bringen lasse.206 Allerdings müsse man zuvor die Vertrauenswürdigkeit dieser Forschenden genau prüfen, „damit man nicht leichtgläuig sey, und durch das Vorurtheil des Ansehens geblendet werde.“207 Die Grenzen der verwendeten Methoden und Instrumente seien außerdem zu bedenken. Meier unterstreicht so in der 23. Regel, dass die Größenbestimmung nicht objektiv sein könne, sondern vom jeweils gewählten Maßstab abhänge: „Es würde also ein lächerlicher Fehler seyn, wenn ein Naturlehrer sich einbilden wolte, er wisse die Grösse einer Sache vollkommen, wenn er sie nach Pariserlinien ausgemessen hat.“208 Ebenso solle man mathematische Figuren nicht unreflektiert auf Naturphänomene anwenden: „Kein einziger Körper in der Welt hat eine so runde Figur, als der Meßkünstler bey dem Cirkel und der Kugel annimt.“209 Die Größenwahrnehmung sei – so die 24. Regel – von der eigenen Sinnesempfindung abhängig, welche die Dinge immer zweifach wahrnehme, einmal wie sie tatsächlich auf die Sinne wirkten und zum anderen entsprechend ihrer Lebhaftigkeit: „Die letzte ist nicht in den Sachen selbst, sondern blos in unserer Empfindung, und da müssen wir uns sorgfältig hüten, daß wir diese scheinbare Grösse nicht für die wahre Grösse der Sache halten.“210 Beobachtungen und Experimente seien zudem von ihrer Umgebung abhängig. Meier empfiehlt deswegen in seiner fünften Regel, „das Land, den Ort, die Zeit, ja die Minute [zu] beobachten, in welchen die Erfahrung am besten angestellt werden kan.“211 Als Beispiel dient ihm die Beobachtung der Sonnenfinsternis. Weiteren Details müsse Rechnung getragen werden, so der Qualität und Beherrschung der benutzten Instrumente,212 den „Dünste[n] in der Luft“, dem Wind und den Wolken, kurz – so Meiers sechste und siebte Regel – allem, „wovon man nur einigermassen vermuthen kan, daß es einen Einfluß in die Beobachtung und das Experiment haben könne.“213 Meier unterstreicht, dass diese Umstände während des Beobachtungsvorgangs beständig geprüft werden sollten. So könnten etwa „die Instrumente […] währenden Processes eine Aenderung leiden, die auch eine Aenderung in der Erfahrung verursachen würde.“214 Dies gilt auch noch – so die fünfzehnte Regel – nach der Durchführung eines Experiments oder nach einer Beobachtung. Um Irrtümer bei deren Beurteilung zu vermeiden, müsse man die Ergebnisse „aufs genaueste untersuchen, prüfen und beurtheilen“.215 All dies sei nur möglich, wenn bei der Beobachtung und dem Exeriment eine möglichst langsame,216 in jedem Fall aber angemessene Geschwindigkeit gewahrt werde. Meiers neunte Regel lautet demnach: „Langsam muß man seyn, damit man gehörig Achtung geben könne […]. Eilen aber muß man, damit man das Eisen schmiede weil es warm ist, sonst entwischt uns die Gelegenheit unter den Händen.“217 Obwohl natürlich die erfolgreichen Experimente und Beobachtungen wünschenswert seien,218 seien auch die vergeblichen Versuche nicht zu verwerfen.219 Sie könnten, so die zehnte Regel, anderen Forschenden aufzeigen, welche Versuche nicht noch einmal unternommen werden müssten. Ihre Untersuchung mache deutlich, warum ein bestimmtes Experiment gescheitert sei, und könne so den Weg zu einem erfolgreichen zweiten Versuch weisen.220 Nicht zuletzt könne, so die 26. Regel, ein falscher Weg zu einer richtigen Schlussfolgerung führen, denn „der Irrthum ist ofte ein Erfindungsmittel der Wahrheit.“221

Obgleich also erst Meier die ästhetische ‚Erfahrungs-Kunst‘ ausführlich entwickelt, spielen die physischen Sinne auch in Baumgartens Theorie der sinnlichen Erkenntnis indirekt eine wichtige Rolle, denn: „Ein schöner Geist muß scharfe Sinne haben.“222 Leibniz folgend geht Baumgarten von einer notwendigen Gleichzeitigkeit der Bewegung in den Sinnesorganen und der Sinnesempfindung aus.223 Er bestimmt diese Gleichzeitigkeit jedoch sowohl auf der deiktischen als auch auf der qualitativen Ebene genauer. Die Abfolge der Zustände der Welt, des Körpers oder der Seele entspreche – so Baumgarten – notwendig der Abfolge der Vorstellungen in den Sinnen, beruhe also auf einer identischen Chronologie. Dies bezeichnet er mit Wolffs Begriff als „Gesetz der Sinnesempfindung“ („Lex sensationis“).224 Auch räumlich besteht nach Baumgarten eine notwendige Gleichzeitigkeit zwischen den Sinnesorganen und der Empfindung, da der Körper den Empfindenden in einem begrenzten Raum und einer bestimmten Zeit situiert. Der Mensch empfinde die „Vorstellungen des gegenwärtigen Zustands der Welt“ („repraesentationes status mundi praesentis“),225 das heißt des ihm in einem bestimmten Moment gegenwärtigen Ausschnitts, „gemäß der Stelle ihres [d. i. der Seele] Leibes“ („pro positu corporis sui“).226 Dieser notwendigen Korrespondenz zwischen der Empfindung und den Sinnesorganen weist Baumgarten eine qualitative Komponente zu. Sei ein Objekt am „EMPFINDUNGSPUNKT“ („PUNCTUM SENSATIONIS“) platziert, also dem „passendste[n] Ort im Empfindungskreis“ („sphaera sensationis locus convenientissimus“)227 – womit der Ausschnitt gemeint ist, innerhalb dessen ein Objekt empfunden werden kann –, so sei die Empfindung besonders stark und klar: „Je mehr ein Sinnesorgan auf die passende Weise bewegt wird, desto stärker und klarer ist die Empfindung; je weniger das geschieht, desto schwächer und dunkler ist die äußere Empfindung (§ 513, 512).“228 Die räumliche Situierung des Objektes steht so in einer direkten Relation zu der Qualität der Sinnesempfindung.229 Diese hängt ihrerseits von der Qualität der Sinnesorgane ab, die Baumgarten als „SCHARF“ („ACUTUS“) oder „STUMPF“ („HEBES“) bezeichnet.230 Er bemisst diese Qualität anhand der Angemessenheit ihrer Bewegung und nicht etwa nach der Beschaffenheit der Linse: „Je mehr die Sinnesorgane für eine passende Bewegung bereit sind oder bereit gemacht werden, desto schärfer ist der äußere Sinn oder desto mehr wird er geschärft.“231

Diese räumliche Beschränkung auf das Gegenwärtige begründet aber auch die notwendige Verworrenheit der Sinnesempfindung. Die Sinnesorgane werden von der Berührung einzelner Dinge in einem raumzeitlich begrenzten Moment bewegt, nie jedoch von der gesamten Welt, der Art oder Gattung der Dinge, ihrer Vergangenheit oder zukünftigen Entwicklung.232 Damit kann der Mensch auf der Basis seiner äußeren Empfindung den „universalen Zusammenhang der Teile“ („nexus est partium […] universalis“) nicht deutlich erfassen.233 In diesem Zusammenhang der Teile – so Baumgarten in der Nachfolge Leibniz’ und Wolffs234 – liege nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Vollkommenheit235 der Welt und der Empfindungen begründet: „Also ist in jeder Empfindung etwas Dunkles, folglich ist auch einer deutlichen Empfindung immer etwas von Verworrenheit beigemischt.“236 Das menschliche Urteilsvermögen erkennt nur die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit eines bestimmten Ausschnitts der Welt, deren größter Teil undeutlich bleibt.237 Damit ist die Verworrenheit ein konstitutiver Aspekt der menschlichen Wahrnehmung, der aus der deiktischen Beschränkung der körperlichen Sinne notwendig folgt.238 Baumgarten stellt neben diese konstitutive, physisch bedingte Verworrenheit die graduelle der geistig-seelischen Empfindung. Dagmar Mirbach unterstreicht, dass er damit die bei Leibniz beschriebene unterste Stufe der Erkenntnis („FUNDUS ANIMAE“)239 positiv als „Grundlage und notwendige Voraussetzung sämtlicher Vorstellungen aller höheren Erkenntnisstufen“ deutet.240 Der Mangel an Deutlichkeit charakterisiert so nicht mehr allein die von Leibniz als Beispiel angeführte Farbwahrnehmung,241 sondern gilt als Ausgangspunkt der „‚Stufenleiter‘ der Erkenntnis“ für jede Sinnesempfindung.242 Baumgarten definiert die Erfahrung („EXPERIENTIA“) als die durch das untere Erkenntnisvermögen aus der Dunkelheit schrittweise gewonnene Klarheit.243 Die sinnliche Empfindung bleibt damit zwar undeutlich, kann jedoch mehr oder weniger klar sein, also mehr oder weniger ausreichend, um eine Vorstellung wiederzuerkennen und sie – wenngleich nicht anhand einer deutlichen Bezeichnung ihrer Merkmale – von anderen zu unterscheiden: „In dunklen Vorstellungen sind nicht so viele Vorstellungen von Merkmalen enthalten, wie zureichend sind, um das Vorgestellte wiederzuerkennen und es von anderen Gegenständen zu unterscheiden. Genau so viele sind indessen in klaren Vorstellungen enthalten […].“244 Günther Pöltner definiert treffend: „In ihnen [d. i. den undeutlichen Vorstellungen] wird zwar eine Einheit in ihrer Differenziertheit erfaßt, aber die Unterschiede werden nur mit-vorgestellt, nicht für sich auseinandergehalten.“245

Baumgarten unterscheidet auf dieser Basis zwei Arten von Klarheit: Auf der einen Seite die intensive oder intellektuelle Klarheit, die letztlich zu begrifflicher Deutlichkeit und zu allgemeinen Vorstellungen führe, und auf der anderen Seite eine extensive oder lebhafte Klarheit, die „mehr Bestandteile zur Mitteilung sensitiver Vorstellungen“ beinhalte („plura varia […] ad communicandas repraesentationes sensitivas“).246 Auch hier spielen die körperlichen Sinnesorgane indirekt eine wichtige Rolle, da Baumgarten davon ausgeht, dass die Stärke ihrer Bewegung die Klarheit der Empfindung einzelner Dinge oder Merkmale begünstige.247 Durch die Beschränkung auf das Gegenwärtige sind die körperlichen Sinne geradezu prädestiniert für die Wahrnehmung einzelner Dinge oder Merkmale, eine Fokussierung, die durch das Vermögen der Aufmerksamkeit noch verstärkt wird.248 Schweizer sieht hierin die entscheidende Weiterentwicklung von Leibniz’ „Kriterium der Nichtanalysierbarkeit sinnlicher Empfindungen“, welches Baumgarten „im positiven Sinne dahin ergänzt, daß gerade die durch die Vielfalt der Merkmale gekennzeichneten, zugleich klaren und lebhaften sinnlichen Vorstellungen geeignet sind, der Komplexität der Erscheinungen gerecht zu werden.“249 Auch Mirbach unterstreicht, dass die sinnliche Erkenntnis nach Baumgarten „die unabsehbare Merkmalsfülle der Einzelgegenstände“250 erfasse und so der Erkennntis der materiellen Beschaffenheit der Gegenstände näher komme als die logische Erkenntnis. Diese verliere durch die notwendige Abstraktion – „wie bei der Herausmeißelung einer Kugel aus einem rohen Marmorblock“251 – einen Teil der ihn ausmachenden Merkmale. Baumgartens Ästhetik beschäftigt sich also weder mit völlig dunklen Vorstellungen noch mit vollständig deutlichen, sondern mit dem graduellen Zwischenbereich der klaren verworrenen Vorstellungen.252 Obgleich diese „unter der Deutlichkeit verbleiben“ („infra distinctionem subsistentium“),253 verortet Baumgarten auch im unteren Erkenntnisvermögen einen „sinnliche[n] Witz“ („ingenium sensitivum“) und eine „sinnliche Scharfsinnigkeit“ („acumen sensitivum“),254 also ein sinnliches Unterscheidungsvermögen.255

Diese mit der Bewegung der Sinnesorgane koexistierende verworrene Vorstellung der gegenwärtigen Welt bietet sich nach Baumgarten gleich aus drei Gründen für die Nachahmung in der Dichtung an: Die Vorstellungen sind sinnlich und extensiv klar, aber nicht intensiv beziehungsweise intellektuell deutlich, sie bestehen aus vielen Einzelheiten, sind aber nicht allgemein oder abstrakt, und ihre Übereinstimmung wird als angenehm empfunden.256 Diese angenehme Vorstellung spiegle die Ordnung der Welt und sei zugleich lustvolle Empfindung und Erkenntnis der Wahrheit: „Die allgemeine Schönheit der sinnlichen Erkenntnis, ist, weil es keine Vollkommenheit ohne Ordnung gibt, 2) die Übereinstimmung der Ordnung, in der wir über die schön gedachten Sachen nachdenken, sowohl in sich als auch mit den Sachen, insofern sie Erscheinung ist.“257 Baumgarten geht es folglich nicht um eine wertneutrale Priorisierung der sinnlichen Empfindung, sondern um deren Anleitung zu möglichst extensiver Klarheit, auf deren Basis die schöne Ordnung der Bestandteile der Welt, der Empfindung und bestenfalls auch des Kunstwerks erkannt werden können.258 Er verpflichtet damit auch die Dichtung auf eine möglichst extensiv klare Nachahmung (Beispiele, Aufzählungen) dessen,259 was in der Welt an wahrscheinlichen Geschehnissen vorkommen könnte. Es handele sich dabei in Anlehnung an Horaz um die „LICHTVOLLE Methode“ des Dichters.260 Dieser sei der Schöpfer einer poetischen Welt analog zur gegenwärtigen Welt: „Schon längst wurde beobachtet, daß der Dichter gewissermaßen ein Schaffender oder Schöpfer sei. Daher muß ein Gedicht gleichsam eine Welt sein; daher muß in Analogie von ihm beachtet werden, was von der Welt durch die Philosophen offenbar ist.“261 Obgleich Baumgarten also keine Wissenschaft der physischen Sinnesorgane, sondern der Sinnesempfindungen als eines Vermögens der Seele entwirft, situiert er die Werkzeuge der Sinne am Ausgangspunkt der verschiedenen Eigenschaften der Vorstellungen der gegenwärtigen Welt und somit der Dichtung als deren Nachahmung: „Aber sie [i. e. die Verwirrung] ist die unerläßliche Bedingung zur Auffindung der Wahrheit, weil die Natur keinen Sprung macht aus der Dunkelheit in die Deutlichkeit. Aus der Nacht führt die Morgenröte zum Mittag.“262 Die physischen Sinne spielen folglich in der wissenschaftlichen Ästhetik Baumgartens eher indirekt eine Rolle. Kommt der Körper des wahrnehmenden Menschen dennoch zur Sprache, schreiben sich sowohl Baumgarten als auch Meier in Diskurse des 17. Jahrhunderts ein und entschärfen diese durch die klare Trennung zwischen körperlicher und seelisch-geistiger Empfindung. Die wissenschaftliche Ästhetik vollzieht so um 1750 keine Wende zum ‚ganzen Menschen‘, sondern befördert gerade durch die konsequente Unterscheidung zwischen Körper und Geist die Theorien der Sinnesempfindung bis in die 1770er Jahre.

3.4 Das begehrende Sehen (Georg Friedrich Meier)

Leib und Seele stehen mit einander in der allergenauesten Vereinigung, und der Körper ist der Gesichtspunct, aus welchem sich die Seele diese Welt vorstellt.263

Die Seele kan die Sachen nicht anders beurtheilen, als nach Maaßgebung der Vorstellungen, die sie sich von denselben macht. Sie muß also alle diejenigen Sachen für Kleinigkeiten halten, deren Bilder in ihrer Vorstellungskraft sehr klein sind. Und das kan sie in der Verwirrung, in welcher sie sich in den sinnlichen Leidenschaften befindet, so weit treiben, daß alle Proportion überschritten wird. Die Gesetze, nach welchen sich die Seele in diesem Punkte richtet, sind den optischen Regeln ähnlich. Unsere Erkenntniskraft ist, in den Gemüthsbewegungen, wie ein Vergrösserungs= und Verkleinerungsglas. Nichts erscheint in ihr in seiner wahren Grösse, sondern grösser oder kleiner, als es in der That ist. Daher stellt sich ein kühner Wagehals die Gefahr immer grösser, und ein Furchtsamer immer kleiner vor, als sie in der That ist.264

Der Philosoph Georg Friedrich Meier verbreitet die Ästhetik seines Lehrers Alexander Gottlieb Baumgarten in seinen 1748 und 1750 erschienenen Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften nicht nur, sondern er akzentuiert die Verbindung von Schönheit, sinnlicher Erfahrung und unterer Erkenntniskraft sowohl auf einer chronologischen als auch auf einer wertenden Ebene. Schönheit wird bei Meier zu einer Qualität, die nicht nur durch die Sinnesempfindung vornehmlich der unteren Erkenntniskraft zugänglich ist, sondern von der deutlichen Erkenntnis geradezu zerstört wird. Das Mikroskop wird so zu einem antiästhetischen Instrument: „Ist es nicht augenscheinlich, daß die ganze Veränderung in unserer Vorstellung sich zugetragen, indem die undeutliche Vorstellung, durch Hülfe der Vergrösserungsgläser, diesen Zerstörern der Schönheit, in eine deutliche verwandelt worden?“265 Die mikroskopische Betrachtung einer jugendlichen Wange ist dabei nur Meiers bekanntestes Beispiel in einer ganzen Reihe rhetorischer Vergleiche, welche die untere Erkenntniskraft von den ‚höheren Wissenschaften‘ durch eine entschiedene Wertung absetzen.266 Meiers Gelehrtenkritik zeigt besonders eindrücklich, dass es ihm nicht einfach um die Unterscheidung zweier Arten der Erkenntnis geht, sondern um die klare Abwertung eines für sich genommenen rationalen Erkenntnisvermögens. Das untere, den sinnlichen Empfindungen zugeordnete Erkenntnisvermögen wird damit nicht auf eine Ebene mit dem Verstand angehoben, sondern dieser wird offensiv abgewertet. Wer sich ausschließlich mit den höheren Wissenschaften beschäftige, sei ein lächerlicher „Stümper“, dessen Arbeit nur „Mißgeburthen“ hervorbringe.267 Er sei ein „blosses Gerippe ohne Fleisch. Ein Baum ohne Blätter und ohne Blüthen.“268

Er hat in seinem Betragen so etwas starres, rauhes, schulfüchsisches, ungeschliffenes, finsteres, daß er beydes unerträglich und lächerlich ist. Alles an ihm schmeckt nach der Schule. Er kann seinen Mund nicht aufthun, ohne seine Handwerckssprache zu reden, und in Barbara oder Celarent seine Meinungen vorzutragen. Man kan ihn unvergleichlich brauchen, allein als einen gelehrten Tagelöhner, und man mus ihn in seine Studierstube einsperren, und unter seine Bücher vergraben.269

Meier begründet diese Abwertung mit der Situierung der einzelnen Erkenntniskräfte auf einer zeitlichen Achse, die sowohl die Entwicklung des einzelnen Menschen als auch ganzer Kulturen und der Menschheit an sich umfasst. Schon zehn Jahre vor seiner Ankündigung eines Collegiums über John Lockes Hauptschrift An Essay Concerning Human Understanding (1690)270 vertritt Meier einen klar sensualistischen Standpunkt: „Die Alten haben schon angemerkt, nihil esse in intellectu quod non antea fuerit in sensu.“271 Das untere Erkenntnisvermögen ist damit nicht mehr wie bei Baumgarten die Schwester der Logik, sondern wird zu deren „Grosmütter“.272 Vier Jahre vor dem Erscheinen des ersten Bandes der Anfangsgründe unterstreicht Meier: „Ich sage also, daß die Musen die Mütter der Wissenschaften genennet zu werden verdienen.“273 Die Wissenschaften folgen sowohl in phylogenetischer als auch in ontogenetischer Perspektive auf die sinnliche Erfahrung und das ihr zugeordnete Erkenntnisvermögen. Sie sind damit in ihrer Existenz von ihnen abhängig – eine Abhängigkeit, die zu einer jüngeren oder älteren Schwester nicht besteht.274 Selbst innerhalb des Bereichs der schönen Künste situiert Meier – Baumgarten folgend – die Ausübung der Künste vor jede Form von Kunsttheorie: „Die allerersten Meister, in allen schönen Wissenschaften und Künsten, sind von der Natur ganz allein gebildet worden, und ehe z. E. noch an eine Dichtkunst gedacht worden, hat man schon vortrefliche Dichter gehabt.“275 Der Gelehrte beschränkt sich nicht nur auf einen Teil seines Erkenntnisvermögens, sondern schneidet sich von dessen Ursprung geradezu ab.276 Er verneint damit nicht nur die Entwicklung seines eigenen Verstandes und der höheren Wissenschaften allgemein, sondern bringt sich um eine besonders ‚ursprüngliche‘ und damit für Meier natürliche Erkenntniskraft, die nicht nur als Voraussetzung, sondern auch als Richtwert für die menschliche Erkenntnis dient.277 Die Natürlichkeit der sinnlichen Erfahrung äußere sich, so Meier, in der Stärke und Lebhaftigkeit (das heißt Vielfältigkeit) der durch sie hervorgerufenen Vorstellungen, und diese bildeten wiederum die Voraussetzung für die Entstehung der Künste:278 „Je mehr wir Erfahrungen erlangt haben, desto stärker wird auch unsere Einbildungs= und Dichtungskraft.“279 Die sinnliche Erfahrung bewahre den Menschen so vor der „Schulfüchserey“.280 Die Entwicklung der unteren Erkenntniskraft durch sinnliche Erfahrungen mache den Philosophen „menschlicher[,] […] beugsamer, gelenker und reitzender“,281 und diese Wirkung ist für Meier sogar von politischer Relevanz. In der Menschheitsgeschichte ließen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen die Vernachlässigung der unteren Erkenntniskraft zu „barbarischen finstern Zeiten“282 geführt habe.283 Meier zitiert mehrfach Albrecht von Hallers Gedicht „Die Alpen“ (1729) und ruft so die Utopie einer friedlichen, im übertragenen wie im eigentlichen Sinne der Natur nahen Gesellschaft auf.284 Die Ästhetik ist damit nicht nur die phylo- wie ontogenetische Voraussetzung der Wissenschaften,285 sondern der menschlichen Gesellschaft letztlich sogar nützlicher als diese: „Eine geschickte Fabel zu machen, ist vielleicht noch nützlicher für das menschliche Geschlecht, als den Durchgang des Mercurs durch die Sonne zu berechnen, oder zu finden, wer das Schreiben zuerst erfunden hat.“286 Ohne die Kunst versinke jede Gesellschaft früher oder später in „Barbarey“.287 Meier macht damit Baumgartens erkenntnistheoretische Aufwertung der Sinnesempfindungen nicht nur einem breiteren Publikum zugänglich, sondern entwickelt diese in zwei Richtungen entscheidend weiter. Zum einen macht er von der unteren Erkenntniskraft die Qualität und den gesellschaftlichen Nutzen jeglicher Wissenschaft abhängig und bindet sie gemeinsam mit der sinnlichen Erfahrung und der Kunst viel enger an das, was er das Begehren nennt. Zum anderen wertet er die raumzeitliche Verortung des empfindenden Menschen, das heißt seinen Blickpunkt entschieden epistemologisch auf und bricht so mit einem der zentralen Argumente der skeptizistischen Sinneskritik.

Die Ursprünglichkeit der sinnlichen Erfahrung und der sich mit ihr befassenden unteren Erkenntniskräfte bedingt für Meier deren Stärke und Lebendigkeit. Er versteht dies durchaus im eigentlichen Sinne als die höhere Intensität der sinnlichen Eindrücke, die den empfindenden Menschen körperlich wie geistig-seelisch ‚rührt‘ und bewegt: „Und das untere Erkenntnißvermögen, mit dem sinnlichen Begehrungsvermögen zusammengenommen, wird die Sinnlichkeit genennt, oder auch mit einem biblischen Ausdrucke das Fleisch.“288 Wie wenig später Condillac in seinem Traité des sensations (1754) leitet Meier hieraus erstens ab, dass jeder Mensch aktiv angenehme Empfindungen suche und vor unangenehmen zurückweiche.289 Meier verwendet hierfür, Baumgarten folgend, den Begriff des Begehrungsvermögens. Er folgert zweitens, dass die Kunst zu einem besonders wirksamen Instrument der Politik werden könne: „Die Poesie ist die Sprache der Leidenschaften und Empfindungen, sie erfordert ein gerührtes Herz und ein bewegtes Blut. Da uns nun die Leidenschaften, die Empfindungen und die Sinlichkeit, natürlich sind, so ist selbst das Wesen der Dichtkunst in unserer Natur gegründet.“290 Folglich sei auch die „aesthetische Ueberredung“291 – deren Ziel es analog zur Rhetorik sei, von der „ästhetischen Gewisheit der Gedanken“292 zu überzeugen – besonders wirkungsvoll, da die Art und Stärke der Empfindung mit darüber entscheide, was ein Mensch als wahrscheinlich oder gewiss ansehe. Die unteren Erkenntniskräfte werden so in Meiers Schriften nicht nur aufgewertet, sondern zu einem praxisbezogenen Instrument, das, so Meier mit Verweis auf Cicero, die Eroberung des Publikums anstrebe – durch einen „gewaltigen Strome, welcher alles mit sich fortreißt.“293 Auch allgemeine und abstrakte Wahrheiten könnten so künstlerisch vermittelt werden, wenn sie „in ein würkliches einzelnes Ding“,294 das heißt ein sinnlich wahrnehmbares Objekt, verwandelt würden.295

Die Ursprünglichkeit und Natürlichkeit der sinnlichen Erfahrung ist für Meier außerdem mit einem ästhetischen Wahrheitsanspruch verknüpft, den er eng an das Alltagswissen bindet, welches den ‚höheren‘ Wissenschaften durchaus widersprechen könne. Die Sinnesempfindung gebe die materielle Welt so zu erkennen, „wie sie iederman, der gesunden Menschen=Verstand hat, denkt.“296 Mit dem Beispiel des Sonnenaufgangs knüpft Meier an einen Topos der ‚wissenschaftlichen Revolution‘ des 17. Jahrhunderts an, der seit den astronomischen Forschungen Galileis offensichtlich gemacht hat, wie sehr die sinnliche Alltagserfahrung von den tatsächlichen Vorgängen in der Natur abweichen kann. Meier rehabilitiert die Vorstellung einer aus dem Meer aufsteigenden Sonne. Sie sei zwar an sich falsch, aber sinnlich und damit ästhetisch wahr: „Wenn also ein Dichter, der nicht weit von einem Meere wohnt, sagt: daß die Morgenröthe aus dem Meer hervorsteige […] oder, daß die untergehende Sonne ins Meer gehe, […] so ist ohne mein Erinnern klar, daß diese Vorstellung dem Verstande als falsch vorkomt.“297 Als Aussage eines Dichters sei sie jedoch ästhetisch wahr beziehungsweise schön, insofern sie „nichts falsches, ungereimtes, und widersprechendes“ beinhalte:298 „Wer das Gegentheil behaupten wolte, der müste […] alle optischen Vorstellungen als falsch verwerfen, und wer würde einen solchen Kunstrichter nicht für unsinnig halten?“299 Die ästhetische Wahrheit gründet sich auf die sinnliche Erfahrung des Menschen und ist damit von dem raum-zeitlichen Blickpunkt des Einzelnen abhängig. Ein Mensch, der niemals das Meer gesehen habe, müsse, so Meier, notwendig anders über die ästhetische Wahrheit der Vorstellung einer aus dem Meer aufsteigenden Sonne urteilen.300 Grundsätzlich ästhetisch falsch seien nur Vorstellungen, die noch nie jemand sinnlich erfahren habe oder die „in dieser Welt nicht möglich sind.“301 Als Beispiel dient Meier die bereits in Horaz’ (65–8 v. Chr.) Ars poetica angeführte Vorstellung eines im Meer schwimmenden „wilde[n] Schwein[s]“302 und Leibniz’ Theorie der Monaden, weil „diese Zusammensetzung in gar keine sinliche Vorstellung gebracht werden kan“.303 Wie die Thomasianer und Wolffianer begründet Meier diesen Wahrheitsanspruch außerdem physiologisch. Der Sinneseindruck werde von den Nerven passiv übertragen. Er ist damit „ganz unleugbar richtig und gewiß […]. Keine Empfindung als eine Empfindung betrachtet kan falsch seyn.“304 Sinnestäuschungen erklärt auch Meier mit falschen Urteilen: „und der Mensch soll noch gebohren werden, der keine falsche Schlüsse macht […].“305 Er veranschaulicht dies am Beispiel des Verzehrs von Austern:

Zwey Leute essen rohe Austern. Dem einen schmecken sie vortreflich, dem andern eckelt vor denselben. Jener empfindet Vergnügen, und dieser Verdrus. Sie streiten über den Geschmack der Austern, und berufen sich beyde auf ihre unmittelbaren Erfahrungen, weil sie mit denselben das Urtheil ihrer Sinne verwechseln. […] Man muß die Grenzen der unmittelbaren Erfahrung nicht, mit den Grenzen der Gegenstände, verwechseln, folglich muß man weder die ersten für die letzten, noch diese für jene halten.306

Unterscheide der Mensch klar zwischen dem Urteil über die Empfindungen und den Empfindungen selbst, so lasse sich von Letzteren verlässlich auf den Zustand der Welt schließen: „Unser gegenwärtiger Zustand ist ein Theil des gegenwärtigen Zustandes der Welt; man muß also sagen, daß unsere Empfindungen Vorstellungen des gegenwärtigen Zustandes der Welt sind.“307

Das Auge gilt Meier folglich als besonders edler Sinn, weil es eine Vielzahl einzelner Dinge gleichzeitig zu sehen erlaubt. Mit seiner Hilfe überblickt der Mensch einen weiten Horizont und erhöht damit die Lebhaftigkeit seiner Empfindungen.308 In seiner Schrift Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere (1749) vergleicht Meier das Bewusstsein mit dem Tageslicht, welches dem Menschen ermögliche, „weit und breit um“ sich zu sehen und „tausend Gegenstände von einander [zu] unterscheiden.“309

Wenn ich im Frühlinge auf freyem Felde bin, und ich stelle mich etwa auf einen erhabenen Hügel, was für ein Schauplatz stellt sich nicht meinem Gesichte auf einmal dar? Da sehe ich hundert Aecker, welche grünen und einen reichen Sommer versprechen. Dort weidet eine Heerde Schaafe, dort liegt ein Dorf. Auch werde ich einen Wald gewahr, vor dem ein Strom vorbey fließt. Bald höre ich den Gesang einer Nachtigall, bald das Geschrey eines Rabens. Kurz, tausend Gegenstände malen sich in meiner Seele ab.310

Trotz ihrer sensualistischen Begründung bleibt Meiers Theorie der Sinnesempfindung Leibniz’ These der prästabilierten Harmonie verpflichtet.311 Er sieht die körperlichen Vorgänge in den Sinnesorganen und die seelisch-geistige Wahrnehmung in einem grundsätzlichen Begründungsverhältnis, welches er Baumgarten folgend als „Gesetz der Empfindungen“ bezeichnet.312 Die sinnliche Erkenntnis sei nicht „gantz allein von den Sinnen gewürckt“, sondern habe in den Sinnesorganen „einen nähern Grund als die deutliche Erkentnis […] und [kann] ohne dieselbe gar nicht stat finden […].“313 Meier unterstreicht dieses Begründungsverhältnis noch einmal im Kapitel über den ästhetischen Reichtum. Eine sinnliche Vorstellung sei nicht möglich, „wenn sie zu gleicher Zeit keine Empfindung seyn kan […].“314 In seiner bereits 1743 erschienenen und Baumgarten gewidmeten Schrift über Leibniz’ These der prästabilierten Harmonie unterscheidet Meier zwischen einem realen und einem idealischen Einfuss von Körper und Seele.315 Gehe der Influxionist von diesem realen Einfluss aus, den der Occasionalist grundsätzlich leugne,316 und verhalte sich bei beiden entweder die Seele oder der Leib passiv leidend,317 so vertrete der Harmonist die Auffassung, Seele und Körper brächten die mit dem jeweils anderen übereinstimmende Wirkung aktiv hervor.318 Meier veranschaulicht dies am Beispiel eines Schülers, dem sich der Unterricht nicht passiv eindrücke, sondern der aktiv verstehen müsse, um etwas zu lernen:

Wenn ein Lehrer seinem Zuhörer eine Wahrheit vorträgt, so wirckt er in denselben. Die Erkenntniß dieser Wahrheit ist, in dem Zuhörer, ein Leiden. Ist es aber ein reelles oder idealisches Leiden? Wir wollen das erste annehmen. Der Zuhörer trägt demnach, durch seine Kraft, nichts zur Erkenntniß der vorgetragenen Wahrheit bey. […] Er darf nur seinen Lehrer sorgen lassen, der wird ihm die Erkenntniß schon einflössen, sein Lehrer wird ihn also, als einen rohen Klumpen Wachs, ansehen, und ihm den Begriff allein eindrücken. […] Der Zuhörer ist ein viel edelers Wesen, er denckt selbst noch, er würckt die Erkenntniß der Wahrheit selbst. Sein Lehrer enthält den Grund, warum er eben jetzo seinen Verstand zur Erkenntniß der Wahrheit braucht, warum er eben die Wahrheit erkennt und keine andere. Der Einfluß des Lehrers in seinen Zuhörer ist also idealisch.319

Es besteht nach Meier also kein physischer Einfluss von Seele und Körper, sondern eine von Gott so gewollte, vorherbestimmte harmonische Übereinstimmung im Rahmen einer „allgemeinen Verknüpffung (nexus universalis)“ aller Teile der Welt.320 Diese Übereinstimmung sieht Meier durch die alltägliche Erfahrung bestätigt: „Leib und Seele sind mit einander vereiniget. Ihre Veränderungen stimmen aufs genaueste mit einander überein. Das fühlen wir.“321 Die Ursache dieser Übereinstimmung entziehe sich jedoch der sinnlichen Erfahrung und könne nur mithilfe des Verstandes erklärt werden.322

Den Bereich der seelisch-geistigen Wahrnehmung bestimmt Meier schon 1744 in einer gegen Descartes’ „Les passions de l’âme“ (1649) gerichteten Schrift genauer.323 Ziel ist dabei die Begründung und theoretische Lehre der „Gemüthsbewegungen“.324 Meier sieht in ihnen ein Vermögen der Seele, ausgehend von den physischen Sinneseindrücken seelisch-geistige Vorstellungen entweder begehrend hervorzubringen oder verabscheudend zu unterdrücken, und damit anders als Descartes keine leidenden Zustände der Seele:325

Man stelle sich die Seele allein vor, und da wird man fühlen: daß sie alsdenn begehrt, wenn sie sich bemüht, eine vorhergesehene Vorstellung oder Empfindung in sich hervorzubringen; und daß sie verabscheue, wenn sie sich bemüht das Gegentheil einer vorhergesehenen Vorstellung hervorzubringen, oder eine vorhergesehene Empfindung zu hindern.326

Anders als in der Theorie der Leidenschaften verhalte sich die Seele bei den Gemütsbewegungen aktiv, und nur so sei die Übereinstimmung von körperlicher und seelisch-geistiger Empfindung zu begründen.327 Meier sieht neben den erworbenen („zufälligen“) Vorstellungen der Seele auch angeborene („nothwendige[]“), welche die Gemütsbewegungen erst hervorbringen:328

Die ersten sind auf einmal und beständig in der Seele, und sind ihr gleich bey ihrem ersten Ursprunge von dem Schöpfer so zu reden eingedruckt worden. Diese Vorstellungen werden von der Seele durch ihre Begierden, die sie nach und nach würkt, nicht hervorgebracht, sondern sie sind die ersten Gründe aller Begierden und Verabscheuungen der Seele, wodurch nach und nach alle zufälligen Vorstellungen der Seele, welche nach und nach entstehen, gewürkt werden.329

Meier entwirft damit eine Entwicklung, die von den angeborenen Vorstellungen ausgeht und über die durch sie bestimmten ersten Gemütsbewegungen (Begehren und Verabscheuen) den Erwerb der zufälligen, durch die sinnliche Erfahrung erworbenen Vorstellungen lenkt. Meiers Theorie der aktiven Gemütsbewegungen sucht damit Leibniz’ Theorie der prästabilierten Harmonie mit dem Sensualismus Lockes und Condillacs zu verbinden. Die physischen Sinne stehen nicht am Anfang jeglicher Vorstellung, treten jedoch als Mittel der Gemütsbewegungen in dem Moment hinzu, in dem der Mensch in ein begehrendes oder abwehrendes Verhältnis zu seiner Umwelt tritt. Nur der „gemeine Mann“ oder ein „Materialist“ könne, so Meier 1747, diese Gemütsbewegungen mit den Sinnesorganen verwechseln.330 Zwar könne eine Maschine alle körperlichen Bewegungen ausführen, bringe dadurch jedoch keine seelisch-geistigen Wahrnehmungen hervor:331 „So viel ist also klar, daß unser Leib nicht sehe, höre, schmecke, fühle und rieche, sondern das thut die Seele.“332 Eine „nur mittelmäßige Aufmerksamkeit“ zeige, daß die Annahme, nach der „die Empfindung und die Sinne in dem Körper sind“ falsch sei:333

In dem Körper ist nur zweyerley. Einmal, der nächste Gegenstand der äusserlichen Empfindungen, oder die gegenwärtigen Veränderungen des Körpers; und zum andern, die Werkzeuge der Sinne (organa sensoria) oder diejenigen Theile des Körpers, ohne welche wir keine äusserliche Empfindungen haben können, und es ist bekant, daß man dahin die Augen, die Ohren, die Nase, den Mund, und den ganzen Nervenbau rechnet.334

Die sinnlich erfahrbaren Objekte und die körperlichen Sinne sind damit die Voraussetzungen der (äußeren wie inneren) Sinnesempfindung, nicht jedoch diese Sinnesempfindung selbst.335 Folglich ist nach Meier die Beschäftigung mit den Sinnesorganen nicht Teil der Ästhetik: „Die ganze Natur unserer Sinne ist so was wunderbares, daß die Untersuchung derselben ein ganz ausnehmendes Vergnügen verursacht. Allein sie gehört nicht in die Aesthetik, sondern in die Psychologie und Physiologie […].“336 Die Ästhetik beschäftigt sich mit der seelisch-geistigen Wahrnehmung, die Meier als „eine Aufmerksamkeit auf die gegenwärtigen Veränderungen unseres Zustandes“ bestimmt.337 Die Sinnesempfindung sei diejenige Vorstellung, die sich zugleich mit einer Veränderung im Körper einstelle: „So ist das Sehen nichts anders, als eine Vorstellung einer gegenwärtigen Veränderung, welche durch das Licht in unsern Augen verursacht wird, und so auch in den übrigen Fällen.“338 Im Kapitel „Von den Sinnen“ definiert Meier diese als „diejenigen Kräfte, die sich in der Kindheit am ersten äussern und auswickeln, und sie machen gleichsam die Grundlage der ganzen Seele aus […].“339 Diese sei – anders als die körperlichen Vorgänge, die nur vom Gesundheitszustand der Sinnesorgane beeinflusst werden – durchaus erlern- und damit auch steuerbar. Da die Sinnesempfindung für Meier die „Grundlage unserer Seele und der ganzen übrigen klaren Erkenntniß“ bildet,340 hängen sowohl das untere wie das obere Erkentnnisvermögen von der Übung der Sinnesempfindung ab: „Je besser also unsere Empfindungen sind, desto besser kan auch unsere übrige Erkenntniß seyn; und je schlechter jene sind, desto elender muß auch nothwendig diese seyn. Vollkommenere Empfindungen erfordern schärfere Sinne, und stumpfe Sinne verursachen elendere Empfindungen.“341 Meier schlägt vor, mithilfe der Lenkung der Aufmerksamkeit einzelne Empfindungen herauszugreifen, zu verstärken oder abzuschwächen.342 Dies werde durch sieben Faktoren erleichtert beziehungsweise von deren Gegenteil erschwert:

1) wenn die Werkzeuge der Sinne, durch welche wir die willkürliche Empfindung erlangen wollen, die gehörige Beschaffenheit haben […]; 2) wenn man den Gegenstand in die Sphäre der Empfindung bringt […]; 3) wenn man ihn in den Empfindungspunct stellt, oder so wenig davon entfernt, als möglich […]; 4) wenn der Körper, den wir empfinden wollen, so viel als sich vorläufig untersuchen läst, die gehörige Beschaffenheit […] und 5) Grösse hat […] 6) Man muß alle übrige stärkere Empfindungen, die von anderer Art sind, als diejenige, die wir eben haben wollen, verhindern und unterdrucken […]. […] 7) Man muß alle übrige Empfindungen von anderer Art unterdrucken […]. Ihre Menge zerstreuet doch das Gemüth. Man muß gleichsam, den ganzen Schauplatz der Seele leer machen. […] 8) Man muß abstrahiren von allen übrigen Vorstellungen, die keine Empfindungen sind, die aber doch das Gemüth zerstreuen könten.343

Durch die Situierung des Körpers im Raum lasse sich nicht nur die Auswahl, sondern auch die Qualität der Empfindung beeinflussen: „Daß die Empfindungen von der Lage des Körpers abhangen, ist nicht nur daher klar, weil das ganze untere Erkenntnisvermögen, und also auch der Sinn, sich nach der Lage des Körpers richtet […].“344 Meier folgt Baumgarten bei der Beschreibung der für diese Qualität entscheidenden „Sphäre des Gesichts“ und innerhalb dieses Ausschnitts des „Punct[es] der Empfindung“.345 Von der optimalen räumlichen Situierung hänge ab, ob ein einzelner Mensch seine Sinnesempfindung mehr oder weniger gut schulen könne.346 Meier nimmt an, dass man „viel und mancherley gesehen und gehört haben [muss], wenn man gut sehen und hören will.“347 Als Beispiele nennt er einen Reisenden und einen Musikkenner,348 der jede falsche Note in einem Orchester hören könne, wo ein anderer nur „ein verworrenes Getöse“ empfinde.349 Die „Ausdehnung der Sinne (extensio sensus)“ könne durch die „Menge der Empfindungen erhalten“ und erweitert werden.350 Meier empfiehlt hierzu, bei der Betrachtung eines Gegenstandes die anderen Sinne hinzuzuziehen, denn „jeder Sinn stellt den Gegenstand auf einer andern Seite vor.“351 Die Empfindung werde dadurch „reicher und lebhafter“.352

Meier interessiert jedoch nicht nur die räumliche Situierung des Objekts und ihre Auswirkung auf die Qualität der Sinnesempfindung, sondern die Möglichkeiten des Menschen seine eigenen Empfindungen und die der anderen zu beeinflussen. Hier geht es nicht um die Frage, ob ein Objekt beispielsweise scharf oder unscharf ist, sondern wie ‚intensiv‘ es empfunden wird. Durch das seelisch-geistige Vermögen der Aufmerksamkeit könne ein Mensch die Empfindungen aktiv verstärken oder abschwächen. Die Wiederholung einer immer gleichen Empfindung wirke sich beispielsweise schwächend aus: „Eine jedwede einzelne Empfindung wird durch die Länge der Zeit entkräftet und verdunkelt.“353 Als Beispiel führt Meier den Blutkreislauf an, den der Mensch nicht mehr bewusst empfindet, weil er ununterbrochen fortläuft, und das Abklingen der Verliebtheit nach der Hochzeit: „Daher ist unter andern zu begreifen, warum die Liebe der Eheleute mehrentheils so viel von ihrer Lebhaftigkeit verliert. […] Die Entfernung und Abwesenheit ist eine rechte Stärkung und Würze der Liebe, welche den Geschmack derselben ungemein scharf macht und erhöhet.“354 Meier begründet so auch den Nutzen des Schlafes. Wird die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Aspekt hingegen besonders erhöht, gerate der Empfindende in Verzückung: „So wird jemand vor Zorn ausser sich gesetzt, wenn er, ausser dem Gegenstande seines Zorns, nichts weiter sieht, noch hört.“355 Meier sieht diese Möglichkeit, die eigenen Empfindungen zu steuern, auch als ein Mittel, der „Sclaverey der Sinne“ zu entgehen.356 Der Mensch solle „Herr der Sinne“ werden und „nach Belieben eine Empfindung verursachen oder verhindern können.“357

Die Deutung und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Ästhetik durch Georg Friedrich Meier scheint so die Körperlichkeit der Empfindung in den Vordergrund zu rücken. Nicht nur spricht er ihr eine eigene, an der praktischen Erfahrung orientierte Wahrheit zu, sondern stellt mit dem Begehrungsvermögen dem unteren Erkenntnisvermögen eine Empfindung zur Seite, die das Verhältnis des Menschen zu seiner sinnlich wahrnehmbaren Umwelt sowohl individualisiert als auch von der Ausrichtung auf die rationale Erkenntnis löst. Der Mensch setzt sich in Meiers Theorie der Sinnesempfindung in ein aktives Verhältnis zu seiner Umgebung, welches einerseits durch sein Begehrungsvermögen und andererseits durch seinen Wunsch geleitet wird, die eigene Empfindungsfähigkeit zu verbessern oder diejenige anderer Menschen anzuleiten. Das Auge erscheint Meier vor diesem Hintergrund nicht deshalb als besonders edles Organ, weil es der rationalen Erkenntnis eines ‚klassischen Wahrnehmungsmodells‘ am nächsten steht, sondern weil es im Gegenteil die sinnliche Empfindung durch seine Reichweite besonders intensiv und lebhaft macht. Trotz dieser Aufwertung der alltäglichen und ‚begehrenden‘ Empfindung hält Meier an der Trennung der physischen Sinnesempfindung und der seelisch-geistigen Wahrnehmung sowie an Leibniz’ Theorie der prästabilierten Harmonie fest. Sowohl seine Überlegungen zum Begehrungsvermögen und den Gemütsbewegungen als auch zum unteren Erkenntnisvermögen verortet er klar auf der Seite der seelisch-geistigen Empfindung.358 Es handelt sich dabei nicht um einen Tribut an eine Mitte des 18. Jahrhunderts bereits veraltet klingende rationalistische Philosophie in der Tradition Wolffs, sondern um eine erst auf der Basis der Trennung von Körper und Geist mögliche – da vom Vorwurf des Materialismus befreite – Ausformulierung einer ästhetischen Theorie der seelisch-geistigen Wahrnehmung, die in Wolffs Auseinandersetzung mit den Theorien der Sinnesempfindung des 17. Jahrhunderts ihren Ursprung hat und die auch in den 1760er und 1770er Jahren insbesondere durch den Einfluss Sulzers noch breite Zustimmung erfährt.

3.5 Sehen und Empfinden (Johann Georg Sulzer)

Die zwei wesentlichen Akzentverschiebungen in Georg Friedrich Meiers Theorie der Sinnesempfindung erweisen sich um die Jahrhundertmitte als wegweisend für die ästhetische Theorie einerseits und die Anthropologie des ‚ganzen Menschen‘ andererseits. Die untere Erkenntniskraft wird nicht nur aufgewertet, sondern analog zur Rolle der physischen Sinnesempfindung im Sensualismus als Ausgangspunkt der individuellen wie gesellschaftlichen Entwicklung in der Zeit verstanden. Außerdem verschiebt die zunehmende Gleichsetzung der Gemütsbewegungen mit der seelisch-geistigen Empfindung die Beschäftigung mit den Sinnen von der Epistemologie in den Bereich der Sittenlehre und Wirkungsästhetik.359 Entscheidende Impulse gehen in beiden Aspekten von dem Werk des Schweizer Philosophen und Pädagogen Johann Georg Sulzer aus, der ab 1750 als ordentliches Mitglied und ab 1776 als Vorsitzender der philosophischen Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften sowie mit seinem Hauptwerk, der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste (vier Bände, 1771, 1774), den Diskurs über die Ästhetik im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts prägt:

Nach seiner Übersiedelung nach Berlin und seiner Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften entwickelte sich der Schweizer Mathematiker, Pädagoge und Philosoph zwischen 1750 und 1775 durch seine Beiträge zur Philosophie – vor allem zur Psychologie, Anthropologie und Ästhetik – aber auch zur Wissenschaftstheorie, Mathematik, Ethik und Pädagogik – zu einem der bekanntesten und wirkmächtigsten Theoretiker sowie durch seine Tätigkeit an der Berliner Akademie der Wissenschaften und diverser gelehrter Gesellschaften zu einem der prägenden Organisatoren der Aufklärung.360

Mit dem Sehen als wissenschaftlicher Methode beschäftigt sich Sulzer schon in den unmittelbar nach seiner Ausbildung am Gymnasium Carolinum (wo er unter anderem Schüler Johannes Gessners (1709–1790), Bodmers und Breitingers ist und die Philosophie Wolffs kennenlernt) erschienenen kurzen Schriften zu naturforschenden Themen und zeitgenössischen archäologischen Funden.361 1741 veröffentlicht er eine Übersetzung des Methodus Juxta Quam Physiologus Accurate (1736) des schwedischen Naturforschers Carl von Linné, dessen 1735 erschienenes Systema Naturae die Grundlage der modernen Botanik legt.362 In seiner dialogischen Schrift Gespräch von den Cometen (1742) zeigt der erst Zweiundzwanzigjährige durch Verweise auf Tycho Brahe, Johannes Kepler, Issac Newton, Philippe de la Hire, Christiaan Huygens und Johann Christoph Gottsched, dass er auch mit der astronomischen Forschung vertraut ist.363 Ausführlicher geht er jedoch erst im Vorbericht seiner 1743 und noch einmal 1747 erschienenen, Gessner gewidmeten Schrift Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742 gemachten Berg=Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat auf methodische Fragen der Naturforschung ein, in deren Zentrum die geleitete Beobachtung steht. Er bestimmt die Aufgaben des Naturforschers als Sammlung aller Naturphänomene und Erklärung ihrer „Würckungen […] die wir alle Tage vor Augen sehen […].“364 Beides könne, so Sulzer, nur auf einer „physicalische[n] Reise[]“ geleistet werden,365 da anders als im Naturalienkabinett hier die Abfolge der Wirkungen sichtbar werde. Wichtigstes Hilfsmittel sei neben „Schlag= und Grab=Instrumenten“ die genaue Beobachtung,366 die Sulzer als „einzige[n] sichere[n] Weg […] zu einer wahren Erkänntniß“ bezeichnet.367

Auch in seinem 1745 erstmals veröffentlichten Versuch, alle Wissenschaften in einer kurzen Schrift zu beschreiben, weist Sulzer den Sinnen eine grundlegende Rolle zu: „Es sind also zwei Haupt-Classen der Gelehrtheit, oder des Wissens, nehmlich die Historische und die Philosophische, jene begreifft die Wahrheiten, welche durch die bloße Sinne erkannt werden, diese aber begreifft die Wahrheiten, welche die Vernunfft entdecket.“368 Sulzer fasst das Verhältnis dieser beiden Kategorien sowohl kausal und chronologisch als auch wertend und zitiert die sensualistische Grundmaxime:

Hieraus ist zu sehen, daß die Historische Erkenntniß der Grund zu aller Wissenschafft ist. Denn wenn man nicht weiß, daß ein Ding ist, so kann man den Grund davon und die Stärke desselben nicht untersuchen. Daher die Weltweisen sagen: Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu. Diese Erkenntiß ist aber auch die geringste und hat der Mensch selbige mit den Thieren gemein; Sie beruhet nur auf den äußerlichen Sinnen und auf dem Gedächtniß.369

Da die Sinne Ausgangspunkt und erstes Mittel der Erkenntnis sind, muss sich auch die Philosophie mit „der Kunst, die Sinne recht zu gebrauchen“ auseinandersetzen.370 Sulzer unterscheidet analog zu den Sinnesorganen die Sehkunst (Auge), die aus den Unterkategorien „Optic […] Catoptric […] Dioptric und […] Perspektiv“371 bestehe, und die Sprachkunst (Ohr),372 die nach heutigem Wortgebrauch Philologie, Etymologie, Grammatik und Rhetorik umfasst. Als übergreifenden Bereich bestimmt Sulzer eine „allgemeine Erfahrungskunst“, die bereits Baumgarten gefordert hatte und welche die Regeln betrachtet, die „vorschreiben, wie man es müsse anstellen, damit man durch die Sinne zu einer richtigen Erkenntniß komme“, das heißt, „1) wie die Sinne müssen beschaffen seyn, wenn man dadurch die Sachen richtig erkennen soll. 2) Wie man dieselben müsse gebrauchen. 3) Wie man denselben durch die Kunst helfen könne.“373 Die Erfahrungskunst umfasst damit eine Anatomie, Praxis und Ästhetik der Sinnesempfindung. Entsprechend der Zielsetzung des Kurzen Begriffs aller Wissenschaften führt Sulzer diesen Entwurf jedoch nicht aus und kommt auf ihn auch in seinen späteren Schriften nicht mehr zurück. In der zweiten, grundlegend überarbeiteten Fassung (1759) wird der Beschäftigung mit den Sinnen dieser Begründungscharakter nicht mehr zugesprochen.374 Bilden sie 1745 den Ausgangspunkt für die Einteilung der Gelehrsamkeit in die historische und die philosophische Erkenntnis und werden als deren entwicklungsgeschichtliche Grundlage verstanden, so unterscheidet Sulzer nun acht Bereiche der Gelehrsamkeit, für deren Einteilung die Sinne keine Rolle mehr spielen. Besonders augenscheinlich wird dies bei der Umdeutung der historischen Erkenntnis zur historischen Wissenschaft, die Sulzer nun als eine Geschichte der menschlichen Handlungen definiert.375 Weitgehend verschwunden sind die physischen Sinne sogar aus den Paragrafen, die sich mit der Optik und der Philologie beschäftigen.376 Nimmt Sulzer in der ersten Fassung der Schrift noch an, dass „alles unser Wissen“ entweder durch die Sinne oder die Vernunft erlangt werde,377 so definiert er die Gelehrsamkeit 1759 schlicht als Gesamtheit der Wissensinhalte.378

In seinen frühen naturforschenden Schriften spielt die ‚historische‘ Erkenntnis hingegen eine wichtige Rolle, und Sulzer äußert sich skeptisch über die Leistungen des Verstandes: „Wer demnach den Namen eines Naturforschers verdienen will / der muß auch die Natur zu seiner einzigen Lehrerin annehmen / und seinem Verstand nichts zutrauen.“379 Allerdings vertritt Sulzer keine einseitige Verstandeskritik, sondern beschäftigt sich auch mit der Standortgebundenheit und der sich hieraus ergebenden Begrenzung der Sinnesempfindung.380 Die vollständige Erkenntnis der Natur und des Zusammenwirkens ihrer Teile bleibt Gott vorbehalten.381 Zudem reiche, so Sulzer, das alleinige Hinsehen nicht aus. Die Beobachtung müsse von einem Studium der Flora und Fauna ausgewählter Landstriche geleitet werden. Nur so kehre der Naturforscher von seinen Feldstudien nicht „fast eben so leer an Erkänntniß wieder zurück […] als er vorher war.“382

Wenn ein Mensch / der niemalen eine Pflanze gesehen hätte / auf ein beblühmtes Feld geführt würde / wo er so mancherley Blumen vor sich fände / und es würde ihm aufgetragen / er sollte erklären/ woher diese Pflanzen entstanden / so könte er eine Ewigkeit lange rathen / ohne auf die wahre Beschaffenheit der Sache zu kommen: Wenn er sich aber die Mühe nähme / der Natur in ihren Würckungen nachzugehen / und zu beobachten / durch was für Wege sie geht / ehe die Pflanze vollkommen gemacht ist / so würde er die wahren Ursachen entdecken / woher eine jede Pflanze kömmt. Er würde nemlich sehen / daß eine jede zur Zeitigung gekommene Pflanze ihren Saamen fallen läßt / er würde sehen / daß dieser Saame / wenn er in feuchte Erde kömmt / erst aufschwillt / hernach sich öffnet und kleine Wurzeln und Blätter von sich stößt […].383

Nur in der Natur – und am ehesten in der abwechslungsreichen Landschaft der Schweizer Berge – kann der Naturforscher, so Sulzer in der Nachfolge Linnés und Gessners, die Reproduktionszyklen der Pflanzen beobachten und die Aufgabe der Sammlung mit der Erklärung der Wirkungen verbinden.384

Die Definition dieser ‚Wirkungen‘ bettet Sulzer in die Vorstellung einer allgemeinen Ordnung und Kausalität in den Bereichen der Geologie, Botanik und Zoologie ein: „Es sind auch überdem alle Begebenheiten der Natur so enge mit einander verbunden / daß allemal eine die Folge oder die Würckung einer andern ist.“385 Er deutet diesen Zusammenhang teleologisch als schrittweise zunehmende Vollkommenheit: „Ihre Werke [d. i. der Natur] sind so beschaffen, daß die Vollkommenheiten derselben durch sehr enge und unmerkliche Gränzen fortrücken.“386 Ist die physikotheologische Deutung dieser Teleologie in den ersten Schriften nur am Rande präsent, dominiert sie Sulzers Veröffentlichungen der zweiten Hälfte der 1740er Jahre, in denen der theologische und moralische Nutzen der Naturforschung in den Vordergrund rückt.387 In der Vorrede zum 1745 erschienenen Versuch einiger moralischer Betrachtungen über die Werke der Natur erklärt der Berliner Hofprediger August Friedrich Wilhelm Sack (1703–1786) – den Sulzer 1743/1744 kennenlernt –, der Nutzen der Naturforschung liege in der „vortrefflichen Erkenntniß des göttlichen Wesens“,388 insbesondere wenn sie „mit der Moral oder Sittenlehre zugleich verknüpft wird.“389 Sulzer nimmt dies in seinem Widmungsbrief an Johann Heinrich Waser (1713–1777) auf und unterstreicht, dass die Naturforschung „kein bloßes Hirnvergnügen“ sei.390 Als exemplarische Methode verweist er auf die Mikroskopie, welche durch die Einsicht in die Mannigfaltigkeit der Wesen die Praxis der instrumentengestützten Beobachtung mit den Grundgedanken der Physikotheologie verbinde.391 Etwas aus dem Rahmen dieser Begründung fällt freilich Sulzers mit Verweis auf Leeuwenhoek angeführte Untersuchung des eigenen Zahnbelags und dessen Bewohnern: „Der grössere Theil ihres Leibes ist rund, sie haben aber überdieß ein kurzes Schwänzchen, daß ihre ganze Figur so ist, wie der noch jungen erst ausgebrüteten Frösche, die wir in den Pfützen sehen.“392 Neben dem vermutlich unbeabsichtigten Schauereffekt lenkt Sulzer mit diesem Beispiel den Blick auf seinen eigenen Körper, dessen Kränklichkeit er auch in den Reiseberichten und Briefen thematisiert.393

Im Rahmen dieses physikotheologischen Weltbildes beschäftigt sich Sulzer so bereits Mitte der 1740er Jahre mit einer weder rationalen noch einem bestimmten Sinnesorgan zuzuordnenden Empfindung. Er nimmt an, der Mensch empfinde die allgemeine Ordnung der Welt – die er als Ausrichtung aller Elemente auf einen Nutzen fasst – als notwendig,394 das heißt unabhängig von individuellen oder kulturellen Prägungen, angenehm:

Die Ordnung ist also allein, was dem höchsten Wesen gefällt. Da er uns nach seinem Bilde gemacht, hat er uns auch eine Liebe zu der Ordnung eingepräget. Wo wir etwas sehen, darinn Ordnung ist, da werden wir gezwungen, daran ein Wohlgefallen zu haben, ohne zu wissen, wie und warum es geschiehet. Dieses ist nemlich die Natur unserer Seele.395

Abgesehen von dieser allen Menschen eigenen, angenehmen Empfindung nimmt Sulzer jedoch an, dass die Menschen nach ihren sinnlichen Vorlieben in „Classen und Ordnungen“396 eingeteilt werden können: „Es giebt tiefsinnige, scharfsinnige, geistreiche, einfältige, dumme Seelen etc. Es ist in den Speisen vor diese Seelen eben so grosse Verschiedenheit, wie in den Speisen der Thiere.“397 Sulzer unterscheidet so Menschen, die an abstrakten Überlegungen Freude finden, von denjenigen, die angenehme Empfindung in der Beobachtung der Natur suchen und einer dritten ‚Klasse‘, die „wenig oder gar keine deutliche Begriffe“ bilde.398 Deutliche Begriffe definiert er in seiner ersten pädagogischen Schrift (1745) in der Tradition Wolffs und sieht die Grundlage einer gelungenen Erziehung in der Vermittlung der Fähigkeit, diese zu bilden: „Die erste Bemühung in der Erziehung der Kinder in Ansehung des Verstandes, ist also diese; daß man die Kinder anführe, von allen Sachen, so viel als möglich, deutliche Begriffe zu bekommen.“399 Mit Verweis auf Leibniz erklärt er, diese Fähigkeit werde durch eine aufmerksame Beobachtung erst sinnlicher Objekte und ab dem achten Lebensjahr auch abstrakter Begriffe erworben: „Wenn ich in sichtbaren Dingen etwas vor mir liegen habe, und gebe mir die Mühe, alles, was mir in die Augen fällt, genau zu besehen, so bekomme ich dadurch einen richtigen Begriff von dieser Sache […].“400

Sulzer bestimmt folglich die Sinnesempfindung nicht nur als eine allgemein menschliche und in gewissem Maße unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit, sondern geht davon aus, dass sie geweckt und gefördert werden kann.401 Im Zentrum der stark veränderten Fassung des Versuchs einiger moralischer Betrachtungen über die Werke der Natur, die 1750 unter dem Titel Unterredungen über die Schönheit der Natur in Berlin erscheint und nun Bodmer gewidmet ist,402 steht die sinnliche, vor allem visuelle Bildungsgeschichte eines jungen Stadtbewohners, der als Ich-Erzähler Charites bei einem Besuch auf dem Land Gespräche mit dem väterlichen Freund Eukrates führt. Strukturiert sind die Unterredungen nach dem Ablauf der Tageszeiten und den verschiedenen Gesprächsräumen. Sie konzentrieren sich auf eine physikotheologische Erfahrungs- und Bildungsgeschichte und beinhalten – außer in den Fußnoten – wenig der Naturforschung zuzuordnendes Wissen.403 Explizit weist Sulzer darauf hin, dass er „hier nicht das Amt eines Physici oder Naturforschers“ übernommen habe,404 sondern die Schönheit der Natur beschreiben und so die Aufmerksamkeit der Leser auf sie lenken wolle. Anders als in der ersten Fassung wird die physikotheologische Betrachtung der Natur 1750 explizit als ‚Empfindungsschule‘ auch für die künstlerische Schönheit entworfen. Auf den ersten Seiten der Widmung vergleicht Sulzer das Lesen literarischer Texte (Theokrit, Milton, Klopstock) mit der Betrachtung der Natur und sieht in Letzterer eine Voraussetzung für die Fähigkeit, auch die künstlerische Schönheit zu empfinden:

Aber über den möchte ich Thränen vergiessen, für dem das Buch der Natur verschlossen oder unleserlich ist. Wer die darin vorkommende Meisterstüke der Schönheit nicht gelesen, der hat sehr eingeschränkte Begriffe von der Schönheit, wer sie liest und nicht verstehet oder fühlet, der hat eine alle Schönheit und Vollkommenheit mißkennende Seele.405

Entscheidend auch für Sulzers spätere Schriften ist die Tatsache, dass er bereits 1750 die Sinnesempfindung explizit als ‚Rührung‘ definiert und so die Reaktion des Sehenden auf das Gesehene in den Mittelpunkt stellt: „Wenn ich von dem, was ich fühle, auch auf das Gefühl andrer schliessen kann, so vermuthe ich, daß ein jeder, der diese wenige Bogen ließt, von der Schönheit der Natur und ihrer untadelhaften Ordnung und Weisheit auf das lebhafteste wird gerühret werden.“406 Charites beschreibt, wie er nach anfänglichem Desinteresse von der Naturerfahrung dauerhaft und tiefgreifend gerührt worden sei: „Noch niemalen hat ein kurzer Aufenthalt auf dem Lande solche Eindrücke in meinem Gemüthe nachgelassen, als diesmal. Ich fühle seit meiner Zurükkunft oftmals Regungen, die ein Verlangen nach den stillen Wohnungen des Landmanns, nach den Fluren und Hügeln meines Freundes anzeigen.“407 Die visuelle Erfahrung des kurzen Aufenthaltes („wo man die Natur ganz offen vor sich siehet“)408 verknüpft der Ich-Erzähler so eng mit einem „Vergnügen“,409 dass er die Erinnerung an diese Erfahrung immer wieder aufruft.

Charites erweist sich von Beginn an als leicht zu rührender Beobachter. Schon auf dem ersten Hügel stellt er fest: „Ein so schöner Schauplatz rührete mich […].“410 Er bleibt stehen, und das gesamte nun folgende erste Gespräch findet vor dieser Aussicht statt: „Vor uns lag eine ziemlich weite Ausdähnung von Land in dem Grunde, darauf wir manche Dörfer oder einzelne Wohnungen, weit fortgehende Wälder, auch hin und wieder einzelne Büsche im Schatten sahen. Die ganze Gegend war durch verschiedene Teiche vermannigfältiget.“411 Die erste Rührung ist jedoch von kurzer Dauer, was sicher der erzählerischen Logik der Bildungsgeschichte geschuldet ist, Sulzer aber auch die Möglichkeit gibt, bestimmte Aspekte des Empfindens – die Rolle der Aufmerksamkeit und die Intensität der Empfindung – zu thematisieren. Wie in seinen naturforschenden Schriften macht er so deutlich, dass die sinnliche Empfindung der Anleitung bedarf, das einfache ‚Hinsehen‘ nicht (immer) ausreicht. Charites erklärt seine Rührung mit der Neuheit des Gesehenen: „Mich dünkt, daß ich, nachdem ich es einmal gesehen in langer Zeit die Morgenruhe für dieses Ergezen nicht wieder verlassen werde.“412 Eukrates hält entgegen, dass die Betrachtung der Natur dem Menschen ein natürliches Bedürfnis sei, das – anders als die „Ergezlichkeiten der Welt“413 – mit der Zeit nicht zum Überdruss führe. Die Natur biete mehr „Abwechslung und Verschiedenheit […] als irgend anderswo.“414 Der Mensch sei, so Eukrates, für die sanfteren Eindrücke der Natur durch die „Gewohnheit und die Verdorbenheit der grossen Welt“415 unempfindlich geworden:

Wer hingegen eine freye Seele hat, den vergnügt auch das sanfteste Bild der Schönheit. Die noch unschuldige Jugend freuet sich über ein Nichts: So frey muß unser Geist seyn, wenn wir das sanfte Vergnügen der Natur recht fühlen wollen. […] Wie das Wasser, wenn es stürmisch ist, weder das Bild des Himmels noch der nahen Gegend auf seiner Oberfläche zeiget, sondern nur die stille Fluth eine so schöne Malerey sehen läßt; So malen sich die sanften Bilder der Natur nur auf stillen Seelen = = =.416

Er fordert seinen Besucher auf, noch einmal hinzusehen: „Wolan, wir wollen unsre Augen noch nicht von ihr abwenden, vielleicht hast du noch nicht alles Schöne darin wahrgenommen?“417 Es folgt eine Aufzählung dessen, worauf Eukrates die Aufmerksamkeit des jungen Stadtbewohners lenkt. Er beginnt bei der Sonne und führt den Blick über die Farbe der Wolken zum Horizont und die vor ihnen liegende Landschaft. Entgegen der Aufforderung zur aufmerksamen Betrachung werden die einzelnen Teile allgemein als majestätisch, reizend, schön oder harmonisch bezeichnet. Der Schwerpunkt liegt auf den Farben und der Verteilung von Licht und Schatten.418 Den Gesamteindruck beschreibt Charites als „vollkommene[s] Gemählde“ und gesteht, „daß es mir bis dahin nur an Aufmerksamkeit gefehlet […].“419 Gegen Ende der ersten „Unterredung“ fügt er hinzu, Eukrates habe ihm „ein ganz neues Land in dem Reich der Wahrheit“ gezeigt, „ein wahres Indien dieser geistlichen Welt, da das Wunderbare und Neue beständig mit dem Nüzlichen begleitet ist.“420

Die folgenden Gespräche finden in einer im Garten des Hauses angelegten Grotte und dem angrenzenden Eichenwald statt. Zu Beginn wartet Charites auf seinen Gesprächspartner und erprobt die neu gewonnene Sensibilität: „Nach der heutigen Unterredung fand ich nun auch schon da alles angenehmer, als vor diesem. Ich irrte vergnügt durch Alleen und zwischen den Blumen Feldern hindurch.“421 Im Zentrum der weiteren „Unterredungen“ stehen das Verhältnis von Natur und Kunst sowie die Diskussion der Frage, ob die Vielzahl der Wesen dem Zufall oder einem göttlichen Willen geschuldet sei. Bei beiden Aspekten streicht Eukrates die Überlegenheit der göttlichen Schöpfung heraus. In der Natur liege „die Ursprüngliche Werkstäte aller Künste; Eine unendliche Rüstkammer der künstlichsten Maschinen, die alles, was die Menschen erfunden haben, weit übertreffen.“422 Als Grundlage für den Vergleich von Natur und Kunst dienen ihm die Automaten des französischen Ingenieurs Jacques de Vaucansons (1709–1782), die Eukrates als lächerlich abtut.423 Zwar seien auch die Körper der lebendigen Tiere Maschinen, aber als von Gott entworfene den menschlichen weit überlegen.424 Er vergleicht den Aufbau einer Uhr mit dem einer Blume und unterstreicht, dass die mikroskopische Vergrößerung nur im Fall der Blume immer neue, ebenso komplexe Bestandteile sichtbar mache. Die Vergrößerungsgläser seien „andre Augen, die uns mit einer neuen Welt von Wundern bekannt machen.“425 Charites ist von dieser Einsicht überwältigt: „Unendliche Erfindungen, Plane, Regeln = = = O! du, wie soll ich dich nennen, Unendlicher, unbegreifflicher Urheber der Natur, Schöpfer so vieler Wunder! […] Ich blieb hier eine Weile, ohne zu reden, indem mein Geist sich in dem Unermeßlichen gleichsam verlohr.“426

Bereits in dieser frühen Schrift entwirft Sulzer die Sinnesempfindung als physische wie psychische ‚Rührung‘ des Menschen, die weder auf die genaue noch auf die zeitgleiche Betrachtung der äußeren Welt angewiesen ist. Charites berichtet zu Beginn der fünften „Unterredung“ von seiner ‚erhitzten Einbildungskraft‘, die ihm noch im Schlaf Bilder des tagsüber Gesehenen vorführt. Dies bewirkt eine bis zum Morgen anhaltende Lust:

Ich erfuhr nun eben das, dessen mein Freund sich gerühmet hatte, eine außerordentliche Munterkeit, die mir nicht nach und nach, sondern plözlich mit dem Aufschluß des Auges kam. Ich konnte nicht länger liegen bleiben, sondern sprang schnell aus meiner Ruhestelle und eilete die Natur zu sehen. Es war ein sehr schöner Morgen, und ich ward auf das empfindlichste gerühret, als ich die Fenster aufmachte um die vor mir liegende Gegend anzusehen.427

Weder das Studium einzelner Bestandteile noch die genaue Kenntnis der eigenen Empfindungen ist für die Wirkung notwendig. Das Wesentliche spielt sich im (äußeren wie inneren) Bereich des Unsichtbaren ab. Charites unterstreicht in der fünften „Unterredung“: „[I]ch sehe, daß die Betrachtung der Natur die allerhöchste und edelste Beschäftigung eines Menschen ist, wofern er nämlich nicht bey dem blos sinnlichen stehen bleibt, sondern sich bis zu dem unsichtbaren dadurch hinauf schwinget.“428 Die Beschreibung der visuellen Erfahrungen bleibt dementsprechend vage, folgt aber einer narrativen Logik, in der auf die physische Präsenz im Raum die Betrachtung und die Rührung folgen, wobei Letztere sowohl eine physiologische wie eine psychische und theologische Komponente umfasst. Der Beginn der dritten „Unterredung“ führt dies beispielhaft vor:

Unter diesen Gesprächen kamen wir allgemach aus dem Wäldchen auf das freye Feld, als die Sonne eben untergehen wollte. Die Gegend und die Schönheit dieses Abends schienen recht dazu gemacht zu seyn, das Herz mit den angenehmsten Empfindungen zuschmeicheln. Wir betrachteten eine Zeit, lange, an dem Ende des Waldes, die untergehende Sonne, die ihre lezten Strahlen durch die Aeste der Buchen auf uns fallen ließ. Bald hernach sahen wir, wie alles sich auf die Ruhe anschickte. Der Landmann kehrete langsam von seiner schweeren Arbeit nach seiner Hütte, und der Hirte trieb seine bläkende Heerde nach dem Stall. Die Vögel nahmen von den Feldern ihren Flug nach den Gebüschen, und die ganze Natur schien sich zur Nachtruhe nach und nach zu bereiten. Alles, was wir sahen, konnte nichts, als die empfindlichste Lust in uns erweken. Ich meiner Seits, fühlte viel mehr, als ich ausdrüken konnte, und meinem Freund konnte ich das Vergnügen in allen Zügen des Gesichts, und in allen Gebehrden ansehen, der iezo in der Freude seines Herzens war. Anfangs sprachen wir wechselweise etwas zum Lobe der Natur. Aber die Empfindungen nahmen so überhand, daß wir still wurden, und jeder für sich dachte.429

Sulzer entwirft in dieser physikotheologischen Bildungsgeschichte die vom väterlichen Freund angeleitete sinnliche Empfindung als angenehm empfundene Rührung angesichts der Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung. Zwar bleiben Sulzers physikotheologische Schriften den zentralen Aussagen seiner frühen naturforschenden Schriften – insbesondere der Definition der Vollkommenheit in der Tradition Wolffs, der Einsicht in die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und der Notwendigkeit der Blicklenkung – verpflichtet, sie weisen aber vor allem auf die ab den 1750er Jahren in den Akademieschriften entwickelte Definition der Empfindung als Rührung voraus, welche die Grundlage für Sulzers Unterscheidung von Empfindungs- und Vorstellungsvermögen bildet.

Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Unterredungen bemüht sich Sulzer – nun Mitglied der Akademie –, diese Rührung wissenschaftlich zu begründen.430 1751 und 1752 stellt er der philosophischen Klasse der Berliner Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres seine „Recherches sur l’origine des sentimens agréables et désagréables“ vor, die in vier Teilen in den Jahrbüchern 1751/1752 und noch einmal 1767 unter dem Titel Nouvelle théorie des plaisirs mit zwei weiteren Akademieschriften veröffentlicht wird.431 Eine deutsche Übersetzung erscheint 1762 und eröffnet 1773 den ersten Band der Vermischten philosophischen Schriften.432 Die angenehme Empfindung begründet Sulzer nun nicht mehr physikotheologisch, sondern zum einen physiologisch als das Gegenteil von Schmerz und zum anderen philosophisch als das ungehinderte Denken. Auf beiden Ebenen sieht Sulzer die Empfindung als Folge der aktiven Bewegung beziehungsweise der Tätigkeit der Seele. Das physiologische Erklärungsmodell bildet die Grundlage: „Tout le monde convient, que le bonheur, autant que l’homme y peut atteindre, est un état dans lequel les plaisirs dont on jouït surpassent les peines auxquelles on est exposé.“433 Die ursprünglichste Handlung des Menschen bestehe in dem Versuch, Schmerzen zu vermeiden und angenehme Empfindungen zu suchen: „[T]oute la science du Bonheur, entant qu’il dépend de nos actions, se réduit à une seule régle fort simple & fort aisée: Qu’il faut tâcher de se procurer tout le plaisir possible, connu par l’experience, & éviter toute peine.“434 Sich widersprechende Empfindungen machten es jedoch notwendig, sich über diese Grundformel hinaus mit der (moralischen) Bedeutung, den Unterscheidungsmöglichkeiten und den Mitteln zu beschäftigen, die zur Erreichung der Glückseligkeit eingesetzt werden sollten.435 Hierzu müsse das Wesen der angenehmen Empfindung genau bestimmt werden. Sulzer definiert sie als Tätigkeit der Seele, die eine physiologische (Abwehr von Schmerz / Streben nach Lust) und eine philosophische Komponente (Freude an der Tätigkeit / Unmut über deren Verhinderung) hat:

Telle doit nécessairement être l’action de l’ame lorsqu’elle se représente un objet, duquel comme d’une source seconde découle une quantité d’idées particulières, qu’elle prévoit, pour ainsi dire, de loin. Elle sent qu’elle aura de l’ouvrage, & de l’ouvrage aisé. Ce pressentiment d’abondance de nourriture, si je puis m’exprimer ainsi, lui fait naitre un desir de s’attacher à cet objet […].436

Die physische Sinnesempfindung verursacht demnach eine Vorstellung, die von einer angenehmen oder unangenehmen Empfindung begleitet wird, da sie entweder abstoßend oder anziehend wirkt und die Seele zur Tätigkeit anregt oder nicht.437 Sulzer stützt sich dabei mit Verweis auf Wolff auf die Definition des Denkens als der eigentlichen Tätigkeit der Seele: „Car l’ame étant une substance active, (personne ne peut en douter,) il faut que quelque espèce d’action ou de force lui soit naturelle. Cette action naturelle de l’ame est seurement celle de produire, ou si l’on veut de recevoir, des idées, & de les comparer, c. a. d. de penser.“438 Empfindung und Vorstellung fasst Sulzer folglich als ein aktives Hervorbringen und einen Umgang (Denken, Anstreben, Abwehren) mit durch die Sinnesorgane vermittelten Bewegungen, welche er hier erstmals mit dem Begriff ‚Kraft‘ (frz. force) bezeichnet.439 In einer 1758 vorgelegten Akademieschrift definiert er die Vorstellungskraft als „die erste Eigenschaft aller empfindenden Wesen“:

La première propriété de tout être doué du sentiment intérieur, celle qui, en même tems, paroit être la source de toutes les autres, est la force représentative, comme Leibniz & Wolff l’ont appellée, ou ce principe d’activité qui nous porte, & nous force en quelque façon, à nous prêter aux impressions excitées en nous par les sens. C’est cette force qui donne aux êtres intelligens l’activité, la vivacité, & la sensibilité; c’est elle qui paroit produire tout les changemens qui arrivent dans l’intérieur des substances.440

Mit Verweis auf die Arbeit des Philosophen, Wissenschaftlers und Politikers unterscheidet Sulzer abstrakte Vorstellungen qualitativ, aber nicht kategorisch von den sinnlichen Freuden der „voluptueux de profession“.441 Zwar gebe es, so Sulzer Wolffs Termini aufgreifend, weniger anziehende verworrene und anziehendere klare und deutliche Ideen, entscheidend sei aber die Tätigkeit der Seele.442

Sulzer nimmt damit einen anderen Standpunkt ein als der Schweizer Philosoph Johann Bernhard Merian, der zusammen mit Christoph Friedrich Nicolai (1733–1811) 1809 Sulzers Lebensbeschreibung herausgibt.443 In einer Akademieschrift definiert dieser 1749 die Selbstwahrnehmung der Seele in Anlehnung an Leibniz als „sentiment immédiat de l’ame, nommé Apperception, Intuition, simple Vûe.“444 Er versteht darunter die ersten beiden Schritte des Empfindungsprozesses: „1. Vous appercevrez quelque objet. 2. Vous vous souviendrez que vous l’avez apperçu. 3. Vous réfléchirez sur l’acte, en vertu duquel vous l’avez aperçu.“445 Seine Schrift beschäftigt sich mit den Vorstellungen beziehungsweise der Apperzeption der eigenen Existenz, die sich für Merian nicht erst im Denken offenbart, sondern bereits im zweiten Schritt, den er „apperception primitive“446 oder intuitive Wahrnehmung nennt und dem das Bewusstsein der eigenen Existenz als Voraussetzung beigegeben sein muss.447 Mit Verweis auf Locke und Leibniz schreibt Merian: „L’oeil ne se voit pas voir, n’étant pas placé derrière soi même; mais même en ne se voyant point il sent son existence […].“448 Unmittelbare Apperzeption der eigenen Existenz findet für Merian – anders als für Sulzer und später für Herder – nur in diesem vorreflexiven Moment statt, in dem die Seele passiv bleibt:

La passivité de l’ame à l’égard de ses perceptions est un autre fait, que nous expérimentons à tout moment. L’empire de la volonté ne s’étend pas jusqu’à produire des idées, & nous sentons que leur cause productrice est quelque chose d’entierement different de nous-mêmes. Lorsque je tourne mes yeux vers un objet, ce n’est pas moi, qui produis l’idée de cet objet dans mon ame; je ne fais que me déterminer à l’action d’une cause étrangère […].449

Sulzer geht hingegen von einer Aktivität der Seele bei jeder Empfindung beziehungsweise Vorstellung aus und unterscheidet völlig anders als Merian zwischen einer unmittelbaren und einer mittelbaren Klasse des Vergnügens. Mittelbar sei die angenehme Empfindung, wenn sie von äußeren Umständen, der Erziehung oder Kultur des Einzelnen abhängig sei:450

J’ai déjà remarqué qu’il faut distinguer deux classes générales de plaisirs, des plaisirs immédiats, & des plaisirs médiats. On entreprendroit en vain de faire l’énumération de ces derniers, parce que dépendant des affections & des manières de penser particulières à chaque individu, ils varient à l’infini.451

Sulzer kommt mit dieser Unterscheidung dem skeptizistischen Argument der individuellen Vorlieben zuvor und reagiert eventuell auf Abraham Gotthelf Kästners Akademieschrift über den Ursprung des Vergnügens, die unmittelbar auf diejenige Merians folgt und im Rahmen von Sulzers Nouvelle théorie des plaisirs 1767 noch einmal erscheint: „Ce qui plait, ne plait pas également à tous les hommes. La Musique des Barbares nous ennuye par sa monotonie; la nôtre fatigue ces peuples en demandant une attention, dont ils ne sont pas capables […].“452 Sulzer stellt diesem kulturell geprägten Vergnügen – wie bereits in seinen physikotheologischen Schriften – ein allgemeines, von zeitlichen und räumlichen Bedingungen unbeeinflusstes ‚unmittelbares‘ Vergnügen entgegen.453 Er unterteilt es in die intellektuellen (Wissenschaften, Künste), sinnlichen (vorrationale Sinneseindrücke) und sozialen Vergnügen (Liebe, Freundschaft).454 Das intellektuelle Vergnügen werde bei allen Menschen durch die Schönheit bewirkt: „Car nous nommons beaux, tous les objets qui plaisent immédiatement à l’imagination ou à l’entendement.“455 Kulturübergreifend angenehm sei diese Empfindung – so Sulzer mit Verweis auf Wolff –, weil die Mannigfaltigkeit in den schönen Dingen die Seele zur Tätigkeit anrege und der Mensch in ihr eine Ordnung beziehungsweise eine Einheit erkenne: „[L]e sentiment agréable tire son origine de la vivacité avec laquelle l’esprit embrasse une multitude d’idées qui se présentent à lui à la fois, en lui faisant sentir qu’il pourra les développer.“456 Die Seele stürze sich geradezu auf schöne Dinge wie auf eine „Beute“ („proye“).457 Nur ein Teil dieses Schönen ist jedoch durch die Sinne vermittelt (Natur, Malerei, Baukunst und Musik), ein anderer entsteht durch die Einbildungskraft458 (Dichtung) und ein dritter Teil durch den Verstand (ein schöner Lehrsatz, ein schöner Gedanke).459

Im Rahmen seiner Beschäftigung mit den Vergnügungen der Sinne kommt Sulzer im dritten Teil seiner Schrift genauer auf den Vorgang der Sinnesempfindung zu sprechen. Vorweg unterstreicht er, dass die Frage des commercium mentis et corporis hier keine Rolle spielen solle.460 Er definiert die Sinnesempfindung als eine Bewegungsübertragung, die sich den Organen eindrücke, durch die Nerven weitergegeben werde und Vorstellungen in der Seele erwecke oder bewirke:

Mais qu’est-ce proprement que sentir? Nous avons coutume de dire, que nous sentons les objets, ou leurs qualités, par exemple la chaleur, que nous entendons parler quelqu’un, que nous voyons le Soleil, que nous sentons tel parfum. Quand on cherche à s’expliquer distinctement sur la signification de ces mots, on trouve qu’ils disent tout au plus, que nous avons des sensations c. à d. des perceptions fortes & vives de certaines choses, qui paroissent les exciter en nous, par des mouvemens qu’elles impriment à nos organes. Nous regardons les objets, que nous sentons, comme les causes, qui par une influence naturelle frappent nos organes, & les impressions que les organes recoivent, comme la cause physique de nos sensations. Que les organes produisent réellement nos sensations, comme le prétend Aristote, ou qu’ils les occasionnent seulement, selon le sentiment du profond Des-Cartes, ou que les sensations accompagnent leurs mouvemens par une harmonie préétablie selon le grand Leibnitz, on peut toujours les regarder comme des raisons effectives des sensations, parce que tout se passe parfaitement, comme si cela étoit effectivement ainsi. Je me servirai donc toujours de cette expression, que les impressions des organes des sens excitent ou produisent les sensations dans l’ame, sans prétendre, ni adopter, ni choquer, aucun des systèmes inventés pour expliquer l’union de l’ame avec le corps. Cela supposé, il faut chercher dans les impressions, que les sens recoivent, la cause, ou si l’on veut l’analogie, ou l’occasion des sensations de l’ame.461

Sulzer erscheint die Annahme, dass die Sinnesorgane am Ursprung der Empfindungen stehen und ihre Bewegung (die er als Abfolge von Stößen fasst) sowohl auf der Ebene der Intensität als auch auf derjenigen der Variabilität den Empfindungen analog seien, letztlich mit allen Erklärungen des commercium mentis et corporis vereinbar.462 Die Empfindung sei stärker oder schwächer, einfach (einfarbig) oder zusammengesetzt (bunt) in Abhängigkeit von der Art der Bewegungen.463 Sulzer setzt die Sinnesorgane mit den Nerven gleich, denn sie sind es, die er sich als bewegt denkt: „Un organe des sens n’est donc autre chose, qu’un système de nerfs tellement placés, qu’ils sont en état de recevoir les impressions des matières propres à les mettre dans cette espece de mouvement, que sa sensation suppose.“464 Direkt im Anschluss bezeichnet er die Bewegung als ‚Spiel‘, dessen Ursache den Nerven des jeweiligen Organs angemessen sein müsse. 1759 kommt er noch einmal auf den Übertragungsweg zwischen der Retina und der Seele zu sprechen und nimmt dort an, dass die Anzahl der bewegten Nerven der Lebendigkeit des Gesehenen entspreche.465

Sulzer verbindet diese Theorie der Empfindung als eine auf die Bewegungsübertragung der Nerven folgende Tätigkeit der Seele mit der auf Keplers Beschreibung des retinalen Bildes basierenden Einsicht in dessen Begrenztheit. Jedes Sinnesorgan ermögliche es dem Menschen, die Dinge in einer von der Beschaffenheit dieses Organs abhängigen Weise zu empfinden:

On voit d’abord que les sens ne nous donnent pas les idées des corps mêmes qui affectent nos organes, mais de quelques unes de leurs qualités rélatives aux sens. La vue, par exemple, ne nous fournit que les idées de l’étendue, des formes, des couleurs, & du mouvement; & si nous n’avions que ce seul sens, nous n’aurions aucune idée de la force des corps, de la solidité, de la dureté, du chaud, & du froid, &c. D’où il est évident que, si les corps ont des qualités qui ne se rapportent à aucun de nos sens, nous n’en avons aucune idée sensible.466

Die Beschaffenheit des Sinnesorgans ist nicht nur die Voraussetzung für eine Empfindung, sondern bedingt ganz entscheidend deren Charakter: „Quant à leur nature, il est évident que la constitution des organes nous entraine à nous former de chaque qualité sensible des corps un certain être, ou phantome, qui seroit très différent, si la même qualité frappoit un sens autrement organisé.“467 Sulzer unterstreicht am Beispiel des Sehens, dass die Beschaffenheit des Auges dazu geeignet sei, die Figuren der äußeren Dinge zu erkennen, nicht aber das Wesen der Farben und des Lichts:

Rien n’est plus éloigné de la véritable nature des choses, que nos idées sur la lumiere & les couleurs: cependant nous concevons fort bien, que le sens de la vue auroit pu être tellement organisé, que nous eussions senti que les couleurs résultent de la vibration que les corps illuminés produissent dans un fluide extrémement subtil, & que nous eussions distingué les couleurs par les vibrations propres à chacune. Or une telle vue auroit considérablement facilité nos raisonnemens sur la lumiere & les couleurs. Tous les autres sens étant dans le même cas, nous pouvons assurer, que la raison, entant qu’elle est rélative au monde matériel, dépend entierement de l’espece d’organisation propre à chaque sens.468

Die Empfindungen sind damit abhängig vom jeweiligen Sinnesorgan und den bereits gemachten Erfahrungen.469 Der Sehnerv sei – so folgert Sulzer aus der Beschaffenheit des Lichts – der ‚feinste‘ Nerv und verursache schwache Empfindungen, während die Nerven des Tastsinns die ‚gröbsten‘ und die von ihnen verursachten Empfindungen die stärksten seien.470 Im Vergleich zu den intellektuellen Vergnügungen seien die Vergnügungen der Sinne zwar stärker und damit unmittelbarer zugänglich, könnten aber auch zu stark und folglich unangenehm oder gar schmerzhaft werden.471 Sei die Bewegung in den Nerven monoton, könne ebenso wenig ein Vergnügen entstehen, als wenn sie ständig sinnlos wechselte.472

All dies könne allerdings nicht durch die sinnliche Erfahrung überprüft werden: „Il n’est pas possible de vérifier cette Théorie par l’expérience prise des sens, parce qu’elle ne nous apprend point les manières dont les sens sont affectés par les objets. Il faut les deviner.“473 Der Erfahrung zugänglich sind lediglich die Ergebnisse der Hervorbringung und Verarbeitung der Vorstellungen durch die Seele, und Sulzer plädiert folglich für eine „théorie métaphysique de l’homme“, die er mit Verweis auf ‚einige Philosophen‘ auch als „Physique de l’ame“ bezeichnet.474 Mit diesem Konzept geht Sulzer in seiner 1754 vor den Akademiemitgliedern vorgetragenen, aber erst zehn Jahre später veröffentlichten Schrift über das Bewusstsein nicht von einer materiellen Seele aus.475 Mit der scheinbar widersprüchlichen Forderung nach einer ‚Metaphysik des Menschen‘ und einer ‚Physik der Seele‘ benennt Sulzer nicht die Beschaffenheit seines Forschungsobjektes, sondern die Forschungsmethode:

Ces deux sciences ont entr’elles le même rapport que celui qui a lieu entre la Médecine empirique & la Médecine raisonnée. L’une recueille les faits, observe tout ce qui produit quelque altération, quelque changement bon ou mauvais pour la santé; l’autre analyse ces faits, en cherche les liaisons & les causes, & tend à établir un systeme vrai, qui serve de base aux jugemens sur la nature des maladies & sur les moyens de les guerir.476

Die empirische Naturlehre der Seele – die Sulzer als bislang wenig erarbeitet ansieht – bilde die Grundlage für die Seelenlehre, eine Aufteilung, die an die Unterscheidung einer historischen und einer philosophischen Klasse der Gelehrtheit erinnert. Die erste Beobachtung, die eine solche Physik der Seele machen könne, sei die Fähigkeit des Menschen, zwischen der Vorstellung eines äußeren Objektes und den eigenen Gedanken zu unterscheiden. Wie Descartes nennt Sulzer diese Fähigkeit das Bewusstsein: „Les Philosophes désignent par le mot d’apperception cet acte de l’esprit par lequel, en distinguant notre être des idées qui nous occupent, nous savons distinctement ce que nous faisons & ce qui se passe dans nous & autour de nous.“477 Indem die Seele zwischen sich selbst und den Vorstellungen der äußeren Dinge unterscheide, nehme sie sich als Beobachtende, Beurteilende und Verarbeitende wahr: „Parmi les corps qui frappent nos sens, nous en voyons & nous en sentons un, si constamment & si essentiellement lié à notre existence, que nous l’appellons notre corps, ou bien nous-mêmes.“478 Am Beispiel des Schlafs und der Ohnmacht zeigt er, dass die Seele sich ihrer selbst nur mithilfe des Körpers bewusst sein kann und damit über keine „idée absolue d’elle-même“ verfügt:479 „Sans le monde matériel, l’ame ne seroit donc qu’une force morte, qui resteroit dans une inaction éternelle. Pour la faire agir, il faut absolument qu’elle soit irritée par dehors.“480 Die Sinnesorgane könnten – so nimmt Sulzer noch Ende der 1770er Jahre an – die unendliche Anzahl der Eindrücke filtern und wie ein Hohlspiegel zusammenführen, so dass der Seele nur ein bestimmter Eindruck und dieser mit möglichst großer Deutlichkeit vermittelt werde:481

Si l’on me demande pourquoi ce cas ne peut avoir lieu que par l’intervention d’un corps organisé, je répons que, sans ce corps organisé, l’ame seroit peut-être exposée à un nombre infini de sensations qui l’attaqueroient à la fois; car le nombre des forces qui se déploient sans cesse dans la Nature, & qui agissent dans tous les points de l’Univers, est presque infini. Or ce nombre infini de sensations que l’ame éprouveroit à chaque instant, la jetteroient nécessairement dans une confusion où elle n’en pourroit distinguer aucune en particulier; & cela produiroit un état de stupidité qui la rendroit tout à fait insensible.482

Obgleich Sulzer so bereits Anfang der 1750er Jahre dem Körper eine entscheidende Rolle zuschreibt, spielen die vor- oder irrationalen Empfindungen in seinem Werk bis zum Ende der 1750er Jahre nur eine Nebenrolle.483 Solange er Empfindung und Vorstellung als Umgang der Seele mit den durch die Sinne vermittelten Bewegungen fasst, bleibt die Prämisse der möglichst klaren und deutlichen Vorstellung leitend. Außerdem mag die Tatsache eine Rolle spielen, dass Sulzer sich bis dahin vor allem mit den angenehmen Empfindungen befasst. Die Physik der Seele als eine Sammlung möglichst vieler beziehungsweise vielfältiger Erfahrungen bringt es nun aber mit sich, die unangenehmen und sogar schädlichen Empfindungen genauer zu betrachten. Mit der physiologischen Unterscheidung von auf starken beziehungsweise schwachen Nervenbewegungen beruhenden Empfindungen beziehungsweise Vorstellungen legt Sulzer zudem die Grundlage für eine zunehmende Differenzierung der beiden Vermögen. Nur die verworrene Vorstellung sei wegen der Intensität der Nervenimpulse in der Lage, die Seele zu bewegen, die deutlichen oder abstrakten Vorstellungen hingegen verursachten keine Rührung und damit auch keine Empfindung:

Les vraies forces impulsives dans l’ame sont d’abord les sensations, puis les perceptions claires, mais bien confuses, de même que les perceptions obscures jusqu’à un certain point. Aucune idée distincte ne peut émouvoir, elle ne peut que diriger l’attention. […] Une sensation donc, qu’elle soit claire ou obscure, pourvu qu’elle soit assez forte pour communiquer l’ébranlement à une partie considérable du système des nerfs, attire à soi toutes les forces de l’ame.484

Zwar geht Sulzer davon aus, dass dieser Unterschied nicht anatomisch nachgewiesen werden könne, macht sich aber in den Akademieschriften ab dem Ende der 1750er Jahre zur Aufgabe, ihm auf der Basis nachvollziehbarer Erfahrungen Evidenz zu verschaffen. 1758 nimmt er an, dass viele Empfindungen des Menschen keine klaren und deutlichen Vorstellungen zur Folge hätten.485 Die Ursache sieht er in einem Wirkzusammenhang von innerer Aufmerksamkeit und den von außen kommenden Bewegungen. Deutliche Vorstellungen verursachten, so Sulzer, eine ‚freie‘, starke Eindrücke hingegen eine ‚unfreie‘ oder ‚dumme‘ Aufmerksamkeit, die – wie ein plötzliches Geräusch – in Erstaunen versetze, aber nicht zum Nachdenken anrege. Die Qualität der Aufmerksamkeit entspreche außerdem dem Zustand des Empfindenden:

J’observe donc qu’outre ces momens dans lesquels nous nous sentons émus ou passionnés, il y en a d’autres dans lesquels nous sommes distraits, & incapables d’aucune application, sans que nous connoissions la cause de cette indisposition; & je dis qu’elle vient d’une passion que nous ne sentons qu’obscurément.486

Sulzer führt als Beispiele die gute oder schlechte Laune, die ‚Narrheit‘ und langanhaltende Schmerzen an, bei denen der Mensch nicht (mehr) genau wisse, was er empfinde, die jedoch einen großen Einfluss auf ihn ausübten. Die Gefährlichkeit dieses Einflusses veranschaulicht Sulzer 1759 am Beispiel eines Schlangenblicks:

On dit qu’il y a en Amérique des serpens enchanteurs dont les regards forcent les oiseaux de se précipiter entre leurs dents. Le serpent, dit-on, se place au bas d’un arbre & attire sur soi le regard de l’oiseau. Le malheureux, victime de ces enchantemens, fixe les yeux sur la bouche béante de l’animal vorace, il y voit son tombeau & s’y précipite malgré lui: en jettant les cris de désespoir, en faisant tous les efforts possibles pour s’enfuir, il descend de branche en branche, & par une force inconnue, à laquelle il résiste en vain, se jette enfin entre les dents du serpent. Cette histoire, vraye ou fausse, est un embleme parfait de cet esclavage dont nous parlons […].487

Die ‚Kraft‘ der sich dem Willen widersetzenden Empfindungen erklärt Sulzer – mit Verweis auf Leibniz – mit ihrer Dunkelheit.488 Er veranschaulicht dies am Beispiel des Blicks über eine Landschaft, bei dem nur ein Ausschnitt des Gesehenen scharf beziehungsweise deutlich empfunden wird. Entscheidend für die Auswahl dieses Ausschnitts sei nicht das gesehene Objekt, sondern der Zustand und die physische Position des Beobachtenden. Entscheidend ist nicht, was, sondern wie gesehen wird: „En un mot toutes les facultés de l’ame peuvent s’exercer de deux façons; l’une claire & telle que nous sachions ce que nous faisons & que nous puissions en rendre compte; l’autre obscure & telle que nous ignorions nous-mêmes comment les choses se passent dans nous.“489 Auch hier seien die undeutlichen Bestandteile der Landschaft ebenso wie Launen, chronische Schmerzen und die ‚Narrheit‘ konstitutiv für den Gesamteindruck.490 Sulzer verschärft diese Unterscheidung im Folgenden, indem er annimmt, dass an einer bloßen Vorstellung (frz. simple perception) nur die Nerven des Gehirns beteiligt seien. Das Gefühl (frz. sentiment) spiele sich in den Nerven der Brust ab – eine Auffassung, die aus der mittelalterlichen Theorie der Empfindungen stammt und im 17. Jahrhundert von Thomas Hobbes vertreten wird:491

Dans la simple perception, il n’y a que les nerfs du cerveau qui agissent; & plus la perception est composée, plus le nombre de ces nerfs est grand. Lorsque la perception se change en sentiment, le mouvement se communique aux nerfs de la poitrine. Il paroit donc que le cerveau est le siege des pensées, & le diaphragme celui du sentiment & des forces exécutrices de l’ame.492

Sulzer gesteht zwar ein, dass der Übergang der Nervenbewegungen vom Gehirn zur Brust unbekannt sei, er geht jedoch davon aus, dieser sei für jeden Menschen praktisch erfahrbar. Seine Erklärung des Vorgangs legt zumindest nahe, dass Sulzer nicht von einer direkten Nervenverbindung zwischen der Retina und der Brust ausgeht. Zuerst gelangten alle Sinnesimpulse ins Gehirn. Dort verblieben die deutlichen Vorstellungen, die undeutlichen wirkten aufgrund ihrer Intensität bis in die Brust.493 Die Empfindung geht damit auf die Bewegung einer größeren Anzahl von Nerven zurück, die stark genug ist, um in die Brust übertragen zu werden. Diesen Gedanken verdeutlicht Sulzer am Beispiel der Lektüre: „On me présente une écriture. D’abord je ne la vois qu’en gros & confusément; cela me présente des lignes noires sur un fond blanc, & j’y apperçois en gros un certain ordre & une certaine netteté. Tant que l’action de mon œil est repandue sur toute la feuille, il n’y a point de mot que j’y puisse lire.“494 Erst wenn ein bestimmtes Wort auf der Seite fokussiert und damit die Anzahl der bewegten Nerven reduziert werde, könne es gelesen werden.

Von der Menge der bewegten Nerven schließt Sulzer nicht nur auf die höhere Intensität der Bewegung, sondern auch auf deren Geschwindigkeit. Er erklärt so, dass der Mensch zuweilen gegen seinen Willen und gegen offensichtlich gute Gründe handelt.495 Er vergleicht diese Macht der Empfindungen mit optischen Täuschungen.496 Identifiziert Sulzer in seinen früheren Schriften die Vorstellung mit der Empfindung und sieht sie als Teil des bewussten Denkens, an deren Vollzug die Seele Freude hat, so wird nun der Begriff ‚Empfindung‘ für den Bereich der verworrenen, starken und zuweilen gefährlichen Eindrücke reserviert. Eine der zweiten Auflage der deutschen Übersetzung der „Untersuchung über den Ursprung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen“ hinzugefügte Fußnote macht deutlich, dass Sulzer diese Verschiebung retrospektiv in seine früheren Schriften zu integrieren sucht. Die Fußnote ergänzt den Text um die Einschränkung, dass eine Vorstellung nicht völlig deutlich sein dürfe, um als angenehm empfunden zu werden. Vielmehr sei es die Bedingung angenehmer Empfindungen, viele Dinge gleichzeitig zu erfassen: „Bey dem Vergnügen fassen wir alles Besondre gleichsam in einen einzigen körperlichen Gegenstand zusammen, und machen ihn dadurch zu einem Phänomen, oder zu einem phantastischen Bilde, welches in der Seele eine Illusion, oder Täuschung hervor bringt.“497 Wie bei der Mondillusion oder dem Erschleichungsfehler – so Sulzer 1759 – sei die Empfindung stark genug, um der langsameren und weniger intensiven deutlichen Vorstellung zuvorzukommen.498 Er vergleicht die Empfindung gar mit hinterhältigen Feinden: „Voilà si je ne me trompe la vraye origine de la puissance tiranique des passions, des préjugés, des préventions & de tant d’autres ennemis de la raison. Ils sont postés dans les régions obscures de l’ame, où, si l’on decouvre leurs manœuvres ce n’est que lorsqu’il est trop tard pour s’y opposer […].“499 Bereits 1763 definiert Sulzer Empfindung und Vorstellung jedoch wieder als die Hauptvermögen der Seele und hebt die Empfindung aus der Brust zurück ins Gehirn:500

Quelque variées que paroissent les opérations de l’ame, elles se réduisent toutes à l’exercice de deux facultés, qui sont les sources de toutes ses affections. L’une est la faculté d’appercevoir, ou de connoître les qualités des choses; l’autre, celle de sentir, ou d’être affectée agréablement ou désagréablement.501

Es handele sich – so Sulzer mit Verweis auf Descartes – im Wesentlichen um die Empfindung der eigenen Reaktion auf die von außen kommenden Bewegungen: „[D]ans le sentiment, l’ame n’est occupée que d’elle-même.“502 Als Beispiel führt er den Sehsinn an, der unter optimalen Lichtverhältnissen deutliche Vorstellungen äußerer Gegenstände in der Seele hervorbringe,503 bei zu starkem, blendendem Licht aber die undeutliche Empfindung nicht etwa des Lichtstrahls, sondern der eigenen, unangenehmen Blendung: „Dès que la lumiere est trop forte, elle frappe l’œil de façon qu’il en est incommodé; il se sent ébloui, & l’ame n’apperçoit plus l’objet seul, mais elle sent encore la gêne où se trouve l’organe de la vision. L’éclat de la lumiere frappe tellement les nerfs de l’œil, que la vision se change en tact.“504 Sulzer beschreibt das Verhältnis von Empfindung und Vorstellung nun als ein Kontinuum, bei dem nur in Extremfällen das eine Vermögen vollkommen vorherrscht.505 Mit der Betrachtung (frz. contemplation) bestimmt er einen mittleren Zustand, der zwischen beiden Vermögen hin und her wechsle:

C’est ainsi que nous nous livrons à la contemplation d’un beau paysage: l’œil parcourt rapidement les divers objets qu’il y distingue, il se fixe sur chacun d’eux pour un instant, sans l’approfondir: & l’esprit, après avoir saisi chaque partie, jouit un instant de l’impression agréable que cet objet fait sur lui. Tout se passe sans effort; les impressions ne font qu’effleurer l’ame; on se contente d’idées confuses, que l’on ne veut pas approfondir.506

Sulzer verweist auf die Erkenntnis der optischen Forschung, dass nur ein kleiner Teil des Blickfeldes scharf gesehen wird und es einiges Aufwandes bedarf (Ausrichtung der Sehachse, Ausdehnung oder Kontraktion des Augapfels), um ein mehrheitlich scharfes Bild entstehen zu lassen.507 An einzelne Teile einer Landschaft erinnere sich der Mensch nur, wenn er sich auf einen Ausschnitt und besser noch auf dessen Teile konzentriere und sie voneinander unterscheide. Die anderen Teile würden dabei verdunkelt.508

Bis in die Mitte der 1760er Jahre changiert Sulzers Bestimmung des Empfindens so zwischen der klaren Abgrenzung von dem Vermögen der Vorstellung und der Idee einer Komplementarität. Steht in den frühen physikotheologischen und philosophischen Schriften bis zum Ende der 1750er Jahre vor allem die angenehme Empfindung im Vordergrund, entwickelt sich aus dem Entwurf einer allgemeinen Physik der Seele eine intensivere Beschäftigung mit den unangenehmen Empfindungen, die in der Verortung der Vorstellung und der Empfindung in verschiedenen Körperteilen gipfelt. Nimmt Sulzer diese anatomische Bestimmung bald wieder zurück, so bleibt er doch bei der Annahme, die Empfindung sei im Wesentlichen die angenehme oder unangenehme Selbstempfindung der Reaktion des Menschen auf Nervenbewegungen, die für die Entstehung von Vorstellungen zu intensiv oder vielgestaltig seien. Ab Mitte der 1760er Jahre überträgt Sulzer diese Theorie der Empfindung auf die Produktion und Rezeption von Kunstwerken. Wird die Empfindung in den vorigen Schriften – wie das Beispiel der Blendung zeigt – eher neutral und zuweilen sogar negativ bewertet, so schließt Sulzer 1765 in seiner Akademieschrift über die Kraft der Kunst von der Annahme, die Empfindung beruhe auf einer stärkeren Bewegung der Nerven, auf die Möglichkeit, bestimmte Inhalte der Politik und Philosophie einprägsam zu vermitteln und die Menschen dazu zu bewegen, ihr Verhalten nach diesen Inhalten auszurichten.509 Nur sie bewirkten einen „effet permanant sur l’esprit & le coeur de l’homme […].“510 Sulzer sieht in dieser Wirkung auf die Menschen die Würde der Kunst viel eher begründet als in einer gelungenen Nachahmung oder der Belustigung der Menschen.511 Ziel seiner Schrift sei es, diese Kraft der Kunstwerke genauer zu bestimmen. Mit Verweis auf die Akademieschrift über die beiden Hauptvermögen der Seele führt er aus:

Dans le dernier Mémoire que j’ai eu l’honneur de lire à l’Académie, j’ai fait voir, que l’ame, toutes les fois qu’elle se livre aux impressions que font sur elle les objets, entre dans un des trois états que j’ai nommés état de méditation, état de contemplation, & état d’émotion. C’est la perfection que nous découvrons dans les objets qui nous engage dans la méditation; la beauté nous entraine dans la contemplation, & l’énergie produit l’émotion. Si nous pouvons découvrir les causes de l’émotion, nous connoitrons par là les divers genres de l’énergie.512

Während die Vollkommenheit und Schönheit eines Kunstwerks auf die Vermögen der Vorstellung und der Betrachtung wirkten, sei nur dessen Energie in der Lage, den Menschen zu rühren.513 Achim Vesper unterstreicht: „Fundiert wird die Kunsttheorie damit nicht in der Geschmackstheorie oder der durch Baumgarten und Meier neu begründeten Ästhetik als Wissenschaft der Sinnlichkeit, sondern der Ethik.“514 Sulzer spricht von der Empfindung als „unmittelbare[r] Würkung“ und der moralischen Handlung als dem „letzte[n] Endzwek“ der Kunst, die er von Philosophie und Wissenschaft mit ihrem „Endzwek“ der Erkenntnis unterscheidet.515 Er bestimmt drei Ursachen für diese Wirkung. Die erste sei das Unerwartete einer Vorstellung: „[L]’interruption subite du cours de nos perceptions […].“516 Angeregt durch diese plötzliche Veränderung, wende die Seele ihre Aufmerksamkeit von dem betrachteten Gemälde ab- und dem eigenen Empfinden zu: „Alors l’ame rappelle ses yeux du tableau pour les diriger sur elle-même, sur son état, sur sa façon d’exister dans le moment présent. Ce changement est toujours accompagné de quelque saisissement qui produit l’émotion.“517 Im Kunstwerk entspreche dieser plötzlichen Veränderung das Sonderbare, Neue oder Wunderbare, welches dem Menschen auffalle: „Disons donc que tout ce qui est nouveau, inattendu, extraordinaire, merveilleux, ce qui interrompt l’uniformité, ce qui releve l’attention, appartient à ce genre d’énergie.“518 In der Rhetorik seien dies die Änderung der Stimmlage, eine ungewöhnliche Sprachverwendung oder ein unerwarteter Übergang. Sulzer sieht hierin die geringste Art der Energie, da sie dem Kunstwerk nur einen zeitlich begrenzten Reiz verleihe und keinen dauerhaften Einfluss auf den Menschen ausübe. Die zweite Ursache sei eine besonders starke oder erneut stärker werdende Bewegung, „une nouvelle force que reçoivent nos perceptions actuelles […].“519 Als Beispiel dient Sulzer die Betrachtung einer Landschaft, die nur in Augenblicken einer erneut „scharfreizenden“ (frz. piquant) Bewegung den Zustand der „tranquilité parfaite mêlée de sérénité“ unterbreche.520 Er erklärt so, „que ce qui est vrai, ce qui est beau, ce qui est clair plait simplement, & que ce qui est supérieurement vrai, ou beau, ou clair charme & ravit.“521 Diese Stärke der Empfindung ermögliche erst den Eindruck, bei der Betrachtung von Kunstwerken oder der Lektüre von Texten das Dargestellte tatsächlich sinnlich zu empfinden.522 Anders als die erste Kategorie der Energie sieht Sulzer hier einen dauerhaften Einfluss auf den Menschen: „Comme il [i. e. ce genre d’énergie] consiste en général dans une perfection supérieure à la façon de concevoir & d’imaginer qui nous est familiere, l’étude de pareils ouvrages doit nécessairement perfectionner l’esprit & l’imagination.“523 Diese zweite Art der Energie, die in der Kunst vor allem durch die Verwendung von Bildern erreicht werde, mache Wissensinhalte sinnlich fassbar und bewege den Menschen so, sein Verhalten zu ändern. Sulzer nimmt gar an, sie könne die Bedeutung der Renaissance für die Wissenschaft, Kunst und Theologie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts erklären. Die Kunst bedinge so den Nutzen der Erkenntnis und erhöhe insgesamt die Empfindungs- und damit auch Lernfähigkeit des aufgeklärten Menschen:

L’homme barbare ne jouit que des plaisirs les plus grossiers, qui accompagnent les actions par lesquelles on satisfait aux besoins les plus pressans de la nature; l’homme instruit jouit d’une infinité d’agrémens que le goût seul peut donner. […] Elle [i. e. la sensibilité] rend l’homme plus capable d’être perfectionné par une bonne institution. Comme il est impossible de corriger un homme stupide ou hébété, parce qu’il ne sent ni la force des représentations qu’on lui fait, ni le poids des corrections dont on se sert; l’homme instruit, rendu plus sensible par les beaux-arts, devient par là plus traitable. Souvent un seul mot bien énergique, dont il sent toute la force, suffit pour le faire rentrer en lui-même, après une suite d’égaremens.524

Die dritte Ursache der Wirkung von Kunstwerken sieht Sulzer in einer „irritation sensible qui vient d’un objet qui se rapporte immédiatement à nos sentimens & à nos passions.“525 Sie wirke unmittelbar auf die „facultés inférieures de l’ame, en y produisant le desir ou l’aversion.“526 Anders als bei den ersten beiden Ursachen beruht diese dritte nicht auf der mechanisch gedachten Einwirkung eines von außen kommenden Eindrucks (unerwartet, stärker), sondern bezieht sich gleichsam auf die inhaltliche Qualität der Empfindung und antwortet verstärkend auf bereits bestehende Vorlieben. Sulzer widerspricht jedoch der Annahme, diese Empfindungen – die er auch als „vrayes forces motrices de l’ame“527 bezeichnet – könnten durch einen von Gott gegebenen ‚inneren Sinn‘ erklärt werden.528

Bereits 1751 stellt Sulzer klar, dass es ihm nicht um individuelle oder kulturell bedingte Vorlieben geht, sondern dass er von der Existenz einer unmittelbaren, das heißt allen Menschen gemeinsamen Empfindung des Vergnügens beziehungsweise der Abneigung ausgeht.529 Nur so kann er in den 1760er Jahren die Theorie der Sinnesempfindung mit der Sittenlehre verbinden und sie im Folgenden zur Grundlage einer wirkungsästhetischen Theorie der Künste machen. In seiner Vorrede zum ersten Band der Allgemeinen Theorie der schönen Künste (1771) identifiziert Sulzer das „Gefühl für sittliche Ordnung, für das Schöne und Gute“ mit dem Empfindungsvermögen:530 „Der Mensch besizet zwey, wie es scheinet, von einander unabhängliche Vermögen, den Verstand und das sittliche Gefühl, auf deren Entwiklung die Glükseeligkeit des gesellschaftlichen Lebens gegründet werden muß.“531 Wie in seiner Akademieschrift „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“ (1765) weist Sulzer den Künsten die entscheidende Rolle bei der Vermittlung dieser Sittenlehre zu, weil sie gezielt Empfindungen hervorrufen könnten, die stark genug seien, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen: „Diese heilsame Würkungen können die schönen Künste haben, deren eigentliches Geschäft es ist, ein lebhaftes Gefühl für das Schöne und Gute, und eine starke Abneigung gegen das Häßliche und Böse zu erweken.“532 Dieser Gesichtspunkt bestimmt für Sulzer nicht nur den Zweck, sondern auch die Beschaffenheit der Kunstwerke.533 Ausdrücklich unterstreicht er, dass die Allgemeine Theorie keine Poetik oder Kunstgeschichte sein solle, sondern – mit Verweis auf Dubos’ Réflexions critiques sur la poésie et la peinture (1719) und auf Baumgartens Schriften534 – als philosophisches Werk angelegt sei.535 Zugrunde liegt ihr – so Sulzer unter dem Lemma „Ästhetik“ – die Bestimmung der Wirkursachen der Kunst auf den Menschen. Auf „zwey oder drey Sätze“ reduziert, seien dies die „wenige[n] und einfache[n] Grundsätze“,536 auf deren Grundlage die Ästhetik sich mit den „kleinesten Umständen“537 und den Gegenständen der Empfindungen beschäftigen solle. Diese könnten dann in Form von „hundert besondern Artikeln sorgfältig zergliedert werden.“538

Unter dem Lemma „Künstler“ führt Sulzer diese Wirkung des Kunstwerks auf die Empfindungsfähigkeit des Kunstschaffenden zurück.539 Wie eine Biene veredle er einen natürlichen Rohstoff: „[I]l est l’abeille qui rend les sucs recueillis des plantes convertis en miel.“540 Unter dem Lemma „Dichter“ unterstreicht Sulzer: „Man muß demnach den Charakter des Dichters nicht in der Kunst suchen, die Rede durch wolabgemessene und wolklingende Verse fortzuführen, sondern in dem Vermögen den Geist und das Gemüth durch Vorstellungen, die einen ganz ausserordentlichen Gang der Rede erfodern, zu reizen.“541 Die Empfindungen werden damit sowohl zeitlich als auch kausal der formalen und inhaltlichen Gestaltung der Kunstwerke sowohl vor- (auf der Ebene des Künstlers) als auch nachgelagert (auf der Ebene des Rezipienten).542 Der Dichter zählt keine Silben und sucht nach passenden Reimen oder Inhalten, sondern er empfindet diese in einem Zustand, den Sulzer als Schwärmerei bezeichnet:

Will man den Ursprung jener drey verschwisterten Künste [i. e. Tanz, Musik und Dichtung] begreifen, so muß man annehmen, daß in dem Gemüth Empfindungen oder Vorstellungen vorhanden seyn, die entweder durch ihre Heftigkeit, oder durch einen sanften, aber die ganze Seele einnehmenden Zwang, oder durch ihre religiose oder politische Grösse, sich des Gemüthes so bemächtigen, daß es in eine heftige oder sanfte Schwermerey geräth, in welcher die Gedanken und Empfindungen unaufhaltbar durch die Rede heraus ströhmen. Wer auf diese Weise von Gegenständen gerührt wird, und zugleich ein zartes Gefühl für abgemessene Bewegung hat, die in der Musik den Takt und den Rythmus ausmacht, der ist der Mensch, den die Natur zum Dichter gebildet hat.543

Zwar könne dieses Gefühl entwickelt werden, die „ungewöhnlich grosse[] Fühlbarkeit der Seele“, seine ‚lebhafte Einbildungskraft‘ seien dem „poetischen Genie[]“ jedoch angeboren und bewirkten besonders starke „Eindrüke von Lust und Unlust“.544 Dieser Intensität der Empfindungen lasse der Dichter freien Lauf und Sulzer unterstreicht das Eruptive dieses Vorgangs durch Metaphern des Überfließens und Ausbrechens.545 Er führt die Einbildungskraft damit nah an die Dichtungskraft heran, die Fähigkeit also, „Vorstellungen von Gegenständen der Sinnen und der innern Empfindung, die man nie unmittelbar gefühlt hat, in sich hervorzubringen.“546 Die Rolle des rahmenden garde-fou weist Sulzer dabei fast wie nebenbei dem Verstand zu:

Diese Eigenschaften, das Feuer der Einbildungskraft, die Lebhaftigkeit des Gefühls, und die unwiderstehliche Begierde, das, was man selbst so lebhaft fühlt, gegen andere zu äussern, sind die wahren Anlagen zum poetischen Genie; sie können aber auch die Anlagen zu einer fatalen Verwirrung des Gemüthes seyn, wenn sie nicht einen scharfen Verstand, eine sehr gesunde Beurtheilungskraft, und überhaupt eine hinlängliche Stärke des Geistes, sich seiner selbst und der Umstände, darin man ist, bewußt zu seyn, zur Unterstützung haben.547

Um verständlich zu sein, müsse die Dichtung auf der klaren Vorstellung der Gegenstände in der Seele des Dichters beruhen, der wiederum in der Lage sei, sie durch die „Wärme seiner Empfindung, Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft und den sonderbaren Gesichtspunkt, in welchen ihn seine Laune setzet“ den Menschen interessant zu machen.548 Die physischen Sinne spielen dabei nurmehr eine indirekte, vorbereitende Rolle. Sinnliche Empfindungen wirkten, so Sulzer auch in der Theorie der schönen Künste, zwar am stärksten, und der Dichter solle seinen Gegenstand für die Leser durch sprachliche Bilder gleichsam sinnlich erfahrbar machen und müsse hierfür seine eigenen Sinnesorgane schulen.549 Nur so erhalte der Gegenstand die Kraft, auch das Empfindungsvermögen der Leser zu rühren.550 All dies bedürfe jedoch keiner aktuellen physischen Bewegungen in den Nerven und damit keiner tatsächlichen sinnlichen Erfahrung mehr: „Demnach ist die Einbildungskraft, wie gesagt worden, die Mutter der schönen Künste. Durch sie liegt die Welt, so weit wir sie gesehen und empfunden haben, in uns, und mit der Dichtungskraft verbunden wird sie die Schöpferin einer neuen Welt.“551

1

Anonym, Psychologie ou traité sur l’âme. Contenant les Connoissances, que nous en donne l’Expérience. Par M. Wolf [1745], in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann und M. Thomann. Band 46, Hildesheim/Zürich/New York 1998, S. 33–34.

2

Vgl. Christian Wolff, Allerhand nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkäntnis der Natur und Kunst der Weg gebähnet wird. Teil III [1722, 21729], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 20.3 (Deutsche Experimentalphysik III), Hildesheim/New York 1982, S. 272–456 (§ 74–100).

3

Ebd., S. 2 („Vorrede“).

4

Ebd.

5

Ebd.

6

Christian Wolff, Allerhand nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkäntnis der Natur und Kunst der Weg gebähnet wird. Teil I [1721, 21727], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 20.1 (Deutsche Experimentalphysik I), Hildesheim/New York 1982, S. 2 („Vorrede“).

7

Vgl. ebd., S. 3 („Vorrede“); vgl. Federica de Felice, „Experience and knowledge in Wolff’s Philosophy“, in: Arnaud Pelletier (Hg.), Christian Wolff’s German Logic. Sources, Significance and Reception, Hildesheim/Zürich/New York 2017, S. 55–76. In der Deutschen Logik definiert Wolff die Erfahrung als die durch die Aufmerksamkeit auf die Sinnesempfindung gewonnene Erkenntnis. Vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 181 (§ 1). Kaum verändert findet sich diese Definition bereits 1708 in der kleinen Schrift „Grundgeseze der Erfahrungen“ und noch 1720 in der Deutschen Metaphysik. Vgl. Christian Wolff, „Grundgeseze der Erfahrungen“ [1708], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 21.2 (Gesammelte kleine philosophische Schriften. Teil II [1737]), Hildesheim/New York 1981, S. 187–199, hier: S. 187; vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 181 (§ 325).

8

Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik I, S. 4 („Vorrede“).

9

Ebd., S. 3 („Vorrede“); vgl. Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem Gebrauche der Theile in Menschen, Thieren und Pflantzen [1725], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 8 (Vernünftige Gedanken (Deutsche Physiologie)), hg. von Ch. A. Corr, Hildesheim/New York 1980, S. 8–10 (§ 8–9).

10

Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik I, S. 3 („Vorrede“).

11

Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik III, S. 5 („Vorrede“).

12

Vgl. Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik I, S. 4–5 („Vorrede“).

13

Kondylis nennt die naturforschenden Schriften Wolffs einen der modernen Aspekte seines Werkes. Vgl. Kondylis (2002), Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 547.

14

Bereits in der Deutschen Logik kommt Wolff auf das Mikroskop zu sprechen. Es erlaube, sich einen deutlichen Begriff von kleinen Dingen zu machen. Zudem sei die mikroskopische Betrachtung die einfachste Möglichkeit, eine Sache zu erklären, also einen deutlichen und ausführlichen Begriff von ihr zu erlangen: „Viel leichter kan man in denen Sachen zu rechte kommen, welche eine gewisse Structur haben, die sich entweder mit blossen Augen, oder durch Vergrösserungs-Gläser gar wohl betrachten lässet. Denn hier braucht es nicht viel tiefes Nachsinnen, sondern nur Augen zu sehen, Aufmercksamkeit, in acht zu nehmen, was man siehet, und eine geübte Hand, die Sachen zu zergliedern. Auf diese Weise gelanget man zu der Erklärung aller Machinen, die man würcklich findet, auch aller Thiere und Pflantzen.“ Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 150 (§ 56).

15

Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik III, S. 5 („Vorrede“).

16

Vgl. ebd., S. 273–300 (§ 75–80).

17

Ebd., S. 301 (§ 81).

18

Vgl. ebd., S. 301–302 (§ 81).

19

Ebd., S. 302 (§ 81).

20

Ebd., S. 365 (§ 61).

21

Vgl. ebd., S. 365–370 (§ 61). Es lässt sich also durchaus nicht von einem „Dogma Wolffs“ sprechen, „dass alle Vorstellungen der Sinne undeutlich und verworren seien“, und hier den wesentlichen Unterschied zu Baumgarten verorten. Sauder (2015), „Affekt (frz. passion; engl. affect, affection, emotion)“, S. 14.

22

Vgl. Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik III, S. 311 (§ 82).

23

Ebd., S. 309–310 (§ 82).

24

Vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 123–124 (§ 4).

25

Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik III, S. 302–303 (§ 82). Die mikroskopische Beobachtung könne das Auge aber durchaus lehren, einzelne Unterschiede auch ohne die Hilfe des Instruments zu sehen. Vgl. ebd., S. 311 (§ 82) und S. 319 (§ 48).

26

Ebd., S. 303 (§ 82).

27

Ebd., S. 310 (§ 82).

28

Ebd., S. 304 (§ 82).

29

Ebd., S. 304–305 (§ 82). Zur Bedeutung rhetorischer Stilmittel in Wolffs Philosophie vgl. Heiner Albert Koch, Kleine Stilgeschichte der Philosophie. Auf der Suche nach dem literarischen Mehrwert, Würzburg 2014, S. 154–163.

30

Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik III, S. 306 (§ 82).

31

Ebd., S. 316 (§ 83).

32

Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 130 (§ 235); vgl. ebd., S. 134 (§ 242).

33

Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik III, S. 306 (§ 82). Ein Eindruck, den auch Wolffs Beschreibung der mikroskopischen Untersuchung von Puder bestätigt. Auf weiteren einhundert Seiten berichtet Wolff von der mikroskopischen Betrachtung verschiedener Stoffe (Seide, Taft, Atlas, Damast) und organischer Materialien (Moor, Haare, Spinnweben, verschiedene Getreide, Pflanzenteile und Tiere).

34

Lothar Kreimendahl, „Empiristische Elemente im Denken Christian Wolffs“, in: Jürgen Stolzenberg/Oliver-Pierre Rudolph (Hgg.), Christian Wolff und die europäische Aufklärung. Teil 1, Hildesheim/Zürich/New York 2007, S. 95–112, hier: S. 110. Ausführlich beschäftigt sich Mühlpfordt mit Wolffs Naturforschung und zeigt deren Bedeutung auf. Vgl. Günter Mühlpfordt, „Die organischen Naturwissenschaften in Wolffs empiriorationalistischer Enzyklopädistik“, in: Sonia Carboncini/Luigi Cataldi Madonna (Hgg.), Nuovi studi sul pensiero di Christian Wolff. (Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. Band 31), Hildesheim/Zürich/New York 1992, S. 77–106.

35

Beide Aspekte finden sich bereits bei Christian Thomasius. Vgl. Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 104 (§ 27); vgl. Thomasius (2004), Versuch vom Wesen des Geistes, S. 1–3 (Th. 1–6); vgl. Christian Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrtheit [1709], in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von W. Schneiders. Band 4, Hildesheim/Zürich/New York 2001, S. 12–13 (§ 38–41).

36

„Die Optick ist eine Wissenschaft aller sichtbahren Dinge, in so weit sie durch Strahlen, welche von ihnen gerades Weges in das Auge fallen, sichtbahr sind.“ Wolff (1999), Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften. Teil III, S. 949 (§ 1). Die Anatomie des Auges wird im Paragrafen 22 beschrieben. Wolff definiert das Licht in Anlehnung an Descartes als eine Bewegungsübertragung, verbindet diese aber mit den um 1700 neuen Erkenntnissen Newtons und verweist häufig auf Huygens. Vgl. ebd., S. 972–974 (§ 66–70); vgl. Christian Wolff, Allerhand nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkäntnis der Natur und Kunst der Weg gebähnet wird. Teil II [1722, 21728], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 20.2 (Deutsche Experimentalphysik II), Hildesheim/New York 1982, S. 496–524 (§ 158–164); vgl. Wolff (1981), Deutsche Physik, S. 176–193 (§ 121–129).

37

Die lateinische Ausgabe der mathematischen Schriften widmet sich der Optik ausführlicher und mit zahlreichen Abbildungen. Vgl. Christian Wolff, Elementa matheseos universae. Teil III [1715, 21735], hgg. von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. II. Abteilung (Lateinische Schriften), Band 31, Hildesheim/Zürich/New York 2003, S. 5–100.

38

Wolff (1999), Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften. Teil III, S. 988 (§ 103).

39

Wolff verweist in seiner Vorrede zur ersten Auflage der Deutschen Logik auf Mersenne, Descartes, Raphson, Spinoza und Locke. Vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 106–107. Er veröffentlicht zwischen 1705 und 1731 485 Rezensionen und 48 Artikel für die 1682 gegründete Zeitschrift Acta Eruditorum und wird von 1710 an Mitglied aller wichtigen europäischen Wissenschaftsakademien. Vgl. Michael Albrecht, „§ 8. Christian Wolff“, in: Helmut Holzhey (Hg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Band 5.1 (Heiliges römisches Reich deutscher Nation, Schweiz, Nord- und Osteuropa), hgg. von H. Holzhey und V. Mudroch, Basel 2014, S. 109–157, hier: S. 115; vgl. Kreimendahl (2007), „Empiristische Elemente im Denken Christian Wolffs“, S. 107; vgl. Wolff (1999), Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften. Teil III, S. 955–956 (§ 25); vgl. Wolff (1981), Deutsche Physik, S. 685 (§ 426). Wolff weist darauf hin, dass das Bild auf der Retina nicht wie ein Gemälde stillstehe und also dieses übertreffe. Vgl. Wolff (1980), Deutsche Physiologie, S. 376–377 (§ 151).

40

Christian Wolff, Kurzer Unterricht von den vornehmsten mathematischen Schriften [1710, 21750], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, J. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 15.2, Hildesheim/New York 1999, S. 116 (§ 189).

41

Anatomische Untersuchungen hätten, so Wolff, gezeigt, dass eine Flüssigkeit in den Nerven die Bewegungsimpulse weiterleite. Vgl. Wolff (1980), Deutsche Physiologie, S. 68 (§ 40). Zu Nerven insgesamt vgl. ebd., S. 50–76 (§ 31–44); vgl. Wolff (1981), Deutsche Physik, S. 703–706 (§ 435–436).

42

Ebd., S. 687 (§ 426). Ganz ähnlich formuliert der Danziger Pädagoge Johann Theodor Jablonski (1654–1731) zwei Jahre zuvor: „Solches geschiehet, wenn die äusserliche werckzeuge, von denen unterschiedlichen vorständen oder objecten, nachdem ein jedes in seiner art dieselben anzunehmen fähig ist, gerühret, die dadurch an ihnen erweckte bewegung, durch die hierzu gewidmete nerven, zu dem gehirn führen, und hiedurch in der seelen eine angenehme oder widerwärtige empfindung verursachet wird. […] Also ist die eigentliche empfindlichkeit nicht in dem werckzeug, sondern in dem gehirn, als woselbst die verursachte bewegung gleichsam anstößt, oder zurück prallet, und in der seelen, als welche daselbst ihre wirckungen ausübet, und von solcher bewegung gerühret wird.“ Jablonski (1721), Allgemeines Lexicon, S. 723.

43

Vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 466 (§ 749). Hieraus folgt, dass Empfindungen in Wolffs Wahrnehmungstheorie – im Gegensatz zu derjenigen Leibniz’ – per definitionem bewusst sind. Geht diese Empfindung von Veränderungen in den Sinnesorganen aus, spricht er von ‚anschauender Erkenntnis‘ oder Erfahrung, geht sie von Worten aus, von ‚figürlicher Erkenntnis‘. Vgl. ebd., S. 152 (§ 273), S. 173 (§ 316), S. 457–458 (§ 733) und S. 467–468 (§ 752). Die Sekundärliteratur hat sich häufig mit dem Verhältnis von Logik und empirischer Psychologie in Wolffs Werk beschäftigt und dabei die Bedeutung Letzterer immer deutlicher herausgearbeitet. Allerdings steht dabei selten Wolffs Beschreibung des Prozesses der Sinnesempfindung im Zentrum, und so wird Wolff vorgehalten, er habe unkritisch an einem direkten Zugang der sinnlichen Erfahrung zur äußeren Welt festgehalten. Vgl. Clemens Schwaiger, „Kann Erfahrung uns täuschen? Das Problem des Erfahrungsirrtums in der deutschen Aufklärung bis zu Kant“, in: Quaestio. Journal of the History of Metaphysics. Band 4 (2004), S. 249–263, hier: S. 259. Auch Rudolph nimmt an, dass Wolff trotz seiner Auseinandersetzung mit den Sinnestäuschungen „den Common-Sense-Standpunkt, daß wir mit Hilfe unserer Sinne zu objektiv gültiger Erkenntnis gelangen können, niemals kritisch hinterfragt.“ Oliver-Pierre Rudolph, „Das Fundament des Wolffschen Systems der Philosophie“, in: Jürgen Stolzenberg/ders. (Hgg.), Christian Wolff und die europäische Aufklärung. Teil 2, Hildesheim/Zürich/New York 2007, S. 15–24, hier: S. 22. Kreimendahl unterscheidet zwar zwischen der Erfahrung als genetischer (äußere Erfahrung) und als logischer (innere Erfahrung) Grundlage der Erkenntnis bei Wolff, ist jedoch der Auffassung, dass Wolff – anders als Locke – diese beiden Bereiche zusammenführe. Vgl. Kreimendahl (2007), „Empiristische Elemente im Denken Christian Wolffs“, S. 97.

44

Vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 124 (§ 5); vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 154 (§ 278) und S. 512–513 (§ 826–827). Wolff veranschaulicht dies bereits 1707 am Beispiel eines im Jahr 1694 in Polen entdeckten, im Wald mutmaßlich mit Bären aufgewachsenen Kindes und eines taubstummen Bauernjungen, die beide, so Wolff, ohne Verstand und Erinnerungsfähigkeit gewesen seien. Vgl. Christian Wolff, „Auflösung einiger Schwierigkeiten, welche bey der menschlichen Seele vorkommen“ [1707], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 21.2 (Gesammelte kleine philosophische Schriften. Teil II [1737]), Hildesheim/New York 1981, S. 169–186.

45

Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 123 (§ 222); vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 123–124 (§ 2–5). Wolff begründet diese Notwendigkeit auch mit dem Argument, dass ein wacher und bewusster Mensch sich mit offenen Augen nicht entscheiden kann, was er sieht. Vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 127 (§ 226). Die Unterscheidung von inneren und äußeren Sinnen entspricht damit derjenigen von psychologia rationalis und psychologia empirica. Vgl. Christian Wolff, Psychologia empirica [1732, 21738], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, J. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt. II. Abteilung (Lateinische Schriften), Band 5, Hildesheim 1968, S. 49–50 (§ 85); vgl. Wolfgang Riedel, „Erkennen und Empfinden. Anthropologische Achsendrehung und Wende zur Ästhetik bei Johann Georg Sulzer“ [1994], in: ders., Um Schiller. Studien zur Literatur- und Ideengeschichte der Sattelzeit, hgg. von M. Hien, M. Storch und F. Stürmer, Würzburg 2017, S. 3–34, hier: S. 36.

46

Vgl. Wolff (1981), Deutsche Physik, S. 683 (§ 425); vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 507–508 (§ 818). In der Einleitung zu der Vernunftlehre (1691) überlegt auch Thomasius, ob man anhand einer mikroskopischen Untersuchung des lebendigen Gehirns „bey denen Menschen als bey dem Vieh die Eindruckungen der Bildungen des Gesichts würde etwas erkennen können.“ Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 107 (§ 40).

47

Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 508 (§ 819).

48

Vgl. ebd., S. 478–479 (§ 765) und S. 508–509 (§ 820).

49

Ebd., S. 508 (§ 819). In der Deutschen Logik lässt Wolff die Frage, ob die Seele des Menschen als ein „leeres Behältniß“ zu verstehen ist, hingegen offen. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 124 (§ 6).

50

Vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 490–491 (§ 786) und S. 510–511 (§ 822–824).

51

Wolff (1980), Deutsche Physiologie, S. 68 (§ 39).

52

Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 323 (§ 528). In der Psychologia empirica (1732) definiert Wolff: „Perceptiones, quarum ratio continetur in mutationibus, in organis corporis nostri qua talibus contingentibus, dicuntur Sensationes. Definiri etiam posset Sensatio, quod fit perceptio per mutationem, quæ fit in organo aliquo corporis nostri qua tali, intellegibili modo explicabilis. […] Organum sensorium appellatur organum seu pars organica corporis, in cujus mutationibus continentur rationes perceptionum rerum materialium in mundo adspectabili.“ Wolff (1968), Psychologia empirica, S. 37–38 (§ 65–66). In der Deutschen Physiologie (1725) unterstreicht Wolff, dass die Seele sich nach diesen „Cörperlichen [i. e. Vorstellungen] im Gehierne richtet“. Wolff (1980), Deutsche Physiologie, S. 68 (§ 39). Den Begriff Vorstellung definiert Wolff in der Deutschen Metaphysik als Erinnerung an eine bereits mindestens einmal gemachte Empfindung. Im Unterschied zur Einbildung gehe die Vorstellung auf eine tatsächliche Veränderung in den Sinnesorganen zurück. Vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 128–130 (§ 229–235).

53

Wolff (1980), Deutsche Physiologie, S. 433 (§ 165).

54

Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 323 (§ 529).

55

Wolff unterscheidet zwischen klaren und dunklen Begriffen (Reicht der Begriff aus, eine Sache wiederzuerkennen?), deutlichen und undeutlichen (Können die Merkmale aufgezählt werden, die dazu führen, dass die Sache wiedererkannt wird?) sowie vollständigen und unvollständigen (Hat man von diesen Merkmalen selbst wiederum klare und deutliche Begriffe?). Vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 126–135 (§ 9–21). Beispiel für einen undeutlichen Begriff ist für Wolff die Farbe Rot, die zwar wiedererkannt wird, aber deren Merkmale nicht deutlich benannt werden können. Vgl. ebd., S. 129 (§ 13–14).

56

Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 323–324 (§ 529–530).

57

Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 123 (§ 3).

58

Die Aufgabe der Weltweisheit sei es zu erklären, wie und warum etwas möglich ist, das heißt die Gründe oder Ursachen hierfür lückenlos und eindeutig anzugeben. Dies wendet Wolff selbstreflexiv auf das eigene Werk an, das er mit einer Kette vergleicht. Vgl. Christian Wolff, „Von der Weltweisheit und Naturlehre ingleichen der darinnen zu gebrauchenden Lehrart“ [1709], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, H. W. Arndt, Ch. A. Corr, J. E. Hofmann, M. Thomann. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 21.2 (Gesammelte kleine philosophische Schriften. Teil II [1737]), Hildesheim/New York 1981, S. 3–21, hier: S. 5–6; vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 115–116 (§ 1–6); vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 4–5. Als Lehrart dieser Weltweisheit eigne sich am besten die Mathematik. Vgl. Wolff (1981), „Von der Weltweisheit und Naturlehre“, S. 16.

59

Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 139 (§ 31). So bereits 1707 und 1708 in zwei kleinen Schriften. Vgl. Wolff (1981), „Auflösung einiger Schwierigkeiten“, S. 174. Vgl. Wolff (1981), „Grundgeseze der Erfahrungen“, S. 188–189. Dies findet sich in Wolffs früher Defintion der Wahrheit als einer Übereinstimmung von Gedanken und realen Dingen wieder. Vgl. Wolff (1981), „Von der Weltweisheit und Naturlehre“, S. 9–10.

60

Kreimendahl (2007), „Empiristische Elemente im Denken Christian Wolffs“, S. 103.

61

Vgl. Hieronymus Nikolaus Gundling, Philosophische Discourse, hg. von M. Mulsow. Erster Theil, Hildesheim/Zürich/New York 2016, S. 264–265 (§ XVI–XVII); vgl. Hieronymus Nikolaus Gundling, Philosophische Discourse, hg. von M. Mulsow. Anderer Theil, Hildesheim/Zürich/New York 2016, S. 426 (§ XVIII). Ebenso Andreas Rüdigers (1673–1731) Schüler August Friedrich Müller (1684–1761) und Adolph Friedrich Hoffmann (1703–1741). Vgl. August Friedrich Müller, Einleitung in die philosophischen Wissenschaften, hg. von K. Zenker. Erster Theil, 1. Teilband, Hildesheim/Zürich/New York 2008, S. 79 (§ 2), S. 89 (§ 14), S. 107 (§ 4), S. 119–120 (§ 16) und S. 137–141 (§ 1–4); vgl. Adolph Friedrich Hoffmann, Vernunftlehre darinnen die Kennzeichen des Wahren und Falschen aus den Gesetzen des menschlichen Verstandes hergeleitet werden. Erster Teil, in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von J. Ecole, R. Theis, W. Schneiders und S. Carboncini-Gavanelli. Band 99.1, Hildesheim/Zürich/New York 2010, S. 56 (§ 32), S. 63–64 (§ 41–42), S. 285–286 (§ 382) und S. 602–604 (§ 690); vgl. Adolph Friedrich Hoffmann, Vernunftlehre darinnen die Kennzeichen des Wahren und Falschen aus den Gesetzen des menschlichen Verstandes hergeleitet werden. Anderer Teil, in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von J. Ecole, R. Theis, W. Schneiders und S. Carboncini-Gavanelli. Band 99.2, Hildesheim/Zürich/New York 2010, S. 1008–1013 (§ 51–54). Ausführlicher und nuancierter geht Hoffmanns Schüler Christian August Crusius (1715–1775) auf die Sinnesempfindung ein, vertritt aber keine wesentlich neue Position. Vgl. Christian August Crusius, Weg zur Gewißheit und Zuverläßigkeit der menschlichen Erkenntniß, Leipzig 1747, S. 139–153 (§ 77–82) und S. 780–787 (§ 438–440). Andreas Rüdiger sucht in der ersten Dekade des 18. Jahrhunderts in mehreren Schriften einen Mittelweg zwischen dem Sensualismus Lockes und dem Rationalismus Descartes’ (vor allem De sensu veri et falsi, 1709). Jede Erkenntnis beruhe zwar auf dem passiven Eindruck der Sinne, der Mensch verfüge jedoch über eine von Gott gegebene und im Willen lokalisierte Fähigkeit, die Wahrheit unbewusst zu erahnen. Vgl. Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung [1945], Hildesheim/Zürich/New York 1992, S. 84–88. Auf Thomasius und Rüdiger bezieht sich auch Johann Georg Walch (1693–1775) in seinem Lexicon und übernimmt deren Definition der Sinnesempfindung. Vgl. Johann Georg Walch, Philosophisches Lexicon […], Leipzig 1726, S. 729–730 und S. 2365–2373. Zedler übernimmt Walchs Lemma „Sinnen“ fast wörtlich. Er vervollständigt lediglich die bibliografischen Angaben und fügt eine Liste von Krankheiten der Sinnesorgane hinzu. Vgl. Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 37, Leipzig/Halle 1743, S. 1691–1699; vgl. Evelyn Dueck, „‚Da nun die Sinne wahr sind‘. Die Verlässlichkeit der sinnlichen Wahrnehmung – von Descartes bis Gottsched“, in: Lessing Yearbook/Jahrbuch XLVI, hgg. von C. Niekerk und H. Schlipphacke, Göttingen 2019, S. 11–28.

62

Christian Thomasius, Introductio ad philosophiam aulicam [1688], in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von W. Schneiders. Band 1, Hildesheim/Zürich/New York 1993, S. 134 (§ 1). „Gewiß / wenn du deinen eigenen Sinnen und deiner innerlichen Vergewisserung nicht trauen willst / so kan ich dir nicht helffen / weil dieses præsuppositum unter die unerweißlichen Warheiten mit gehöret.“ Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 161 (§ 41); vgl. ebd., S. 124 (§ 11), S. 155–168 (§ 20–70) und S. 176–177 (§ 100–104); vgl. Hilliard (2016), „‚Des Geistes schärfres Auge‘. Lessing über die Sinnlichkeit“, S. 15. Ähnlich findet sich diese Auffassung auch in Lessings frühem Gedichtfragment „Gedicht über die Mehrheit der Welten“ (1746), auf das Hilliard verweist: „Das Auge, wann sein Netz der Sachen Abdruck rührt, / Tut, was es tuen soll, auch wann es dich verführt: / Was es nicht leisten kann, das mußt du nicht begehren.“ Die folgenden Strophen zeigen, dass Lessing mit den zeitgenössischen Kenntnissen der Optik und Wahrnehmungsforschung vertraut ist. Gotthold Ephraim Lessing, „‚Gedicht über die Mehrheit der Welten‘“ [1746], in: ders., Werke und Briefe in zwölf Bänden, hgg. von W. Barner et al. Band 1 (Werke 1743–1750), hg. von J. Stenzel, Frankfurt a. M. 1989, S. 26–28, hier: S. 26.

63

Thomasius vertritt 1699 die Auffassung, Descartes habe den Bereich der Körper, nicht jedoch denjenigen des Geistes schlüssig erklärt. Vgl. Thomasius (2004), Versuch vom Wesen des Geistes, o. P. („Vorrede“, § 14–17). Er wendet sich insbesondere gegen die Auffassung, Tiere seien mit Maschinen vergleichbar und die äußeren Sinnesempfindungen seien als Erkenntnisinstrumente grundlegend zu verwerfen. Vgl. ebd., S. 9 (Th. 12(r)), S. 141–142 (Th. 38) und S. 176 (Th. 152–153).

64

„[N]egamus vero, quæ de fallacia sensuum docent; quoniam sensus non fallunt […].“ Thomasius (1993), Introductio ad philosophiam aulicam, S. 113 (§ 27). Noch deutlicher im Paragrafen 31 des Kapitels über die Wahrheit: „[S]ensus quoad veritatem existentiæ nunquam fallere, quia semper aliquid est, quod sensibus meis impressionem facit, & semper sub hoc schemate uti phantasia id concipit, sensibus idem sistitur.“ Ebd., S. 115 (§ 31). Thomasius führt in diesem Kontext aus, dass dem Menschen generell der Zugang zu wahrer Erkenntnis abgesprochen werden müsse, wenn von der Täuschungsanfälligkeit oder dem Betrug der Sinne ausgegangen werde. Er wendet sich dabei an mehreren Stellen seines Werkes explizit gegen Descartes und bezeichnet dessen These von der generellen Täuschungsanfälligkeit der Sinne als dessen „vornehmsten Schnitzer“. Christian Thomasius, Cautelen zur Erlernung der Rechtsgelehrtheit [1713], in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von W. Schneiders. Band 20, hg. von F. Vollhardt, Hildesheim/Zürich/New York 2006, S. 194 (§ 7d). Voraussetzung allerdings sei, so Thomasius, dass der Mensch aufmerksam und körperlich wie geistig gesund sei. Vgl. Thomasius (1993), Introductio ad philosophiam aulicam, S. 115 (§ 31); vgl. Thomasius (2004), Versuch vom Wesen des Geistes, S. 8–10 (Th. 10–14). Thomasius integriert diese Theorie der Sinnesempfindung in seine Terminologie der Erkenntnis. Er unterscheidet zwischen der klaren („durch die euserlichen Sinne durch eine starcke Bewegung beygebracht“) und der dunklen Erkenntnis („von denen Sinnen entweder gantz entfernet ist / oder doch dieselben auf schwache Art berühret“) sowie der handgreiflichen oder augenscheinlichen und der subtilen Erkenntnis, welche die (Un‑)Fähigkeit bezeichnet, das Erkannte jemand anderem vor Augen zu führen. Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 118–119 (§ 88–93).

65

Thomasius (1993), Introductio ad philosophiam aulicam, S. 86 (§ 45); vgl. ebd., S. 82 (§ 26); vgl. Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 103–107 (§ 25–41).

66

Vgl. ebd. „Der Gedancke ist eine solche Verrichtung des Gemüths / im Gehirn / wodurch der Mensch oder das Gemüthe / von den Schematibus, welche vermittelst der Bewegung der äusserlichen Cörper durch die Organa der Sinnen dem Gehirn sind eingedrücket worden / etwas durch einen Discurs oder aus Worten bestehenden Redens=Art vorbringet / fraget / bejahet / oder verneinet.“ Christian Thomasius, Einleitung zur Hof-Philosophie [1710], in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von W. Schneiders. Band 2, Hildesheim/Zürich/New York 1994, S. 99–100 (§ 29). Für das lateinische Original vgl. Thomasius (1993), Introductio ad philosophiam aulicam, S. 82 (§ 29); vgl. ebd., S. 81–82 (§ 23–29); vgl. Thomasius (2004), Versuch vom Wesen des Geistes, S. 8 (Th. 9).

67

Vgl. ebd., S. 2–3 (Th. 2–6). Vor allem in dieser Schrift stützt sich Thomasius auf die Definition verschiedener Eigenschaften, um die Bereiche des Geistigen und des Materiellen zu unterscheiden. Die Sinnesempfindungen bilden hier nur den Ausgangspunkt einer mystischen Naturphilosophie, die beispielsweise die (weibliche) Luft und das (männliche) Licht als geistige Wesen definiert. Vgl. ebd., S. 24–25 (Th. 3–4), S. 34 (Th. 28–30), S. 51 (Th. 1–2) und S. 97 (Th. 68). Allerdings darf hieraus nicht abgeleitet werden, dass Thomasius – so Vollhardt – die Philosophie Descartes’ und Gassendis pauschal als gefährlich ablehnt und die moderne Naturforschung für überflüssig hält. Zumindest seine Theorie der Sinnesempfindungen verbindet Thesen Descartes’ mit denjenigen Gassendis. Vgl. Vollhardt (1997), „‚Die Finsternüß ist nunmehro vorbey‘“, S. 8–11.

68

Christian Thomasius, Grundlehren des Natur- und Völkerrechts [1709], in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von W. Schneiders. Band 18, hg. von F. Grunert, Hildesheim/Zürich/New York 2003, S. 18 (§ 20). „Der Mensch gedencket / wenn er etwas verstehet / er gedencket / wenn er etwas will / er gedencket / wenn er etwas empfindet.“ Thomasius (2001), Göttliche Rechtsgelahrtheit, S. 12 (§ 38). „Das Gesicht / Gehör / Geruch / Geschmack und das Gefühle / stellen insgemein die äuserlichen Sinnligkeiten vor / zu welchen etliche als die sechte Art / die geile Luftempfindung s) rechnen / andere setzen noch die siebende und achte Art hinzu / nemlich die Austrocknung im Munde / und den Hunger in dem Magen. t) Die innerlichen Sinne u) werden in dreyerley Arten gebracht: Die gemeine Sinnligkeit / die Phantasie und das Gedächtnis. 41. Alle äuserliche Sinne sind Leidenschafften x) des Leibes / und nicht Verrichtungen der Seele.“ Ebd., S. 13 (§ 40–41). „Dannenhero wenn ich in vorigen §. der euserlichen Cörper gedacht habe / so verstehe nicht eben diejenigen / die ausser dem gantzen Menschen seyn / sondern alle diejenigen / die außer dem Gehirne des Menschen seyn.“ Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 104 (§ 27); vgl. Thomasius (2004), Versuch vom Wesen des Geistes, S. 1–3 (Th. 1–6).

69

Thomasius (2001), Göttliche Rechtsgelahrtheit, S.16 (§ 51). Begriffe werden folglich von einzelnen sinnlichen Erfahrungen abgeleitet; vgl. Thomasius (2004), Versuch vom Wesen des Geistes, S. 4 (Th. 7(h)).

70

Vgl. Peter Schröder, Christian Thomasius zur Einführung, Hamburg 1999, S. 46.

71

Thomasius erwähnt Gassendi 1688 als Interpreten Epikurs. Vgl. Thomasius (1993), Introductio ad philosophiam aulicam, S. 34 (§ 72). In den Monatsgesprächen von März 1688 führt der fiktive Gesprächspartner Clarindo Gassendi als Gegenspieler Descartes’ bei der Frage nach der Verlässlichkeit der Sinne an. Vgl. Christian Thomasius, Schertz- und Ernsthaffte / Vernünfftige und Einfältige Gedancken / über allerhand Lustige und nützliche Bücher und Fragen. Januar–Juni 1688, in: ders., Ausgewählte Werke, hgg. von W. Schneiders und F. Grunert. Band 5.1, hg. von H. Jaumann, Hildesheim/Zürich/New York 2015, S. 329–330. In der Einleitung zur Vernunftlehre verweist er auf eine Schrift seines Vaters zu Gassendi. Vgl. Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 70. Kondylis konstatiert eine „Übernahme des aristotelischen Axioms ‚nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensu‘“ im Kontext der inhaltlichen Verbundenheit von Thomasius’ Philosophie mit der scholastischen Logik. Kondylis (2002), Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 549.

72

Thomasius folgert hieraus, dass das Tier „nicht ein lebendiger empfindender Cörper / sondern ein lebendiger Cörper der eine Bewegung hat“ sei, und er schließt knapp: „daß die Bestien keine Sinnligkeit haben / nemlich keine innerliche Sinnligkeit / ohne welche der äuserliche Snn [sic!] nicht werth ist daß er ein Sinn heisset […].“ Thomasius (2001), Göttliche Rechtsgelahrtheit, S. 11 (§ 36). Vgl. Thomasius (1998), Einleitung zur Vernunftlehre, S. 105 (§ 33) und S. 107–111 (§ 42–54).

73

Thomasius (2001), Göttliche Rechtsgelahrtheit, S. 16 (§ 51).

74

Ebd., S. 17 (§ 52).

75

Vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 188–189 (§ 14). Ähnlich argumentiert der nicht genannte Autor im Artikel „Sens“ der Encyclopédie. Den Wahrheitsgehalt der sinnlichen Empfindung beschränkt er allerdings auf das für den Menschen nützliche Wissen und nimmt an, er könne sich in diesem Bereich meistens auf seine Sinne verlassen: „Les sens rapportent toujours fidellement ce qui leur paroît; la chose est manifeste, puisque ce sont des facultés naturelles qui agissent par l’impression nécessaire des objets, à laquelle le rapport des sens est toujours conforme. L’œil placé sur un vaisseau qui avance avec rapidité, rapport qu’il lui paroît que le rivage avance du côté opposé; c’est ce qui lui doit paroître […]. A prendre la chose de ce biais, jamais les sens ne nous trompent; c’est nous qui nous trompons par notre imprudence, sur leur rapport fidele. Leur fidélité ne consiste pas à avertir l’ame de ce qui est, mais de ce qui leur paroît; c’est à elle de démêler ce qui en est.“ Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 25–26 („Sens“).

76

Vgl. Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 494–495 (§ 793).

77

Christian Wolff, Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften. Teil I [1710, 71750], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. École, J. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 12, Hildesheim/New York 1999, o. P. („Vorrede“). Vgl. Wolff (1999), Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften. Teil III, S. 947–948 („Vorrede“).

78

Wolff definiert auch den Verstand als ein aktives, bewusstes Vermögen der Seele und setzt das Denken von der passiven Anhäufung von Wissen ab. Der Mensch könne dieses Vermögen nur erfahren, nicht aber dessen Ursache erkennen. Vgl. Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 105 und S. 117–118 (§ 10); vgl. Wolff (1981), „Auflösung einiger Schwierigkeiten“, S. 171.

79

Wolff (1978), Deutsche Logik, S. 110; vgl. Wolff (1980), Deutsche Physiologie, S. 2 („Vorrede“).

80

Vgl. Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit [1720, 41733], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. Ecole, J. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt. I. Abteilung (Deutsche Schriften). Band 4 (Vernünfftige Gedancken 3 (Deutsche Ethik)), mit einer Einleitung hg. von H. W. Arndt, Hildesheim/New York 1976, S. 70–71 (§ 119–121) und S. 109–110 (§ 180).

81

Wolff (1983), Deutsche Metaphysik, S. 298–299 (§ 491).

82

Ebd., S. 151 (§ 271). Die Sinne seien außerdem vom Zustand und der Gesundheit des Körpers abhängig. Vgl. ebd., S. 504 (§ 814). Wolff unterstreicht folglich, dass der Mensch sich um die Gesundheit seiner Sinnesorgane bemühen müsse. Vgl. Wolff (1976), Deutsche Ethik, S. 341–343 (§ 498–500).

83

Wolff (1980), Deutsche Teleologie, S. 47 (§ 30).

84

Ebd., S. 67 (§ 41).

85

Vgl. ebd., S. 44–45 (§ 29).

86

Ebd., S. 68 (§ 43).

87

Ebd.

88

Koch (2014), Kleine Stilgeschichte der Philosophie, S. 163.

89

Vgl. Andrew Brown, „Locke’s ‚Tabula rasa‘ and Gottsched“, in: Germanic Review. Band 24, Nr. 1 (Feb. 1949), S. 3–7. In seiner 1800 erschienenen Geschichte der Mathematik widmet Abraham Gotthelf Kästner Pierre Gassendi – neben Galilei und Kepler – ein längeres Kapitel und erwähnt, dass sein Exemplar der französischen Bearbeitung von Gassendis Schriften durch Bernier zuvor Gottsched gehört habe: „Es sind nur sieben Bände, auf meinem Exemplare ist die letzte I in VIII ausgestrichen, es hat vordem dem leipziger Arzte Bohn gehört, später Gottscheden.“ Abraham Gotthelf Kästner, Geschichte der Mathematik. Vierter Band, Göttingen 1800, S. 498.

90

Auch Georg Friedrich Meier streicht die Rolle der Ammen in seiner Schrift Gedancken von Gespenstern (1747) heraus. Yvonne Wübben nimmt an, dass er hierfür auf Lockes Some Thoughts Concerning Education (1693) zurückgreife. Vgl. Wübben (2007), Gespenster und Gelehrte, S. 99–102.

91

Johann Christoph Gottsched, Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726, hg. von H. Brandes. Zweiter Teil, Hildesheim/Zürich/New York 1993, S. 377–384, hier: S. 379.

92

Ebd.

93

Ebd.

94

Ebd., S. 377.

95

Ebd., S. 378.

96

Vgl. Locke (2008), An Essay Concerning Human Understanding, S. 62 (§ 21).

97

Gottsched (1993), Die Vernünftigen Tadlerinnen 1725–1726. Zweiter Teil, S. 378.

98

Ebd.

99

Vgl. Johann Christoph Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil) [1733, 71762], in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von P. M. Mitchell. Band 5.1, Berlin/New York 1983, S. 20 (§ 2); vgl. ebd., S. 21–22 (§ 5).

100

Ebd., S. 19 (§ 1); vgl. ebd., S. 126–127 (§ 15). Gottscheds erstmals 1733 erschienenes und mit jeder der sieben zu seinen Lebzeiten publizierten Auflagen überarbeitetes philosophisches Hauptwerk beruht auf Wolffs lateinischer Metaphysik. Der zweite, praktische Teil behandelt die Sittenlehre, das Naturrecht, die Tugend- und Staatslehre. Vgl. Johann Christoph Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Praktischer Theil) [1734, 71762], in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von P. M. Mitchell. Band 5.2, Berlin/New York 1983. Die Varianten – die jedoch für die hier behandelten Paragrafen keine bedeutenden Änderungen enthalten – sind als Bände 5.3 (Weltweisheit) und 6.3 (Critische Dichtkunst) in den Ausgewählten Werken veröffentlicht. Zur Entstehung und zeitgenössischen Rezeption vgl. Johann Christoph Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Kommentar, in: ders., Ausgewählte Werke, hg. von P. M. Mitchell. Band 5.4, Berlin/New York 1995, S. 1–35.

101

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 19 (§ 1); vgl. ebd., S. 124–126 (§ 7–14).

102

Vgl. Marie-Hélène Quéval, „Johann Christoph Gottsched – Maß und Gesetz“, in: Michael Hofmann (Hg.), Aufklärung. Epoche – Autoren – Werke, Darmstadt 2013, S. 11–25, hier: S. 24–25.

103

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 123 (§ 5).

104

Ebd., S. 123 (§ 4). „Auch das erste Holz, das man im Anfange auf dem Wasser schwimmen sah, war noch kein Schiff: gleichwohl hat die Schifffahrt davon anfangen müssen.“ Ebd., S. 20 (§ 3).

105

Ebd., S. 124 (§ 8).

106

Ebd., S. 134 (§ 24); vgl. ebd., S. 169 (§ 111).

107

Ebd., S. 516 (§ 881).

108

Ebd., S. 516 (§ 882). Gottsched nuanciert seine Äußerung mit dem Hinweis, dass der Mensch nicht entscheiden könne, ob er etwas empfinden wolle oder nicht. So bereits bei Wolff. Vgl. Wolff (1968), Psychologia empirica, S. 45 (§ 79). Dieses Argument findet sich auch in der Encyclopédie. Vgl. Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 35–36 („Sensations“).

109

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 490 (§ 827).

110

Ebd., S. 567 (§ 1027).

111

Ebd., S. 490 (§ 828).

112

Vgl. Dueck (2019), „‚Da nun die Sinne wahr sind‘“, S. 11–28.

113

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 566 (§ 1024).

114

Ebd., S. 169 (§ 111).

115

Vgl. ebd., S. 135–137 (§ 26–31); vgl. Adler (1990), Die Prägnanz des Dunklen, S. 2–12.

116

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 571 (§ 1037); vgl. ebd., S. 571 (§ 1038). Bei Wolff umfasst das untere Erkenntnisvermögen die dunklen (also nicht die klaren) und verworrenen und das obere Erkenntnisvermögen die deutlichen Ideen. Vgl. Wolff (1968), Psychologia empirica, S. 33 (§ 54–55).

117

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 175 (§ 126).

118

Ebd., S. 525 (§ 910).

119

Ebd., S. 526 (§ 914). Auch Baumgarten übernimmt diese Bestimmung des Witzes von Wolff. Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica. Metaphysik [1739, 41757], historisch-kritische Ausgabe, übersetzt, eingeleitet und hgg. von G. Gawlick und L. Kreimendahl, Stuttgart/Bad Cannstatt 2011, S. 303 (§ 572).

120

Vgl. Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 526 (§ 915). Gottsched verweist immer wieder auf Descartes, zitiert aber auch Leibniz, Wolff, Locke, Malebranche, Batteux, Berkeley und Shaftesbury. Er zeigt so – wie auch durch seine zahlreichen Übersetzungen –, dass er mit den westeuropäischen Diskursen seiner Zeit gut vertraut ist, stützt sich aber auch besonders auf die antiken Autoren Aristoteles und Horaz. Vgl. Gottsched (1995), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Kommentar, S. 10 und S. 249–281 (Personen- und Werkregister); vgl. Quéval (2013), „Johann Christoph Gottsched – Maß und Gesetz“, S. 11–12; vgl. Mark-Georg Dehrmann, Das „Orakel der Deisten“. Shaftesbury und die deutsche Aufklärung, Göttingen 2008, S. 156–193.

121

Vgl. Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 175 (§ 126).

122

Blumenberg (2001), „Licht als Metapher der Wahrheit“, S. 168.

123

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 527 (§ 918).

124

Vgl. ebd., S. 527 (§ 917–918).

125

Vgl. ebd., S. 566 (§ 1025). Als Beispiele nennt Gottsched hier den Schall, den Geschmack und die Farben.

126

Ebd., S. 515 (§ 880). Entscheidend ist dabei die Zuordnung der klaren, aber undeutlichen Ideen zu den unteren Erkenntniskräften, denen Wolff lediglich die dunklen Ideen zuweist. Vgl. Wolff (1968), Psychologia empirica, S. 33 (§ 54–55); vgl. Adler (1990), Die Prägnanz des Dunklen, S. 11–19.

127

Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 531 (§ 929).

128

Ebd., S. 239 (§ 256).

129

Ebd.

130

Vgl. Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil [1729, 31742], in: ders., Ausgewählte Werke, hgg. von J. Birke und B. Birke. Band 6.1, Berlin/New York 1973, S. 170 (§ 3–4). Die metaphorische Verwendung des Wortes erscheint ihm auch deswegen naheliegend, weil die undeutliche Sprachverwendung mit der undeutlichen Empfindung des Geschmacks vergleichbar sei: „Sie lehrt uns nämlich, daß der metaphorische Geschmack, eben so wohl als der gemeine, nur mit klaren, aber nicht ganz deutlichen Begriffen der Dinge zu thun hat; und nur solche Dinge von einander unterscheidet, die man nach der bloßen Empfindung beurtheilet.“ Ebd., S. 172 (§ 7).

131

Ebd., S. 174 (§ 8); vgl. ebd., S. 180 (§ 15). „Die Schönheit eines künstlichen Werkes, beruht nicht auf einem leeren Dünkel; sondern sie hat ihren festen und nothwendigen Grund in der Natur der Dinge. Gott hat alles nach Zahl, Maaß und Gewicht geschaffen. Die natürlichen Dinge sind an sich selber schön: und wenn also die Kunst auch was schönes hervorbringen will, so muß sie dem Muster der Natur nachahmen. Das genaue Verhältniß, die Ordnung und richtige Abmessung aller Theile, daraus ein Ding besteht, ist die Quelle aller Schönheit.“ Ebd., S. 183 (§ 20). Zwar könne sich so der Laie ebenso wie der „Criticus“ auf seine „bloße[] Empfindung“ verlassen, er beurteile diese „undeutlich erkannten Sachen“ jedoch meist falsch. Ebd., S. 145 (§ 3) und S. 174 (§ 9).

132

Ebd., S. 156 (§ 16).

133

Vgl. ebd., S. 174 (§ 8); vgl. Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 526 (§ 914); vgl. Gottsched (1973), Versuch einer Critischen Dichtkunst. Erster allgemeiner Theil, S. 115 (§ 1) und 152 (§ 11). Unter ‚Nachahmung‘ versteht Gottsched keine getreue Wiedergabe, sondern die Nachahmung des aufgrund der Kenntnis der Welt Möglichen. Die Nachahmung sei folglich nicht das Ziel des Historikers (der sagt, wie es ist), des Redners (der überzeugen will) oder des Weltweisen (der erklärt, warum etwas ist), sondern allein des Dichters. Vgl. ebd., S. 202 (§ 7); vgl. ebd., S. 148 (§ 6). So schränkt Gottsched auch das Wunderbare, also für die Leser „neue, seltsame und vortreffliche“ durch die Gebote der Lehrhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit ein. Unter Wahrscheinlichkeit versteht Gottsched „die Aehnlichkeit des Erdichteten, mit dem, was wirklich zu geschehen pflegt; oder die Uebereinstimmung der Fabel mit der Natur.“ Ebd., S. 225 (§ 1) und S. 255 (§ 1).

134

Vgl. Wolff (1982), Deutsche Experimentalphysik I, S. 6–7 („Vorrede“); vgl. Adler (1990), Die Prägnanz des Dunklen, S. 25–26; vgl. Quéval (2013), „Johann Christoph Gottsched – Maß und Gesetz“, S. 12.

135

Alexander Gottlieb Baumgarten, Ästhetik [1750], übersetzt, mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern hg. von D. Mirbach, lateinisch–deutsch. Band 1 (§§ 1–613), Hamburg 2007, S. 127 (§ 149).

136

Alexander Gottlieb Baumgarten, Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus. Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes [1735], übersetzt und mit einer Einleitung hg. von H. Paetzold, lateinisch–deutsch, Hamburg 1983, S. 84–85 (§ CXV). In der Kollegnachschrift wird die Wissenschaft anhand der Tatsache definiert, dass sie „gewisse Gründe haben“ muss. Anonym, „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“ [ca. 1750/1751], in: Bernhard Poppe, Alexander Gottlieb Baumgarten. Seine Bedeutung und Stellung in der Leibniz-Wolffischen Philosophie und seine Beziehungen zu Kant. Nebst Veröffentlichung einer bisher unbekannten Handschrift der Ästhetik Baumgartens, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster in Westfalen, Borna/Leipzig 1907, S. 65–258, hier: S. 71 (§ 1). Meier sieht hierin die Grundlage von Entscheidungen über Kunstfragen: „Die Aesthetick soll eine Wissenschaft seyn. §2. Da nun eine Wissenschaft eine Erkentnis ist, welche aus ganz unumstößlichen Gründen hergeleitet wird, so mus auch die ganze Aesthetick auf dergleichen Gründe gebauet werden.“ Georg Friedrich Meier, Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften [1748, 21754]. Teil I, Hildesheim/New York 1976, S. 5 (§ 3).

137

„[Q]uibus inferiores cognoscendi facultates expoliri possent, acui et ad emolumentum orbis felicius adhiberi.“ Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 84–85 (§ CXV). „Man mag einwenden: 8) Die Ästhetik ist eine Kunst, keine Wissenschaft. Ich antworte: a) Dies sind keine gegensätzlichen Fertigkeiten.“ „(Obi. 8) Aesthetica ars est, non scientia. Rsp. a) Hi non sunt oppositi habitus.“ Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 16–17 (§ 10).

138

„[F]acultatem sentiendi, imaginandi, attendendi, abstrahendi, & memoriam […].“ Georg Bernhard Bilfinger, Dilucidationes philosophicae de Deo, Anima humana, Mundo, et generalibus Rerum affectionibus [1725], editio nova, Tübingen 1768, S. 199 (§ CCLXVIII). Deutsche Übersetzung zitiert nach Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. XXX.

139

Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 84–85 (§ CXV). Im ersten Band der Ästhetik unterstreicht Baumgarten, dass die Ästhetik über die Poetik und Rhetorik hinausgehe, da sie nicht Vorgaben zu einzelnen Textsorten mache, sondern die Gemeinsamkeiten aller schönen sinnlichen Erkenntisse behandele. Vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 12–13 (§ 5) und S. 20–23 (§ 17).

140

Vgl. Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 67 (§ 1). Berndt sieht in Baumgartens Entwurf der Ästhetik als einer Theorie der sinnlichen Erkenntnis und der künstlerischen Darstellung den Versuch, „ein höchst ungleiches Paar“ zu verkuppeln, der letztlich an der „kolossalen Überforderung“ scheitere, den Bereich der Darstellung als wahrheitsfähig zu bestimmen und zu erhalten. Sie zeichnet anhand der Sekundärliteratur die Auffassung nach, es handele sich dabei um einen „grundsätzlichen Paradigmenwechsel der Episteme“ seit Leibniz, in dem die Darstellung (elocutio) vor die Erkenntnis (inventio) rücke. Diese prägt bereits die empiristischen und sensualistischen Wahrnehmungstheorien des 17. Jahrhunderts von dem Moment an, in dem das Sehen nicht mehr als direkte Kenntnis der Welt verstanden und damit zu einer (sprachlichen) Interpretation von körperlichen Impulsen wird. Frauke Berndt, Poema/Gedicht. Die epistemische Konfiguration der Literatur um 1750, Berlin/Boston 2011, S. 14 und S. 31.

141

Vgl. Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 2–3.

142

Ebd., S. 2–3.

143

Vgl. ebd., S. 84–85 (§ CXV); vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“ [1741], in: ders., Texte zur Grundlegung der Ästhetik, übersetzt und hg. von H. R. Schweizer, lateinisch–deutsch, Hamburg 1983, S. 67–72, hier: S. 69.

144

„Der Titel Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus (Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes) zitiert nicht unbescheiden Descartes’ Grundlegung einer Philosophie der Vorstellung beim Namen ihres Denkverfahrens […].“ Rüdiger Campe, „Der Effekt der Form. Baumgartens Ästhetik am Rande der Metaphysik“, in: Eva Horn/Bettine Menke/Christoph Menke (Hgg.), Literatur als Philosophie – Philosophie als Literatur, München 2006, S. 17–33, hier: S. 17.

145

„Accingendus eram ad meditationem eorum, quae de more cognoveram historice, per usum, imitationem nisi coecam luscam tamen et exspectationem casuum similium.“ Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 4–5.

146

Ebd., S. 84–85 (§ CXV).

147

„Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae, qua talis, §1. Haec autem est pulcritudo […].“ Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 20–21 (§ 14).

148

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 282–283 (§ 533). Ausführlicher wird die Definition der Ästhetik in der anonymen Kollegnachschrift begründet. Vgl. Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 65–71 (§ 1). Zu Baumgartens Quellen für die Definition der Ästhetik vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Ästhetik [1758], übersetzt, mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern hg. von D. Mirbach. Band 2 (§§ 614–904), lateinisch–deutsch, Hamburg 2007, S. 936 (§ 1.1). Zu den unterschiedlichen Definitionen in den drei Hauptschriften vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. XXV–XXVII; vgl. Hans Rudolf Schweizer, „Einführung“, in: Alexander Gottlieb Baumgarten, Texte zur Grundlegung der Ästhetik, übersetzt und hg. von H. R. Schweizer, lateinisch–deutsch, Hamburg 1983, S. VII–XXII, hier: S. XIX–XXII.

149

„[F]acultates identitates diversitatesque percipiendi, adeoque ingenium, acumen et perspicacia […].“ Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 304–305 (§ 575).

150

Ebd., S. 338 (§ 640). In der Kollegnachschrift heißt es: „Man nenne sie die Wissenschaften unserer Untererkenntnisvermögen, oder wann man noch sinnlicher reden, so nenne man sie mit dem Bouhours la logique sans epines. Bei uns Deutschen ist der Titel: die Kunst schön zu denken, schon bekannt, man bediene sich auch dessen.“ Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 66 (§ 1).

151

Dagmar Mirbach, „Dichtung als repraesentatio. G. W. Leibniz und A. G. Baumgarten“, in: Hans Feger (Hg.), Handbuch Literatur und Philosophie, Stuttgart/Weimar 2012, S. 10–20, hier: S. 13. Die Frage, ob Baumgarten mit der Unterscheidung einer Gott vorbehaltenen metaphysischen und einer menschlichen Wahrheit (und innerhalb dieser einer logischen und einer ästhetischen Wahrheit) von einer Pluralität der Wahrheiten ausgeht, ist nicht leicht zu beantworten. Überzeugender scheint die Annahme, er unterscheide nicht Wahrheiten, sondern Erkenntniswege, von denen der menschliche durch seine genuine Beschränkung bestimmt ist. Vgl. ebd., S. 17–18. Steffen W. Groß und Hans Adler gehen von einer Pluralität der Wahrheiten aus. Vgl. Steffen W. Groß, Cognitio sensitiva. Ein Versuch über die Ästhetik als Lehre von der Erkenntnis des Menschen, Würzburg 2011, S. 164; vgl. Hans Adler, „Was ist ästhetische Wahrheit?“, in: Andrea Allerkamp/Dagmar Mirbach (Hgg.), Schönes Denken. A. G. Baumgarten im Spannungsfeld zwischen Ästhetik, Logik und Ethik, Hamburg 2016, S. 49–66, hier: S. 54. Zum Verhältnis von logischer und ästhetischer Wahrheit beziehungsweise Wahrscheinlichkeit vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 402–423 (§ 423–444) und S. 456–483 (§ 478–504); vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Philosophische Brieffe von Aletheophilus, Frankfurt a. M./Leipzig 1741, S. 5.

152

So bereits die Forderung Bilfingers. Vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. XXX–XXXI. „Das Sinnliche ist nun nicht mehr der bloße Stoff, der im Erkennen überwunden und in die reine Gedankenform aufgehoben werden soll, sondern es wird ein, vom Standpunkte unseres Wissens, unentbehrliches Mittel, um die Verhältnisse der Begriffe selbst zu übersehen und zu bezeichnen.“ Ernst Cassirer, Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte [1916, 31922], in: ders., Gesammelte Werke, hg. von B. Recki. Band 7, Text und Anmerkungen bearbeitet von R. Schmücker, Hamburg 2001, S. 81.

153

Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 16–17 (§ 13); vgl. Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 79 (§ 13). Zu Baumgartens Logik vgl. Clemens Schwaiger, „Die Rezeption von Wolffs Deutscher Logik bei Alexander Gottlieb Baumgarten“, in: Arnaud Pelletier (Hg.), Christian Wolff’s German Logic. Sources, Significance and Reception, Hildesheim/Zürich/New York 2017, S. 175–196.

154

Berndt (2011), Poema/Gedicht, S. 21.

155

Anders als Groß annimmt, besteht die Neuerung Baumgartens nicht darin, dass er den Blick auf „das Aufeinanderbezogensein von Sinnlichkeit und Rationalität im Menschen“ richtet. Dieser Zusammenhang gehört zu den Kernfragen des Sensualismus. Groß (2011), Cognitio sensitiva, S. 159. Groß unterstreicht zu Recht, dass Baumgarten erstmals Verstand und Sinnlichkeit als „gleichrangige[] Partner[]“ begreift. Ebd., S. 162.

156

Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 14–15 (§ 6). Mit einem Seitenhieb auf Wolff erklärt die Kollegnachschrift: „Wann man den Philosophen als einen Fels vorstellet, der bis über die Hälfte in die Wolken geht, mit der Überschrift non pertubatur in alto, so vergißt man den Menschen […]. Der Philosoph bleibt ein Mensch, folglich behält er Sinnlichkeit, und auf dieser Verbesserung muß er auch als Philosoph denken.“ Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 76 (§ 6).

157

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 373 (§ 158). Auch in seiner Vernunftlehre definiert Meier den Menschen als einen „Zuschauer oder Beschauer dieser Welt“, der jedoch – anders als das Tier – nicht nur die Oberfläche sehen, sondern auch „den Urstof der Welt ergründen“ könne. Vgl. Georg Friedrich Meier, Vernunftlehre [1752], in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von R. Theis und W. Schneiders. Band 144, Hildesheim/Zürich/New York 2015, S. 1–2 (§ 1). Seine Schrift über die Seele der Tiere beginnt Meier mit den Worten: „Ich bin ein Einwohner dieser Welt […].“ Meier (1750), Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere, S. 3 (§ 1).

158

Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band II, S. 361–362. Wie Berkeley setzt Porterfield die sinnliche Freude (das angenehme oder lustvolle Empfinden) nicht mit der Erkenntnis der Wahrheit gleich. Vgl. Berkeley (1975), „An Essay towards a New Theory of Vision“, S. 34 (§ 87); vgl. Porterfield (1759), A Treatise on the Eye. Band I, S. 2–3. Auch bei Wolff steht der Aspekt der Nützlichkeit bei der Charakterisierung der Sinne im Vordergrund. Vgl. Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen [1721, 41736], in: ders., Gesammelte Werke, hgg. und bearbeitet von J. Ecole, J. E. Hofmann, M. Thomann, H. W. Arndt. I. Abteilung (Deutsche Schriften), Band 5 (Vernünftige Gedanken 4 (Deutsche Politik)), mit einer Einleitung hg. von H. W. Arndt, Hildesheim/New York 1975, S. 379–381 (§ 390).

159

Herder wirft ihm dies in seinem „Vierten Wäldchen“ vor und sieht darin die Lücke, die seine eigene Ästhetik füllen werde: „Ich weissage nicht aufs Geratewohl ihr Dasein, weil etwa Baumgarten und Boden vom Ästhetischen und Poetischen Licht und Schatten geschrieben haben: denn wer die Schriften dieser Verf. kennet, weiß, daß sie bloß einen entlehnten bildlichen Begriff abhandeln. Ich rede von keinem solchen, sondern da ganz eigentlich gesprochen, die sichtbare Schönheit doch nichts als Erscheinung ist: so gibts auch eine völlige große Wissenschaft dieser Erscheinung, eine Ästhetische Phänomenologie, die auf einen zweiten Lambert wartet.“ Johann Gottfried Herder, „Kritische Wälder. Oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. Viertes Wäldchen über Riedels Theorie der schönen Künste“ [posthum, 1769 verfasst], in: ders., Werke in zehn Bänden, hgg. von G. Arnold et al. Band 2 (Schriften zur Ästhetik und Literatur 1767–1781), hg. von G. E. Grimm, Frankfurt a. M. 1993, S. 247–442, hier: S. 334–335.

160

Alexander Košenina, Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des Menschen, Berlin/Boston 22016, S. 12. Zelle spricht sich für die „Gleichursprünglichkeit der beiden gleichermaßen neuen wie ‚leibnahen‘ Wissenschaften Ästhetik und Anthropologie“ aus, weist aber darauf hin, dass Baumgarten diese „Anschlußfähigkeit der Ästhetik an medizinisches Wissen“ nur „unter rhetorischem Gesichtspunkt angetippt“ habe. Carsten Zelle, „Sinnlichkeit und Therapie. Zur Gleichursprünglichkeit von Ästhetik und Anthropologie um 1750“, in: ders. (Hg.), „Vernünftige Ärzte“. Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung, Tübingen 2001, S. 5–24, hier: S. 10 und S. 21.

161

Schweizer unterstreicht, dass Kant „das Werk jahrzehntelang in seinen Vorlesungen benützt“ und es „‚das nützlichste und gründlichste unter allen Handbüchern seiner Art‘“ nennt. Schweizer (1983), „Einführung“, S. X.

162

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 284 (§ 536). Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte dieses „einflußreichsten deutschen Metaphysik-Handbuchs des 18. Jahrhunderts“ vgl. die Einleitung von Gawlick und Kreimendahl. Ebd., S. VII.

163

Auf diese weist Franke bereits Anfang der 1970er Jahre hin. Vgl. Ursula Franke, Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten, Wiesbaden 1972, S. 40. In der Baumgarten-Forschung werden die körperlichen Vorgänge der Sinnesempfindung – wie bereits bei Franke – nur ganz am Rande behandelt. Vgl. Alexander Aichele, Wahrscheinliche Weltweisheit. Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysik des Erkennens und Handelns, Hamburg 2017, S. 39. Die Sinnesorgane verursachen nach Baumgarten „Regungen des Gehirns, die mit den aufeinanderfolgenden Vorstellungen der Seele koexistieren“ („Motus cerebri, coexsistentes animae repraesentationibus successivis“). Diese Bewegungen des Gehirns nennt er „MATERIELLE IDEEN“ („IDEAE MATERIALES“). Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 296–297 (§ 560). Baumgarten übernimmt damit Wolffs Beschreibung des Vorgangs aus der Psychologia rationalis. Vgl. Adler (1990), Die Prägnanz des Dunklen, S. 20–22. Die Kollegnachschrift beschreibt die physische Sinnesempfindung als eine „maschinenmäßige[] Bewegung“. Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 86 (§ 29).

164

„Die von der Seele abhängigen Veränderungen des Leibes und die vom Leib abhängigen Veränderungen der Seele sind harmonisch (§ 448). Bei harmonischen Veränderungen der Seele und des Leibes koexistiert mit der Veränderung des Leibes eine Veränderung der Seele oder folgt auf sie; mit der Veränderung der Seele koexistiert eine Veränderung des Leibes oder folgt auf sie (§ 733–736).“ („Mutationes corporis ex anima, et animae ex corpore pendentes sunt harmonicae (§ 448). In mutationibus harmonicis animae et corporis mutationi corporis coexsistit, vel succedit mutatio animae, mutationi animae coexsistit, vel succedit mutatio corporis (§ 733–736).“) Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 396–397 (§ 738). Zu Baumgartens Rezeption von Leibniz’ Philosophie in der Metaphysica vgl. ebd., S. XXX–XXXII und S. LXII–LXXIII. Wunderlich unterstreicht: „Doch die prästabilierte Harmonie beschränkt sich nicht auf das Leib-Seele-Problem. Im Kern ist sie vielmehr eine allgemeine Kausaltheorie, die sich mit der Frage beschäftigt, welche Entitäten in der Welt überhaupt kausal wirksam sein können. Geschaffene Monaden können Leibniz zufolge nur in einer Hinsicht kausale Wirksamkeit ausüben, nämlich auf ihre eigenen Zustände. Diese zentrale These bringt Leibniz mit dem bekannten Bild der ‚Fensterlosigkeit‘ der Monaden zum Ausdruck […].“ Falk Wunderlich, „Meiers Verteidigung der prästabilierten Harmonie“, in: Gideon Stiening/Frank Grunert (Hgg.), Georg Friedrich Meier (1718–1777). Philosophie als „wahre Weltweisheit“, Berlin/Boston 2015, S. 113–122, hier: S. 114; vgl. ebd., S. 115–116.

165

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 284 (§ 536).

166

Im Kapitel über den „COMMERCIUM ANIMAE ET CORPORIS“ behandelt Baumgarten die willkürliche und die willentliche „HERRSCHAFT DER SEELE ÜBER IHREN LEIB“ („REGIMEN ANIMAE IN CORPUS“). Die äußeren Empfindungen dienen ihm als Beweis für eine Einwirkung oder Beeinflussung der Seele durch den Körper, und er schlussfolgert: „Also gibt es einen wechselseitigen Einfluß zwischen meiner Seele und meinem Leib (§ 734, 735), eine wechselseitige Harmonie (§ 14) und Gemeinschaft (§ 448).“ („Ergo est inter animam meam et corpus meum influxus mutuus (§ 734, 735), mutua harmonia (§ 14) et commercium (§ 448).“) Baumgarten erfasst diesen Einfluss im Kontext von Leibniz’ These einer prästabilierten Harmonie und unterscheidet ihn von der Auffassung des „INFLUXIONISTA UNIVERSALIS“ und des „OCCASIONALISTA […] UNIVERSALIS“. Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 394–395 (§ 733 und § 736) und S. 240–242 (§ 450 und § 452).

167

Cassirer (2001), Freiheit und Form, S. 80.

168

Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 86 (§ 29).

169

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 284–285 (§ 534). Zedler sieht hingegen erst in der Vorstellung die aktive Folge der passiv aufgenommenen Empfindungen. Vgl. Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 50, Leipzig/Halle 1746, S. 1284–1285. Auch Walch definiert die Empfindung als eine „Leidenschafft des Verstands, welche von der Bewegung des Nerven=Saffts, oder der belebenden Geister, (spirituum animalium) mit denen unsere Seele unmittelbahr verknüpfft ist, entstehet.“ Gemeint ist mit dem Begriff „Leidenschafft“ die Passivität des Verstandes bei der Entstehung der Empfindungen. Walch (1726), Philosophisches Lexicon, S. 729.

170

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 270–271 (§ 506).

171

Die deutschsprachige Ästhetik unterscheidet damit anders als die französische Encyclopédie zwischen innerer und äußerer Sinnlichkeit. Für Letztere steht nicht die Ausrichtung der Seele (auf sich selbst oder den eigenen Körper) im Zentrum, sondern der Ursprung der Empfindung (von außen oder von ‚innen‘). Damit fallen die physische Empfindung des Hungers und die geistige der Aufmerksamkeit in dieselbe Kategorie: „[O]n en doit distinguer de deux especes, d’extérieurs & d’intérieurs; qui correspondent aux deux différentes manieres dont les images des objets que nous appercevons, sont occasionnées & présentées à l’esprit, soit immédiatement du dehors, c’est-à-dire, par les cinq sens extérieurs, l’ouie, la vûe, le goût, le tact, & l’odorat; soit immédiatement du dedans, c’est-à-dire, par les sens internes, tels que l’imagination, la mémoire, l’attention, &c. auxquelles on peut joindre la faim, la soif, la douleur, &c.“ Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 24 („Sens“). Noch deutlicher wird der Unterschied zu Baumgartens Abgrenzung von inneren und äußeren Sinnen im Artikel „Sens internes“ der Encyclopédie, in dem Jaucourt eine physiologische und medizinische Theorie der Empfindungen (Nerven, Gehirn) entwirft. Vgl. Louis de Jaucourt, „Sens internes“, in: Denis Diderot/Jean-Baptiste Le Rond d’Alembert (Hgg.), Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, par une Société de Gens de Lettres. Fünfzehnter Band, Neufchastel 1765, S. 31–33.

172

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 284–285 (§ 535). Der äußere Sinn ist damit nicht einfach mit den physischen Sinnen gleichzusetzen. Vgl. Berndt (2011), Poema/Gedicht, S. 25.

173

Vgl. Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 268–269 (§ 504).

174

Vgl. ebd., S. 290–291 (§ 546–548). Schwaigers Auffassung, Baumgarten erinnere „mehr noch als Wolff an mögliche Gefährdungen, die von den sinnlichen Vermögen ausgehen können“, ist nur dann haltbar, wenn Wolffs naturkundliche Schriften und die klare Unterscheidung zwischen den Sinnesorganen und den Sinnesempfindungen nicht berücksichtigt werden. Vgl. Clemens Schwaiger, Alexander Gottlieb Baumgarten – ein intellektuelles Porträt. Studien zur Metaphysik und Ethik von Kants Leitautor, Stuttgart/Bad Cannstatt 2011, S. 23.

175

„Sensationes ipsae cum repraesentent statum corporis, vel animae, vel utriusque praesentem (§ 535), tam internae, quam externae percipiunt actualia (§ 205, 298), hinc et possibilia (§ 57), et quidem huius mundi (§ 377), sunt ergo verissimae totius mundi (§ 184), nec ulla earum est fallacia sensuum (§ 545).“ Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 290–291 (§ 546). Zur Definition des Möglichen vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 2 (§§ 614–904), S. 997 (§ 431.2).

176

Dies ist auch die von Meier referierte erste Erkärung für Gespenster: „Dieser Fehler wird begangen, wenn man aus einer Empfindung, eine andere Vorstellung, durch einen Schluß, herleitet, und diese hergeleitete Vorstellung für eine Empfindung hält.“ Georg Friedrich Meier, Gedancken von Gespenstern, Halle 1747, S. 9 (§ 4).

177

Baumgarten (1983), „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“, S. 70.

178

Ebd., S. 71. Als „BLENDWERK DER SINNE“ („PRAESTIGIAE“) bezeichnet Baumgarten die willentliche Täuschung der Sinne. Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 290 (§ 547).

179

Vgl. Baumgarten (1983), „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“, S. 71–72.

180

Campe sieht in Baumgartens Verweis auf Musschenbroek, Boyle und Malebranche nicht die Auseinandersetzung mit der Fehleranfälligkeit der Sinne, sondern deutet ihn als Hilfestellung für seine Hörer bei der „Umschrift rhetorischer technē in Vorstellung“, dem Übergang von einer „technisch angeleitete[n] Praktik der Sinne“ zu einer allgemeinen Ästhetik. Campe (2006), „Der Effekt der Form“, S. 22–23. Gottsched übersetzt Musschenbroeks Schrift 1747 ins Deutsche. Vgl. Pieter van Musschenbroeck, Hrn. Peters von Muschenbroek, M. D. der Weltw. und Mathem. ordentlichen Lehrers zu Leyden Grundlehren der Naturwissenschaft, nach der zweyten lateinischen Ausgabe, nebst einigen neuen Zusätzen des Verfassers, ins Deutsche übersetzt, mit einer Vorrede ans Licht gestellt von Johann Christoph Gottscheden […], Leipzig 1747.

181

Baumgarten (1983), „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“, S. 72.

182

Ebd., S. 71.

183

Ebd., S. 72. Einige Zeilen später spricht Baumgarten von den „Waffen der Sinnen oder denen Werkzeugen […] durch welche wir klar zu empfinden in Stand gesetzt werden, was uns sonst nur dunkel geblieben wäre.“ Er zählt eine ganze Reihe von Instrumenten auf, darunter vor allem optische und verschiedene Meßinstrumente, aber auch „künstlige Ohren“ und eine „Sprach-Röhre“. Ebd., S. 72.

184

Vgl. Berndt (2011), Poema/Gedicht, S. 5.

185

Baumgarten (1983), „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“, S. 72.

186

Wübben verweist auf Johann Christoph Hoffbauers Geschichte der Universität zu Halle bis zum Jahre 1805, welche die Beschäftigung mit den Experimentalwissenschaften institutionshistorisch begründet: „Darin verzeichnet Hoffbauer einen massiven Bedeutungsabfall der artes liberales gegenüber der medizinischen und juristischen Fakultät sowie gegenüber den sich neu formierenden, vor allem in Göttingen stark vertretenen Experimentalwissenschaften (verkörpert durch Albrecht von Haller und Andreas von Segner, der 1755 nach Halle wechselt).“ Wübben (2007), Gespenster und Gelehrte, S. 126.

187

Baumgarten (1983), „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“, S. 72.

188

Alexander Gottlieb Baumgarten, „Philosophia generalis“ [posthum, ca. 1742], in: ders., Texte zur Grundlegung der Ästhetik, übersetzt und hg. von H. R. Schweizer, lateinisch–deutsch, Hamburg 1983, S. 73–78, hier: S. 73.

189

Baumgarten (1983), „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“, S. 70.

190

Schweizer (1983), „Einführung“, S. XVII.

191

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 215 (§ 355). So bereits 1744: „Die Musen verbessern den Verstand und die Vernunft, §. 5. folglich auch alle Wissenschaften. […] Man sieht demnach, daß alle Wissenschaften auf den freyen Künsten und schönen Wissenschaften beruhen.“ Georg Friedrich Meier, „Gedanken von dem Werthe der freyen Künste und schönen Wissenschaften in Absicht auf die obern Kräfte der Seele“ [1744], in: ders., Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen in 3 Teilen. Teil 1 (Das Streben nach den philosophischen Grundsätzen einer neuen deutschen Dichtung), hgg. von H.‑J. Kertscher und G. Schenk, Halle/Saale 1999, S. 62–69, hier: S. 67 (§ 7).

192

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 214 (§ 355).

193

Ebd.

194

Ebd., S. 215 (§ 355).

195

Ebd.

196

Ebd., S. 216 (§ 356).

197

Ebd., S. 217 (§ 356).

198

Vgl. ebd., S. 232 (§ 362). Die 29. Regel besteht darin, Bacons „Rathschlägen zu folgen, so ofte es sich will thun lassen.“ Der Abschnitt enthält auch einen Hinweis auf Newton. Ebd., S. 242–243 (§ 366). Auch Sulzer beruft sich in einem der Ontologie gewidmeten Paragrafen auf den „fürtreflichen Canzler[] Baco“. Johann Georg Sulzer, Kurzer Begriff aller Wissenschaften. Erste (1745) und zweite (1759) Auflage, hg. von H. Adler, Basel 2014, S. 137 (§ 196).

199

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 233 (§ 362). 1753 unterstreicht Meier diesen Aspekt in seiner moralischen Wochenschrift Der Mensch noch einmal. Vgl. Georg Friedrich Meier, „Historische und schöne Wissenschaften“ [1753], in: ders., Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen in 3 Teilen. Teil 1 (Das Streben nach den philosophischen Grundsätzen einer neuen deutschen Dichtung), hgg. von H.‑J. Kertscher und G. Schenk, Halle/Saale 1999, S. 141–150, hier: S. 141–142. Die 34. Regel beschäftigt sich mit der Wahl der Worte, um die eigene Erfahrung zu beschreiben. Seien diese mehrdeutig, könne „es leicht geschehen, daß wir uns einbilden, wir hätten das übrige auch erfahren.“ Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 252 (§ 369). Hinzu kommt in der sechzehnten und siebzehnten Regel der Aspekt der Ökonomie. Ebd., S. 232–234 (§ 362). Zum Schluss des Kapitels „Von den Sinnen“ vergleicht Meier unter Verweis auf Horaz den Naturforscher mit dem Dichter, da beide so viele Erfahrungen wie möglich sammeln und diese dann der Gesellschaft zum Nutzen verarbeiten. Vgl. ebd., S. 255–256 (§ 370).

200

Ähnlich formuliert dies noch einmal die 28. Regel. Vgl. ebd., S. 242 (§ 365).

201

Ebd., S. 218 (§ 356).

202

Ebd.; vgl. ebd., S. 248 (§ 367).

203

Ebd., S. 253 (§ 369).

204

Ebd., S. 253–254 (§ 369).

205

„Was erstlich die Selbsterkentniß betrift, welche alle Menschen, und sonderlich die Gelehrten, als ein Hauptstudium betrachten müssen […].“ Meier (1999), „Historische und schöne Wissenschaften“, S. 146.

206

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 218–219 (§ 356).

207

Ebd., S. 234 (§ 362).

208

Ebd., S. 239 (§ 364).

209

Ebd., S. 239–240 (§ 364).

210

Ebd., S. 239 (§ 364).

211

Ebd., S. 219–220 (§ 357).

212

Meier weitet dabei den Bereich der „Waffen der Sinne“ aus: „Gemeiniglich rechnet man zu diesen Instrumenten, oder Waffen der Sinne, nur die Vergrösserungsgläser, die Ferngläser und die Instrumente, durch welche wir das Gehör befördern, dergleichen das Sprachrohr ist. Allein man kan ohne Widerspruch alle empirische Instrumente, oder alle Werkzeuge, wodurch wir klare Empfindungen bekommen, die wir sonst nicht erhalten würden, zu den Waffen der Sinne rechnen […].“ Ebd., S. 227 (§ 360).

213

Ebd., S. 220 (§ 357).

214

Ebd., S. 221 (§ 357).

215

Ebd., S. 230 (§ 361). Die 33. Regel empfiehlt dem Forschenden weitere Kriterien, nach denen geprüft werden soll, ob das Ergebnis einer Beobachtung oder eines Experiments nicht auf einem Fehlschluss beruht. Vgl. ebd., S. 251–254 (§ 369).

216

Vgl. ebd., S. 241 (§ 365). In der dreißigsten Regel unterstreicht Meier bei der Frage, wann man aus einzelnen Erfahrungen allgemeine Erfahrungssätze ableiten kann, noch einmal: „Man gehe demnach behutsam, und langsam.“ Ebd., S. 247 (§ 367).

217

Ebd., S. 221 (§ 357). Auch bei der Frage der Dosierung empfiehlt Meier in der zwanzigsten Regel die „Mittelstrasse“ beispielsweise zwischen einer zu großen Erhitzung oder Vergrößerung und einer zu kleinen. Ebd., S. 236 (§ 363).

218

Vgl. ebd., S. 223–229 (§ 359–360). Erfolgreiche Versuche sollten oft wiederholt werden, dabei sollten jedoch – so Meiers neunzehnte Regel – möglichst dieselben Materialien verwendet werden. Vgl. ebd., S. 235–236 (§ 362).

219

Für Shapin und Schaffer spielt die Vermittlung gescheiterter Experimente in einer der empiristischen Naturforschung eigenen Rhetorik der Glaubwürdigkeit, zu der auch die Wahl des Essays gehört (im Gegensatz zur systematischen Abhandlung), eine zentrale Rolle. Sie sehen hierin – anhand von Boyles New Experiments – eine „literary technology to assure his readers that he was such a man as should be believed.“ Shapin/Schaffer (2011), Leviathan and the Air-Pump, S. 65.

220

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 221–223 (§ 358).

221

Ebd., S. 241 (§ 365).

222

Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 86 (§ 29).

223

Mit der berühmten Aussage, dass die Monaden keine Fenster haben, weist Leibniz die scholastische Wahrnehmungstheorie zurück, der zufolge kleine Bildchen sich von den Gegenständen lösen und vom Auge des Betrachters aufgenommen werden. Er folgert: „Ainsi ni substance, ni accident peut entrer de dehors dans une Monade.“ Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie und andere metaphysische Schriften, hg., übersetzt, mit Einleitung, Anmerkungen und Registern versehen von Ulrich Johannes Schneider, französisch–deutsch, Hamburg 22014, S. 112 (7). In einer frühen Schrift, in der Georg Friedrich Meier Leibniz’ These der prästabilierten Harmonie zu beweisen sucht, wehrt auch er sich anhand eines recht eindrücklichen Beispiels gegen die Vorstellung der species: „Ich will ein Exempel geben. Man sehe einen Affen. Millionen, unendlich kleiner Affen, erfüllen den gantzen Raum, in welchem der Affe gesehen werden kan. Einer dieser kleinen Affen, besitzt die Geschicklichkeit, durch die Augen, und den Gesichts Nerven, als durch einen Canal in die Seele zu fliessen, indem er vorher in einen geistigen Affen, oder eine vernünftige Gestalt (species intelligibilis) verwandelt worden. Der Einfall ist sehr lustig, und es ist Schade, daß der Erfinder desselben kein Ovidius gewesen, er würde sonst diese erstaunende Verwandelung sehr artig haben vortragen können.“ Meier (1743), Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung, S. 39–40 (§ 20).

224

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 286–287 (§ 541); vgl. Wolff (1968), Psychologia empirica, S. 49 (§ 85).

225

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 284–285 (§ 534).

226

Ebd., S. 272–273 (§ 513).

227

Ebd., S. 284–285 (§ 537).

228

„Quo magis movetur convenienter organon sensuum, hoc fortior, hoc clarior est sensatio, quo minus, hoc debilior, hoc obscurior est sensatio externa (§ 513, 512).“ Ebd., S. 284–285 (§ 537). Baumgarten zählt sieben Bedingungen auf, die die äußere Empfindung erleichtern. Dazu gehören die Platzierung des Gegenstandes im Empfindungskreis, die Gesundheit des Sinnesorgans und des gesamten Körpers und die Aufmerksamkeit. Vgl. ebd., S. 288–289 (§ 543). Baumgarten nimmt hier den Grundgedanken der erst Ende des 19. Jahrhunderts in die Wahrnehmungspsychologie eingeführten (experimentellen) Grenzmethode vorweg. Vgl. Goldstein (2008), Wahrnehmungspsychologie, S. 13.

229

Bei der Beschreibung der ästhetischen Begeisterung, die Baumgarten mit einem schnellen Ritt vergleicht (noch dazu eines Melancholikers), zitiert er Plinius mit den Worten: „Mirum est, ut animus agitatione motuque corporis excitetur […].“ Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 64 (§ 81).

230

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 286–287 (§ 540).

231

„Quo aptiora ad motum convenientem organa sensuum aut sunt, aut redduntur, hoc aut est acutior, aut magis acuitur sensus externus.“ Ebd.

232

Vgl. ebd., S. 272–273 (§ 513–514).

233

Ebd., S. 198–199 (§ 357). Constanze Peres nimmt an, dass die Voraussetzung dieser geordneten Welt auch den großen Raum erklärt, den Baumgarten der Mantik einräumt. Vgl. Constanze Peres, „Die Doppelfunktion der Ästhetik im philosophischen System A. G. Baumgartens“, in: Andrea Allerkamp/Dagmar Mirbach (Hgg.), Schönes Denken. A. G. Baumgarten im Spannungsfeld zwischen Ästhetik, Logik und Ethik, Hamburg 2016, S. 89–116, hier: S. 103–104.

234

Im ersten Brief der 1741 publizierten Wochenschrift Philosophische Brieffe von Aletheophilus setzt sich Baumgarten humoristisch mit der Frage auseinander, ob er ein Wolffianer sei. Dies sei ohne ein Porträt des besagten Philosophen nur schwer zu entscheiden: „E. H. wollen schlechterdings von mir wißen, ob ich ein Wolffianer sey oder nicht. Sie würden mich sehr verbunden haben wenn Sie mir einen Wolffianer, so wie er sich Ihnen vorzustellen pflegt, etwan auch nur aus freyer Faust gezeichnet, beygelegt hätten. So hätte doch etwas gehabt, wonach meine Gesichts=Züge, oder mein Gewißen, prüfen können.“ Baumgarten (1741), Philosophische Brieffe von Aletheophilus, S. 1.

235

„Wenn Mehreres zusammengenommen den zureichenden Grund für Eines ergibt, STIMMT ES ZUSAMMEN. Die Zusammenstimmung selbst ist die VOLLKOMMENHEIT, und das Eine, zu dem es zusammenstimmt, ist der BESTIMMENDE GRUND DER VOLLKOMMENHEIT (Brennpunkt der Vollkommenheit).“ („Si plura simul sumpta unius rationem sufficientem constituunt, CONSENTIUNT. Consensus ipse est PERFECTIO, et unum, in quod consentitur, RATIO PERFECTIONIS DETERMINANS (focus perfectionis).“) Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 88–89 (§ 94).

236

„Ergo in omni sensatione est aliquid obscuri, hinc in sensatione etiam distincta semper aliquid admixtum est confusionis.“ Ebd., S. 288–289 (§ 544).

237

Vgl. ebd., S. 320–321 (§ 606). Auch Gottsched verwendet das Verb ‚verwirren‘ für die Bezeichnung der undeutlichen Begriffe. Vgl. Gottsched (1983), Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Teil), S. 515 (§ 878). Die Erkenntnis der gesamten Welt bleibt für Baumgarten Gott vorbehalten. Vgl. Baumgarten (1741), Philosophische Brieffe von Aletheophilus, S. 12.

238

Cassirer sieht hier die „tiefste Tendenz der neuen Wissenschaft“, da sie durch den Fokus auf die menschliche Wahrnehmungsbegrenzung zu einer spezifisch menschlichen Wissenschaft werde: „Denn der Mensch ist, was er ist, nur in der Einschränkung seiner Erkenntniskräfte. In dieser seiner eigensten Sphäre sucht ihn die Ästhetik auf; in ihr sucht sie ihn zu erhalten.“ Cassirer (2001), Freiheit und Form, S. 82; vgl. Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung [1932], in: ders., Gesammelte Werke, hg. von B. Recki. Band 15, Text und Anmerkungen bearbeitet von C. Rosenkranz, Hamburg 2003, S. 369–370. Hans Adler unterstreicht, dass Baumgarten diese Annahme einer konstitutiven Verworrenheit der menschlichen Empfindung von Wolff übernimmt. Vgl. Adler (1990), Die Prägnanz des Dunklen, S. 23–24.

239

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 270–271 (§ 511).

240

Mirbach (2012), „Dichtung als repraesentatio“, S. 13.

241

Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, „Brief an die Königin Sophie Charlotte von Preußen. Von dem, was jenseits der Sinne und der Materie liegt. Lettre touchant ce qui est indépendant des sens et de la matière“ [1702], in: ders., Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Teil II, übersetzt von A. Buchenau, mit Einleitung und Anmerkungen hg. von E. Cassirer, Hamburg 1996, S. 580–591, hier: S. 581.

242

Mirbach (2012), „Dichtung als repraesentatio“, S. 13. In der Vorlesungsmitschrift von Baumgartens Kollegium über die Ästhetik wird die sinnliche Erkenntnis als „Grund der deutlichen“ bezeichnet. Die Ästhetik müsse „der Logik zu Hilfe kommen.“ Alexander Gottlieb Baumgarten, „Aesthetica“ [erstmals 1907], in: ders., Texte zur Grundlegung der Ästhetik, übersetzt und hg. von H. R. Schweizer, lateinisch–deutsch, Hamburg 1983, S. 79–83, hier: S. 80. Diese Stufenleiter überträgt Baumgarten in seiner Monatsschrift auf die Frage, ob Tiere einen Verstand besitzen: „Den Verstand nehmen wir in engerer Bedeutung für das Vermögen sich etwas deutlig vorzustellen, das Geistern eigen ist. Daher ist die Frage, ob das Vieh einen Verstand habe, eben so leicht zu verneinen, als ob der Selbst=Mord erlaubt sey.“ Baumgarten (1741), Philosophische Brieffe von Aletheophilus, S. 74.

243

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 288 (§ 544).

244

„In repraesentationibus obscuris non tot continentur notarum repraesentationes, quot ad recognoscendum et distinguendum ab aliis repraesentatum sufficiunt, continentur vero in repraesentationibus claris […].“ Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 14–15 (§ XIII).

245

Günther Pöltner, Philosophische Ästhetik. Grundkurs Philosophie 16, Stuttgart 2008, S. 83–84.

246

Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 14–15 (§ XIII); vgl. ebd., S. 16–17 (§ XV–XVI); vgl. Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 280–283 (§ 531).

247

Vgl. Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 26–27 (§ XXVII).

248

Vgl. Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 280–281 (§ 529).

249

Schweizer (1983), „Einführung“, S. XII–XIII. Bei Leibniz heißt es in Abgrenzung zu Descartes’ Beschränkung des Erkennens auf klare und deutliche Ideen: „[S]o erkennen wir zwar Farben, Gerüche, Geschmacksempfindungen, und andere den Sinnen eigentümliche Gegenstände hinreichend klar und unterscheiden sie voneinander, aber auf Grund des einfachen Zeugnisses der Sinne, nicht jedoch auf Grund aussagbarer Kennzeichen.“ („[I]ta colores, odores, sapores, aliaque peculiaria sensuum objecta satis clare quidem agnoscimus et a se invicem discernimus, sed simplici sensuum testimonio, non vero notis enuntiabilibus […].“) Gottfried Wilhelm Leibniz, „Meditationes de cognitione, veritate et ideis / Betrachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen“ [1684], in: ders., Philosophische Schriften, hg. und übersetzt von H. H. Holz. Band 1 (Kleine Schriften zur Metaphysik), Darmstadt 1965, S. 25–47, hier: S. 32–35. „Dieser verworrenen Erkenntnis als der sinnlichen Spezifikation der klaren Erkenntnis kommt nach Leibniz – das ist gegenüber Descartes festzuhalten – eine ihr eigentümliche Leistung zu.“ Adler (1990), Die Prägnanz des Dunklen, S. 4.

250

Mirbach (2012), „Dichtung als repraesentatio“, S. 18.

251

Ebd.

252

Vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 20–21 (§ 15–16). Groß sieht hier Baumgartens wichtigste Entwicklung des Erkenntnisbegriffs, der nicht mehr von seinem Resultat aus, sondern als „Aktivität“ gedacht werde. Groß (2011), Cognitio sensitiva, S. 272.

253

Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 20–21 (§ 17). „Deutliche Vorstellungen, vollständige, adäquate, durch alle Stufen tiefgehende Vorstellungen sind nicht sensitiv, folglich auch nicht poetisch, § 11.“ („Repraesentationes distinctae completae adaequatae profundae per omnes gradus non sunt sensitivae, ergo nec poeticae, § 11.“) Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 14–15 (§ XIV). Das „OBERE ERKENNTNISVERMÖGEN“ („FACULTAS COGNOSCITIVA SUPERIOR“) definiert Baumgarten als das Vermögen, etwas deutlich zu erkennen, und verwendet den Begriff synonym zu „Geist“ („mens“) und „Verstand“ („intellectus“). Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 330–331 (§ 624). Tiere verfügen laut Baumgarten ausschließlich über das untere Erkenntnisvermögen. Vgl. ebd., S. 432–433 (§ 792–795). In der Kollegnachschrift heißt es, Tiere hätten häufig bessere Sinnesorgane, der Mensch jedoch verfüge über die bessere Sinnesempfindung. Vgl. Anonym (1907), „A. G. Baumgarten Kollegium über die Ästhetik“, S. 86 (§ 29).

254

Baumgarten (2011), Metaphysica. Metaphysik, S. 338–339 (§ 640).

255

Vgl. ebd., S. 270–271 (§ 510); vgl. ebd., S. 82–83 (§ 78–79) und S. 278–279 (§ 528).

256

Vgl. Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 70–71 (§ XCIV–XCV) und S. 80–81 (§ CX).

257

„Pulcritudo cognitionis sensitivae universalis, §14, quia nulla perfectio sine ordine, Metaphys. §95, 2) consensus ordinis est, quo res pulcre cogitatas meditemur, et internus, et cum rebus, phaenomenon […].“ Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 22–23 (§ 19).

258

„Die unteren Vermögen dürfen von den Ästhetikern nicht, insofern sie verderbt sind, erweckt und bestärkt werden, sondern sie müssen von ihnen gelenkt werden […].“ („Facultates inferiores non, quatenus corruptae sunt, excitandae confirmandaeque sunt aestheticis, sed iisdem dirigendae […].“) Ebd., S. 16–17 (§ 12). So auch Meier, vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 36 (§ 22). Der dritte Paragraf der Meditationes legt nahe, dass Baumgarten bei der Definition der verworrenen Vorstellung nicht wie Leibniz die Farbwahrnehmung im Blick hat, sondern die verworrene Vorstellung des moralisch Guten. Vgl. Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 8–9 (§ III). Zum Verhältnis von Pietismus und Baumgartens Ästhetik vgl. Simon Grote, „Vom geistlichen zum guten Geschmack? Reflexionen zur Suche nach den pietistischen Wurzeln der Ästhetik“, in: Andrea Allerkamp/Dagmar Mirbach (Hgg.), Schönes Denken. A. G. Baumgarten im Spannungsfeld zwischen Ästhetik, Logik und Ethik, Hamburg 2016, S. 365–379.

259

Vgl. Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 46–47 (§ LVIII). Zu viele Details können die Nachahmung auch verdunkeln. Vgl. ebd., S. 60–65 (§ LXXIV–LXXVI). Im Abschnitt über „Das Streben nach Wahrheit im Verhältnis“ grenzt Baumgarten die empirische „Denkungsart“ von derjenigen der „Erfahrungswissenschaftler und Beobachter unter den Philosophen“ („experimentatorum et observatorum veri nominis inter philosophos“) anhand der Annahme ab, dass Letztere „Erschleichungsfehler“ („vitium subreptionis“), also die Verwechslung von Vorstellungen und Empfindungen, mit allen Mitteln zu vermeiden suche. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 560–561 (§ 583). Hanno Birken-Bertsch erläutert die juristische Vorgeschichte und philosophische Ausformulierung des Begriffs des ‚Erschleichungsfehlers‘ von Wolff bis Kant. Vgl. Hanno Birken-Bertsch, Subreption und Dialektik bei Kant. Der Begriff des Fehlers der Erschleichung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Stuttgart/Bad Cannstatt 2006.

260

„Die allgemeine Regel der lichtvollen Methode lautet: Die poetischen Vorstellungen sollen einander so folgen, daß das Thema nach und nach extensiv klarer und klarer vorgestellt wird.“ („Methodi lucidae generalis regula est: ita se excipiant repraesentationes poeticae, ut thema extensive clarius sensim clariusque repraesentetur.“) Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 56–57 (§ LXXI). Zur Unterscheidung von logischem und ästhetischem Licht, womit Baumgarten in erster Linie auf die unterschiedlichen Formen der Verständlichkeit abzielt, vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 2 (§§ 614–904), S. 604–605 (§ 617).

261

„Dudum observatum, poetam quasi factorem sive creatorem esse, hinc poema esse debet quasi mundus. Hinc κατάναλογίαν de eodem tenenda, quae de mundo philosophis patent.“ Baumgarten (1983), Meditationes philosophicae, S. 56–57 (§ LXVIII). In der Aesthetica bleibt Baumgarten bei der Auffassung, dass Erdichtungen den Bereich des nicht sinnlich Wahrgenommenen abdecken. Dieser Bereich umfasst aber nicht wie in den Meditationes nur den von der Naturforschung noch nicht beschriebenen Teil der Welt, sondern dasjenige, was der Einzelne noch nicht selbst gesehen hat. So erweitert Baumgarten den zulässigen Bereich für Erdichtungen ungemein. Vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 482–485 (§ 505–506).

262

„[S]ed conditio, sine qua non, inveniendae veritatis, ubi natura non facit saltum ex obscuritate in distinctionem. Ex nocte per auroram meridies.“ Ebd., S. 14–15 (§ 7); vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 34 (§ 21). „Das Prinzip ‚Die Natur macht keine Sprünge‘ (natura non facit saltum) ist begründet in Leibniz’ Metaphysik.“ Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 2 (§§ 614–904), S. 937 (§ 7.1). Dieser berühmte Vergleich zeigt exemplarisch, dass visuelle Metaphern das sprachliche Grundgerüst von Baumgartens Ästhetik bilden. Ihre strukturelle Bedeutung veranschaulichen vornehmlich die Begriffe des Klaren (lat. clara) und des Dunklen (lat. obscura), die Wolff aus Leibniz’ frühem Aufsatz „Meditationes de cognitione, veritate et ideis“ (1684) übernimmt und in der Philosophie des 18. Jahrhunderts populär macht. Vgl. Leibniz (1965), „Meditationes de cognitione“, S. 25–47; vgl. Mirbach (2012), „Dichtung als repraesentatio“, S. 10–12. Berndt sieht in der Auseinandersetzung Baumgartens mit den rhetorischen Stilmitteln der Dichtung die Modernität seiner Dichtungstheorie, da diese „die medialen, kognitiven, metaphysischen und ethischen Leistungen des Gedichts bei der Vermittlung von Selbst und Welt in den Vordergrund“ rücken. Berndt (2011), Poema/Gedicht, S. 3; vgl. ebd., S. 6.

263

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 34 (§ 375).

264

Meier (1759), Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 201 (§ 104).

265

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 39 (§ 23). Mikroskopische Objekte lägen, so Meier an anderer Stelle, unterhalb des ästhetischen Horizonts, und er fügt an: „Diese Dinge können zwar einen philosophischen Reichthum besitzen; allein es ist so gar einem Weltweisen, der seinen Character auf eine anständige Art behaupten wil, unanständig, wenn er diesen Reichthum zu erlangen trachtet. Nur ein kurzer Auszug von einem Weltweisen anatomirt solche Kleinigkeiten, und kan ganze weitläuftige Untersuchungen über einen Mückenfus anstellen.“ Ebd., S. 77 (§ 44). Meier bezeichnet diese Weltweisen auch als „Mückensäuger[]“. Ebd., S. 196 (§ 94). Den biblischen Hintergrund der Redensart ‚Mücken säugen und Kamele verschlucken‘ erklärt Zedler. Vgl. Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 22, Leipzig/Halle 1739, S. 37–38.

266

„Die Wangen einer schönen Person, auf welchen die Rosen mit einer jugendlichen Pracht blühen, sind schön, so lange man sie mit blossen Augen betrachtet. Man beschaue sie aber durch ein Vergrösserungsglas. Wo wird die Schönheit geblieben seyn? Man wird es kaum glauben, daß eine eckelhafte Fläche, die mit einem groben Gewebe überzogen ist, die voller Berge und Thäler ist, deren Schweislöcher mit Unreinigkeit angefült sind, und welche über und über mit Haren bewachsen ist, der Sitz desjenigen Liebreitzes sey, der die Herzen verwundet.“ Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 39 (§ 23). Meiers rhetorische Verwendung von häufig drastischen und einprägsamen Bildern erinnert an Voltaires Schriften, aus denen Meier häufig zitiert. Vgl. ebd., S. 198–199 (§ 94).

267

Ebd., S. 18 (§ 12).

268

Ebd., S. 25 (§ 15).

269

Ebd. Auch in Lessings Lustspiel Der Junge Gelehrte (1747/48) entgegnet der Kaufmann Chrysander seinem Sohn Damis, dem jungen Gelehrten, den er zur Heirat drängt: „Ei, der Status Controversiä mag meinetwegen in Barbara oder in Celarent sein. Ich bin nicht hergekommen mit dir zu disputieren, sondern – –.“ Gotthold Ephraim Lessing, „Der junge Gelehrte. Ein Lustspiel in drei Aufzügen“ [1747/48], in: ders., Werke und Briefe in zwölf Bänden, hgg. von W. Barner et al. Band 1 (Werke 1743–1750), hg. von J. Stenzel, Frankfurt a. M. 1989, S. 139–237, hier: S. 147. Meier schreibt bereits 1744: „O ihr tiefsinnigen und abstrackten Köpfe! die ihr eure Lebenszeit mit Ellipsen und Parabeln zubringt, was werdet ihr sagen? Ihr werdet mir einreden, daß ihr eine Hyperbel berechnen könnet, und nicht einmal von den drey Einheiten eines theatralischen Gedichts was gehört habt. Allein ich spreche euch nicht allen Verstand ab. […] Und da sage ich, daß eure Vernunft besser seyn würde, wenn ihr nach der Berechnung einer Ellipse auch eine Comödie schreiben könntet.“ Meier (1999), „Gedanken von dem Werthe der freyen Künste“, S. 65 (§ 5); vgl. Georg Friedrich Meier, Abbildung eines wahren Weltweisen. Gründliche Anweisung wie jemand ein neumodischer Weltweiser werden könne in einem Sendschreiben an einen jungen Menschen [1745, 21762], in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von J. Ecole, H. W. Arndt, R. Theis, W. Schneiders und S. Carboncini-Gavanelli. Band 100, Hildesheim/Zürich/New York 2007, S. 97–99 (§ 50); vgl. Georg Friedrich Meier, Georg Friedrich Meiers […] Betrachtungen über die Schrancken der menschlichen Erkenntnis, Halle 1755, S. 22 (§ 8).

270

Meier wird hierzu von Friedrich II. bei dessen Besuch in Halle beauftragt. Das Kolleg ist für das Wintersemester 1754 und 1755 angekündigt. Darüber hinaus gibt Meier keine weiteren Veranstaltungen über Locke. Ein Grund hierfür mag die mangelnde Resonanz gewesen sein. Meiers Kollegium folgten dauerhaft nur zwei Hörer. Vgl. Günter Schenk, Leben und Werk des halleschen Aufklärers Georg Friedrich Meier, Halle 1994, S. 104; vgl. Günter Schenk/Regina Meyer, Ethisch-pietistische Prägungen der Logik im 18. Jahrhundert in Halle, Halle 2006, S. 204; vgl. Georg Friedrich Meier, Georg Friedrich Meiers Zuschrift an Seine Zuhörer, worin er ihnen seinen Entschluß bekannt macht, ein Collegium über Locks Versuch vom menschlichen Verstande zu halten, Halle 1754. Meier verweist auch in seinen Gedancken von Gespenstern (1747) und in den Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften (1748–1750) auf Locke. Vgl. mit Verweis auf die Sekundärliteratur zu Meiers Locke-Rezeption Wübben (2007), Gespenster und Gelehrte, S. 98–105.

271

Meier (1999), „Gedanken von dem Werthe der freyen Künste“, S. 66 (§ 6). In einer Fußnote auf derselben Seite weisen die Herausgeber darauf hin, dass dieser Satz „allenthalben fälschlich dem Aristoteles zugeschrieben [wird]; er tritt aber erstmals bei Cicero, De finibus bonorum et malorum I, 19, 64 als Satz des Epikur auf. Leibniz schränkt diesen Satz durch den Zusatz nisi intellectus ipse („ausgenommen der Verstand selbst“) ein (Nouveaux essais, II 1, § 2.).“ Vgl. Paul F. Cranefield, „On the Origin of the Phrase NIHIL EST IN INTELLECTU QUOD NON PRIUS PUERIT IN SENSU“, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences. Band 25, Nr. 1 (1970), S. 77–80.

272

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 21 (§ 13).

273

Meier (1999), „Gedanken von dem Werthe der freyen Künste“, S. 68 (§ 8).

274

Mirbach unterstreicht in den Anmerkungen, dass Baumgarten die Ästhetik in der Aesthetica zwar als jüngere Schwester der Logik bezeichnet, in der Kollegnachschrift jedoch „erläutert, daß die Logik ‚die ältere Schwester‘ der Ästhetik nur ‚in Ansehung der Theorie‘ sei, in ‚Ansehung der Ausübung‘ würde die ‚Ästhetik die ältere sein‘ […].“ Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 2 (§§ 614–904), S. 939 (§ 13.1); vgl. Baumgarten (2007), Ästhetik. Band 1 (§§ 1–613), S. 16–17 (§ 13). Berndt nimmt an, Baumgarten habe in der Aesthetica die Ästhetik als die ältere Schwester der Logik bezeichnet. Wenn er dies in der Kollegnachschrift andeutet, dann gerade nicht im Bereich der Theorie. Vgl. Berndt (2011), Poema/Gedicht, S. 5.

275

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 17–18 (§ 12); vgl. ebd., S. 21 (§ 13).

276

Vgl. Meier (1999), „Gedanken von dem Werthe der freyen Künste“, S. 64 (§ 4); vgl. Georg Friedrich Meier, Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften [1750, 21759]. Teil III, Hildesheim/New York 1976, S. 7–9 (§ 544).

277

1755 begründet Meier diese Gelehrtenkritik mit der Unmöglichkeit, einzelne Dinge anhand von abstrakten und allgemeinen Kategorien vollständig zu erkennen. Als Beispiel dient Meier sein eigenes Menschsein. Dies könne man zwar mithilfe allgemeiner menschlicher Kategorien beschreiben, man habe damit aber noch sehr wenig über den konkreten Menschen Georg Friedrich Meier erfahren. Vgl. Meier (1755), Betrachtungen über die Schrancken der menschlichen Erkenntnis, S. 18–22 (§ 7–8).

278

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 174–175 (§ 341).

279

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 561 (§ 238).

280

Ebd.

281

Ebd., S. 25 (§ 15). „Ein Gelehrter ist ein Mensch, und bleibt aller seiner Gelehrsamkeit ohnerachtet noch ein Mensch. Da er also nun die Sinlichkeit nicht los werden kan, so komt er mir als ein Kranker vor, der oben verdort und unten schwilt, wenn er die Sinlichkeit nicht verbessert.“ Ebd., S. 33 (§ 20).

282

Ebd., S. 26 (§ 15).

283

„Ja man sehe in die Geschichte eines jeden Volks. Die Vorfahren eines jeden Volks sind Barbaren. Darauf entsteht ein Geschlecht, welches die schönen Wissenschaften treibt, und alsdann entstehen erst die Weltweisen, die Algebraisten, die Gottesgelehrten, u. s. w.“ Meier (1999), „Gedanken von dem Werthe der freyen Künste“, S. 67 (§ 8).

284

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 46–47 (§ 28) und S. 60–61 (§ 35). Als Gegenbeispiel dient Meier die Grabinschrift „Hans Sachse war ein Schu- / Macher, und Poet dazu.“ Ebd., S. 48 (§ 29).

285

Dies verdeutliche insbesondere die Naturforschung: „Ich könte z. E. sagen, daß alle Wissenschaften, die auf der Erfahrung beruhen, ihre Materialien, die einzeln Erfahrungen nemlich, aus den Händen der Aesthetick empfangen müssen.“ Ebd., S. 21 (§ 13).

286

Ebd., S. 33 (§ 20).

287

Ebd., S. 22 (§ 13). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Meier die höheren Wissenschaften generell abwertet. Die natürliche Ästhetik sei von der künstlichen, die unteren seien von den oberen Erkenntniskräften so abhängig wie ein Garten von seinem Gärtner. Im Abschnitt „Von dem schönen Geiste“ bezeichnet Meier die sinnliche Erkenntniskraft gar als den „Pöbel der Seele, welcher sich selbst nicht in den gehörigen Schranken halten kan, und es ist einem vernünftigen Manne […] höchst unanständig, wenn er den Gebrauch seiner untern Kräfte nicht der Herschaft der Vernunft unterwirft.“ Ebd., S. 516 (§ 219); vgl. ebd., S. 19 (§ 12) und S. 26–27 (§ 15); vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil III, o. P. („Vorrede“). „Es ist zu beklagen, daß die meisten Dichter und Redner seichte Köpfe bleiben, und aus dem sinnlich schönen so viel Wesens machen, daß sie dabey stehen bleiben, und um die höhern Wissenschaften sich sehr wenig bekümmern.“ Meier (1999), „Gedanken von dem Werthe der freyen Künste“, S. 68 (§ 9).

288

Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 323 (§ 673).

289

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 149 (§ 330) und S. 153 (§ 333); vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 430 (§ 182). Begründet wird dies von Condillac und d’Alembert – aber auch bereits von Descartes, Hooke oder Huygens – mit der physischen Erhaltung und Überlebensfähigkeit des Menschen. D’Alembert sieht hierin den Ursprung menschlicher Gesellschaften und der Sprache, da die Überlebensicherung mit ihrer Hilfe leichter gelinge. Vgl. Le Rond d’Alembert (1751), „Discours préliminaire des éditeurs“, S. III; vgl. Condillac (1754), Traité des sensations. Band I, S. 6–7.

290

Meier fährt fort: „Wir wollen uns bemühen, die Gesetze des Schönen und der Dichtkunst aus den ersten Triebfedern der Natur, und gleichsam aus dem Eingeweide des Menschen herzuholen.“ Georg Friedrich Meier, „Daß das Wesen der Dichtkunst in unserer Natur gegründet sei“ [1751], in: ders., Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen in 3 Teilen. Teil 3 (Philosophische Ästhetik – Literaturtheorie – Neue Deutsche Literatur), hgg. von H.‑J. Kertscher und G. Schenk, Halle/Saale 2002, S. 160–164, hier: S. 161. Meier leitet hieraus ab, dass die Dichtung vor allem Empfindungen vermittle. Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 427 (§ 181).

291

Ebd., S. 352 (§ 151). Anders formuliert Meier es 1751 und unterscheidet Philosophie, Redekunst und Dichtung: „Jetzo will ich nur sagen, daß der philosophische Vortrag blos auf unsern Verstand arbeite, und uns sage was wahr sey. Der Redner lehret uns was gut ist, und sucht uns zu überreden, und der Dichter erzehlet uns seine Empfindungen, so daß wir sie selbst empfinden.“ Meier (2002), „Daß das Wesen der Dichtkunst in unserer Natur gegründet sei“, S. 164.

292

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 351 (§ 151).

293

Ebd., S. 352 (§ 151).

294

Ebd., S. 89 (§ 50). „Die höhern Wissenschaften müssen sich mit der Untersuchung der Wahrheiten überhaupt beschäftigen, allein in den schönen Wissenschaften wendet man sie gleich auf besondere Fälle an. Es wird zu der Betrachtung einer algemeinen Wahrheit überhaupt zu viel Verstand erfodert, und die untern Kräfte der Seele sind dazu unvermögend, diese wollen eine algemeine Wahrheit gleichsam sehen und fühlen.“ Ebd., S. 275–276 (§ 128).

295

Meier sieht in dieser „Verwechselung der Gedanken (tropus)“ einen der wichtigsten Kunstgriffe der Dichtung. Auf den folgenden Seiten geht er auf die Synekdoche und das Beispiel ein. Ebd., S. 279 (§ 129).

296

Ebd., S. 561 (§ 238).

297

Ebd., S. 188 (§ 91). Dies gilt nach Meier umso mehr für die Beurteilung von Wahrscheinlichkeit. Diese sei von den individuellen, auch historisch bedingten „Denkungsarten“ und „Gesichtspuncten“ abhängig. Ebd., S. 210–211 (§ 100).

298

Ebd., S. 187 (§ 91). Ähnlich formuliert es Lessing in dem frühen Gedichtfragment „Gedicht über die Mehrheit der Welten“: „Dich, Pöbel, ruf ich hier zu meinem Beistand an, / Daß ich recht pöbelhaft ihn sehn und schildern kann. / Mein Aug, entwöhne dich jetzt der gereingten Blicke, / Und nimm den Kinderwahn auf kurze Zeit zurücke. / Stell mir den Himmel vor, wie ihn die Einfalt lehrt, / Die das untrüglich glaubt, was sie von Vätern hört. / Und wird er, wie er scheint, in meiner Zeichnung strahlen, / So werd ich ihn nicht falsch, und gleich wohl unrecht malen. / So wie den fernen Wald der Künstler blaulicht malt, / Der in der Nähe doch mit frischem Grüne prahlt, / Und also die Natur nicht trifft und nicht verfehlet, / Weil nur sein feiner Strich den Schein zu schildern wählet / etc.“ Lessing (1989), „‚Gedicht über die Mehrheit der Welten‘“, S. 27–28.

299

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 188 (§ 91). So urteilt Meier auch in seiner Vorrede zu Wielands Lehrgedicht „Die Natur der Dinge“: „Philosophische und gelehrte Irrthümer können oft in eine angenehme Poesie eingehüllt werden, und sie können oft eine größere poetische Wahrscheinlichkeit haben, als die ihnen entgegengesetzten philosophischen Wahrheiten.“ Georg Friedrich Meier, „Zu Chr. M. Wielands Lehrgedicht: Die Natur der Dinge“ [1751], in: ders., Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen in 3 Teilen. Teil 3 (Philosophische Ästhetik – Literaturtheorie – Neue Deutsche Literatur), hgg. von H.‑J. Kertscher und G. Schenk, Halle/Saale 2002, S. 93–95, hier: S. 94.

300

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 189 (§ 91). Ein ähnliches Beispiel findet sich bei Condillac. Hier ist es die Vermutung, dass Menschen, die auf einer Erde lebten, die so groß sei wie eine Nuss, das Universum anders wahrnehmen und eine andere Zeitempfindung entwickeln würden. Diese entspreche ihrer Umgebung und sei deswegen richtig. Vgl. Condillac (1754), Traité des sensations. Band I, S. 112–115.

301

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 206 (§ 98).

302

Ebd., S. 190 (§ 92); vgl. Horaz (Quintus Horatius Flaccus), Ars Poetica. Die Dichtkunst, übersetzt und mit einem Nachwort hg. von E. Schäfer, Stuttgart 1972, S. 6–7 (Vers 30).

303

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 190 (§ 92).

304

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 175 (§ 341); vgl. Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 109–114 (§ 543–546). 1755 begründet er dies theologisch. Vgl. Meier (1755), Betrachtungen über die Schrancken der menschlichen Erkenntnis, S. 23 (§ 9). Die Empfindung kann nach Meier zwar nicht falsch, aber durchaus sehr beschränkt sein. Der Skeptizismus schließe nun von dieser graduellen auf eine vollständige Unwissenheit. Meier vergleicht den Skeptiker mit einem Wanderer, der sich die Augen verbindet, weil er den Weg nicht vollständig übersehen kann. Vgl. ebd., S. 76 (§ 25). Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass „der Rückschluss von der Wahrnehmung auf die Existenz“ bei Meier lediglich „einen pragmatisch sinnvollen Erkenntnisprozess“ darstelle und sich so bereits „eine transzendentale Wende des Erkenntnisproblems“ ankündige. Wübben (2007), Gespenster und Gelehrte, S. 245.

305

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 188 (§ 345). Meier erwähnt Descartes’ Beispiel des an Gelbsucht Erkrankten. Am Beispiel des runden Turms zeigt er, warum das runde Bild eines weit entfernten eckigen Turms auf der Retina richtig, der Trugschluss, es handele sich um einen runden Turm, jedoch falsch sei. Vgl. ebd., S. 191 (§ 345). Er bezeichnet die voreiligen Schlüsse als „eine Pest der Sinne, die im Finstern schleicht.“ Ebd., S. 196 (§ 347); vgl. ebd., S. 194–202 (§ 347–350). Vgl. mit Verweis auf Bacon ebd., S. 248–251 (§ 368); vgl. Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 116–120 (§ 548). Ausführlich beschäftigt sich Meier 1755 mit den „Schrancken der menschlichen Erkenntnis“. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Sinneskritik, sondern um eine Betrachtung über die Grenzen der Erkenntnis von einzelnen Objekten. Vgl. Meier (1755), Betrachtungen über die Schrancken der menschlichen Erkenntnis.

306

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 237–238 (§ 363).

307

Ebd., S. 180 (§ 343).

308

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 102–103 (§ 57); vgl. ebd., S. 251–252 (§ 119). Meier unterstreicht, dass erst die Lebhaftigkeit die Empfindung der Schönheit eines Gedankens (seiner Größe, Würde, Verständlichkeit, seines Reichtums und seiner Wahrscheinlichkeit) ermögliche. Die Lebhaftigkeit sei deswegen notwendige Voraussetzung eines jeden schönen Gedankens. Vgl. ebd., S. 252 (§ 119).

309

Meier (1750), Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere, S. 66 (§ 30). Meier schließt den Vergleich mit der Seele an: „Eben so gehts in meiner Seele. Wenn ich schlafe, ist der gantze Schauplatz meiner Seele verdunckelt. Ich erwache, und fange an zu dencken. Die Klarheit meiner Vorstellungen breitet sich als ein Licht in meiner Seele aus, und ich unterscheide mich von den Dingen, die um und neben mich sind, und diese von einander. Wenn ich Abends einschlafe, verliehrt sich nach und nach die Klarheit meiner Vorstellungen, und ich sincke in eine Finsterniß, in welcher ich von meinen Sinnen nicht weiß.“ Ebd., S. 66–67 (§ 30). In derselben Schrift definiert Meier das Erkenntnisvermögen als die Fähigkeit, „Vorstellungen zu würcken“. Ebd., S. 69 (§ 32).

310

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 12 (§ 260). Noch klarer wird dies in der Metaphysik, in der Meier jedem einzelnen Sinn „materielle Bilder“ zuweist: „3) Der Geruch, oder dasjenige Vermögen, wodurch wir uns diejenigen materiellen Bilder vorstellen, welche die Ausdünstungen der Körper, durch eine gehörige Bewegung in der Nase, hervorbringen.“ Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 94 (§ 533).

311

Meier umgeht den Widerspruch zwischen der sensualistischen und der harmonistischen Vorstellung des commercium mentis et corporis, indem er Lockes’ Ideen zu Erkenntnissen umdeutet: „Er zeigt erstlich, daß uns keine Erkenntiß angebohren werde, und hernach, daß wir alle unsere Erkenntniß, entweder durch die Sinne, oder zugleich durch die Reflexion erlangen.“ Meier (1754), Georg Friedrich Meiers Zuschrift an Seine Zuhörer, S. 7. Über die Frage der Theodizee schreibt Meier: „Unsere Seelen sind nemlich Theile der besten Welt, in welcher jederzeit das beste unter allen, was in einem jedweden Falle in der Welt möglich ist, geschehen oder würklich werden muß.“ Meier (1759), Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 39 (§ 23).

312

Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 101 (§ 537).

313

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 45–46 (§ 27).

314

Ebd., S. 88 (§ 50).

315

Vgl. Wunderlich (2015), „Meiers Verteidigung der prästabilierten Harmonie“, S. 114–115.

316

Vgl. Meier (1743), Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung, S. 41–43 (§ 21).

317

„Ein Psychologischer Influxionist (influxionista psychologicus) behauptet, daß zwischen Leib und Seele ein physicalischer Einfluß sey. Er nimt an, daß die Seele, in den Körper auf eine reelle Art, würcke, und der Körper in die Seele, auf eben die Art. Wenn demnach die Seele von dem Körper leidet, so verhält sie sich dabey auf eine blos leidende Art, ohne das geringste, durch ihre Kraft, darzu beyzutragen.“ Ebd., S. 29 (§ 16). Meier nennt als Beispiel visuelle Vorstellungen, die der Influxionist als Folge der Impulsübertragung verstehe, womit er die aktive Rolle der Seele bei der Hervorbringungen von Vorstellungen und Begriffen leugne: „Die Seele des Influxionisten verhält sich, in diesem Falle, wie ein blosses leeres Behältnis, oder die wächserne Taffel des Platons, die zwar eine Fähigkeit besitzt, die Charactere der Buchstaben anzunehmen, aber keine Kraft, sie selbst zu würcken, indem sie durch den Griffel des Schreibers gewürckt werden.“ Ebd., S. 29–30 (§ 16).

318

„Wenn man dabey fragt, warum diese Veränderung würcklich sey? warum eben die Veränderung würcklich geworden und keine andere? warum sie eben zu der Zeit, und zu keiner andern, würcklich geworden? so kan, alles dieses, hinreichend erkannt werden, aus der andern Substanz, und ihrer Kraft, die sich als den thätigen Theil bey dem Einflusse verhält.“ Ebd., S. 15 (§ 7); vgl. ebd., S. 22 (§ 12). „Der Harmonist wird behaupten, daß die leidende Substanz ihr Leiden, durch ihre eigene Kraft, doch ohne Ausschliessung der Mitwürckung Gottes, hervorbringe; und daß eben dieses Leiden, aus der Kraft der andern Substanz, die in die erste würckt, könne erkannt werden.“ Ebd., S. 47 (§ 23); vgl. Meier (1759), Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 60–61 (§ 36).

319

Meier (1743), Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung, S. 25–26 (§ 12).

320

Ebd., S. 16 (§ 8). „Wenn zwey Substanzen mit einander verbunden sind, das ist, wenn die Veränderungen und Bestimmungen der einen, aus der andern können erkannt werden, so stehen sie in einer Ubereinstimmung (harmonia).“ Ebd., S. 18 (§ 9); vgl. ebd., S. 28 (§ 15) und S. 48–50 (§ 24). Vgl. Meiers Antwort auf Johann Georg Sucros (1722–1786) 1748 publizierte Kritik an seinen Gedancken von Gespenstern (1747): „Wir empfinden niemals unmittelbar die Sachen ausser uns, sondern der unmittelbare Gegenstand unserer äusserlichen Sinne, sind die Veränderungen in unserm Körper.“ Georg Friedrich Meier, Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern, Halle 1748, S. 31 (§ 14).

321

Meier (1743), Beweis der vorherbestimmten Uebereinstimmung, S. 3 (§ 1).

322

Vgl. ebd., S. 4–5 (§ 2).

323

Vgl. Meier (1759), Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 139–141 (§ 78).

324

Vgl. ebd., S. 11 (§ 6).

325

Vgl. ebd., S. 119–121 (§ 69). Entscheidend sei hierfür – als Teil des unteren Erkenntnisvermögens – das Vorhersehungsvermögen (Mantik). Es geht Meier hier nicht um Wahrsagerei und Aberglauben, sondern um die Fähigkeit, ausgehend von bereits gemachten Erfahrungen zukünftige angenehme oder unangenehme Empfindungen zu antizipieren, in der er den Ursprung der Aktivität der Seele und damit der Vorstellungen sieht: „Alle Leidenschaften sind ja Begierden und Verabscheuungen §. 27. und alle Begierden und Verabscheuungen sind Bemühungen, vorhergesehene Vorstellungen und Sachen hervorzubringen oder zu verhindern.“ Ebd., S. 105 (§ 62); vgl. ebd., S. 106–109 (§ 63).

326

Ebd., S. 31 (§ 18). „Die Begierden und Verabscheuungen der Seele bestehen demnach in Bemühungen, Neigungen und Anstrengungen ihrer Kraft.“ Ebd., S. 31 (§ 19); vgl. ebd., S. 78 (§ 45).

327

Vgl. ebd., S. 56–59 (§ 34–35). Meier verbindet diese Unterscheidung mit den Termini der dunklen und der klaren sinnlichen Erkenntnis. Die dunklen sinnlichen Erkenntnisse seien demnach die Leidenschaften, die klaren sinnlichen Erkenntnisse die Gemütsbewegungen. Vgl. ebd., S. 74 (§ 43). Er vergleicht den Prozess, in dem aus dunklen klare Vorstellungen werden, mit ‚Feuerteilchen‘, die erst eine Flamme ergeben, wenn mehrere zusammenkommen. Vgl. ebd., S. 85 (§ 51).

328

Yvonne Wübben unterstreicht, „dass es hilfreich ist, empirische und rationalistische Positionen nicht anhand eines Entweder-oder-Schemas zu unterscheiden, sondern vielmehr als interdependente Stellungnahmen zu begreifen, die am Einzelfall präzisiert werden müssen.“ Wübben (2007), Gespenster und Gelehrte, S. 105. Allerdings verdeckt dies die Tatsache, dass Meier Lockes Sensualismus de facto zu einer Theorie umdeutet, die angeborene und erworbene Ideen kennt und in keinem Moment von einem tatsächlichen Einfluss des Körpers auf die Seele ausgeht.

329

Meier (1759), Lehre von den Gemüthsbewegungen überhaupt, S. 32–33 (§ 19). Die zufälligen Vorstellungen entstünden aus Anlass sinnlicher Empfindungen nach Stellung und Lage des Körpers. Vgl. ebd., S. 107 (§ 63) und S. 128–131 (§ 74). Meier beschreibt sieben Etappen dieses Prozesses genauer (sinnliche Empfindung – Einbildungkraft / Gedächtnis – Verknüpfung von gegenwärtiger und vergangener Empfindung – Vergleich dieser Empfindungen – Vorhersehung – Aufmerksamkeit / Erkenntniskraft – Beurteilungskraft): „Und nun erfolget 7) die starke und heftige Anstrengung der Kraft unserer Seele selbst, die vorhergesehene angenehme Vorstellung zu würken, oder zu einer Empfindung zu machen, und die vorhergesehene unangenehme Vorstellung zu verhindern, oder zu verhüten, daß sie keine Empfindung werde, und das ist die Leidenschaft selbst.“ Ebd., S. 134–135 (§ 75).

330

Georg Friedrich Meier, „Beurtheilung des dritten Capitels der Gottschedischen Dichtkunst“ [1747], in: ders., Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen in 3 Teilen. Teil 3 (Philosophische Ästhetik – Literaturtheorie – Neue Deutsche Literatur), hgg. von H.‑J. Kertscher und G. Schenk, Halle/Saale 2002, S. 75–85, hier: S. 76–77 (§ 58). Dies zeigt auch Meiers Gleichsetzung von Vorstellungen beziehungsweise Bildern und Begriffen: „Sie [d. i. die Seele] ahmt der Natur in ihrer Malerey so genau nach, daß nichts drüber ist, und diese Bilder nennen wir Begriffe.“ Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil III, S. 3 (§ 542). „Gleichwie die finstere Nacht die lichten Farben von den Blumen wegwischt, und alle sichtbare Schönheit zernichtet, also verschlingt auch die Dunkelheit der Begriffe alle Schönheiten derselben.“ Ebd., S. 14 (§ 548).

331

„Wenn ich einen Thurm sehe, so bilden die, von demselben zurückgefallenen, Lichtstralen hinten in den Augen ein Bild desselben. Dieses Bild bringet hinten im Gehirne eine ihm ähnliche Bewegung hervor. Diese äusserste Bewegung in dem Gehirn ist der nächste Vorwurf der Empfindung. Alsdenn hat sich die Seele, durch eine lange Uebung, angewöhnt unvermerckt zu schliessen, daß, wo eine solche Bewegung entsteht, auch ein Bild in dem Auge seyn müsse, und wo dieses sey, müsse auch der Thurm ausser ihr vorhanden seyn. Kan man also wohl sagen, daß die Empfindung in dem Körper sey? Man kan Maschinen machen, in welchen alle Bewegungen, die bey dem Sehen in den Augen geschehen, entstehen, kan man wohl, ohne offenbar mit Worten zu spielen, diesen Maschinen Empfindungen und Sinne zuschreiben?“ Meier (2002), „Beurtheilung des dritten Capitels der Gottschedischen Dichtkunst“, S. 77.

332

Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 94 (§ 533).

333

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 149 (§ 330).

334

Ebd., S. 150 (§ 330).

335

„Wer z. E. etwas gehörig sehen will, der muß die Augen aufsperren; und die Ohren aufthun, wenn er etwas recht hören will. Wenn ein vertiefter Mathematicus an einem Frühlingstage auf einer Wiese spatzieren geht, und mathematischen Betrachtungen nachhängt, wird er wohl die jugendlichen Reitzungen der Natur recht empfinden?“ Ebd., S. 152–153 (§ 332). Wie Baumgarten unterscheidet Meier zwischen einer äußeren Empfindung des Körpers und einer inneren Empfindung der Seele. Vgl. Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 88–89 (§ 529).

336

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 150 (§ 330).

337

Ebd., S. 150 (§ 331).

338

Ebd., S. 148 (§ 330); vgl. Meier (1755), Betrachtungen über die Schrancken der menschlichen Erkenntnis, S. 61 (§ 21). Dies ist Grundlage für Meiers dritte Erklärung der Gespenster, die – so unterstreicht er zu Beginn des elften Paragrafen – ihm sehr gefällt: „Wenn wir Dinge ausser uns äusserlich empfinden, so würcken diese Körper in die Werckzeuge unserer Sinne. Aus dem Gehirn gehn Nerven bis in die Werckzeuge der Sinne. Folglich wird in diesem Falle dasjenige Ende der Nerven zuerst bewegt, welches in der Oberfläche des Körpers ist, oder doch in den äusserlichen Theilen desselben. Diese Bewegung wird einwärts fortgesetzt, bis ins Gehirne, und alsdenn entsteht eine äusserliche Empfindung. […] Nun kan ich aus der Erfahrung beweisen, daß manchmal eben eine solche Bewegung in den Nerven entsteht, die aber von inwendig heraus entsteht.“ Meier (1747), Gedancken von Gespenstern, S. 24 (§ 10). Meier führt als Beispiele die Gelbsucht, Ohrengeräusche und Nachbilder an, deren Ursache der Mensch irrtümlicherweise außerhalb seines Körpers sucht. Er schließt den Geruchs- und Geschmackssinn explizit von dieser Täuschungsanfälligkeit aus. Vgl. ebd., S. 23–26 (§ 10). Hierin allerdings ein von Thomas Willis beeinflusstes Halluzinationskonzept zu sehen scheint etwas zu weit gegriffen. Vgl. Wübben (2007), Gespenster und Gelehrte, S. 227–229. Diese physiologische Erklärung macht für Meier allerdings nicht verständlich, warum Gespenster zuweilen mehreren Personen gleichzeitig erscheinen oder einem Menschen unbekanntes Wissen mitteilen. Vgl. Meier (1747), Gedancken von Gespenstern, S. 27–28 (§ 11).

339

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 148 (§ 329). Meier geht auch davon aus, dass die Sinnesorgane der Neugeborenen am empfindlichsten sind und leitet hieraus eine Erklärung für die geistige Schwäche des „Pöbels“ und die Kränklichkeit der Gelehrten ab: „Daraus läßt sich begreifen, warum überhaupt der Pöbel dum und abgeschmackt bleibt, und warum die gar zu frühzeitigen Gelehrten balde sterben, wenigstens ist die Schwächung der Werkzeuge der Sinne in der Kindheit eine von denen Ursachen, woraus sich diese beyden Erscheinungen begreifen lassen.“ Ebd., S. 172 (§ 340); vgl. ebd., S. 44–46 (§ 281).

340

Ebd., S. 169 (§ 339).

341

Ebd. „Je grösser, edler und würdiger die Empfindungen sind, je lebhafter, richtiger, gewisser und lebendiger sie sind, desto mehr werden die Sinne dadurch gestärkt.“ Ebd., S. 165 (§ 337). „Alle diejenigen, welche niederträchtige, säuische, unedle Empfindungen haben, die verderben dadurch auf einer Seite ihre Sinne.“ Ebd. Vgl. Georg Friedrich Meier, Philosophische Sittenlehre. Dritter Teil [1756, 21764], in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hgg. von J. École, H. W. Arndt, R. Theis, W. Schneiders, S. Carboncini-Gavanelli. Band 109.3, Hildesheim/Zürich/New York 2007, S. 56–68 (§ 542–546). Sind die Sinne selbst nicht in der Lage, ein Objekt zu empfinden, können die „Waffen der Sinne […] dergleichen die Fern= und Vergrösserungsgläser sind“ Abhilfe schaffen. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 162 (§ 336). In ihnen sieht Meier eine der Möglichkeiten, auf die äußeren Sinnesempfindungen einzuwirken, und vergleicht sie mit dem Salzen von Speisen. Vgl. Meier (2007), Metaphysik. Dritter Teil, S. 103–106 (§ 540).

342

Vgl. Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 178 (§ 342).

343

Ebd., S. 177–178 (§ 342).

344

Ebd., S. 151 (§ 332); vgl. ebd., S. 34–38 (§ 375–376).

345

Ebd., S. 160–161 (§ 335).

346

„Die Gegenstände, die empfunden werden sollen, müssen die gehörige Grösse haben. Sind sie zu groß, so würken sie gar zu stark in die Werkzeuge der Sinne, die Sinne werden überlastet und sinken unter der Last nieder. Ein gar zu starkes Licht verblendet die Augen; ein gar zu grosser Schall übertäubt die Ohren; ein gar zu starker Geruch macht die Nase stumpf, und so weiter. Sind die Gegenstände zu klein, so würken sie gar zu schwach in die Werkzeuge der Sinne, folglich kan man sie nicht klar empfinden.“ Ebd., S. 162 (§ 336).

347

Ebd., S. 157 (§ 334).

348

Vgl. ebd., S. 164 (§ 337).

349

Ebd., S. 157 (§ 334); vgl. ebd., S. 17–34 (§ 263–274). Als Beispiel für eine verworrene visuelle Erfahrung führt Meier die Farben an. Vgl. ebd., S. 185 (§ 344).

350

Ebd., S. 163 (§ 337).

351

Ebd., S. 164 (§ 337).

352

Ebd.

353

Ebd., S. 209 (§ 353). „Es verhält sich mit der Aufmerksamkeit, wie mit unsern Augen. Ist das Licht zu stark, so werden wir geblendet, und wir sehen gar nichts.“ Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil I, S. 262 (§ 122). „Wir geben auf eine Sache oder auf eine Vorstellung Achtung, wenn wir uns dieselbe klärer vorstellen als andere, und das Vermögen Achtung zu geben, heißt die Aufmerksamkeit, (attentio). Wenn ich eine ganze Menge Leute vor mir habe, und ich richte meine Augen dergestalt auf einen Menschen, daß ich mir denselben klärer vorstelle als alle übrigen, so gebe ich auf ihn Achtung.“ Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 49 (§ 284).

354

Ebd., S. 210 (§ 353).

355

Ebd., S. 212 (§ 354).

356

Ebd., S. 176 (§ 341). Der Rechtsgelehrte und Gottschedianer Theodor Johann Quistorp (1722–1776) wirft Baumgarten 1745 vor, seine Definition des Gedichts als eine ‚vollkommen sinnliche Rede‘ (und nicht, wie Baumgarten tatsächlich schreibt, eine ‚vollkommene sinnliche Rede‘) führe zu einer Versklavung durch die Sinne und mache nicht nur die Dichter, sondern auch die Leser durch die Erregung der Leidenschaften unglücklich. Quistorps Kritik löst den sogenannten ‚kleinen Dichterkrieg‘ zwischen Halle und Leipzig aus. Vgl. Georg Friedrich Meier, Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen in 3 Teilen. Teil 2 (Der „kleine Dichterkrieg“ zwischen Halle und Leipzig), hgg. von H.‑J. Kertscher und G. Schenk, Halle 2000, S. 20–32.

357

Meier (1976), Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Teil II, S. 177 (§ 342).

358

Dies wird besonders klar im Vergleich zu Condillacs zeitgenössischen Schriften.

359

Welche grundlegende Bedeutung Sulzer der Sittenlehre zumisst, wird aus einem Brief an Kant vom 8. Dezember 1770 deutlich: „Ich habe auch etwas in dieser Art versucht [i. e. eine Theorie der Moral] in dem ich unternommen diese Frage aufzulösen: Worin besteht eigentlich der physische oder psychologische Unterschied der Seele die man Tugendhaft nennt, von der, die Lasterhaft ist. Ich habe gesucht die eigentlichen Anlagen zur Tugend und zum Laster in den ersten Äußerungen der Vorstellungen und der Empfindungen zu entdecken, und glaube die Untersuchung umsoweniger ganz vergeblich unternommen zu haben, da sie mich auf ziemlich einfache und leicht zu faßende Begriffe geführt hat, die man ohne Mühe und Umwege auf den Unterricht und die Erziehung anwenden kann.“ Immanuel Kant, Kant’s gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Band X (Zweite Abteilung: Briefwechsel. Erster Band 1747–1788), Berlin 1900, S. 106–108 (58. Von Johann Georg Sulzer, 8. Dez. 1770), hier: S. 107–108; vgl. Marion Heinz, „Johann Georg Sulzer und die Anfänge der Dreivermögenslehre bei Kant“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 83–100.

360

Frank Grunert/Gideon Stiening, „Einleitung. Johann Georg Sulzer – Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume“, in: dies. (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 11–18, hier: S. 11. „Viele der bedeutenden Autoren des mittleren und ausgehenden 18. Jahrhunderts – neben Kant, Mendelssohn, Lessing oder Schiller – bezogen sich entweder ausdrücklich auf Sulzers Arbeiten oder gaben eine große Vertrautheit mit seinen Werken zu erkennen.“ Ebd., S. 11–12.

361

Vgl. Johann Georg Sulzer, „Ausführliche Beschreibung einer Merkwürdigen Entdeckung, verschiedener Antiquitäten: In dem, in der Herrschafft Knonau gelegenen Dorff Nider=Lunneren, in dem Jahr 1741“, in: Johann Jacob Breitinger, Zuverläßige Nachricht und Untersuchung Von dem Alterthum der Stadt Zürich, Und von einer Neuen Entdeckung Merkwürdiger Antiquitäten Einer bisher unbekanten Stadt In der Herrschafft Knonau. Die auf Hohen Befehl und Veranstaltung Einer Gn. Hohen Landes=Obrigkeit ist befördert worden, Zürich 1741, S. 1–32; vgl. Johann Georg Sulzer, Fortsetzung der Beschreibung merkwürdiger Antiquitäten, welche bei Lunneren, in der Herrschaft Knonau, sind gefunden worden, Zürich 1742. Auch dreißig Jahre später interessiert sich Sulzer für archäologische Funde und berichtet in einer seiner letzten Akademieschriften von einem Nagel, der in einem Steinbruch bei Nizza gefunden wurde. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Sur un clou de cuivre trouvé dans une carriere de pierres à chaux près du port de Nice en Provence“, in: Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1776, Berlin 1779, S. 45–48.

362

In einer Fußnote äußert sich Sulzer kritisch über die naturforschenden Kenntnisse der Dichter: „Auch wäre zu wünschen / daß man diejenige Stellen der Dichter bemercken würde / in welchen sie ihren Aberglauben / oder ihre Unwissenheit in der natürlichen Historie verrahten haben.“ Johann Georg Sulzer, „Kurtze Anleitung zu nuzlicher Betrachtung der Schweitzerischen Natur=Geschichten“, in: Neuer Historischer Mercurius, der das Merckwürdigste, theils aus der Politisch=theils aus der Gelehrten Welt, berichtet. Deßgleichen Vermischte Samlungen auserlesener alter und neuer Merckwürdigkeiten […], [o. O.] 1741, S. 51–60, hier: S. 58. Sulzer sieht in Linnés Werk nur einen ersten, im Detail verbesserungswürdigen Schritt für ein „vollkomnes Systema Naturae“. Ebd., S. 59. Kittelmann unterstreicht, dass die Botanik eine der „großen und zugleich wenig erforschten Lieben des Naturhistorikers Sulzer“ ist, und belegt dies anhand eines der ersten Briefe Sulzers an den Zürcher Botaniker Johannes Gessner und weiterer Korrespondenzen mit Albrecht von Haller, Charles Bonnet, Johann Gottlieb Gleditsch und Johann Friedrich Veltheim. Jana Kittelmann, „‚Archiv der Critik‘ – Johann Georg Sulzers Briefe‘“, in: Das Achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, hg. von C. Zelle. Jahrgang 42, Heft 1 (2018), S. 30–47, hier: S. 36; vgl. Jana Kittelmann, „‚Sylvain und die Dryaden gehen noch über die Musen.‘ Botanisches und gartenbauliches Wissen im (Brief‑)Werk Johann Georg Sulzers“, in: Élisabeth Décultot/Philipp Kampa/dies. (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 252–285; vgl. Daniela Gay, „Die deutsche und französische Korrespondenz von Johann Georg Sulzer (1720–1779)“, in: Barbara Mahlmann-Bauer (Hg.), Gallotropismus aus helvetischer Sicht. Le gallotropisme dans une perspective helvétique, Heidelberg 2017, S. 269–285.

363

Vgl. Johann Georg Sulzer, Gespräch von den Cometen, Zürich 1742, S. 5, S. 6, S. 8, S. 14 und S. 18. In einer Schrift von 1746 verweist Sulzer auf Haller, Scheuchzer, Derham, Burnet, Woodward, Ray, Leibniz und Schwedenborg. Vgl. Johann Georg Sulzer, Johann Georg Sulzers Untersuchung von dem Ursprung der Berge, Und andrer damit verknüpften Dinge, Zürich 1946, S. 5, S. 7, S. 8, S. 10, S. 11, S. 13, S. 14 und S. 15.

364

Johann Georg Sulzer, Joh. Georg Sulzers Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742 gemachten Berg=Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat, Zürich 1747, S. 7. Zu den Mineralien schreibt er: „Bey dieser Untersuchung kommt es auf zwey Hauptstücke an; 1. daß man alle verschiedene Arten der Steine und Mineralien kennt / und hernach 2. Ihre Natur und Erzeugung erforschet. Zu dem erstern braucht es weiter nichts / als eine unverdrossene Erforschung und Durchsuchung aller Winckel / wo man durchkommt.“ Ebd., S. 16. Zu Beginn der Reisebeschreibung unterscheidet Sulzer weiter zwischen einer „historische[n] Erkänntniß von den Würckungen der Natur“ und einer „philosophische[n], welches [sic!] diese Würckungen kan erklären und den Grund davon anzeigen.“ Ebd., S. 21.

365

Ebd., S. 9. Gesprächspartner solle – so Sulzer in der Nachfolge Gessners – nicht der Stadtbewohner, sondern der „kluge[] Landmann“ sein. Ebd., S. 11; vgl. ebd., S. 19. Besonders anschaulich beschreibt Sulzer die Notwendigkeit der Forschungsreise für die Geologie: „Wer aber hierin genau seyn will / der muß nicht nur die Berge von weitem und überhaupt ansehen / er muß sie besteigen / die rauhesten Oerter und Felsklippen besuchen / sich in die Hölen und Klüfte hinein wagen / auf dem platten Land aber die Gruben / Steinbrüche und Hölen besehen / weil er an solchen Oerten die meisten Beobachtungen machen kan.“ Ebd., S. 12. Im Weg steht Sulzer dabei immer wieder sein prekärer Gesundheitszustand. Vgl. ebd., S. 20.

366

Ebd., S. 16.

367

Ebd., S. 8. Vgl. Jana Kittelmann/Baptiste Baumann, „Zwischen Moos und Wetterglas: Naturkundliche Interieurs und Objekte in der Literatur der deutschsprachigen Aufklärung“, in: Neuhelicon. Heft 47 (2020), S. 433–454, hier: S. 445.

368

Sulzer (2014), Kurzer Begriff aller Wissenschaften, S. 6 (§ 3). Sulzer fügt der historischen und der philosophischen Gelehrsamkeit die mathematische Erkenntnis als dritten Bereich hinzu. Vgl. ebd., S. 7 (§ 7). Zu den beiden Fassungen und dem zeitgenössischen Kontext der Schrift vgl. Frank Grunert, „Kurzer Begriff statt langer Geschichte. Sulzers Kurzer Begriff aller Wissenschaften im Kontext der Historia literaria des 18. Jahrhunderts“, in: ders./Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 227–244; vgl. Tinca Prunea-Bretonnet, „Wissenschaft und Philosophie im Kurzen Begriff oder das Erbe Wolffs innerhalb der Berliner Akademie“, in: Élisabeth Décultot/Philipp Kampa/Jana Kittelmann (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 100–116.

369

Sulzer (2014), Kurzer Begriff aller Wissenschaften, S. 8 (§ 12). 1755 schreibt Sulzer, die Vorstellung angeborener Ideen sei schon lange aus der deutschen Philosophie verbannt. Vgl. David Hume, Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis von David Hume, Ritter. Als dessen vermischter Schriften Zweyter Theil. Nach der zweyten vermehrten Ausgabe aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen des Herausgebers begleitet, Hamburg/Leipzig 1755, S. 39. Die historische Erkenntnis bleibe notwendig vorläufig und beschränkt. Vgl. Sulzer (2014), Kurzer Begriff aller Wissenschaften, S. 6 (§ 3–4), S. 7 (§ 9) und S. 36 (§ 93). Adler unterstreicht in seiner Einleitung: „Wichtiger als Plinius, der Vorläufer des Begriffs ‚Natur-Historie‘ mit seinen Naturalis historiae libri, die eben keine Naturgeschichte, sondern eine Art umfassender Natur-Lehre/‑Kunde ist, ist für unser Verständnis des Sulzer’schen Kurzen Begriffs die Verortung des Begriffs ‚historisch‘ im erkenntnistheoretischen Kontext des Wolff’schen Systems als unterste Stufe menschlicher Erkenntnis, die durch Sinneswahrnehmung Fakten sichert, also den ‚höheren‘ Stufen der philosophischen und mathematischen Erkenntnis zuarbeitet und deren unerlässliche Voraussetzung ist.“ Hans Adler, „Einleitung. J. G. Sulzers Kurzer Begriff aller Wissenschaften von 1745 und 1759“, in: Johann Georg Sulzer, Kurzer Begriff aller Wissenschaften. Erste (1745) und zweite (1759) Auflage, hg. von H. Adler, Basel 2014, S. LVII–LXXIII, hier: S. LX. Ähnlich formuliert es die „Explication détaillée du systeme des connoissances humaines“ im ersten Band der Encyclopédie. Vgl. Diderot/Le Rond d’Alembert (1751), Encyclopédie. Erster Band, S. XLVII–LI.

370

Sulzer (2014), Kurzer Begriff aller Wissenschaften, S. 18–19 (§ 43).

371

Ebd., S. 41 (§ 113). Auch Zedler übersetzt Optik mit „Sehe=Kunst“ oder „Gesicht=Kunde“. Zedler (1743), Grosses vollständiges Universal Lexicon. Bd. 36 (Schwe – Senc), S. 1309. Die Optik beschäftigt sich nach Sulzer sowohl mit der „Krafft“ des Lichts als auch mit der „Natur“ und den „Gesetze[n] des Gesichts, den Unterscheid des Lichts in Ansehung der Vielheit desselben und des Schattens, und in Ansehung der Verschiedenheit desselben, nehmlich der Farben.“ Hierzu gehören auch die Astronomie sowie die Erklärung der optischen Täuschungen und der optischen Naturphänomene wie dem Regenbogen. Sulzer (2014), Kurzer Begriff aller Wissenschaften, S. 41–42 (§ 114).

372

Zu den anderen Sinnen fügt Sulzer hinzu: „Der Geruch, Geschmack, wie auch das Fühlen, dienen auch zu der historischen Erkenntniß zu gelangen. Man kann aber hiervon keine besondere Regeln geben; denn weil man die Empfindungen dieser Sinne nur undeutlich erkennt, so läßt sich nicht leicht viel davon schreiben.“ Ebd., S. 20 (§ 50).

373

Ebd., S. 19 (§ 44). Die meisten Regeln wende der Mensch intuitiv an. Sulzer verweist auf das Beispiel der Größen- und Distanzwahrnehmung. Vgl. ebd., S. 19 (§ 45); vgl. Baumgarten (1983), „Philosophischer Briefe zweites Schreiben“, S. 71.

374

Grunert unterstreicht, dass Sulzer die erste Fassung nicht mehr als publikationswürdig ansah und eine der grundlegenden Änderungen in der zweiten Fassung der verworfene Anspruch einer ‚natürlichen‘ Beziehung aller Wissenschaften sei. Er zeigt auch, dass Sulzer in der zweiten Fassung von einer Metaphorik des Stammbaums zu einer Metaphorik der Landkarte wechselt. Vgl. Grunert (2011), „Kurzer Begriff statt langer Geschichte“, S. 228 und S. 242–244.

375

Vgl. Sulzer (2014), Kurzer Begriff aller Wissenschaften, S. 66–82 (§ 29–67).

376

Vgl. ebd., S. 57–65 (§ 7–28) und S. 104–106 (§ 127–133).

377

Ebd., S. 6 (§ 2).

378

Vgl. ebd., S. 54 (§ 1–2). Décultot scheint diese Bedeutung der sinnlichen Erkenntnis zugunsten der These einer grundlegenden Wende in Sulzers Werk zu minimisieren: „In der ersten Ausgabe des Kurzen Begriffs blieb Sulzer einem streng rationalistischen, auf das Erkenntnisvermögen zentrierten Verständnis der menschlichen Seele treu.“ Élisabeth Décultot, „Johann Georg Sulzers ‚System der schönen Künste‘“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 211–225, hier: S. 216.

379

Sulzer (1747), Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, S. 8. Dies darf jedoch nicht als grundsätzliche Kritik am Verstand gewertet werden, mit dem sich Sulzer 1758 in einer Akademieschrift beschäftigt. Er sieht dort im Verstand – ebenso wie in Geschmack und Moral – das Unterscheidungskriterium von Mensch und Tier. Der Verstand sei ein „don précieux de la Nature“. Johann Georg Sulzer, „Analyse de la raison“, in: Histoire de l’Academie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1758, Berlin 1765, S. 414–442, hier: S. 414. Die deutsche Übersetzung des Textes erscheint 1773. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 244–281, hier: S. 244. Zur Entstehung der Vermischten philosophischen Schriften vgl. Hans-Peter Nowitzki, „Denken – Sprechen – Handeln. Johann Georg Sulzers semiotische Fundierung der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 137–167, hier: S. 142–144.

380

Vgl. Sulzer (1747), Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, S. 9; vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 419; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 250–251. In den Unterredungen findet das Naturalienkabinett eine durchaus positive Bewertung. Vgl. Johann Georg Sulzer, Unterredungen über die Schönheit der Natur, Berlin 1750, S. 32.

381

Vgl. Sulzer (1747), Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, S. 8.

382

Ebd., S. 9.

383

Ebd., S. 7–8.

384

Vgl. ebd., S. 9.

385

Ebd., S. 10; vgl. Sulzer (1750), Unterredungen über die Schönheit der Natur, S. 27–28. Gegen Ende des Vorberichts der Schrift von 1747 legt Sulzer dem Naturforscher auch die Kenntnis der Menschen nahe: „Endlich hat ein reisender Naturforscher auch insonderheit / in Ansehung des Menschen / selbst Untersuchungen anzustellen. Wenn er die Natur des Landes kennt / so muß er billich auch die Art der Einwohner desselben kennen lernen. Er muß ihre Menge / ihre besondre Farbe und Gestalt / ihr Temperament / ihre Landes=Kranckheiten / ihre Lebens=Art in Essen / Trincken und Kleidung / ihre Künste und Wissenschaften / ihre Genie und Sitten erforschen / damit er sehen könne / wie viel die natürliche Beschaffenheit des Landes zu den natürlichen und moralischen Eigenschaften der Einwohner beyträgt.“ Sulzer (1747), Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, S. 19–20. In einer Fußnote fordert Sulzer 1750 eine vergleichende Anatomie, die erst mit den Vorlesungen Johann Friedrich Blumenbachs (1752–1840) ab 1785 Teil des akademischen Unterrichts wird. Vgl. Sulzer (1750), Unterredungen über die Schönheit der Natur, S. 59. Heinz sieht noch Sulzers Kunsttheorie der 1770er Jahre in dieser anthropologisch gefärbten Physikotheologie begründet. Vgl. Jutta Heinz, „‚Für Weltleute hinreichend‘. Popularästhetik in Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 191–208, hier: S. 203–205.

386

Johann Georg Sulzer, Johann Georg Sulzers, V. D. M. Versuch einiger Moralischen Betrachtungen über die Werke der Natur, Berlin 1745, S. 6. „Von uns bis zum Unendlichen ist ein unbegreiflich grosser Raum. […] Sollte dieser grosse Raum leer und unangefüllt seyn? Nein, so wenig unter Menschen nur Könige und Bettler, so wenig unter Thieren nur Löwen und Würmer sind; so wenig sind unter den vernünftigen Geschöpfen nur vortreffliche Engel und schwache Menschen. Es ist alles angefüllet.“ Ebd., S. 8–9. Sulzer verweist auf Pope und deutet auch Linnés Schriften teleologisch. Vgl. ebd., S. 9, S. 16 und S. 21. Er leitet hieraus eine natürliche Hierarchie ab: „Eben diese Regel, welche den einen zum König macht, setzt den andern zum Bettler. Wer eine andere Einrichtung begehret, der will etwas, das wider die allgemeine Ordnung streitet.“ Ebd., S. 26.

387

1746 gibt Sulzer die Naturgeschichte des Schweitzer Landes (1716) des Zürcher Arztes und Naturforschers Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) – der in den 1730er Jahren wegen seiner vierbändigen physikotheologischen Schrift Physica sacra in Verruf geraten war – mit einem Vorwort und Anmerkungen neu heraus. Vgl. Johann Jacob Scheuchzer, Johann Jacob Scheuchzers […] Natur=Geschichte des Schweitzerlandes, Samt seinen Reisen über die Schweitzerische Gebürge, aufs neue hg., und mit einigen Anmerkungen versehen von J. G. Sulzern. 2 Theile, Zürich 1746. Sulzers Artikel „Natur“ im zweiten Teil der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste zeigt, dass die physikotheologischen Grundgedanken seine Auffassung der Natur bis in die 1770er Jahre prägen. Vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 809–812 („Natur (Schöne Künste)“).

388

Sulzer (1745), Versuch einiger Moralischen Betrachtungen, S. V.

389

Ebd., S. XII.

390

Ebd., S. XX; vgl. ebd., S. 1–2.

391

„Man kennt allbereits einige tausend Arten von Insekten, ohne die unzählbaren Thierchen, welche nur durch die Gläser können gesehen werden. Wer erstaunet nicht über die Mannigfaltigkeit der Meerthiere? Dennoch ist leicht zu sehen, daß dieses alles, gegen dem Ganzen, wie nichts ist. […] Ja, wenn wir gar in andere Planeten hinkommen könnten? […] Wir können unsre Augen nirgend hinwenden, da wir nicht einen Aufenthalt lebendiger Geschöpfe, oder Pflanzen sehen, und es ist nicht zu zweifeln, daß die Luft selbst von solchen angefüllet sey.“ Ebd., S. 4–5. „So läßt die Natur überall das Unendliche, als das eigentliche Merkmaal ihres grossen Urhebers, merken!“ Ebd., S. 7. Neben der Vielzahl der Wesen finden sich in Sulzers Schrift auch die Topoi der Relativität menschlicher Schicksale, der Vollkommenheit der mikroskopischen Welt im Vergleich zum menschlichen Handwerk und der Verweis auf den Polypen. Vgl. ebd., S. 8, S. 51–55 und S. 73. In einem Brief an Johannes Gessner vom 19. Mai 1741 geht Sulzer genauer auf seine mikroskopische Praxis ein. Vgl. Kittelmann (2018), „‚Sylvain und die Dryaden‘“, S. 279–281.

392

Sulzer (1745), Versuch einiger Moralischen Betrachtungen, S. 3.

393

Vgl. Sulzer (1747), Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, S. 20.

394

„Die Hauptregel, nach welcher die Ordnung in dem Pflanzenreiche bestimmt worden, ist der Nutzen für Menschen und Thiere. Nach dieser Regel ist alles bestimmt worden. Eine solche Hauptregel müssen wir auch zu der Anordnung unsers Thuns und Lassens haben.“ Sulzer (1745), Versuch einiger Moralischen Betrachtungen, S. 24; vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 610 („Künste; Schöne Künste“). „Als typischer Vertreter einer vor allem durch Leibniz und Wolff geprägten eudämonistischen Ethik geht Sulzer wie selbstverständlich davon aus, dass die Ethik Tugenden beschreibt, die uns dazu befähigen, die ‚höchste Glückseligkeit‘ und die ‚höchste Vollkommenheit‘ zu erreichen. Und ebenso selbstverständlich ist für Sulzer, dass Gott die Welt als ein System geschaffen hat, dessen ‚Endzweck‘ in der Glückseligkeit der Menschen besteht. Der Mensch kann diesen Zweck jedoch nur dann erreichen, wenn er empirische Beobachtungen über den Zustand und den Gebrauch seiner Seelenvermögen anstellt.“ Heiner F. Klemme, „Johann Georg Sulzers ‚vermischte Sittenlehre‘. Ein Beitrag zur Vorgeschichte und Problemstellung von Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 309–322, hier: S. 311. Auch in Sulzers Ästhetik spielt der Aspekt des (nun moralischen) Nutzens der Kunst eine wesentliche Rolle. Goethe wirft Sulzer in seiner Rezension der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste ebendiese Ausrichtung an der Nützlichkeit vor. Vgl. Élisabeth Décultot, „Sulzer, ein Aufklärer? Anstatt einer Einleitung“, in: dies./Philipp Kampa/Jana Kittelmann (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 1–13. Zur gegenseitigen Kritik von Goethe und Sulzer vgl. Kittelmann (2018), „‚Archiv der Critik‘“, S. 32.

395

Sulzer (1745), Versuch einiger Moralischen Betrachtungen, S. 22.

396

Ebd., S. 32. Décultot sieht eine langsame Abkehr von der Wolff’schen Philosophie vor allem in Sulzers ästhetischen Schriften der 1750er und 1760er Jahre. Vgl. Décultot (2018), „Sulzer, ein Aufklärer?“, S. 4–5.

397

Sulzer (1745), Versuch einiger Moralischen Betrachtungen, S. 32; vgl. ebd., S. 26. Sulzer nimmt den Gedanken von der Nahrung der Seele in seine erste Akademieschrift auf. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Recherches sur l’origine des sentiments agréables et désagrábles. Premiere partie“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1751, Berlin 1753, S. 57–75, hier: S. 61; vgl. Johann Georg Sulzer, „Untersuchung über den Ursprung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 1–98, hier: S. 6.

398

Sulzer (1745), Versuch einiger Moralischen Betrachtungen, S. 33. 1775 geht Sulzer dann im Rahmen seiner Begründung der Unsterblichkeit der Seele davon aus, dass diese bei jedem Menschen gleich sei. Er führt als Beispiel Kinder, ‚Wahnsinnige‘ und ‚wilde Völker‘ des Pazifiks an. Letztere verfügten zwar, so Sulzer, über bessere Sinnesorgane, aber im Vergleich zu den Europäern nicht über höher entwickelte Seelenvermögen. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Sur l’immortalité de l’ame, considérée physiquement. Premier et second mémoire“, in: Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1775, Berlin 1777, S. 359–387, hier: S. 370–373; vgl. Sulzer (1781), „Ueber die Unsterblichkeit der Seele“, S. 19–21. Schon 1768 schreibt Sulzer in seiner zweiten pädagogischen Schrift den ‚Wilden‘ besonders gute Sinnesorgane und physische Stärke zu: „Sie sehen mit bloßen Augen weiter, als wir mit unsern besten Seheröhren. Im Laufen sind sie unermüdet.“ Sulzer (1768), Vorübungen zur Erweckung der Aufmerksamkeit, S. 41. Nur die Frauen der ‚Wilden‘ bildeten jedoch Begriffe: „Sie [d. i. die Männer] liegen in ihren Hütten in einer Art von Fühllosigkeit und Betäubung; und da sie nicht Begriffe genug haben, um sich auf eine angenehme Art die Zeit zu vertreiben, so suchen sie ihre Sinnen durch den Gebrauch hitziger Getränke oder anderer berauschender Sachen, zu benebeln, um auf diese Weise der Qual der Langeweile zu entgehen. Die kleineren häußlichen Geschäfte werden den Weibern überlaßen, die daher auch gemeiniglich eher zu Begriffen kommen, als die Männer.“ Ebd., S. 42. 1755 nimmt er an, „die Einwohner der Insel Sumatra“ hielten Eis nicht aus Dummheit für ein Wunder, sondern weil sie Wasser bisher nur flüssig kennenlernen konnten. Hume (1755), Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis, S. 263. Dieses Beispiel findet sich auch in der Encyclopédie, vgl. Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 26 („Sens“).

399

Johann Georg Sulzer, Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder, zweyte, stark vermehrte Auflage, Zürich 1748, S. 11. „Das Fundament der ganzen Vernunft=Lehre oder des richtigen Denkens sind die deutlichen Begriffe. Ein deutlicher Begriff aber ist eine solche Vorstellung eines Dings in dem Verstande / welche hinreichend ist, dieses Ding von allen andern Dingen in allen Umständen zu unterscheiden / und zwahr so / daß man den Grund des Unterschieds angeben kan.“ Ebd., S. 6. Sulzer empfiehlt Wolffs – und auch seine eigenen – Schriften als Jugendlektüre. Vgl. ebd., S. 350–353.

400

Ebd., S. 11; vgl. ebd., S. 20. Zu Sulzers pädagogischen Schriften im historischen Kontext vgl. Udo Roth, „‚Kinder zu ziehen ist ein Werk eines Philosophen‘. Johann Georg Sulzers Konzeption von Erziehung im Kontext der Aufklärungspädagogik“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 247–283.

401

In seinen „Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Vernunft in die Sprache, und der Sprache in die Vernunft“ (1767) verweist Sulzer auf das Problem des Molyneux als eines empirischen Nachweises für die Annahme, dass die Sinnesempfindung auf einem Lernprozess beruhe. Er vergleicht diesen mit dem Spracherwerb. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Observations sur l’influence réciproque de la raison sur le langage et du langage sur la raison“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1767, Berlin 1769, S. 413–438, hier: S. 414–415; vgl. Johann Georg Sulzer, „Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß der Vernunft in die Sprache, und der Sprache in die Vernunft“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 166–198, hier: S. 168–169. In seiner zweiten pädagogischen Schrift geht Sulzer einleitend davon aus, dass neben dem Gedächtnis auch die anderen Vermögen der Seele – er zählt hierzu Aufmerksamkeit, Beobachtung, Nachdenken, Beurteilen, Empfindung des Guten und Schönen – durch den Schulunterricht entwickelt werden sollten. Vgl. Sulzer (1768), Vorübungen zur Erweckung der Aufmerksamkeit, S. 3. In der Vorrede seiner Allgemeinen Theorie der schönen Künste ist dann von einem „Saamen“ die Rede, der nur unter bestimmten Bedingungen aufgehen könne. Eine besondere Rolle spielen hier die Künste. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. IV („Vorrede“).

402

Sulzers lebenslange Freundschaft mit Bodmer geht auf das Jahr 1740 zurück. In der Widmung der Unterredungen erklärt Sulzer diese Freundschaft mit dem gemeinsamen Interesse an der Naturforschung. Vgl. Sulzer (1750), Unterredungen über die Schönheit der Natur, S. III; vgl. Johann Georg Sulzer, Johann Georg Sulzer – Johann Jakob Bodmer. Briefwechsel. Kritische Ausgabe, hgg. von Élisabeth Décultot und Jana Kittelmann, Basel 2020.

403

In den Jahren nach Sulzers Aufnahme in die Akademie erscheinen einige kurze, rein naturwissenschaftliche Schriften beispielsweise zum Barometer oder geografischen Themen. Vgl. die Bibliografie im Anhang von Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 329–335. Eine umfangreichere Schrift zur Geografie, Astronomie und Chronologie erscheint, posthum herausgegeben von Gottlieb August Lange, drei Jahre nach Sulzers Tod. Vgl. Johann Georg Sulzer, Johann Georg Sulzers kurzer Entwurf der Geographie, Astronomie und Chronologie, Berlin/Stralsund 1782.

404

Sulzer (1750), Unterredungen über die Schönheit der Natur, S. XVIII.

405

Ebd., S. V–VI. Weiter bekräftigt er: „Ich bewundere und verehre in den Schriften eines Platons, Leibnizens, Schäfftesbürys, eines Virgils, Miltons, Hallers, eines Newtons oder Eulers die Schönheit und Höhe des menschlichen Verstandes, aber indem ich das grosse Buch der Schöpfung lese, bete ich die Hoheit und Grösse eines unendlichen Geistes an.“ Ebd., S. XI; vgl. Falk Wunderlich, „Johann Georg Sulzers Widerlegung des Materialismus und die Materietheorien der Zeit“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 37–55, hier: S. 49.

406

Sulzer (1750), Unterredungen über die Schönheit der Natur, S. XVII. Décultot streicht diese Veränderung in Sulzers Werk von einer Theorie der Kunst als Nachahmung der Natur zu einer Bestimmung „durch ihre Beziehung zur menschlichen Psyche“ heraus, ohne jedoch auf die Rolle der Physikotheologie bei dieser „psychologisch[en], subjektbezogene[n] Wende im Kunstverständnis“ Sulzers einzugehen. Décultot (2011), „Johann Georg Sulzers ‚System der schönen Künste‘“, S. 214–215; vgl. Philipp Kampa, „Produktive Mimesis. Johann Georg Sulzer über Nachahmung in den schönen Künsten“, in: Élisabeth Décultot/ders./Jana Kittelmann (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 160–177.

407

Sulzer (1750), Unterredungen über die Schönheit der Natur, S. 1.

408

Ebd.

409

Ebd., S. 2.

410

Ebd., S. 3. Am Ende der ersten „Unterredung“ unterstreicht Sulzer in einer Fußnote: „Man siehet auch ohne Unterricht viele Schönheiten der Natur ein, die verborgenen aber werden ohne Kenntniß übergangen.“ Ebd., S. 32–33.

411

Ebd., S. 3.

412

Ebd., S. 4. Sulzer geht gar davon aus, dass ehemals Blinde ein großes Vergnüngen empfinden, wenn sie zum ersten Mal sehen. Sulzer widmet diesem Aspekt des Neuen und Wunderbaren, worunter er auch Experimente mit Elektrizität und Quecksilber zählt, die vierte „Unterredung“. Vgl. ebd., S. 100–127.

413

Ebd., S. 5.

414

Ebd., S. 7. Mit dem Verweis auf die Naturforscherin Maria Sibylla Merian (1647–1717) unterstreicht Eukrates die Macht der von der Naturbetrachtung ausgelösten Empfindungen: „Du siehest solche Liebhaber der Natur sich aus dem Arm der Ruhe und Bequämlichkeit losreissen, durch rauhe und unwegsame Gegenden irren, ja gar in andre Welttheile reisen, nur um diese Schäze zu suchen, zu bewundern und sich zu vergnügen.“ Ebd., S. 24–25.

415

Ebd., S. 12.

416

Ebd., S. 12–13. Den Vergleich von Natur und Kunst thematisiert Sulzer im selben Abschnitt. Als Charites die Schönheit der Kunst über diejenige der Natur stellt, hält Eukrates ihm entgegen: „Woher nimmt der Künstler die Urbilder seiner Werke? Sind sie nicht aus der Natur?“ Ebd., S. 25.

417

Ebd., S. 8.

418

Vgl. ebd.

419

Ebd., S. 9; vgl. ebd., S. 16.

420

Ebd., S. 30.

421

Ebd., S. 37.

422

Ebd., S. 39.

423

Vgl. ebd., S. 40–43.

424

In der vierten „Unterredung“ heißt es dann jedoch: „Hier ist nicht mehr von blossen Maschinen die Rede, man fühlet, daß jedes Thier, es sey klein oder groß, im Wasser, in der Lufft, oder auf der Erde eine Seele hat, welche die Bewegungen des Leibes ordnet. Die verschiedenen Temperamente, Gemüthsarten und das Genie dieser unzähligen thierischen Seelen sezet uns in die allerhöchste Bewundrung.“ Ebd., S. 117–118.

425

Ebd., S. 48. In einer Fußnote verweist Sulzer auf die 1747 erschienene französische Übersetzung von John Turberville Needhams (1713–1781) New microscopical discoveries (1745).

426

Ebd., S. 49–50. Eukrates unterstreicht, dass diese Wunder der Pflanzenwelt von denjenigen der Tiere übertroffen werden: „Das einzige Auge eines Thiers hat mehr wunderbares, als alle Pflanzen.“ Ebd., S. 50. Um die göttliche Schöpfung sprachlich zu fassen, greifen Charites und Eukrates auf Allegorien zurück. Vergleicht der junge Mann die Natur mit einer weisen und erhabenen Frau, so wählt der ältere Freund den Vergleich mit einer Monarchie, in der ein Gesetzgeber alle Interessen seiner Untertanen friedlich zusammenführt. Vgl. ebd., S. 54.

427

Ebd., S. 128.

428

Ebd., S. 134–135.

429

Ebd., S. 71–72. Die Intensität der Empfindung korreliert mit der Notwendigkeit der physikotheologischen Weltsicht, und die dritte „Unterredung“ beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit der Zurückweisung der These, die Vorgänge in der Natur beruhten auf dem Zufall. Vgl. ebd., S. 71–99.

430

Sulzers Akademieschriften zeichnen sich also nicht (nur) – wie dies Prunea-Bretonnet annimmt – durch die Neuheit der Themen aus, sondern auch durch einen anderen methodischen Zugang. Vgl. Prunea-Bretonnet (2018), „Wissenschaft und Philosophie“, S. 100–116.

431

Als fünften Teil seiner Abhandlung fügt Sulzer den 1756 in der Histoire de l’Académie erschienenen Versuch über die Glückseligkeit verständiger Wesen (so der Titel der deutschen Übersetzung) hinzu sowie Abraham Gotthelf Kästners Schrift über den Ursprung des Vergnügens. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Essai sur le bonheur des etres intelligens“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1754, Berlin 1756, S. 399–417. Kästner vertritt die These, das sinnliche Vergnügen entstehe durch die sichtbare oder hörbare Ordnung beziehungsweise Symmetrie und damit die Empfindung der Vollkommenheit, welche die Seele aktiv messen und vergleichen könne. Vgl. Abraham Gotthelf Kästner, „Réfléxions sur l’origine du plaisir, où l’on tache de prouver l’idée de Des-cartes: qu’il nait toujours du sentiment de la perfection de nous-memes“, in: Histoire de l’Academie Royale des Sciences et des Belles-lettres de Berlin. Année 1749, Berlin 1751, S. 478–488, hier: S. 479–480.

432

Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Première partie“, S. 57–75; vgl. Johann Georg Sulzer, „Recherches sur l’origine des sentiments agréables et désagrábles. Seconde partie“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1751, Berlin 1753, S. 76–100; vgl. Johann Georg Sulzer, „Recherches sur l’origine des sentiments agréables et désagrábles. Troisième partie“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1752, Berlin 1754, S. 350–372 (Troisième partie: Des plaisirs des sens“) und S. 373–390 („Quatrième partie: Des plaisirs moraux“); vgl. Johann Georg Sulzer, Nouvelle théorie des plaisirs, […] avec des réflexions Sur l’Origine du Plaisir par Mr. Kaestner de la même Académie, [o. O.] 1767; vgl. Johann Georg Sulzer, Johann Georg Sulzers […] Theorie der angenehmen und unangenehmen Empfindungen, Berlin 1762; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 1–98. Zur Wahl der französischen Sprache, den unterschiedlichen Übersetzungen und dem Kontext der Berliner Akademie vgl. Lorenzo Lattanzi, „Sulzers Begriff der ‚angenehmen Empfindung‘ (1751–1773) und der Transfer der Théorie des sentiments agréables von Lévesque de Pouilly in der deutschen Aufklärung“, in: Élisabeth Décultot/Philipp Kampa/Jana Kittelmann (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 51–91, hier: S. 51–53.

433

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 57. „Alle Welt ist einig darinn, daß die Glückseligkeit, so ferne der Mensch sie erreichen kann, ein Zustand ist, in welchem das Vergnügen den Schmerz überwiegt.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 1.

434

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 57–58. „[S]cheint nun die ganze Wissenschaft der Glückseligkeit, sofern sie von unsern Handlungen abhängt, auf die einzige sehr einfache und leichte Regel hinauszulaufen: daß man sich alles nur mögliche Vergnügen, das aus der Erfahrung bekannt ist, zu verschaffen, und allen Schmerz zu vermeiden suche.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 1–2.

435

Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 59; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 3–4.

436

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 67. „Diese größere Lebhaftigkeit, die das Vergnügen von der bloßen Zufriedenheit unterscheidet, kann daher rühren, daß alsdann die Wirksamkeit der Seele geschwinder ist: sie hält nicht mehr ihren gewöhnlichen Lauf; sie wird eine Menge von Dingen gewahr, die sie mit mehr Leichtigkeit und Schnelligkeit bearbeiten kann, als sie im Stande der bloßen Behäglichkeit zu haben pflegt. So muß nothwendig die Thätigkeit der Seele, bey der Vorstellung eines Gegenstandes beschaffen seyn, aus welchem, wie aus einer reichen Quelle, eine Menge besonderer Ideen entspringen, die sie, so zu reden, schon von weitem gewahr wird. Sie merkt, daß sie Arbeit haben wird, und leichte Arbeit: und dieses Vorhersehen einer reichlichen Nahrung, wenn ich mich so ausdrücken darf, erweckt in ihr die Begierde, sich auf diesen Gegenstand zu heften.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 13. 1758 unterstreicht Sulzer: „Avoir une idée présente à l’esprit, n’est autre chose que, sentir que dans l’instant présent on est affecté d’une certaine façon déterminée.“ Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 417; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 248.

437

Sulzer stellt sogleich klar, dass er keine metaphysische Abhandlung über die Immaterialität der Seele zu schreiben gedenkt und zeigt damit, dass er sich der Problematik dieser Überblendung von körperlichen und geistigen Empfindungen bewusst ist. Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 60; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 5. Mit der möglichen Abwehr von Empfindungen begründet Sulzer Anfang der 1770er Jahre die Unabhängigkeit der Seele von der materiellen Welt beziehungsweise von den Sinnesorganen. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Observations sur quelques propriétés de l’ame comparées à celles de la matière: pour servir à l’examen du Matérialisme“, in: Nouveaux mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1771, Berlin 1773, S. 390–410, hier: S. 393–394; vgl. Johann Georg Sulzer, „Gedanken über einige Eigenschaften der Seele, in sofern sie mit den Eigenschaften der Materie eine Aehnlichkeit haben, zur Prüfung des Systems des Materialismus“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 348–376, hier: S. 353.

438

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 60. „Denn da die Seele, wie niemand läugnen kann, eine thätige Substanz ist, so muß ihr eine gewisse Art von Thätigkeit oder von Kraft natürlich seyn. Und ohne Zweifel besteht ihre natürliche Thätigkeit darinn, Ideen hervorzubringen, oder, wenn man will, Ideen aufzunehmen und mit einander zu vergleichen; das heißt zu denken.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 5; vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 65; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 10. Noch 1771 vertritt Sulzer diese Auffassung: „Une attention à ce qui se passe en nous peut nous convaincre que nous sommes des êtres actifs. Nous sentons qu’il y a en nous une force ou énergie qui tend continuellement à produire quelque changement soit au dedans, soit au dehors. Cette activité paroit même être la propriété la plus essentielle de notre être, qui seule suffit pour rendre raison de toutes nos affections.“ Sulzer (1773), „Observations sur quelques propriétés de l’ame“, S. 391. Vgl. Sulzer (1773), „Gedanken über einige Eigenschaften der Seele“, S. 349–350. Lattanzi zeigt Einflüsse von Louis-Jean Lévesque de Pouilly (1691–1750) und Jean-Baptiste Dubos (1670–1742) auf. Vgl. Lattanzi (2018), „Sulzers Begriff der ‚angenehmen Empfindung‘ (1751–1773)“, S. 61–72. Zu Dubos vgl. Élisabeth Décultot, „Lessing und Du Bos. Zur Funktion des Empfindungsvermögens in der Kunst“, in: Alexander Košenina/Stefanie Stockhorst (Hgg.), Lessing und die Sinne, Hannover 2016, S. 81–98.

439

Bei der Frage der Leidenschaften grenzt sich Sulzer explizit von Wolff und Descartes ab. Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 65; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 11. 1755 setzt sich Sulzer intensiv mit David Humes Annahme auseinander, die Verwendung des Begriffs ‚Kraft‘ zeige, dass der Mensch das Verhältnis von Ursache und Wirkung sowohl in der Natur als auch im Denken nicht lückenlos nachvollziehen könne. Vgl. Hume (1755), Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis, S. 182–190. Der Begriff steht dann ebenfalls im Zentrum von Sulzers 1757 in einer Akademieschrift entwickelten Theorie des Genies. Er begreift das Genie mit Verweis auf Jean-Baptiste Dubos als einen „physischen Vorzug“ einiger weniger Menschen, der es ihnen erlaube, sowohl im Bereich der Kunst als auch in den Wissenschaften, der Politik und dem Krieg alles mit Leichtigkeit zu erreichen. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Analyse du génie“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1757, Berlin 1759, S. 392–404, hier: S. 392–393; vgl. Johann Georg Sulzer, „Entwickelung des Begriffs vom Genie“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 307–322, hier: S. 307–308; vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 456–459 („Genie (Schöne Künste)“). Zu Sulzers Theorie des Genies im zeitgenössischen Kontext vgl. Heinz (2011), „‚Für Weltleute hinreichend‘“, S. 194–199. Bereits Herder polemisiert Ende der 1770er Jahre gegen die Kategorie des „‚Schenie[s]‘“. Johann Gottfried Herder, „Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. Bemerkungen und Träume“ [1778], in: ders., Werke in zehn Bänden, hgg. von G. Arnold et al. Band 4 (Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Altertum 1774–1787), hgg. von J. Brummack und M. Bollacher, Frankfurt a. M. 1994, S. 327–393, hier: S. 380.

440

Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 416. „Die erste Eigenschaft aller empfindenden Wesen, die zugleich die Quelle aller übrigen zu seyn scheint, ist die Vorstellungskraft, wie sie Leibnitz und Wolff genannt haben, oder das Principium von Thätigkeit, das uns bewegt, und gewissermaßen zwingt, auf die durch die Sinne in uns erweckten Eindrücke zu merken. Diese Kraft ist es, die den verständigen Wesen Thätigkeit, Lebhaftigkeit und Empfindlichkeit giebt; sie ist es, die alle in dem Innern der Substanzen vorgehende Veränderungen hervorzubringen scheint.“ Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 246.

441

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 63; vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 416; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 246–247; vgl. Sulzer, „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 77; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 24–25. Eine Auffassung, die der Herausgeber der zweiten Auflage der Schriften in einer Fußnote kritisiert. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Untersuchung über den Ursprung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt [1773]. Erster Theil, Leipzig 1782, S. 1–100, hier: S. 24–25.

442

Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 64; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 9. Vesper sieht hier den Unterschied zu späteren Schriften, die Empfindungs- und Vorstellungsvermögen trennen: „In seinen früheren Texten geht Sulzer davon aus, dass zwischen Empfinden und Erkennen ein lediglich gradueller Unterschied existiert. Graduell, aber nicht spezifisch unterschieden sind Empfindung und Verstandeserkenntnis, weil sie Formen des Vorstellungsvermögens darstellen, die hinsichtlich ihrer Deutlichkeit differieren.“ Achim Vesper, „Sulzer über die schönen Künste und das Gute“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 169–189, hier: S. 182.

443

Vgl. Johann Bernhard Merian/Christoph Friedrich Nicolai (Hgg.), Johann Georg Sulzer’s Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgesetzt. Aus der Handschrift abgedruckt, mit Anmerkungen, Berlin/Stettin 1809. Thiel sieht den wesentlichen Unterschied von Merians und Sulzers Schriften zum Bewusstein in der Ausrichtung letzterer auf die Anwendung der Theorien. Vgl. Udo Thiel, „Sulzer über Bewusstsein im Kontext“, in: Frank Grunert/Gideon Stiening (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 21–36, hier: S. 21–22.

444

Johann Bernhard Merian, „Memoire sur l’apperception de sa propre existence“, in: Histoire de l’Academie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1749, Berlin 1751, S. 416–441, hier: S. 416.

445

Ebd., S. 417. Deutlich äußert sich Merian zu den Grenzen der zeitgenössischen Wahrnehmungsforschung: „Dans la Physique on a découvert la structure, & le méchanisme de l’oeil; on connoit la vûe, entant qu’elle se passe dans l’organe corporel; mais de cette modification de l’ame, qui est la vuë proprement dite, nous ne connoissons rien, que son existence; & il en est de même de toutes les opérations des intelligences entant qu’intelligences.“ Ebd., S. 418. Merian entwirft in acht Akademieschriften der 1770er Jahre eine erste Geschichte der Überlegungen zu Molyneux’ Problem. Vgl. Johann Bernhard Merian, „Sur le problème de Molyneux. Premier Mémoire“, in: Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1770, Berlin 1772, S. 258–267. Die weiteren Schriften finden sich in den Jahrbüchern von 1773, 1774, 1776, 1777, 1779, 1781 und 1782. 1776 und 1779 veröffentlicht Merian drei Akademieschriften über den Einfluss der Wissenschaften auf die Dichtung. Vgl. Johann Bernhard Merian, „Comment les sciences influent dans la poësie“, in: Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1774, Berlin 1776, S. 455–481 (Premier mémoire) und S. 482–519 (Second mémoire); vgl. Johann Bernhard Merian, „Comment les sciences influent dans la poësie. Troisième Mémoire“, in: Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1776, Berlin 1779, S. 391–425.

446

Merian (1751), „Memoire sur l’apperception de sa propre existence“, S. 432–433.

447

Vgl. ebd., S. 433–434.

448

Ebd., S. 435.

449

Ebd., S. 445. Die Schrift ist in erster Linie eine Auseinandersetzung mit Leibniz’ Philosophie. Merians Unterscheidung stimmt damit auch nicht mit der d’Alemberts überein, welcher im „Discours préliminaire“ zwischen dem durch die Sinne passiv aufgenommenen (frz. direct) und dem erst durch den Verstand im Umgang mit den Sinneseindrücken aktiv erworbenen (frz. réfléchi) Wissen unterscheidet. Vgl. Le Rond d’Alembert (1751), „Discours préliminaire des éditeurs“, S. I–II. Im Artikel „Sens“ findet sich – mit Verweis auf einen modernen Autor – die Auffassung, der Begriff ‚sens‘ bezeichne die Empfindungskraft der Seele („une puissance d’apercevoir“). Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 24 („Sens“).

450

Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Premiere partie“, S. 73; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 20.

451

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 76. „Ich habe es schon gesagt, daß man zwo Hauptclassen von Vergnügungen, nämlich die mittelbaren und die unmittelbaren, unterscheiden muß. Die letztern würde man nur vergebens alle herzählen wollen; denn da sie von den Eigenschaften und der besondern Denkungsart eines jeden einzelnen Menschen abhangen, so sind sie auch unendlich verschieden.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 23–24. Als Beispiel führt er die Schönheit der europäischen und der afrikanischen Frauen an. Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 94; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 44.

452

Kästner (1751), „Réfléxions sur l’origine du plaisir“, S. 483. Sulzer nimmt dieses Beispiel 1774 in seiner Definition des Begriffs ‚Mannigfaltigkeit‘ wieder auf: „Halb wilde Völker, wie diejenigen Americaner, die nicht über drey zählen (*), können einen ganzen Tag Gedankenlos sizen und auf ihren Pfeifen denselben Ton tausendmal wiederholen, ohne Langeweile zu fühlen.“ Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 741–742 („Mannigfaltigkeit (Schöne Künste)“).

453

Vgl. Hume (1755), Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis, S. 64.

454

Er nuanciert am Ende des zweiten Teils der Schrift diese Annahme, indem er davon ausgeht, dass auch das unmittelbare Vergnügen in unterschiedlichen Kulturen mehr oder weniger stark ausgebildet sein könne. Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 98–99; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 48–49. Diese Annahme bildet die Grundlage von Sulzers Akademieschrift über die Glückseligkeit, in der er die Verbesserung der intellektuellen und der moralischen Eigenschaften des Menschen in den Vordergrund rückt und in diesem Zusammenhang auch die Theodizeefrage diskutiert. Vgl. Sulzer (1756), „Essai sur le bonheur des etres intelligens“, S. 399–417; vgl. Johann Georg Sulzer, „Versuch über die Glückseligkeit verständiger Wesen“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 323–347.

455

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 77. „Denn wir nennen alle Gegenstände schön, die unmittelbar der Einbildungskraft oder dem Verstande gefallen.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 25; vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 77–78; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 25–26. Noch 1771 macht Sulzer deutlich, dass das angenehme Gefühl der Schönheit nicht zu ethischen Handlungen bewege: „Man nennet dasjenige Schön, was sich, ohne Rüksicht auf irgend eine andre Beschaffenheit, unsrer Vorstellungskraft auf eine angenehme Weise darstellt […]. Also vergnügt das Schöne nicht deswegen, weil der Verstand es vollkommen, oder das sittliche Gefühl es gut findet, sondern weil es der Einbildungskraft schmeichelt, weil es sich in einer gefälligen, angenehmen Gestalt zeiget.“ Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 461 („Geschmak (Schöne Künste)“).

456

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 88. „[D]ie angenehme Empfindung ihren Ursprung aus der Lebhaftigkeit nimmt, womit der Geist sich einer Menge von Ideen bemächtigt, die sich ihm auf einmal darstellen, und wovon er merkt, daß er sie wird entwickeln können.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 37; vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 79; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 26–27. Um die Wirkung der Einheit zu veranschaulichen, nutzt Sulzer den Vergleich mit einem zylindrischen Spiegel. Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 90; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 39.

457

Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 89. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 38.

458

In seiner Definition der Einbildungskraft vermischt Sulzer die in der Philosophie getrennt behandelten Bereiche der Vorstellungs‑, Einbildungs- und Dichtungskraft, was der Herausgeber der zweiten Ausgabe der Vermischten philosophischen Schriften in einer Fußnote anmerkt. Vgl. Sulzer (1782), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 28; vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 291 („Einbildungskraft (Schöne Künste)“).

459

Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 78–79; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 27.

460

Vgl. Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments agréables et désagrábles. Troisième partie“, S. 352–353; vgl. Sulzer (1782), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 53. Es ist also durchaus nicht so, dass „Sulzer mit dem rationalistischen Paradigma des Leib-Seele-Dualismus“ bricht. Manuel Illi, Sprache in Wissenschaft und Dichtung. Diskursive Formationen von Mathematik, Physik, Logik und Dichtung im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin/Boston 2017, S. 61. In einer Akademieschrift von 1764 erklärt der Berliner Theologe, Philosoph und Historiker Jean Henri Samuel Formey (1711–1797) die Frage des commercium mentis et corporis für unlösbar und damit eine erneute Diskussion der These des influxus physicus für überflüssig. Vgl. Jean Henri Samuel Formey, „Nouvelles considérations sur l’union des deux substances dans l’homme, ou sur le commerce de l’ame et du corps“, in: Histoire de l’Academie Royale des Sciences et Belles-lettres de Berlin. Année 1764, Berlin 1766, S. 364–373, hier: S. 364–365. Sulzer kommt 1775 noch einmal im Rahmen seiner Überlegungen zur Unsterblichkeit der Seele hierauf zu sprechen. Er unterscheidet dort zwischen einem sichtbaren „thierische[n] Körper“ und „eine[m] feiner[] organisirten Körper[]“, den er auch „beseelte Partikel (molecule animée)“ oder „Sitz der Seele“ nennt und für unzerstörbar hält. Beide seien – so Sulzer weiter – im Falle der Sinnesempfindung aufeinander angewiesen. Ihre Verbindung fasst er als vom Körper unabhängige Fähigkeit oder ‚Kraft‘ der Seele, in ihrem Sitz in der Mitte des Gehirns die Impulse der Nerven zu empfinden. Dieses Vermögen sei unabhängig von den körperlichen Bedingungen des einzelnen Menschen, zu denen er auch das Alter, die Bildung und die psychische Gesundheit zählt. Er vergleicht diese Bedingungen mit dem Staub, der den Nutzen eines Fernrohrs einschränken könne, nicht aber das Instrument selbst beschädige. Vgl. Sulzer (1781), „Ueber die Unsterblichkeit der Seele“, S. 5–19 und S. 41–42. Zu Sulzers Position und der zeitgenössischen „kleine[n] Renaissance“ der Influxus-Lehre im deutschsprachigen Raum vgl. Wunderlich (2011), „Johann Georg Sulzers Widerlegung des Materialismus“, S. 52.

461

Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 352–353. „Was heißt aber eigentlich, sinnlich empfinden? Wir pflegen zu sagen, daß wir die Gegenstände oder ihre Eigenschaften, z. B. die Hitze, fühlen; daß wir jemand reden hören; daß wir die Sonne sehen; daß wir ein gewisses Räuchwerk riechen. Will man sich über die Bedeutung dieser Wörter recht deutlich erklären, so werden sie höchstens so viel sagen: Wir haben sinnliche Empfindungen, das heißt, starke und lebhafte Vorstellungen von gewissen Dingen, die durch Bewegungen, welche sie unsern sinnlichen Werkzeugen eindrücken, solche in uns zu erwecken scheinen. Wir betrachten die Gegenstände, die wir empfinden, als die Ursachen, die durch einen natürlichen Einfluß unsre Werkzeuge rühren; und wiederum betrachten wir die Eindrücke, die die Werkzeuge leiden, als die physische Ursache unsrer sinnlichen Empfindungen. Nun mögen die Werkzeuge, nach der Meynung des Aristoteles, diese Empfindung wirklich verursachen; oder sie mögen sie, nach dem Gedanken des Cartesius, bloß veranlassen; oder die Empfindungen mögen, nach Leibnizens System, die Erschütterungen der Werkzeuge, vermöge einer vorherbestimmten Harmonie, bloß begleiten: so kann man sie doch immer als die wirkenden Ursachen der sinnlichen Empfindungen ansehen, weil alles vollkommen so erfolgt, als ob sie es wirklich wären. Ich werde mich also durchgehends des Ausdrucks bedienen: daß die Eindrücke der sinnlichen Werkzeuge die Empfindungen in der Seele erwecken oder hervorbringen; ohne deßwegen von den verschiedenen Systemen, die man zur Erklärung des Bandes zwischen Seele und Körper erfunden hat, irgend eines entweder anzunehmen oder zu verwerfen.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 53–54. Eine Auffassung, die Sulzer 1758 noch einmal wiederholt. Vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 416–417; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 247. Den Begriff der ‚Analogie‘ verwendet in diesem Zusammenhang auch ein ungenannter Autor im fünfzehnten Band der Encyclopédie. Auch er leitet die Existenz der dem Menschen äußeren Dinge von dieser Analogie ab, im Zentrum steht hier allerdings die Analogie zwischen den Sinnesorganen und der die Empfindung auslösenden Bewegung (Lichtstrahlen, Schallwellen). Vgl. Diderot/Le Rond d’Alembert (1765), Encyclopédie. Fünfzehnter Band (SEN=TCH), S. 35 („Sensations“). Zentral wird der Begriff der ‚Analogie‘ wieder in Herders Theorie der Sinnesempfindung.

462

Vgl. Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 354–355; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 56–57. 1776 nimmt Sulzer an, dass nur eine bestimmte Art von Impulsen von den Sinnesorganen weitergeleitet würden und die Seele ohne diesen Filter nicht in der Lage sei, bestimmte Empfindungen zu haben. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Sur l’immortalité de l’ame considérée physiquement. Troisieme mémoire“, in: Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1776, Berlin 1779, S. 349–359, hier: S. 353–354; vgl. Sulzer (1781), „Ueber die Unsterblichkeit der Seele“, S. 50–51.

463

Vgl. Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 356–357; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 58; vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 417–418; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 248–249.

464

Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 353–354. „Ein sinnliches Werkzeug ist also nichts anders, als ein Gewebe von Nerven, die so gestellt sind, daß sie Eindrücke von denjenigen Materien empfangen können, die sie eben in die Art von Bewegung versetzen, welche zu der Empfindung erforderlich ist.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 55. Anfang der 1770er Jahre macht Sulzer deutlich, dass er sich nur den körperlichen Teil der Sinnesempfindung als (passiv) bewegt vorstellt, den seelischen Teil als (aktive) Selbsttätigkeit. Er richtet sich ausdrücklich gegen die Vorstellung der Seele als ein weißes Blatt Papier. Vgl. Sulzer (1773), „Observations sur quelques propriétés de l’ame“, S. 395; vgl. Sulzer (1773), „Gedanken über einige Eigenschaften der Seele“, S. 355. Auch in einer seiner letzten Akademieschriften zieht er die Philosophie Leibniz’ derjenigen Lockes vor. Vgl. Sulzer (1781), „Ueber die Unsterblichkeit der Seele“, S. 45–46. 1755 hatte er Locke noch als großen Weltweisen bezeichnet. Vgl. Hume (1755), Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis, S. 5.

465

Vgl. Johann Georg Sulzer, „Explication d’un paradoxe psychologique; Que non seulement l’homme agit & juge quelquefois sans motifs & sans raisons apparentes, mais même malgré des motifs pressans & des raisons convainquantes“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1759, Berlin 1766, S. 433–450, hier: S. 443; vgl. Johann Georg Sulzer, „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes: Daß der Mensch zuweilen nicht nur ohne Antrieb und ohne sichtbare Gründe, sondern selbst gegen dringende Antriebe und überzeugende Gründe handelt und urtheilet“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 99–121, hier: S. 112.

466

Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 418. „Man sieht sogleich, daß uns die Sinne nicht die Ideen von den Körpern selbst, sondern nur von einigen auf die Sinne sich beziehenden Eigenschaften derselben geben. Das Gesicht z. B. verschafft uns nichts anders als die Ideen der Ausdehnung, der Gestalten, der Farben und der Bewegung; und wenn wir nur diesen einzigen Sinn hätten, so würden wir gar keine Idee von der Stärke eines Körpers, von der Dichtigkeit, von der Härte, von der Wärme und Kälte u. s. w. haben. Hieraus erhellet, daß, wenn die Körper Eigenschaften haben, die sich auf keinen von unsern Sinnen beziehen, wir gar keine sinnliche Idee davon haben.“ Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 249.

467

Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 418. „Was ihre Beschaffenheit angeht, so ist es offenbar, daß uns die Natur und Einrichtung der Organen gleichsam nöthiget, uns jede sinnliche Eigenschaft der Körper als ein gewisses Ding vorzustellen, oder uns ein gewisses Bild davon zu machen, welches sehr verschieden seyn würde, wenn eben dieselbe Eigenschaft einen anders organisirten Sinn rührte.“ Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 250. Mit den Sinnestäuschungen beschäftigt sich Sulzer gegen Ende seiner Schrift über die Vernunft. Vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 436; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 272–273.

468

Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 419. „Nichts ist von der Natur der Dinge weiter entfernt, als unsre Ideen von dem Lichte und von den Farben: inzwischen begreifen wir doch sehr wohl, daß der Sinn des Gesichtes hätte dergestalt organisirt seyn können, daß wir es empfunden hätten, daß die Farben von der Vibration, welche die erleuchteten Körper in einem äußerst feinen Fluido hervorbringen, entstehen, und daß wir die Farben durch die einer jeden eigenen Vibrationen unterschieden hätten. Ein solches Gesicht aber würde uns das vernünftige Denken und Schließen über das Licht und die Farben erleichtert haben. Da sich die übrigen Sinne in eben dem Falle befinden, so können wir behaupten, daß die Vernunft, in so weit sie sich auf die Körperwelt bezieht, gänzlich von der Art der jedem Sinne eigenen Organisation abhängt.“ Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 251.

469

Vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 420; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 251–252. Dass scharfe Sinne zur Ausbildung der Vernunft jedoch nicht ausreichen, zeigt Sulzer mit Verweis auf die zum Teil schärferen Sinne der Tiere; vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 420–426; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 252–260; vgl. Hume (1755), Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis, S. 39–41.

470

Vgl. Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 354 und S. 358; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 55 und S. 60.

471

Vgl. Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 370–371; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 74–75. Foucault zeichnet diese Auffassung eines qualitativen Einflusses der physischen Beschaffenheit der Nerven auf die geistige Gesundheit eines Menschen in medizinischen Schriften des 18. Jahrhunderts nach. Vgl. Foucault (1972), Histoire de la folie à l’âge classique, S. 342–343 und S. 366–374.

472

Vgl. Sulzer (1754), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 361–364; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 64–67.

473

Sulzer (1954), „Recherches sur l’origine des sentiments. Troisième partie“, S. 364. „Unmöglich kann man aber diese Theorie durch Erfahrungen der Sinne selbst bestätigen, weil uns diese Erfahrungen nichts von der Art und Weise sagen, wie die Sinne durch die Gegenstände gerührt werden, sondern dieses nur errathen werden muß.“ Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 67–68.

474

Johann Georg Sulzer, „Sur l’apperception et son influence sur nos jugemens“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1764, Berlin 1766, S. 415–434, hier: S. 415. „metaphysische Theorie des Menschen […] Physik der Seele […].“ Johann Georg Sulzer, „Von dem Bewußtseyn und seinem Einflusse in unsre Urtheile“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 199–224, hier: S. 199.

475

„Es gehört zu den Besonderheiten der philosophischen Diskussion im Deutschland des 18. Jahrhunderts, dass materialistische Theorien in der Philosophie des Geistes eine Ausnahme blieben, zugleich aber die Auseinandersetzung mit dem Materialismus breiten Raum einnahm.“ Wunderlich (2011), „Johann Georg Sulzers Widerlegung des Materialismus“, S. 37. Wunderlich unterstreicht, dass die Kritiker des Materialismus von der Annahme ausgingen, der Materialist führe alle Phänomene – auch das Denken und die Seele – auf mechanische Gesetze zurück. Vor diesem Hintergrund zeige sich, dass Sulzer sich klar gegen den Materialismus positioniere. Dringlich erscheine ihm die Auseinandersetzung mit der materialistischen Wahrnehmungtheorie dennoch, da – so Wunderlich – Albrecht von Hallers Experimente (Irritabilität) die Möglichkeit nahelegten, dass Körper von sich aus Bewegung hervorbringen könnten, die empiristischen und materialistischen Theorien angelsächsicher und französischer Autoren nach 1750 intensiv rezipiert würden und Sulzer seine ‚Physik der Seele‘ gegen den Verdacht des Materialismus zu schützen suche. Vgl. ebd., S. 40–48; vgl. Gideon Stiening, „Zur physischen Anthropologie einer ‚Unsterblichkeit der Seele‘“, in: Frank Grunert/ders. (Hgg.), Johann Georg Sulzer (1720–1779). Aufklärung zwischen Christian Wolff und David Hume, Berlin 2011, S. 57–81, hier: S. 60–62 und S. 67–68.

476

Sulzer (1766), „Sur l’apperception et son influence sur nos jugemens“, S. 415–416. „Diese zwo Wissenschaften stehen in eben demselben Verhältnisse gegen einander, welches zwischen der empirischen und gelehrten Arzneykunst statt hat. Die eine sammelt die Facta, und beobachtet alles, was irgend eine der Gesundheit zuträgliche Veränderung hervorbringt; die andere setzet diese Facta auseinander, erforschet ihre Verbindungen und Ursachen, und hat die Festsetzung eines richtigen Systems zur Absicht, welches den Urtheilen über die Natur der Krankheiten, und über die Heilungsmittel derselben zu einem sichern Grund diene.“ Sulzer (1773), „Von dem Bewußtseyn und seinem Einflusse in unsre Urtheile“, S. 199; vgl. Stefanie Buchenau, „Sulzers ‚Physik der Seele‘ zwischen Medizin und Philosophie“, in: Élisabeth Décultot/Philipp Kampa/Jana Kittelmann (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 36–50, hier: S. 39. Adler erinnert daran, dass Sulzer den Begriff der Experimentalphysik der Seele in d’Alemberts „Discours préliminaire“ finden konnte. D’Alembert charakterisiert dort Lockes Essay als „Physique expérimentale de l’ame“: „Pour connoître notre ame, ses idées & ses affections, il n’étudia point les livres, parce qu’ils l’auroient mal instruit; il se contenta de descendre profondement en lui-même; & après s’être, pour ainsi dire, contemplé long-tems, il ne fit dans son Traité de l’entendement humain que présenter aux hommes le miroir dans lequel il s’étoit vû. En un mot il réduisit la Métaphysique à ce qu’elle doit être en effet, la Physique expérimentale de l’ame […].“ Le Rond d’Alembert (1751), „Discours préliminaire des éditeurs“, S. XXVII. Vgl. Adler (2014), „Einleitung. J. G. Sulzers Kurzer Begriff aller Wissenschaften“, S. LXX. Wie Sulzer unterscheidet d’Alembert die Erforschung der materiellen Welt klar von der Physik der Seele.

477

Sulzer (1766), „Sur l’apperception et son influence sur nos jugemens“, S. 416. „Die Philosophen verstehen durch das Wort Bewußtseyn (apperceptio) diejenige Handlung des Geistes, wodurch wir unser Wesen von den Ideen, welche uns beschäftigen, unterscheiden, und also deutlich wissen, was wir thun, und was in uns und um uns vorgeht.“ Sulzer (1773), „Von dem Bewußtseyn und seinem Einflusse in unsre Urtheile“, S. 200. Ohne Sulzer namentlich zu erwähnen, verweist Herder 1770 in einer Fußnote auf dessen Akademieschrift zum Bewusstsein: „Eine der schönsten Abhandlungen das Wesen der Apperzeption aus physischen Versuchen, die so selten die Metaphysik der Seele erläutern! ins Licht zu setzen, ist die in den Schriften der berlinschen Akademie von 1764.“ Herder (1985), „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“, S. 722.

478

Sulzer (1766), „Sur l’apperception et son influence sur nos jugemens“, S. 417. „Unter denen Körpern, die unsre Sinne rühren, sehen und empfinden wir einen, der so beständig und so wesentlich mit unsrer Existenz verbunden ist, daß wir ihn unsern Körper, oder auch uns selbst nennen.“ Sulzer (1773), „Von dem Bewußtseyn und seinem Einflusse in unsre Urtheile“, S. 201–202.

479

Sulzer (1766), „Sur l’apperception et son influence sur nos jugemens“, S. 418. „[A]bsolute Idee von sich selbst […].“ Sulzer (1773), „Von dem Bewußtseyn und seinem Einflusse in unsre Urtheile“, S. 203.

480

Sulzer (1766), „Sur l’apperception et son influence sur nos jugemens“, S. 418. „Die Seele würde also ohne die materialische Welt nichts anders als eine todte Kraft seyn, die in einer ewigen Unwirksamkeit bleiben würde. Wenn sie wirken soll, muß sie schlechterdings von außen gereizt werden.“ Sulzer (1773), „Von dem Bewußtseyn und seinem Einflusse in unsre Urtheile“, S. 205; vgl. Sulzer (1773), „Observations sur quelques propriétés de l’ame“, S. 408; vgl. Sulzer (1773), „Gedanken über einige Eigenschaften der Seele“, S. 373. 1775 leitet Sulzer aus diesen Überlegungen die These ab, die menschliche Seele verbinde sich nach dem Tod mit einem neuen Körper (Paligenese). Vgl. Sulzer (1777), „Sur l’immortalité de l’ame“, S. 359–361; vgl. Sulzer (1781), „Ueber die Unsterblichkeit der Seele“, S. 1–4. Zur Verbindung dieser Vorstellung der Seelenwanderung mit der Hypothese der Steigerung der Sinnesleistung oder des Erwerbs neuer Sinne in etwa zeitgleich erschienenen Schriften Lessings („Daß mehr als fünf Sinne für den Menschen seyn können“) und Lavaters vgl. Hilliard (2016), „‚Des Geistes schärfres Auge‘. Lessing über die Sinnlichkeit“, S. 19–20.

481

Vgl. Sulzer (1777), „Sur l’immortalité de l’ame“, S. 366; vgl. Sulzer (1781), „Ueber die Unsterblichkeit der Seele“, S. 11.

482

Sulzer (1779), „Sur l’immortalité de l’ame. Troisieme mémoire“, S. 353. „Wenn man mich frägt, warum dieser Fall nur durch die Dazwischenkunst eines organisirten Körpers wirklich werden kann: so antworte ich, daß, ohne diesen organisirten Körper, die Seele vielleicht einer unendlichen Menge von Sensationen, welche sie alle zu gleicher Zeit anfallen würden, ausgesetzt seyn würde; denn die Zahl der Kräfte, welche sich unaufhörlich in der Natur entwickeln, und in allen Punkten der Welt wirksam sind, ist fast unendlich. Und durch diese unendliche Zahl von Sensationen, welche die Seele, in jedem Augenblick, empfinden würde, müßte sie, natürlicher Weise, nun in eine Verwirrung gestürzt werden, bey welcher sie keine Sensation von der andern besonders unterscheiden könnte, und hieraus würde ein Zustand von Sinnlosigkeit entstehen, der sie ganz unempfindlich machen müßte. Wir sehen etwas, diesem Zustande ähnliches, bey gewissen Fällen, wo der Mensch das Gefühl verliert, weil er zu viel auf einmahl gefühlt hat.“ Sulzer (1781), „Ueber die Unsterblichkeit der Seele“, S. 49.

483

Vgl. Daniel Dumouchel, „‚Tiefen der Seele‘. Veränderte Zustände und psychologische Paradoxe. Die empirische Psychologie bei J. G. Sulzer“, in: Élisabeth Décultot/Philipp Kampa/Jana Kittelmann (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 14–35, hier: S. 17.

484

Sulzer (1766), „Sur l’apperception et son influence sur nos jugemens“, S. 426–427. „Die wahren antreibenden Kräfte in der Seele sind vors erste die sinnlichen Empfindungen, dann so wohl die klaren, aber sehr verworrenen, als auch die bis zu einem gewissen Grade dunkeln Vorstellungen. Keine einzige deutliche Idee kann bewegen; sie kann bloß die Aufmerksamkeit leiten.[…] Eine sinnliche Empfindung also, sie sey klar oder dunkel, wenn sie nur stark genug ist, die Erschütterung einem beträchtlichen Theile des Nervensystems mitzutheilen, zieht alle Kräfte der Seele an sich.“ Sulzer (1773), „Von dem Bewußtseyn und seinem Einflusse in unsre Urtheile“, S. 213–214.

485

Vgl. Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 420; vgl. Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 252.

486

Sulzer (1765), „Analyse de la raison“, S. 427. „Ich bemerke also, daß es, ausser den Augenblicken, da wir bewegt oder von einer Leidenschaft eingenommen sind, noch andere giebt, in welchen wir zerstreut und aller Anstrengung unfähig sind, ohne daß wir die Ursachen dieser Unfähigkeit wüßten; und ich sage, daß sie von einer Leidenschaft herkömmt, die wir nur dunkel empfinden.“ Sulzer (1773), „Zergliederung des Begriffs der Vernunft“, S. 260.

487

Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 435. „In Amerika soll es bezaubernde Schlangen geben, die mit ihrem Anblicke die Vögel zwingen unter ihre Zähne zu fallen. Die Schlange, sagt man, stellet sich unten an einem Baume hin, und zieht die Augen des Vogels auf sich. Der Unglückliche heftet, als ein Schlachtopfer dieser Bezauberungen, seine Augen auf den offenen Mund dieses fräßigen Thiers, sieht darinnen sein Grab, und stürzet sich wider seinen Willen hinein. Indem er ein verzweifelndes Geschrey erhebt, und sich alle Mühe giebt, zu entfliehen, steigt er von einem Zweige zum andern, und stürzet sich endlich vermöge einer unbekannten Kraft, der er vergeblich widersteht, in den Rachen der Schlange. Diese Geschichte ist, sie mag wahr oder falsch seyn, ein vollkommenes Bild der Sclaverey, von welcher wir reden […].“ Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 101–102.

488

Vgl. Élisabeth Décultot, „Die Schattenseiten der Seele. Zu Johann Georg Sulzers Theorie der dunklen Vorstellungen“, in: Hans Adler/Rainer Godel (Hgg.), Formen des Nichtwissens der Aufklärung, München 2010, S. 263–278.

489

Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 440. „Kurz, alle Kräfte der Seele können sich auf zweyerley Art äußern: auf eine deutliche und so, daß wir wissen, was wir thun, und uns davon Rechenschaft geben können; oder auf eine dunkle Art und so, daß wir selbst nicht wissen, wie die Sache in uns vorgeht.“ Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 108.

490

Vgl. Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 439–440; vgl. Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 107. 1771 definiert Sulzer das Gedicht anhand des Vergleichs mit dem Blick über eine Landschaft. Im Unterschied zur Philosophie zeichne die Dichtung keinen Grundriss und keine Landkarte, sondern eine perspektivische Zeichnung oder ein Gemälde: „Ein Gedicht gleicht einer gemahlten Landschaft, auf welcher der größte Theil der Gegenstände in einer Entfernung stehet, in der sie nur überhaupt gesehen werden, und, nur im Ganzen betrachtet, die allgemeine Vorstellung eines fruchtbaren, oder wilden, eines reichen oder eines magern, eines einsamen oder bewohnten Landes, erweken; einige besondere Gegenstände aber werden nahe an dem Vorgrund einzeln wol ausgezeichnet, daß man sie groß, wie in der Nähe sieht, und auch die einzeln Theile daran unterscheidet.“ Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 452 („Gemählde (Redende Künste)“); vgl. ebd., S. 453–454 („Gemählde (Redende Künste)“).

491

Vgl. Hobbes (1966), Elements of Philosophy, S. 448; vgl. Hobbes (1983), Thomas Hobbes’ A Minute or First Draught of the Optiques, S. 80–82 und S. 334. Im ersten Teil von Hobbes’ „Tripos in Three Discourses“ (1640) kommt das Herz bei der Beschreibung des Wahrnehmungsvorgangs jedoch nicht vor. Vgl. Hobbes (1966), „Hobbes’ Tripos in Three Discourses“, S. 7; vgl. Prins (1996), „Hobbes on Light and Vision“, S. 141. Zum Mittelalter vgl. Kärkkäinen (2014), „The Senses in Philosophy and Science“, S. 117–118.

492

Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 443. „Bey der bloßen Vorstellung wirken nur die Nerven des Gehirns, und je mehr die Vorstellung zusammengesetzt ist, desto größer ist die Anzahl der sich bewegenden Nerven. Wenn sich die Vorstellung in Empfindung verwandelt, so theilt sich diese Bewegung den Nerven der Brust mit. Das Gehirn scheint also der Sitz der Gedanken, und das Zwerchfell der Sitz der Empfindung und der unsern Willen ausrichtenden Kräfte der Seele zu seyn.“ Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 112.

493

Vgl. Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 444; vgl. Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 113–114.

494

Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 444. „Man überreichet mir eine Schrift. Erst sehe ich dieselbe nur im Ganzen und verworren; ich sehe schwarze Zeilen auf einem weißen Grunde, und nehme dabey im Ganzen eine gewisse Ordnung und Zierlichkeit wahr. So lange die Wirkung meines Auges auf das ganze Blatt gerichtet ist, kann ich kein Wort davon lesen.“ Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 113. Das Beispiel befindet sich bereits bei Jurin. Vgl. James Jurin, „An Essay upon Distinct and Indistinct Vision“, in: Robert Smith, A Compleat System of Opticks. In Four Books, viz. A Popular, a Mathematical, a Mechanical, and a Philosophical Treatise. To which are Added, Remarks upon the Whole. Band II, Cambridge 1738, S. 115–171, hier: S. 132–133.

495

Vgl. Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 445; vgl. Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 114–115.

496

Vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 1146–1147 („Täuschung (Schöne Künste)“).

497

Sulzer (1782), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 22.

498

Vgl. Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 446–447; vgl. Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 116.

499

Sulzer (1766), „Explication d’un paradoxe psychologique“, S. 447. „Dieß ist, wo ich nicht irre, der wahre Ursprung der tyrannischen Macht der Vorurtheile, der Leidenschaften, der vorgefaßten Meynungen, und so vieler andern Feinde der Vernunft. Sie stehen in den dunkeln Gegenden der Seele, wo man ihre feindlichen Bewegungen und listigen Unternehmungen nicht eher gewahr wird, bis es zu spät ist, sich dagegen zu setzen, und eben dieses verschaffet ihnen fast immer einen unfehlbaren Sieg.“ Sulzer (1773), „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“, S. 117.

500

Sulzer vertritt diese scharfe Trennung von Vorstellungs- und Empfindungsvermögen nur Ende der 1750er Jahre und nimmt sie 1763 wieder zurück. Anders die These Riedels, der Sulzers Akademieschrift von 1763 als Bestätigung der 1759 vorgenommenen Trennung von Vorstellung und Empfindung liest und hieraus eine anthropologische Wende ableitet, deren Kern in der „Prädominanz von Empfindungen und dunklen Vorstellungen“ bestehe. Riedel (2017), „Erkennen und Empfinden“, S. 21; vgl. Stiening (2011), „Zur physischen Anthropologie“, S. 58. Vielmehr scheint die klare Trennung in der Akademieschrift von 1759 der hier im Zentrum stehenden Begründung nicht rational beherrschbarer Gefühle geschuldet zu sein, die – sobald es um andere Themen geht – nicht mehr in dieser Form vertreten wird; vgl. Lattanzi (2018), „Sulzers Begriff der ‚angenehmen Empfindung‘ (1751–1773)“, S. 54–56.

501

Johann Georg Sulzer, „Observations sur les divers états où l’ame se trouve en exerçant ses facultés primitives, celle d’appercevoir et celle de sentir“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1763, Berlin 1770, S. 407–420, hier: S. 407. „So mannichfaltig auch die Wirkungen der Seele zu seyn scheinen, so laufen sie doch alle auf die Anwendung zweyer Vermögen, welche die Quellen aller ihrer übrigen Bestimmungen und Veränderungen sind, hinaus. Das eine ist das Vermögen, sich etwas vorzustellen, oder die Beschaffenheiten der Dinge zu erkennen; das andere, das Vermögen zu empfinden, oder auf eine angenehme oder unangenehme Art gerührt zu werden.“ Johann Georg Sulzer, „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand, worinn sich die Seele bey Ausübung ihrer Hauptvermögen, nämlich des Vermögens, sich etwas vorzustellen, und des Vermögens zu empfinden, befindet“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 225–243, hier: S. 225; vgl. Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 413–414; vgl. Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 233–234.

502

Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 410. „[B]ey der Empfindung ist die Seele bloß mit sich selbst beschäfftiget.“ Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 229–230; vgl. Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 411; vgl. Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 230–231; vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 1083–1088 („Sinnlich (Schöne Künste)“).

503

1767 kommt Sulzer erneut auf den Sehsinn zu sprechen. Aufgrund der Schwäche, mit der die Lichtstrahlen unter normalen Bedingungen auf die Retina träfen, ermögliche der Sehsinn dem Menschen, auf die Empfindungen in den Sinnesorganen selbst nicht zu achten und eine Vorstellung äußerer Gegenstände zu erwerben. Sulzer weist deswegen dem Sehsinn eine entscheidende Rolle bei der Begriffsbildung zu. Vgl. Sulzer (1769), „Observations sur l’influence réciproque“, S. 416; vgl. Sulzer (1773), „Anmerkungen über den gegenseitigen Einfluß“, S. 170–171.

504

Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 412. „So bald das Licht zu stark ist, rühret es das Auge auf eine ihm beschwerliche Art; es fühlet sich geblendet, und die Seele bemerket nicht mehr bloß den Gegenstand, den sie vor sich hat, sondern sie empfindet auch den Zwang, der dem Werkzeuge des Sehens angethan wird. Der Glanz des Lichts rühret die Augennerven dergestalt, daß sich das Sehen in Fühlen verwandelt.“ Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 231. Ein weiteres von Sulzer angeführtes Beispiel ist die Beobachtung einer Schießübung, die so lange ruhig betrachtet und berechnet wird, wie sich das Geschoss nicht auf das Publikum zubewegt. Vgl. Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 412; vgl. Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 231–232. In der Allgemeinen Theorie der schönen Künste formuliert Sulzer diese Überlegungen im Abschnitt über die ‚Begeisterung‘. Vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 137–138 („Begeisterung (Schöne Künste)“).

505

Dies spricht gegen Udo Thiels Annahme, Sulzer unterscheide streng zwischen der Vorstellung eines äußeren Gegenstandes und der Selbstempfindung der Seele. Eine solche klare Unterscheidung findet sich nur in der Schrift „Explication d’un paradoxe psychologique“ (1759) und dient hier vor allem der Akzentuierung. Dass es sich nicht um eine dauerhafte Position handelt, zeigen seine vor und nach dieser Schrift veröffentlichten Abhandlungen. Hinzu kommt, dass Sulzer davon ausgeht, dass sowohl die Empfindung als auch die Vorstellung im Bereich der bewussten Wahrnehmung liegen. Er unterscheidet beide von unbewussten Zuständen wie dem Schlaf. Vgl. Thiel (2011), „Sulzer über Bewusstsein im Kontext“, S. 36.

506

Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 416. „So überlassen wir uns der Betrachtung einer schönen Landschaft; das Auge durchläuft schnell die verschiedenen Gegenstände, die es darinnen unterscheidet, es verweilt sich einen Augenblick bey einem jeden derselben, ohne ihn näher zu untersuchen; und der Geist, der sich so jeden Theil insbesondere vorstellet, genießt auf einen Augenblick des angenehmen Eindrucks, den dieser Gegenstand auf ihn machet. Alles geschieht ohne Anstrengung; die Eindrücke berühren die Seele nur obenhin; man befriediget sich mit verworrenen Ideen, und verlanget nicht, sie ganz deutlich zu machen.“ Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 237.

507

Vgl. Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 408–409; vgl. Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 227.

508

Vgl. Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 409; vgl. Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 228. Sulzer leitet hieraus die Geschäftsuntüchtigkeit von Menschen ab, die sich mit deutlichen Vorstellungen beschäftigen, da sie sich keinen Überblick über die Breite eines wirtschaftlichen Unternehmens verschaffen könnten. Vgl. Sulzer (1770), „Observations sur les divers états“, S. 417; vgl. Sulzer (1773), „Anmerkungen über den verschiedenen Zustand“, S. 239.

509

1769 wendet Sulzer diesen Gedanken auf die Moral an. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Considérations psychologiques sur l’homme moral“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1769, Berlin 1771, S. 361–380, hier: S. 370–371; vgl. Johann Georg Sulzer, „Psychologische Betrachtungen über den sittlichen Menschen“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 282–306, hier: S. 293–294.

510

Johann Georg Sulzer, „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences et Belles-lettres. Année 1765, Berlin 1767, S. 475–492, hier: S. 476. „[D]amit er bleibende Wirkungen in dem Verstande und dem Herzen des Menschen hervorbringe […].“ Johann Georg Sulzer, „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, in: ders., Johann George Sulzers vermischte Philosophische Schriften. Aus den Jahrbüchern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Erster Theil, Leipzig 1773, S. 122–145, hier: S. 123. Vesper unterstreicht: „Wertvoll sind die schönen Künste nach Sulzer, weil sie zu tugendhaftem Handeln bewegen können. Er vertritt aber nicht nur die Ansicht, dass die schönen Künste in der Lage sind, zu Handlungen zur Realisierung des Guten zu motivieren. Zumindest in einigen Texten behauptet er weitergehend, dass nur die schönen Künste für die Motivation zu Handlungen zur Realisierung des Guten in Frage kommen.“ Vesper (2011), „Sulzer über die schönen Künste“, S. 170. Heinz sieht in dieser „platonisch anmutende[n] Kopplung des ‚Schönen – Wahren – Guten‘“ den Einfluss des physikotheologischen Weltbildes auf Sulzers Kunsttheorie. Heinz (2011), „‚Für Weltleute hinreichend‘“, S. 203.

511

Vgl. Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 475–476; vgl. Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 122–123.

512

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 476. „In dem letzten Aufsatze, den ich der Akademie vorzulesen die Ehre gehabt, habe ich gezeigt, daß die Seele, so oft sie sich den Eindrücken der äussern Dinge überläßt, in einen von denen drey Zuständen gerathe, welche ich den Zustand des Nachdenkens, den Zustand der Betrachtung (contemplation) und den Zustand der Bewegung (emotion) genannt habe. Die Vollkommenheit, die wir an einer Sache wahrnehmen, heißt uns darüber nachdenken, die Schönheit reißt uns zur Beschauung oder Betrachtung derselben fort, und die Energie bringt die Bewegung hervor. Wenn wir also die Ursachen der Bewegung entdecken können, so werden wir daraus die verschiedenen Arten der Energie kennen lernen.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 124.

513

1774 entwirft Sulzer hier eher ein Stufenmodell: „Sie [i. e. das allgemeine Ideal der Schönheit] wird durch blos sinnliche Annehmlichkeit die äußern Sinnen, oder die Einbildungskraft reizen, und die Aufmerksamkeit an sich loken, bey näherer Betrachtung aber wird sie durch innerliche, dem schönen Stoff inhaftende Vollkommenheit, den Verstand reizen, und ihm lebhafte Begriffe von Wahrheit, Weißheit und Vollkommenheit, empfinden lassen, an denen ein denkendes Wesen hohes Wolgefallen hat; denn wird sie auch das Herz mit Empfindungen des Guten erwärmen; sie wird einen Werth, eine auf Seeligkeit abziehlende Würksamkeit zeigen, die uns mit Liebe und inniger Zuneigung für sie erfüllet.“ Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 1044–1045 („Schönheit“).

514

Vesper (2011), „Sulzer über die schönen Künste“, S. 174. Allerdings muss unterstrichen werden, dass Sulzer hier nicht klar trennt: „Ob man gleich die Vernunft, das sittliche Gefühl und den Geschmak, als drey völlig von einander verschiedene Vermögen des Geistes ansieht, durch deren Anwachs und Entwiklung der Mensch allmählig vollkommener wird, so sind sie im Grund ein und dasselbe Vermögen auf verschiedene Gegenstände angewendet. […] Dieselben Anlagen, wodurch der Mensch zur Vernunft kömmt, bringen ihn auch zum Geschmak und zum sittlichen Gefühl.“ Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 463–464 („Geschmak (Schöne Künste)“).

515

Ebd., S. 312 („Empfindung (Schöne Künste)“).

516

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 476–477. „[D]ie schnelle Unterbrechung der Folge unsrer Vorstellungen […].“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 124.

517

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 477. „Dann wendet die Seele ihre Augen von dem Gemälde ab, um sie auf sich selbst, auf ihren Zustand, auf die Art ihrer Existenz in dem gegenwärtigen Augenblicke zu richten. Diese Veränderung wird allemal von einer stärkern oder schwächern Bestürzung begleitet, welche Bewegung hervorbringt.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 124–125.

518

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 478. „Alles also, was neu, unerwartet, ausserordentlich, wunderbar ist, was die Einförmigkeit unterbricht und die Aufmerksamkeit erhöhet, gehöret zu dieser Gattung von Energie.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 126. In seiner Allgemeinen Theorie der schönen Künste nimmt Sulzer deswegen an, dass besonders eine unerwartete Ähnlichkeit zwischen dem Kunstwerk und dem dargestellten Gegenstand den Menschen rühre. Vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 15 („Aehnlichkeit (Schöne Künste überhaupt)“); vgl. ebd., S. 44 („Allgemein (Schöne Künste)“); vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 602–603 („Kraft (Schöne Künste)“); vgl. ebd., S. 815–818 („Neu (Schöne Künste)“).

519

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 477. „[E]ine neue Stärke, welche zuweilen unsre gegenwärtigen Vorstellungen bekommen […].“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 124.

520

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 479. „[E]ine vollkommene mit Heiterkeit verbundene Stille […].“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 127.

521

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 480. „[D]aß uns das, was wahr, was schön, was klar ist, bloß gefällt, und daß uns hingegen dasjenige, was vorzüglich wahr, oder schön, oder klar ist, ganz einnimmt und entzücket.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 128.

522

Vgl. Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 480; vgl. Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 128–129.

523

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 481. „Da sie überhaupt in einer Vollkommenheit besteht, die vor unsrer gewöhnlichen Art, uns die Dinge vorzustellen, große Vorzüge hat, so muß das Studium solcher Werke nothwendig die Vollkommenheit des Verstandes und der Einbildungskraft befördern.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 130.

524

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 483–484. „Der wilde, ungesittete Mensch genießt bloß die gröbsten Vergnügungen, die Früchte dessen, was er zur Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse der Natur thut; der unterrichtete, aufgeklärte Mensch hingegen genießt unzählige Annehmlichkeiten, welche der Geschmack allein gewähren kann. […] Sie [i. e. die Empfindlichkeit] machet den Menschen fähiger, durch eine gute Unterweisung vollkommener zu werden. So wie es unmöglich ist, einen dummen oder fühllosen Menschen zu bessern, weil er weder die Stärke der Vorstellungen, die man ihm thut, noch das Gewicht der Zuchtmittel, die man bey ihm gebraucht, empfindet, so läßt sich hingegen ein aufgeklärter Mensch, der durch die schönen Künste empfindlicher geworden ist, weit leichter und glücklicher bearbeiten. Oft ist ein einziges recht kräftiges Wort, dessen ganzen Nachdruck er fühlet, hinlänglich, ihn, nachdem er lange auf mancherley Irrwegen herumgewandelt, wieder auf den rechten Weg zu bringen.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 133; vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 612 („Künste; Schöne Künste“) und S. 813–814 („Natürlich (Schöne Künste)“). Vesper sieht in dieser anthropologischen Fundierung des teleologischen Konzepts der Ethik den Unterschied zu Wolffs Philosophie der Moral. Vgl. Vesper (2011), „Sulzer über die schönen Künste“, S. 178–181.

525

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 477. „[E]in merklicher Reiz von einer Sache, die sich unmittelbar auf unsre Gesinnungen und Leidenschaften bezieht.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 124. 1774 spricht Sulzer hier von „wesentlichen Kräften“ im Unterschied zu den „zufälligen Kräften“. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 602 („Kraft (Schöne Künste)“).

526

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 485. „[U]ntern Kräfte der Seele, in welchen sie Verlangen oder Abscheu hervorbringen.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 135.

527

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 486. „[W]ahren Bewegungskräfte der Seele […].“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 136.

528

Sulzer spricht sich 1755 mit Verweis auf Hutcheson gegen die Annahme ‚innerer Sinne‘ aus, wenn sie als kategorial vom Verstand verschieden gedacht werden und damit – so Sulzer – Humes Skeptizismus begründen. Sulzer argumentiert, dass auch die angenehmen und unangenehmen Empfindungen beziehungsweise die sinnliche Erfahrung auf ‚einer Art‘ Überlegung beruhten und nicht allein dem vom Verstand nicht zu erfassenden Instinkt geschuldet seien. Er bezeichnet dies als Grundlage einer ‚Schattenphilosophie‘, welche die dunklen Bereiche der Seele als für den Verstand unzugänglich annehme. Vgl. Hume (1755), Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis, S. 132–133; vgl. Heiner F. Klemme, „Die Bedeutung der ‚Schattenphilosophie‘ für die ‚Philosophie der deutschen Schule‘. Über Johann Georg Sulzers Auseinandersetzung mit David Hume (1755)“, in: Élisabeth Décultot/Philipp Kampa/Jana Kittelmann (Hgg.), Johann Georg Sulzer – Aufklärung im Umbruch, Berlin/Boston 2018, S. 92–99. Klemme konzentriert sich in seinem kurzen Beitrag auf Sulzers Vorrede. Vgl. Hume (1755), Philosophische Versuche über die menschliche Erkenntnis, o. P. („Vorrede“).

529

Vgl. Sulzer (1753), „Recherches sur l’origine des sentimens. Seconde partie“, S. 77; vgl. Sulzer (1773), „Untersuchung über den Ursprung“, S. 24.

530

Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. III („Vorrede“). Sulzer bezeichnet dieses Gefühl auf derselben Seite auch als „Nerven der Seele“.

531

Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. III („Vorrede“). Im Artikel „Empfindung (Schöne Künste)“ sieht Sulzer zwei Bedeutungen desselben Wortes. Als psychologischer Begriff sei die Stärke des Sinneseindrucks, als moralischer Begriff die Dauer des Eindrucks entscheidend: „Dieses Wort drükt sowol einen psychologischen als einen moralischen Begriff aus […]. In dem erstern Sinn, der allgemeiner ist, wird die Empfindung der deutlichen Erkenntnis entgegen gesetzt, und bedeutet eine Vorstellung, in so fern sie einen angenehmen oder unangenehmen Eindruk auf uns macht, oder in so fern sie auf unsre Begehrungskräfte würkt, oder in so fern sie die Begriffe des Guten oder Bösen, des Angenehmen oder Widrigen erwekt […]. In moralischem Sinn ist die Empfindung ein durch öftere Wiederholung zur Fertigkeit gewordenes Gefühl, in so fern es zur Quelle gewisser innerlicher oder äusserlicher Handlungen wird. So sind Empfindungen der Ehre, der Rechtschaffenheit, der Dankbarkeit, Eindrüke, die gewisse Gegenstände so oft auf uns gemacht haben, daß sie, wenn ähnliche Gegenstände wieder vorkommen, schnell in uns entstehen, und sich als herrschende Grundtriebe der Handlungen äussern.“ Ebd., S. 311–312 („Empfindung (Schöne Künste)“).

532

Ebd., S. IV („Vorrede“). Im zweiten Teil der Allgemeinen Theorie führt Sulzer diese Wirkung der Kunst auf die Natur zurück, in der das Hässliche bereits schädlich, das Schöne jedoch nützlich sei. Vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 610–611 („Künste; Schöne Künste“).

533

Vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. V („Vorrede“).

534

Vgl. ebd., S. 21 („Aesthetik“); vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 623 („Künste; Schöne Künste“).

535

„Aesthetik. Die Philosophie der schönen Künste, oder die Wissenschaft, welche sowol die allgemeine Theorie, als auch die Regeln der schönen Künste aus der Natur des Geschmaks herleitet. Das Wort bedeutet eigentlich die Wissenschaft der Empfindungen […].“ Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln. Erster Theil, S. 20 („Aesthetik“). Ähnlich bereits 1760 in der Ankündigung der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste, die Sulzer von Gottscheds im selben Jahr erschienenen Handlexicon abzugrenzen sucht. Vgl. Johann Georg Sulzer, „Acht und siebenzigster Brief. Herr Prof. Sulzers Schreiben von dem Unterschiede seines Wörterbuchs der schönen Wissenschaften und des Gottschedischen Handlexicons“, in: Briefe, die Neueste Litteratur betreffend. Vter Theil, Berlin 1760, S. 33–61, hier: S. 40–41.

536

Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 22 („Aesthetik“). Im Wesentlichen übernimmt Sulzer hier seine in den Akademieschriften entwickelte Theorie der Sinnesempfindung: „Zum ästhetischen Stoff gehört alles, was vermögend ist, eine, die Aufmerksamkeit der Seele an sich ziehende, Empfindung hervor zu bringen. Solche Empfindungen können aber nicht ohne die selbstthätige Mitwürksamkeit der Seele hervor gebracht werden. Also werden sie durch den ästhetischen Stoff mehr veranlasset, als hervorgebracht.“ Ebd. Im Artikel „Angenehm“ geht Sulzer davon aus, dass die Aspekte des Kunstwerks, welche das Vorstellungsvermögen tätig werden lassen (zum Beispiel Vollkommenheit, Ordnung, Deutlichkeit, Wahrheit), auch als ästhetisch zu bezeichnen seien. Vgl. ebd., S. 54 („Angenehm (Schöne Künste)“).

537

Besonders starken Eindruck auf die Empfindungen schreibt Sulzer der Musik zu. Er nimmt jedoch an, dass die Dichtung mit Tanz, Musik und Gesang eng verwandt sei. Vgl. Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 487–492; vgl. Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 137–144; vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 246–247 („Dichter“).

538

Ebd., S. 21 („Aesthetik“). 1760 unterstreicht Sulzer, dass aus der Beschäftigung mit einzelnen Gattungen oder Werken allgemeine Erkenntnisse über das Wesen des Schönen und das Empfindungsvermögen der Seele gewonnen werden sollen. Sulzer (1760), „Acht und siebenzigster Brief“, S. 40. Sulzers Formulierung erinnert an die alphabetische Ordnung der Allgemeinen Theorie. Diese und die mangelnde Erfahrung Sulzers in der künstlerischen Praxis bilden die Hauptkritikpunkte der zeitgenössischen Rezeption. Vgl. Heinz (2011), „‚Für Weltleute hinreichend‘“, S. 191–194 und S. 205–206. Décultot ordnet diese alphabetische Ordnung der Allgemeinen Theorie in die Geschichte der Versuche einer systematischen Darstellung der Künste (Perrault, Batteux, Lacombe) ein und zeigt, dass Sulzer mit diesen Schriften vertraut ist. Vgl. Décultot (2011), „Johann Georg Sulzers ‚System der schönen Künste‘“, S. 218–221. Sulzer rechtfertigt die Wahl der alphabetischen Ordnung mit der besseren Zugänglichkeit des Werkes und unterstreicht, dass er keine systematische Darstellung der Künste – er versteht hierunter die lückenlose Erklärung des Weges jeder einzelnen Empfindung zum Kunstwerk – angestrebt habe. Vgl. Sulzer (1760), „Acht und siebenzigster Brief“, S. 39–40 und S. 55–56.

539

Vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 628 („Künstler“).

540

Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 489. „[E]r ist die Biene, welche uns die aus den Pflanzen gesammelten Säfte in Honig verwandelt wiedergiebt.“ Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 141; vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 140 („Begeisterung (Schöne Künste)“).

541

Ebd., S. 246 („Dichter“). Sulzer unterstreicht, dass das Empfindungsvermögen des Dichters durch den Verstand daran gehindert werde, zu ausschweifend oder verwirrt zu werden. Vgl. ebd., S. 247 („Dichter“); vgl. Sulzer (1767), „De l’energie dans les ouvrages des beaux-arts“, S. 491; vgl. Sulzer (1773), „Von der Kraft (Energie) in den Werken der schönen Künste“, S. 143.

542

„Denn eigentlich zeiget der Dichter seinen Gegenstand nicht, wie er in der Welt vorhanden ist, sondern wie sein fruchtbares Genie ihn bildet, wie seine Phantasie ihn schmüket, und was sein empfindungsvolles Herz noch dabey empfindet, läßt er uns mit geniessen. Wir sehen durch ihn mehr die Scenen, die seine Phantasie und sein Herz beschäftigen, als Scenen der Natur.“ Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 251 („Dichtkunst. Poesie“).

543

Ebd., S. 246–247 („Dichter“).

544

Ebd., S. 247 („Dichter“). „Nicht deswegen, daß durch die beste Theorie dieser Kunst ein Dichter könnte gebildet werden; denn nur die Natur kann dieses thun; sondern damit die, denen die Natur die Anlage gegeben, ihre Bestimmung deutlich erkennen lernten, und einen Weg vorgezeichnet fänden, auf welchem sie fortgehen müssen, um zu dem Grad der Grösse zu kommen, dessen ihr Genie fähig ist.“ Ebd., S. 258 („Dichtkunst. Poetik“). In seiner Vorrede zu einem Gedichtband von Anna Luise Karsch (1722–1791) sieht Sulzer seine Auffassung durch die bescheidenen Lebensumstände der Dichterin bestätigt und unterstreicht: „Wenn die Dichterin in Gesellschaft, oder in einsamen Stunden von irgend einem Gegenstand lebhaft gerührt wird, so wird ihr Geist plötzlich erhitzt; sie besitzt sich nicht mehr, jede Triebfeder der Seele wird rege, sie fühlt einen unwiderstehlichen Trieb zum Dichten, und schreibet das Lied, welches ihr die Muse eingiebt, mit bewundrungswürdiger Geschwindigkeit.“ Anna Luisa Karschin, Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. IX–X.

545

Hier sieht Sulzer den Unterschied von Dichtung und Rhetorik. Der Redner werde im Gegensatz zum Dichter von seinem Gegenstand nicht gerührt oder gar hingerissen. Vgl. Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 250 („Dichtkunst. Poesie“). Dasselbe gelte für den Historiker und den Zeichner. Vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 611–612 („Künste; Schöne Künste“). Zum Unterschied von Wissenschaft und Kunst vgl. ebd., S. 1085–1086 („Sinnlich (Schöne Künste)“).

546

Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 259 („Dichtungskraft. (Schöne Künste)“). Die Dichtungskraft müsse besonders dem Dichter eigen sein, da er seine Gegenstände (Sulzer nennt Charaktere, Sitten, Handlungen und Begebenheiten) dem Leser nicht – wie der bildende Künstler oder Tänzer – sinnlich vor Augen führen könne. Vgl. ebd., S. 259 („Dichtungskraft. (Schöne Künste)“).

547

Ebd., S. 247 („Dichter“); vgl. ebd., S. 292 („Einbildungskraft. (Schöne Künste)“). Im zweiten Teil der Allgemeinen Theorie unterstreicht Sulzer: „Die verfeinerte Sinnlichkeit kann gefährliche Folgen haben, wann sie nicht unter der beständigen Führung der Vernunft angebauet wird. Die abentheuerlichen Ausschweifungen der verliebten, oder politischen, oder religiösen Schwärmereyen, der verkehrte Geist fanatischer Sekten, Mönchs=Orden und ganzer Völker, was ist er anders, als eine von Vernunft verlassene und dabey noch übertriebene feinere Sinnlichkeit. […] Es ist im Grund einerley Empfindsamkeit, die Helden und Narren, Heilige und verruchte Bösewichter bildet.“ Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 614 („Künste; Schöne Künste“). Sulzer rechtfertigt mit dieser Überlegung in der Folge die politische Zensur der Kunst und nimmt im Artikel zur Kunst gar an, dass nur der „mit kalter Ueberlegung“ überarbeitete Entwurf – der zuvor im Zustand der Begeisterung entstanden ist – als Kunst bezeichnet werden solle. Die Wirkung des Kunstwerks hänge davon ab, ob es dem Betrachter natürlich erscheine. Ebd., S. 626 („Kunst; Künstlich“).

548

Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 251 („Dichtkunst. Poesie“).

549

Vgl. ebd., S. 292–293 („Einbildungskraft. (Schöne Künste)“) und S. 452–455 („Gemählde (Redende Künste)“).

550

„Die Einbildungskraft erschafft nichts neues, sie bringt nur das, was unsere Sinnen gerührt hat, wieder heran. Also muß sie durch Erfahrung bereichert werden. Der Künstler muß die Gegenstände seiner Kunst zuerst in der Natur gesehen oder empfunden haben, damit sie ihm hernach, wenn er sie gebraucht, wieder gegenwärtig seyen, damit ihre Menge und Mannigfaltigkeit ihm entweder eine gute Wahl verstatten, oder seiner Dichtungskraft Gelegenheit geben, desto glücklicher neue zu erfinden. Also muß er unaufhörlich seine Sinnen für jeden Gegenstand offen halten, daß ihm nichts entgehe; er muß den mannigfaltigen Scenen der Natur und des sittlichen Lebens der Menschen überall nachgehen, sie in mehrern Ländern und unter mehrern Völkern aufsuchen; aber ein scharfer Beobachtungsgeist muß ihn überall begleiten.“ Ebd., S. 294 („Einbildungskraft. (Schöne Künste)“); vgl. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 629 („Künstler“).

551

Sulzer (1771), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Erster Theil, S. 292 („Einbildungskraft. (Schöne Künste)“). „Hier ist nicht von der gröbern Sinnlichkeit die Rede, von dem blos thierischen Hang, undeutliche, von allem geistigen Wesen entblößte, nur den Körper reizende Empfindungen zu haben.“ Ebd., S. 293 („Einbildungskraft. (Schöne Künste)“). Im Artikel „Genie“ nimmt Sulzer jedoch an, dass bereits in den Nerven eine besondere Reizbarkeit verortet werden müsse: „Wär’ unser Ohr nichts als eine Oeffnung, das dem todten Schalle den Eingang in die Seele verstattete, und unser Auge nichts, als ein Fenster, wodurch das Licht fällt, so würde die Musik nichts, als eine bloße Rede, und die Mahlerey eine bloße Schrift seyn. Daß das Gehör durch Harmonie und Rhythmus, das Aug durch die Harmonie der Farben und Schönheit der Formen gerührt wird, macht, daß die Musik und die Mahlerey schöne Künste sind. […] Hieraus läßt sich abnehmen, auf was für einen Grund das, jeder Kunst überhaupt eigene Genie, beruhe. Es stützet sich auf eine besondere Reizbarkeit der Sinnen und des Systems der Nerven.“ Ebd., S. 458 („Genie (Schöne Künste)“). Sulzer unterscheidet so den Blick des Künstlers von demjenigen des Naturforschers. Vgl. ebd., S. 293 („Einbildungskraft. (Schöne Künste)“). „Dieses ist überhaupt die Beschaffenheit und Würkung einzelner poetischer Gemählde; man befindet sich in der Nähe der beschriebenen Scene, sieht und fühlt jedes Einzele darin, und empfindet eine so lebhafte Würkung davon, als wenn man sich die Sachen nicht blos in der Phantasie vorstellte, sondern sie durch die Gliedmaaßen der Sinnen empfände.“ Ebd., S. 452 („Gemählde (Redende Künste)“). Im zweiten Teil seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste kommt Sulzer noch einmal genauer auf die physischen Sinne zu sprechen. Er erhofft sich von der „Theorie der Sinnlichkeit“, die er mit der Ästhetik gleichsetzt und als „schwerste[n] Theil der Philosophie“ bezeichnet, nicht nur eine „völlige[] Herrschaft über den Menschen“, sondern auch die Grundlegung („Stammbaum“) der schönen Künste. Sulzer (1774), Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Zweyter Theil, S. 623 („Künste; Schöne Künste“). Er bedient sich dabei der klassischen Sinneshierarchie, die in seinen vorigen Schriften nur am Rande eine Rolle spielt. Vgl. ebd., S. 623–624 („Künste; Schöne Künste“).

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Die „krumme Bahn der Sinnlichkeit“

Sehen und Wahrnehmen in Optik, Naturforschung und Ästhetik des 17. und 18. Jahrhunderts

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