Kapitel 3 Hugo von Hofmannsthal

In: Anthologisches Schreiben
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Fabian Saner
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Hofmannsthals anthologische Arbeiten haben den Begriff der Anthologie insbesondere in den 1920er Jahren maßgeblich mitbestimmt. Seine Belesenheit, sein Schreiben im Modus der weltliterarischen ,Ahnen‘, die verdichtet-intertextuellen Strukturgefüge seiner Texte sowie die lebensweltliche Entsprechung eines vielgestaltig vernetzten Homme de lettres, der viele Briefwechsel teils über Jahrzehnte aufrechterhielt, sind bekannt und erforscht. Die durch die kritische Ausgabe seiner Werke ermöglichte Breite im Nachvollzug schriftlich niedergelegter Reflexionen und Beziehungen zwischen Texten und Menschen hat den Vorteil, philologische Fragestellungen materialnah beantworten zu können. Die Fülle an hinterlassenem, zu Lebzeiten unpubliziertem Material bezeugt zudem die Bedeutung und die zentrale Stellung von Hofmannsthals Lese- und Schreibpraxis innerhalb seiner im Rückblick weithin als illusionär bewerteten kulturpolitischen Vorhaben.1

Das Anthologische Schreiben, so die Hypothese, bildet eine zentrale Szene für die ästhetische Befragung der Reflexion von ,Ahnenkunst’, wie sie in Hofmannsthals Auseinandersetzung zwischen geschlossener künstlerischer Subjektivität und Aufmerksamkeit für die Ausdifferenzierung der Wissenschaften in einer Massengesellschaft diagnostiziert worden ist. Das Anthologische Schreiben vereinigt und prozessiert ein Ensemble von Handlungsformen und Vorstellungen (Traditionsbezug, literarische Lese- und Zitierungspraktiken, das Buch als Überlieferungsformat, die Reflexion verschiedener Formen des Traditionsbruchs in Wahrnehmung, politischer Geschichte usw.), die in Hofmannsthals faktualem und fiktionalem Schreiben insistent sind. Diese Dimensionen aufzufächern ist das Ziel der folgenden Darlegungen.

Die Umlegung des um 1900 virulenten psychologisch-kunstphilosophischen Projektionsparadigmas auf kulturelle und gesellschaftliche Formen2 gab Hofmannsthal nach dem Ersten Weltkrieg die Möglichkeit, weiterhin mittels seiner an spezifische erhabene Lektüremomente gebundenen Weltliteraturkonzepte den neuen, nun explizit politischen Krisendiskursen zu begegnen. Dem in Reden und Publikationen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beschworenen Stigma der abbrechenden kulturellen Tradition Deutschlands3 soll, seiner Auffassung gemäß, nicht in einer Geste der „alles verschlingende[n] Unform“, im Essay, begegnet werden, sondern mittels „rhythmisch wiederkehrende[r] Untersuchungen“ – „gleichsam Unterhaltungen“.4 Zeitgenossenschaft (vgl. Kap. 3.8) weiterhin als selbstgesetzten Auftrag zu verstehen und literarisch zu verfolgen, konnte sich dadurch dem Vorwurf entziehen, in der Kriegspropaganda mitgewirkt zu haben. So wurde die Restaurierung gerade am medienästhetisch ,leichtgewichtigen‘ Modell der Anthologie eingefordert – an jener Lektüremaschine, in der die politischen Insistenzen der Literatur, die Fracht der Repräsentation von (politischen, sozialen usw.) Gehalten traditionell verhandelt und die deshalb von den Ästheten geschmäht wurde. Lektüre als Medium, Literatur als Tradition und Medien wie die Zeitschrift als Inszenierungsorte von Zeitgenossenschaft dienten diesem Verlangen nach Kontinuität. Gerade an ihnen wird deshalb die Brüchigkeit der kulturellen Fortschreibung untergehender politischer Imperialität besonders deutlich analysierbar. Eine zerbrochene Idee nationaler Größe und Einheitlichkeit sollte in einem Lektüremedium reinszeniert werden, ohne die politische Analyse des von Hofmannsthal durchaus wahrgenommenen zivilisatorischen Bruchs im Krieg konsequent auf die eigenen Vorstellungen von Kultur und Kunst übertragen zu müssen.

Eine Idee davon findet sich in der metonymischen Verknüpfung von Büchertischen, Geld und Kinobesuch der Arbeiterinnen und Arbeiter in drei Prosaetüden Hofmannsthals von 1921.5 Die darin vorgenommenen Ansätze zu einer gesellschaftlichen Analyse des Kulturkonsums oder Gebrauchs kultureller Güter bleiben allerdings vage. Hofmannsthal wird danach auf diese Kulturkritik mehrheitlich verzichten und im Gestus der ,produktiven Anarchie’ des Buchs der Freunde auf die Zusammenstellung von einzelnen Aphorismen, Zitaten und Maximen setzen. Indem diese – als Zitate – die Frage mit sich führen, von wem sie sprechen (und gesprochen werden) und an wen sie gerichtet sind, wird die Universalisierung des Mittels Geld in Simmels Philosophie des Gelds von Hofmannsthal im Material der Literatur – und Ideengeschichte noch einmal überboten (vgl. Kap. 3.7). So wird gerade auch in der politischen Krise nach dem Ersten Weltkrieg das Nachleben eines inszenierten (Rest-)Bestands von Kulturnationen wie des kulturellen Bruchs durch die Gewalt des Weltkriegs noch einmal aufgeführt. Diese Zusammenhänge werden in den folgenden Unterkapiteln in spezifischen Figurationen und anhand poetologischer Konzepte Hofmannsthals entfaltet.

3.1 „Form ständiger Selbsterfindung“ und die Aporien der Forschung

Studien über den Entwicklungsgang des Werks6 sind mit der Aporie belastet, letztlich willkürliche ,Zäsuren‘ zwischen dem frühen und dem späten Hofmannsthal zu setzen und damit dem von ihm vorgezeichneten System der ästhetischen Selbstreflexion hinterherzugehen – wenn er diese vermeintlichen Zäsuren nicht gleichsam als Philologe seiner selbst durch seine bekenntnishaften Aufzeichnungen gesteuert hat, die unter dem Titel Ad me ipsum kurz nach seinem Tod veröffentlicht wurden.7 So bestimmte eine Rhetorik des ,Gelingens‘ und seiner Kehrseite, des Versagens, nach Christoph König und zuletzt auch nach Michael Woll lange Zeit die Hofmannsthalforschung.8 Bei jenen, die davon ausgingen, dass einige Werke gelungen seien, habe eine ,sakrale’ Denkweise dazu geführt, dass – mit den Mitteln der Paraphrase, des abundant gebrauchten Zitats oder dem Bezug auf Hofmannsthals Selbstreflexionen in Ad me ipsum – in einem Gestus der ,Sinnsupplierung‘ Text und Deutung verschmolzen. Wohl keine Autorenforschung, so König, begegne ihrem Autor so euphorisch und so skeptisch gleichermaßen. „Nicht zuletzt Stichworte wie ,Praexistenz‘ oder ,allomatisch‘, die direkt aus Hofmannsthals Gebrauch in Ad me ipsum übernommen und zu Begriffen der Forschung gemacht wurden, führen dazu, dass die Frage nach dem richtigen Umgang mit den Selbstdeutungen die Hofmannsthalphilologie seit ihrem Beginn beschäftigt“, so Michael Woll rückblickend im Hofmannsthal-Handbuch.9

Als eine rhetorische Spannung ,zwischen‘ Ethik und Ästhetik lässt sich dieses interpretatorische Nachzeichnen von Hofmannsthals eigenen Suppositionen der Text – bzw. Werkbewegung bereits bei einem seiner frühen großen Interpreten, Richard Alewyn, beobachten. In seiner Studie von 1949 zu Hofmannsthals erstem dramatischen Stück, Gestern (1891), schreibt Alewyn: „In den meisten späteren Gedichten Hofmannsthals sind die Figuren mehr als das, was sie sagen oder von ihnen gesagt wird. Nur hier ist es umgekehrt: Andrea10 ist als Begriff weiter als die Wirklichkeit, und was er sagt, geht in den Umriss seiner Figur nicht hinein.“11 Das sei auch die Schwierigkeit seiner Auslegung, wie ein interessanter Zusatz Alewyns lautet. Alewyn setzt die ,Unerfahrenheit‘ des Helden Andrea und die aus der Werkgenese bestimmte Feststellung eines schreibbiografischen Anfangs beim Dichter Hugo von Hofmannsthal in einer Sequenz suggestiv-rhetorischer Fragen gleich. „Ist also Andreas ethische Schwäche im Grunde nicht die gleiche wie die ästhetische des Dichters? Und ist nicht gerade damit in der köstlichsten Weise die Not in eine Tugend verwandelt?“ So sei dieses Gedicht auf die koketteste Weise unschuldig und auf die raffinierteste naiv. Die dadurch eröffnete Verknüpfung von (Text-)Ethik und (Lebens-)Ästhetik des Stücks geht noch weiter: „Der Vers scheint zu sagen: Ich bin ja noch so jung!“12 Der ,Umschlag‘ von Lebensalter(n) und Sprachmanier in Alewyns Fragesequenz schreibt sprachlichen Gesten ein gleichsam wundersames Gelingen zu. Zum einen ist diese Deutung von der Supposition abhängig, wonach die Figuren im Werk Hofmannsthals ,mehr sind, als sie sagen‘ und stützt die eigentliche Beweislast – problematischerweise – auf Hofmannsthals eigene Präexistenz-Interpretation, wie Woll in seiner Geschichte der Hofmannsthalforschung aufzeigt. Zum anderen verweist die interpretatorisch-mimetische Geste Alewyns auf einen sprachanthropologischen Denkraum, auf den Sandro Zanetti13 bezugnehmend auf Agambens Unterscheidung zwischen Stil und Manier hingewiesen hat.14 Giorgio Agamben hat die Manier spezifischer Spätwerke (Überlegungen Ernst Lewys zur Sprache des alten Goethe hinzuziehend) als aneignende Entäußerung, „eine Ahnung und Erinnerung seiner selbst“ beschrieben, „allmähliche Zersetzung und polare Refiguration“15 einer herausgebildeten formalen Eigenart. Voraussetzung für solch eine immanente Theoriebildung ist die Spekulation eines Spielraums der Absetzung ,von sich selbst‘ im rückwärtigen erneuten Durchlauf durch ein Werk, der sich in Indizien eines formalen Veränderungsprozesses nicht nur nachweisen lässt, sondern zudem bereits auf einer Rezeptionsgeschichte beruht: im ,System Hofmannsthal’16 in der spezifischen Gestalt eines von Philologen um Hofmannsthal und von ihm selbst durch spezifisch gesetzte Hinweise verdichteten Deutungsrahmens. Hofmannsthal wähle, so die überzeugende These von Christoph König, eine Aporie, die Eklektik und Identität, irdische Heteronomie und höhere Wahrheit zusammenzwingen wolle. Diese Aporie nehme die Gestalt der ästhetisch-epistemologischen Norm an, wonach die Wahrheit unsagbar sei. Die Kunst des Schreibenden bestehe deshalb nun in der Ausbildung eines Stils: nicht die Wahrheit zu formulieren, aber zu zeigen, dass es sie gebe.17 So entstehe ein „produktives wie intrikate[s] Wechselspiel zwischen Literatur und Philologie“, wie es den Diskurs der Spätwerke bereits vor den wirkungsmächtigen Aufsätzen von Adorno zu einem solchen Spätstil etwa bei Beethoven prägte.18

Umgelegt auf eine an Anthologien sich bindende Rezeptionsgeschichte der Klassik bzw. in weiterem Sinn der literarischen Tradition lässt sich in der Vermessung der je spezifischen Distanz anthologischer Setzungen bzw. ihres paratextuellen Rahmens dieses Wechselspiel auch für das ,innere‘ Verhältnis der hier behandelten Autoren produktiv machen. Ahnenkunst ist weder einfach epigonal noch rein konstruierend, sondern auf die Schaffung von Konstellationen der Tradition angelegt – bei Hofmannsthal in einer Form der Ahnenkunst, die sich an der Erneuerung von Urbildern der verehrten Autoren in Form von zugespitzten Szenen versucht, die in den Texten als exponierte Gesten innerhalb von Schreib- und Leseszenen erfahrbar werden (sollen).

Die dialogischen Formen der Interpretation bei den Interpretinnen und Interpreten von Hofmannsthals Werken der Nachkriegsgeneration stützen sich oft auf ausgeprägt szenische Gesten. Die frühe Autorenforschung zu Hofmannsthal war in vielfältiger Weise auf die Exilerfahrung ihrer Protagonisten bezogen, die durch den Nationalsozialismus aus Deutschland vertrieben worden waren.19 Interpretationen dieses Zuschnitts liefen zuweilen auf eine ,Läuterung‘ des Werks in Etappen eines gleichsam werkhaften Lebens in Form des Modells des Bildungsromans hinaus oder teilten das Werk in gewissermaßen organische, von außen oder durch literaturgeschichtliche Sequenzierungen eingeteilte ,Phasen‘. Deren Abschnitte wurden etwa mit dem für die Literatur der deutschsprachigen Moderne emblematisch gewordenen Chandos-Brief (,Chandos‘-Krise) und einer nachfolgenden ,Wandlung‘ Hofmannsthals zum Komödiendichter20 oder den während des Ersten Weltkriegs entstandenen Aufzeichnungen Ad me ipsum gleichgesetzt. Dieser Gestus der Hofmannsthalforschung war stark von einem ,vertragsförmigen‘ Denken zwischen dichterischer Subjektivität und Werkform geprägt, das durch das zugänglich gewordene Archiv Hofmannsthals vielfältig gestützt bzw. durch den kontinuierlichen Strom von Nachlass- und Briefpublikationen erst ermöglicht wurde.

In einer nachfolgenden Generation folgten die dekonstruktivistischen Lektüren der 1990er und 2000er Jahre, die die strukturellen Ebenen von Texten (Rhetorik der Tropen und argumentative Strukturen) in den Blick nahmen. Stellvertretend für solche Ansätze sei auf Lorenz Jägers Artikel „Politik und Gestik“ verwiesen,21 in dem Hofmannsthals Texte auf körperliche Gebärden hin untersucht und diese auf die rhetorisch-syntaktische Textbewegung umgelegt werden. Das dabei aufgewiesene Repertoire an Stilgesten, so Jägers Fazit, bleibe bei Hofmannsthal an ein alteuropäisches Unterwerfungsvokabular gebunden, wogegen im Vergleich dazu Franz Kafkas ,leere fröhliche Fahrt‘ dieses hinter sich gelassen habe.22 Daran schlossen wiederum literatur- und kulturwissenschaftliche Studien an, die Hofmannsthals Schreiben aus dem Kontext seiner Medien, seiner Lebenspraxis oder seiner intellektuellen Bezüge deuteten.

Ab den späten 1960er Jahren startete im neuen Zentrum der Hofmannsthalforschung, im Frankfurter Freien deutschen Hochstift, die Kritische Ausgabe sämtlicher Werke. Die neue, auf dem Archiv beruhende textuelle Basis bereicherte die bislang wenig philosophische Autorenforschung durch psychoanalytische und strukturalistische Ansätze. Die Umbrüche in der bundesrepublikanischen Germanistik nach 1968 trugen dazu das ihrige bei, nicht zuletzt, weil herausragende Literaturwissenschaftler, die der Kritischen Theorie nahestanden bzw. diese weitertrugen (Richard Alewyn und Peter Szondi), durch ihr eigenes Interesse für diesen Autor einen Generationenwechsel in der Hofmannsthalforschung produktiv beförderten.23 Peter Szondis Studien24 betreffen besonders die lyrischen Dramen des ,frühen‘ Hofmannsthal. Die kritische Verpflichtung auf Szondis Feststellung von „Werketappen“ im Sinn eines fortschreitenden „Entwicklungsromans, der statt in Kapitel in einzelne Dichtungen zerfällt“,25 geht über Hofmannsthals entelechisches Bildungsmodell hinaus. Die Werke werden nicht mehr als Interpretamente den Begriffen subsumiert, sondern die Hoffnung sei, wie Szondi schreibt, Begriffe durch die Werke zu erläutern. Dabei bleibt Szondi indessen auch der Kritik Benjamins an Hofmannsthal verpflichtet, wonach dieser – etwa – den Goethe’schen Stil in einer „oft ans Peinliche grenzende Nähe der Sprache“26 überassimiliere.

Das Befremdende als einzeln Bedeutendes zu untersuchen und als Auseinandersetzung mit, nicht als Muster oder Ausdruck von gesellschaftlichen Zuständen zu verstehen, wie es Szondi in seiner Erneuerung der Hermeneutik als einer Theorie der materialen und sozial verpflichteten, grammatisch-kritischen Auslegungskunst fordert und im Rückgang auf Schleiermacher festmacht,27 hat im Umkehrschluss Hofmannsthal an seinen Interpreten vermisst, wenn er in einer Aufzeichnung 1906 notiert: „Sonderbarer endlos formulierter Vorwurf meinen ersten Produkten gegenüber, dass sie aus einer egoistischen, ästhetischen Einsamkeit, einer unmenschlichen der Sympathie baren Natur hervorgehen.“28 Mögen solche Urteile Hofmannsthals Hinwendung zu den sozialen Formationen des Lustspiels und der Tragödie mitbestimmt haben, die sich um 1900 deutlich abzuzeichnen begann, so untermauert ein genauer Blick in die jeweiligen Aufzeichnungen auch, dass die später von ihm selbst abgesegnete Gehaltsästhetik unter einem Lebens- und Werkbogen, die von der lyrischen Präexistenz in die ,gültigen Bindungen‘ des gereiften, ,verantwortungsvollen‘ Schriftstellers geführt haben soll, die Fiktion einer nachträglichen Selbsthistorisierung darstellt. 1906 schreibt er sich in Bezug auf seine frühe Produktion – Gedichte und lyrische Versdramen – selbst eine stilistische Überfeinerung zu, die sich in einer mimetischen Verwandlungsfähigkeit abgezeichnet habe. Wird dieser sich abzeichnende Identitätsverlust allerdings in eine stabile familiäre Tradition eingebettet, ist es zehn Jahre später unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und des Tods seines Vaters gerade umgekehrt: Die ,Bildung‘ des eigenen Lebens ist nun die Basis für die Konstitution der Tradition, was ihr – gegenüber generationenübergreifenden Genealogien – nun einen stärker phantasmatischen Charakter zuschreibt, der das kulturpolitische Sendungsbewusstsein Hofmannsthals in der Nachkriegszeit mit der Selbstdeutung der Werkentwicklung zusammenlesen lässt.

Die Perspektive der Hofmannsthalforschung ist, vereinfacht dargestellt, zweigeteilt: Zum einen galt das Interesse lange einem Komplex der Tradition, Überlieferung, ,Erbfolge‘ und Epigonalität Hofmannsthals. Dabei steht Hofmannsthals Arbeit an, mit der und gegen die Tradition im Fokus, die intertextuellen und intratextuellen Geflechte, die Exposition von Abgrenzungen und Affinitäten, die literaturgeschichtlichen Konstellationen und Phantasmen, die daraus folgenden kulturpolitischen Interventionen und Projekte. Zum anderen werden, ebenfalls bereits zu Hofmannsthals Lebzeiten, dessen genuine Modernität und die poetisch-poetologischen Verfahren, Experimente und Figurationen vor dem Hintergrund der Avantgardedebatte untersucht. Dabei liegt der Fokus auf Hofmannsthals Arbeit in und mit verschiedenen Gattungen, am ,Andreas‘-Fragment und an der fiktionalen Erzählprosa der ,Briefe‘ oder der literarischen ,Unterhaltungen‘ sowie der Essays. Wie die riesigen Textmengen ediert werden sollten, blieb in den fünf Jahrzehnten der Hofmannsthal-Edition eine wiederkehrende Frage.29

Im Sinn einer kritischen Reflexion wird die Forschungsgeschichte an der Schwelle des 21. Jahrhunderts bei Christoph König erstmals zu einem systematischen Element in der Werkinterpretation (die strukturalistischen Forschungsberichte der 1970er und 1980er Jahre waren vor allem ideologiekritisch ausgerichtet).30 Königs Habilitationsschrift Hofmannsthal. Ein Dichter unter Philologen (2001) stellt die wissensgeschichtlich prägnante Abgrenzung sowohl von Autorenphilologie wie dekonstruktiven Ansätzen der Hofmannsthalforschung unter den Begriff des ,Systems Hofmannsthal‘. „Hofmannsthal stützt seine Wahrheitsaporie, die Wahrheit in den Werken ließe sich nicht ausdrücken, durch die Selbstdeutung, er sei von etwas Großem erfasst worden. Heute [d.h. um das Jahr 2000, F.S.] findet er unter den Dekonstruktivisten die Interpreten, die das aktualisieren. Was in den Werken Hofmannsthals häufig Thema ist (die Unerreichbarkeit des Mysteriums), nehmen sie als deren Prinzip und entwerten damit das Kunstwerk als ganzes, auch die Intellektualität Hofmannsthals, die sich in der Rolle zeigt, die er der Selbstanalyse gibt. Alles Geschriebene wird zur prinzipiell unzulänglichen Auslegung eines jenseitigen Wissens, auf das die ,Zeichen‘ […] gerade dann verweisen, wenn sie auf ihren herkömmlichen Sinn verzichten. Postuliert wird ein Wissen, das die Zeichen als unlesbar zu ,lesen‘ vermag.“31

Diese Feststellungen Königs sind wiederum nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach einer Rückkehr zu rein (werk)biografischen Lektüren. Biografischem stand Hofmannsthal (was ihn mit Benjamin und Borchardt verbindet) skeptisch bis ablehnend gegenüber. Der biografische Zugang eifere der Illusion eines einheitlichen Lebensgangs nach, wogegen das „rein geistige Abenteuer“ des dichterischen Schöpfungsvorgangs für ihn im Zentrum gestanden habe.32

Die archivgestützten Spuren der in der historisch-kritischen Ausgabe bezeugten Werkkomplexe, ihre Interferenzen und die Buchform der herausgegebenen Anthologien sind zusammenzulesen, um Hofmannsthals Anthologisches Schreiben zu modellieren. Eine „Form ständiger Selbsterfindung“33 benötigt einen Rückhalt in ästhetischen Modellen, deren Genealogie wiederum durch die Kritische Ausgabe der Hofmannsthal’schen Werke breit gestützt ist. Hofmannsthal findet diese in den von der Romantik angestoßenen Konzeptionen der unendlichen Kritik, die er später sprach- und kulturvergleichend in der Konstellation von ,Gemüt‘ und ,Geselligkeit‘ anthropologisch kontextualisiert und als deutschsprachige, nicht-nationalistische Traditionsbildung interpretiert.

3.2 Von der Kulturkritik zur Form: Generation, ,Opfer‘, Geste

Erste Pläne einer selbstständigen Zeitschrift entwarf Hofmannsthal 1904. Hintergrund dazu bildete eine scharf ablehnende Kritik von Alfred Kerr, in der Hofmannsthal als „Adaptierpoet“ und „Kunstarbeiter“ im Gegensatz zum „Schöpfer“ Richard Beer-Hofmann bezeichnet wurde.34 Hofmannsthals Notizen stehen unter dem Titel „Über Kritik“, die dabei um die Identität des Künstlers kreist.

[W]ir wollen nicht die Grenze ziehen zwischen Schaffenden und Nicht-sch[affenden]. Wir wollen über die Kritik sprechen[,] die auch aus dem Mund der Schaffenden hervorgeht. Und wollen der Kritik nichts vorwerfen als Mangel an Scharfsinn. [F]alsch: jedes Kunstwerk als definitiv anzusehen; immer zu sagen: er hat das und das aufgegeben, er wendet sich jenem zu, er sieht nur das; er meint also das und das; falsch das definitive; falsch: alle billigen Antithesen wie „Kunst“ und „Leben“, Aesthet und Gegenteil von Aesthet […][.] [R]ichtig: die Kunstwerke als fortlaufende Emanationen einer Persönlichkeit ansehen […][.] [R]ichtig: die Production als eine dunkle Angelegenheit zwischen dem Einzelnen und dem verworrenen Dasein anzusehen[.] [R]ichtig: alle Künstler als Bringer von Harmonie zu sehen und die ungeheuer[en] Abstufungen der Begabungen zu genießen wie das Spiel der sich brechenden Meereswellen ohne jede einzelne mit Namen nennen zu wollen.35

Was an diesen Annäherungen zunächst auffällt, ist Hofmannsthals Bestreben, die Kritik selbst als eine schöpferische Aktivität zu beschreiben, die deshalb auch nicht eine strikte Trennung innerhalb eines Œuvres eines Künstlers vornehmen (und diese qualifizieren) soll, sondern sich für Entwicklungsverläufe interessieren und sich auf diese konzentrieren soll. Die Kritik nimmt keine Setzungen vor, um vollendete von den unvollendeten Werken abzugrenzen bzw. wie im romantischen Programm die Werke selbst in und durch die Kritik zu vollenden, sondern geht von einem dynamischen Schaffensprozess aus. Damit setzt sich Hofmannsthal von den anthologischen Großunternehmen des George-Kreises ab, die den Anspruch verfolgen, eine ästhetische Gemeinschaft durch den ,dichterischen Führer‘ zu stiften36 und einen Kanon zu erstellen, der die Kontinuität der Tradition unterbricht und durch eine Versammlung der Texte und Autoren ersetzt, die einer kultischen Versammlung um Stefan George gleichkommt (vgl. zum George-Kreis, Kap. 2.1). Wird im George-Kreis die Gegenwartskritik als Form eines kritischen Schaffens gänzlich ignoriert zugunsten der kunstreligiösen Stiftung, ist bei Hofmannsthal ein davon unterschiedenes Vorgehen zu beobachten. Seine Berührungsängste gegenüber Publikationsformaten der Zeitschrift und der Tageszeitung sind, aller geäußerten Vorbehalte zum Trotz, weit weniger groß als bei George.37 Hofmannsthals kulturpolitisches Programm tritt in der Form der Rede, der Rezension, der (Selbst-)Edition auf, in diesen wird eine ästhetische Bewegung mit Konzepten kultureller Erschließung und kulturkritischer Wertung verknüpft. Vorrangig ist dabei die Konzentration auf ,individuelle‘ Akte dieses Zugangs im Sinn der Lebenshermeneutik Diltheys,38 indem das Moment kultureller Erneuerung auf ein besonders bewusstes, der sublimen Wahrnehmung und eines besonders präzisen Ausdrucks fähigen (Schreib- bzw. Künstler-)Subjekts begrenzt wird.

Ideen und Handlungsmöglichkeiten spiegeln sich in der dramatischen Exposition von Konflikten. Ein prototypisches Figurenverhältnis wie das von Lehrer und Schüler (Tod des Tizian) oder die Konfrontation von Lehrer und Anführer (im Werkkonvolut Der Turm) werden in der Zuspitzung auf historisch verbürgte Personen oder Szenerien als paradigmatisches Problem der Nachfolge in kulturellen und politischen Krisensituationen (Tod des Lehrers, Übertragung politischer Macht) vorgestellt. Hofmannsthal griff damit auf, was etwa Eugen Rosenstock-Huessy zeitgleich kulturphilosophisch in der Differenz von Ein – und Mehraltrigkeit anhand des (politischen) Führers und des (ästhetischen) Lehrers konzeptualisierte: „[D]er Lehrer gehört immer mehreren Generationen an, aber keiner ganz, der Führer gehört seiner Generation ganz an, dafür keiner andern. Der Führer verformt alle ihm sich Nachbildenden zu Zeitgenossen seiner selbst. […] Die Lehre verkettet das ungeschichtliche Leben des Nachwuchses mit dem Geschichtlichen der Vorfahren.“39

Ästhetisch bearbeitet Hofmannsthal das Problem der Nachfolge in der Auffächerung je gleichzeitiger, aber diametral entgegengesetzter Sprechweisen, um sie als einen Konflikt von Sprechformen theatral darzustellen. Der eigentümliche Effekt dieser theatralen Mimesis Hofmannsthal’scher Szenen und Gesten – auch in den erzählenden Texten – ist, dass zeitlich oder kulturräumlich auseinanderliegende Konstellationen ineinander gespiegelt werden. Das politisch und geschichtsphilosophisch ambivalente Generationen-Konzept und die daraus unmittelbar folgende Frage biologisch vorfigurierter Zeitlichkeit bieten sich dazu an, ,den‘ Künstler als ästhetische Signatur einer Infragestellung des Epigonentums zu begreifen und damit zu historisieren (psychologisch, somatisch, als biologisches Wesen etc. gemäß den Beständen der zeitgenössisch sich ausdifferenzierenden Wissenschaften vom Menschen). Dies hat Folgen für Hofmannsthals in Zeitschriften, Anthologien und den intellektuellen Netzwerken (besonders den intensiven Briefwechseln) artikulierte Poetik.

Die oben beschriebenen Ambivalenzen gehen in spezifische Figurationen ein. David Wellbery hat Hofmannsthals ästhetische Philologie als sakrifizielle Poetologie anschaulich gemacht und deren Vorbilder in der Lebensphilosophie Schopenhauers und der Tragödientheorie Nietzsches aufgezeigt. Gegen Hofmannsthals eigene wiederkehrende lebensphilosophische Verbrämungen der Gegenwart liest Wellbery „das Opferszenario als ein[en] [Text-]mechanismus zur Übertragung einer Affektskala, die somatisch durchgespielt wird.“40 Wellbery weist dies insbesondere in der notorischen Körpergebärde der ,Erschütterung‘ nach, die von Hofmannsthals frühen Prosaarbeiten bis in die jahrzehntelang bearbeiteten Andreas-Materialien zu verfolgen ist. Was in der Darstellung in Hofmannsthals Schreiben deutlich wird, ist zunächst für den literaturgeschichtlichen Status seiner Selbstreflexivität wichtig. – Dies soll nun an einer kurzen Lektüre deutlich gemacht werden.

Eine Definition von Georg Lukács’ Begriff der Geste sei hier vorangestellt. In seinem Essay zu Kierkegaard heißt es, bezugnehmend auf die Bedeutung der Beziehung Kierkegaards mit Regine Olsen und auf die Frage, welche Rolle die Trennung des Paars für Kierkegaards Schreiben spielte: „Die Geste: unzweideutig zu machen das Unerklärbare, das aus vielen Gründen geschah und sich in seinen Folgen weit verzweigte.“41 Dieser Moment des Übersprungs einer inneren existenziellen Form, hier im Ausdruck der Liebesbeziehung (bzw. des Endes dieser Beziehung), auf das künstlerische Schaffen, weist eine innere Affinität zu der Frage auf, in welcher Gattung sich Stoffe darstellen lassen: ästhetische Gattung als ,ererbte‘ (Vor-)Form, Stoffe als ,erlebtes‘ Existenzial – und Medien, etwa der Brief, die (schreibende) Hand, der körperliche Raum der Gesten als Realisationsfiguren einer Augenblickspoetik. In der Entscheidungsfigur der Geste wird ein schwebendes Verhältnis verschiedener Faktoren eingängig an die Vorstellungswelt des Körperlichen gebunden.

Augenblicksemphase und die poietische Innovation finden insbesondere in der Gattungstradition der Novelle ihren Niederschlag, wie Sabine Schneider nachweist: „Gerade die novellistischen Projekte Hofmannsthals (und die als „Novelle in Briefen“ konzipierten Briefe des Zurückgekehrten sind dafür das beste Beispiel) werden eher von […] visionären Stillstellungen, riskanten Augenblicken, in denen die erzählte Zeit aufgehoben scheint, strukturiert als von einer erzählerischen Ökonomie des Nacheinanders. Die Ästhetik visionärer Augenblicke berührt somit auch Gattungsfragen und scheint eine natürliche Affinität zum novellistischen Erzählen aufzuweisen.“42

Diese gattungstheoretische und medienästhetische Einsicht bietet ein formsemantisches Interpretament für die Verknüpfung von literarischen Darstellungsproblemen, geistesgeschichtlichen Theoremen und publikatorischen bzw. genauer typografischen Praktiken. Dabei bildet die körperlich-mediale Metonymie oder – mit Villém Flusser – die Geste von Hand, Handschrift und Brief eine ,Leseszene‘43 für die im Andreas-Narrativ verhandelte Doppelgängermotivik. Interessanterweise kristallisiert sich die erzählerische Grundszene einer aufgespaltenen Identität an verschiedenen Stellen des Andreas-Konvoluts an der materialen Schreib- und Mediensituation des Briefs heraus. In einer dazu arrangierten Szene soll mittels einer leiblichen Gestik, eines gleichsam entäußerten Affekts, die stärkste Emotion – Liebe – unsinnlich vermittelt werden. Die entsprechende Szene aus dem Andreas-Konvolut liest sich so:

Geheimnis um Maria: beim ersten Besuch Andreas’ macht sie eine ganz kleine hilflose Bewegung nach einer dunklen Ecke hinter ihrem Sofa, mit einer Unfreiheit um die Mitte des Leibes, – und in diesem Augenblick ahnt Andreas, daß es ein für ihn unauflösliches Geheimnis hier gibt, daß er diese Frau nie kennen wird, und fühlt, daß ihn hier die Unendlichkeit mit einem schärferen Pfeil getroffen hat als je ein bestimmter Schmerz; er hat drei oder vier Erinnerungen, die alle diese point acérée de l’infini in sich tragen (die Begegnung mit der alten Frau und dem Kind am ersten Morgen), – fühlt diesen ungefühlten Schmerz, ohne zu wissen, daß er in diesem Augenblick liebt.

Beim ersten Besuch sagt Maria: ,Man wird Ihnen wieder schreiben.‘ Einmal bekommt er einen Brief von Maria, der leidenschaftlich, ja beinahe cynisch ist; er eilt hin, findet sie nicht. Später findet er sie. Sie ist verstört: man hat mich von dem Brief unterrichtet … – sie muß sich zu einem halben Geständnis entschließen: ,meine Hand ist verhext, sie handelt gegen meinen Willen. Ich bin nahe daran, mich zu verstümmeln, aber das ist gegen das fünfte Gebot …‘ (– Problem: inwiefern bin ich für meine Hand verantwortlich …).44

Eine Person, die nicht mehr um ihr Schreiben weiß und, um vorzubeugen, sich die Hand verstümmeln will – was gehen die schreibende Person die eigenen Organe, die eigenen Extremitäten an, mittels derer sich die Texte artikulieren? Die Ent-Setzung des Willens durch das technische Prinzip der arrangierten Übung, der Probe, des Tests lässt sich als Problematisierung einer geschlossenen Identität lesen, indem deren materielle Bedingungen in den Blick gerückt werden;45 dies ist die Position des radikal subjektivierten Erzählers in Hofmannsthals Andreas-Fragment, wie Achim Aurnhammer herausgearbeitet hat. Indem die Erzählinstanz die Äquidistanz zugunsten der Fokalisierung des personalen Erzählers im Andreas aufgibt, ohne den Rahmen des personalen Erzählens zu sprengen, entsteht eine undeutliche Erzählkonstellation bereits aus der Architektur der Erzählperspektive. Das verhexte Brief-Schreiben ist die Allegorie auf eine offene fragmentarische Ästhetik,46 die prozessual das subjektivierte Objekt der Erzählung zu einem Prinzip des Erzählens selbst zu gestalten versucht.

Diese Geste radikaler Gewalt gegen einen ambivalenten, teils ,ent-setzten‘ Körper, die sich in Verrenkungen manifestiert und einen entäußerten Affekt („Liebe“) produziert hat, findet eine komplementär gebaute Szene in der als souverän geschilderten Lebenskunst der Sacramozo-Figur. Die Zurückweisung jeder Verantwortung für Geschriebenes – ,weder von mir noch an mich gerichtet‘ – allegorisiert im Flug der Brief-Blätter und des Begehrens des jungen Andreas, diese aufzuheben. „Jedenfalls muss ich sie bitten, darüber zu verfügen.“ Das ortlose Begehren des jungen Andreas auf die Rückgabe des Briefs – zurück in Adressierbarkeit und Ordnung, Zuordnung – wird wiederum von einer „unbeherrschten Gebärde seiner Hände“47 begleitet, die schon wieder nach dem Briefblatt gegriffen hatten. Die Verbindlichkeit der Form des Sacramozo zeigt sich nicht in einer erneuten inhaltlichen Bezugnahme auf die Frage, wem der Brief gehöre oder nicht gehöre, sondern in der Abweisung eines jeden Aufdrängens und eines sofortigen Verschwindens, von dem der Hauptfigur nur ein Lächeln in Erinnerung bleibt. – Ein Begehren nach der Zuordnung verschriftlichter Gedanken, im einen Fall ein Symbol unmöglicher Liebe, wird durchkreuzt durch eine entäußerte Geste und ein entsprechendes sprachliches Register von Bürokratie und Gewalt. Im andern Fall der Begegnung von Andreas mit seinem entelechischen Lebensmodell Sacramozo ist es der Vorschein eines unverortbaren, schriftlich fixierten und auf die homoerotische Spannung gerichteten Begehrens, dessen Vorgeschichte in der äußeren Form des Briefs liegt. Im einen Fall benennt die Erzählinstanz die aphoristisch zugespitzte Paradoxie, im anderen enthält sie sich – in der Verschmelzung mit der Erzählfigur – jeden Kommentars, bleibt auf der Ebene der Beschreibung bzw. der mimetischen Reflexivierung der Gedanken der erzählten Figur.

Die an medialen Arrangements, Zusammenkünften oder Trennungen unterschiedlicher Körper kristallisierenden Formbildungen deutet Hofmannsthal als einen poetischen Besitz, der aus dem Schreiben wieder ins Schreiben weist. Wie Jörg Schuster in seiner Analyse des Briefwechsels zwischen Hofmannsthal und Marie von Gompertz zu zeigen vermag, liegt im kumulativen Briefverkehr eine produktionsästhetische Voraussetzung von Hofmannsthals Schreiben.48 Hofmannsthal hat sich die solipsistischen Erforschungen des Ich-Kerns und die Stimmungsbeschreibungen, die in den Briefen von Gompertz’ zum Ausdruck kommen, für sein Schreiben zu eigen gemacht, sie teilweise für den Auftakt von Der Thor und der Tod fast wörtlich kopiert und in eine Redeszene von Claudio überführt. Dies unterstreicht, wie Hofmannsthal den Arrangement-Wert, den Körpergesten für ein sinnentstaltendes und auf die situative mediale Verfasstheit, Raum- und Zeitbezogenheit abhebendes literarisches Schreiben haben, sich anzueignen wusste. An die Stelle des „Besitz[es] einiger Briefe von einer wirklichen Dame tritt der poetische Besitz.“49

Hofmannsthal ließ retrospektiv lebensphilosophischen Plattitüden eine Mythologisierung angedeihen, und dies gerade in den selbstreflexiven Schriften wie Ad me ipsum, mittels derer er als umsichtiger Medienpraktiker die Ökonomie seiner schriftstellerischen Karriere im Griff zu behalten versuchte. Darin wird der Triumph des metaphysischen Lebens, die Gegenwart des Unendlichen zelebriert. Die „Vergeistigung des Empirischen“50 in Form der Funktionen der Lebensalter dient Hofmannsthal dazu, seine ästhetische Programmatik kundzutun, als eigentlicher Hintergrund der Stimmungsästhetik, die sich weder in Nachahmung des Lebens noch in der Austauschbarkeit des poetischen Worts erklären lasse: „[E]s führt kein Weg direkt von Leben in Poesie, von Poesie in Leben“, wird da postuliert.51 Zugleich zeigt die Rekonstruktion der von ihm verwendeten Schriften, die neben der Philosophie auch ein breites Feld der zeitgenössischen Soziologie, Ethnologie und der religionswissenschaftlichen Mythenforschung umfassen, dass sich Hofmannsthal auf dem Stand der geisteswissenschaftlichen Gelehrtenkulturen bewegte.52 Die hermeneutische Praxis tritt hinter eine ästhetische Opferlogik als Effekt eines präsumptiven (Wort-)Opfers, dessen dezisionistischer Charakter, die Ambivalenz dieser Ästhetisierung, sich auch in Hofmannsthals Kunstdialogen äußert.53

CLEMENS Sie ist doch nicht ganz die Sprache, die Poesie. Sie ist vielleicht eine gesteigerte Sprache. Sie ist voll von Bildern und Symbolen. Sie setzt eine Sache für die andere.

GABRIEL Welch ein häßlicher Gedanke! Sagst du das im Ernst? Niemals setzt die Poesie eine Sache für die andere, denn es ist gerade die Poesie, welche fieberhaft bestrebt ist, die Sache selbst zu setzen, mit einer ganz anderen Energie als die stumpfe Alltagssprache, mit einer ganz anderen Zauberkraft als die schwächliche Terminologie der Wissenschaft.54

Auch der Gedanke des Opfers in der Form der Doppelung in victima und sacrificium, in die ,Tat‘ des Opfers und die performative Tathandlung, die Opferung, tritt in Hofmannsthals Reflexionen schon früh auf – im Briefwechsel mit dem Theologen und späteren Freund Walter Benjamins, Florens Christian Rang, wird dies als poetologisches Prinzip sichtbar.55 Im Umkehrschluss der hier angesprochenen (Wort-)Opfer-Logik als Produktionsimpuls lässt sich eine Hypothese dazu aufstellen, weshalb Hofmannsthal immer vor dem Werk Kafkas zurückgeschreckt ist. Der Abgrund – als Humor – der bei Kafka gebotenen Un-Wirklichkeitserfahrung liegt in der scharfen ,Entsetzung‘ der Sprache aus einem Zusammenhang institutionell-performativ gesicherter Sprachspiele des Rechts, der Theologie sowie mathematischer Kalküle zu den im 19. Jahrhundert entstehenden Versicherungspraktiken. Diese Spiele sind bei Kafka aber wiederum von einer formal fixierten Erzählinstanz gedeckt, wogegen bei Hofmannsthal die Erzählinstanz zerstreut und an den Rand der noch sprachlich zu deckenden Weltwirklichkeit geführt wird. Das stilistisch-reflexive Umkreisen der Grenze des Sagbaren bleibt (meistens) ein Problem der Erzählfiguren selbst und nimmt ihnen, als Identitätsproblem, alle Klarheit. Die dezisionistische Erzählsprache Kafkas inszeniert die Grenze des Sagbaren hingegen als permanenten Konflikt von Perspektiven, die aber, für sich genommen, nicht verschwommen oder unklar sind. Die werkästhetische Konsequenz daraus ist bei Hofmannsthal der Versuch, systemische Kontrolle über sein entgleitendes, prozessual-ästhetisches offenes Werk mittels philologischer Expertise (zurück)gewinnen zu wollen; bei Kafka der Handlungsimpuls, das eigene Werk (mit der Hilfe Max Brods) vernichtet zu sehen wollen.

3.3 Ästhetik der ‚Literarischen Person‘

Im steten Umkreisen der Bedrohung geschlossener künstlerischer Subjektivität liegt ein kulturkritisches Potenzial, das sich die konservativen Revolutionäre in ihrer politischen Ästhetik für die Feindorientierung gleichermaßen wie für die Selbstkonstitution als künstlerische Subjekte zunutze machten. Was Hofmannsthal in dieser Perspektive nach dem Ersten Weltkrieg als „alles verschlingende Unform des Essays“ geißeln wird, dessen bedient er sich seit Beginn seines Schreibens und – als einziger Gattung – über seine ganze Schaffensperiode hinweg, um sich in der Perspektive des jungen ,Ahnen‘ mittels Rezensionen und Aufsätzen in die ästhetischen und kulturellen Debatten einzuschalten. Er steht damit einem philosophischen Zugang zu Literarischem, Künstlerischem und Kulturellem nahe, der etwa auch bei Simmel oder dem jungen Lukács zu beobachten ist.

Es lässt sich andererseits nicht bestreiten, dass sich gewisse Figurationen, denen Hofmannsthal in seinen Texten ein bestimmtes literarisches Gepräge verleiht – wie in erster Linie dem ,Opfer‘ –, vergleichsweise reibungslos in reaktionäre politische Ideologeme übertragen lassen. Seit Adornos Diktum von der „blutrünstigen Theorie des Symbols“56 in seiner Rezension des Briefwechsels von George und Hofmannsthal aus dem Jahr 1937, das sich auf die Opfersymbolik von Hofmannsthals Gespräch über Gedichte bezieht und darin die politisch durch die reaktionäre Allianz von Nationalsozialisten und Nationalkonservativen zu verwertenden Möglichkeiten der Neuromantik angelegt sieht, hat sich dazu eine Forschungsdebatte entwickelt. Hofmannsthals Tod 1929 und Georges Tod 1933 haben deren Stellungnahme zu bereits etablierten nationalsozialistischen Machtverhältnissen in Deutschland verunmöglicht. Die Etablierung des NS-Regimes bildet zugleich den Hintergrund für den Erklärungsmodus von Adorno.

Hofmannsthal entwickelt eine bildpoietische Epistemologie, die sich als universales Zeichenempfinden zu lesen gibt. Sprache ist darin Symbol der Nicht-Mitteilbarkeit, eines Dickichts nicht endgültig auflösbarer Bilder. Diesen gegenüber möchte der Autor Verschiedenes zu einem unveräußerbaren Besitz anordnen – den Besitz eines universalen Lesers als singulärer Schnittstelle dieser Bilder (vgl. Kap. 3.7 zu dieser von Simmels Neukantianismus inspirierten ästhetischen Formgebung). Dies sei vorab am Ausschnitt eines Essays von Hofmannsthal näher erläutert.

Für den jungen Hofmannsthal ist Stilbestimmtheit die ästhetisch-kulturelle Perspektive, die durch die Unabhängigkeit des souveränen Ästheten einen kulturellen Zusammenhang an der Oberfläche der flüchtigen ,Augenblickserlebnisse‘ zu stiften vermag. Im Prosastück Englischer Stil von 1896 zählt Hofmannsthal in einer divergenten Liste Eigenheiten eines vermeintlich englischen Stils auf, nur um in einer reflexiven Volte den kulturellen Zusammenhang dieses Zusammenhangslosen wieder in Frage bzw. vor seinem Lesepublikum als zusammenhangslos auszustellen. Hier sei ein längerer Ausschnitt zitiert:

Es wird sicher einige Leute geben, welche mit allen diesen Gedanken sehr unzufrieden sind. Sie werden sagen, daß ich Dinge durcheinanderwerfe, die miteinander nichts zu tun haben. Sie werden sagen, daß die Barrisons gar keine Engländerinnen sind, sondern Amerikanerinnen, und die englischen Empiremöbel nicht besonders verschieden von den französischen; daß ich von lebendigen Artistinnen geredet habe, als ob es wertvolle tote Kunstgegenstände wären, und von Stühlen, als ob es Menschen wären; daß alle diese Dinge nicht zusammengehören, daß aus dieser ganzen Konfusion nichts weiter folgt und daß es nichts Willkürlicheres und Anmaßenderes gibt, als solche Gruppen zu schaffen, denen nichts Wirkliches zugrunde liegt. Diesen sei nur weniges geantwortet, und was sie ohnehin nicht verstehen werden: Ja, es gehört wirklich nichts zusammen. […] Alles ist in fortwährender Bewegung, ja alles ist so wenig wirklich als der bleibende Strahl des Springbrunnens, dem Myriaden Tropfen unaufhörlich entsinken, Myriaden neuer unaufhörlich zuströmen.“57

Die einführende captatio benevolentiae gegenüber der Leserschaft verweist auf die Undurchdringlichkeit der Wirklichkeit, die ästhetischer Arbeit bedarf und die sich im Schlussbild der verheißungsvoll durchlaufenen poietischen Innovation frugal erschließt: Im formlos-formvollendeten Ornament des Springbrunnens, das sich als entzückendes Vorstellungsbild den „unzufriedenen“ Leserinnen und Lesern bietet und die unfruchtbaren Vergleiche einer Schein-/Sein-Differenz in der Verschränkung von Material und Wahrnehmung absinken lässt. Das Bildinventar des Brunnens und des Wasserstrahls ruft Hofmannsthal häufig auf, um in einer ,nüchternen‘ Wirklichkeitserfahrung die Serie der ,als ob‘-Bilder emphatischer Flüchtigkeit und sich ineinanderschiebender Traumbilder zu begrenzen. Hermann Broch hat in seiner Hofmannsthalstudie dazu den materialästhetisch interessanten gedanklichen Ansatz entwickelt, wie sich das „Abschließenkönnen“ einer künstlerischen Arbeit denken ließe: „Vermutlich ist es der jedem Kunstwerk inhärente lyrische Gehalt, dem es Abschlussreifung verdankt.“58

Hofmannsthal kennzeichnet die ironische Absetzung vom Massenpublikum in seinem in der Frankfurter Zeitung erschienenen Englischen Stil doppelt: als ästhetische Haltung des englischen ,Kenners‘ wie als autoreferenzielle kulturelle Stilistik, die eben gerade ohne einen ,tiefen‘, geschlossenen Begriff von Kultur auskommt. Die Absetzung mündet im Bild eines als Schwimmer imaginierten ästhetischen Subjekts.59 Dessen Körper nimmt die flüchtigen Reize der sich dem vagierenden Gesichtsfeld bietenden Umwelt auf und sieht sich gerade im kontingenten Wechsel der Eindrücke eines grenzenlosen Daseins, einer gesteigerten und zugleich entgrenzten Souveränität versichert. Diese Doppelbewegung entspricht einer auch in der zeitgenössischen Kunstwissenschaft, etwa bei Alois Riegl, feststellbaren Entscheidung: Wo die Stimmung zu einer methodischen Grundkategorie erhoben wird, wird sie „vom verschwommen konturierten Einzelobjekt provoziert“.60 Am dadurch eingesetzten Rhythmus des Kontrasts im Verhältnis von Ebene und Raum vermag an der Schwelle zur selbstreferenziellen Moderne das Ganze von Kunst und Kunstgeschichte weiterrezipiert und -tradiert zu werden,61 ohne sich zunächst der überlieferten normativen Ansprüche des Klassischen entledigen zu müssen – ja ohne überhaupt die entstehenden Probleme eines epigonalen Verhältnisses zur (,deutschen‘ bzw. ,deutsch-antiken‘) Klassik aktiv thematisieren zu müssen.

Es ist diese ästhetische Grundfigur des aus der präzisen Kontur herausgehobenen Einzelobjekts, mittels dessen Hofmannsthal die ,Literarische Person‘ als paradigmatische Figur der Literaturgeschichte ausbildet. Im Text Englischer Stil sind ,einzelne‘ Momente noch als Teil einer souveränen, das heißt kulturerschließenden Ästheten-Philologie konzipiert: des (künstlerischen) Vermögens, Wahrnehmungen im Kleinsten zu interpolieren. Sie durchlaufen in Hofmannsthals späterem Schreiben eine produktionsästhetische Transformation, die im Resultat sowohl eine Fragmentarisierung der Formate (und Publikationen) als auch eine Hinwendung zum Einzelnen (als Dichter, der ein bestimmtes Lebensmodell, eine bestimmte generationale Lagerung,62 eine bestimmte gesellschaftliche Verortung etc. verkörpert)63 bedeuten. Diese Hinwendung zu ,den‘ Einzelnen hat den Effekt, dass diese als Figuren tendenziell monumentalisiert, also nicht mehr im interpolierenden Vollzug, sondern in textuellen Quintessenzen – einzelnen Passagen, Anekdoten, kurzen Porträts, veröffentlichten (teils fiktiven) Briefen oder aufgezeichneten Unterhaltungen etc. – wahrgenommen und zur Stiftung von Traditionsgenealogien modelliert werden.64

Dabei hält Hofmannsthal bei aller Relativierung genau in dieser Hinwendung zu den Einzelnen auch Distanz zum völkischen Literaturgeschichtsdiskurs etwa eines Josef Nadler. So notierte Hofmannsthal 1928 unter anderem: „Über Nadler […] Die Angriffspunkte: entschieden großdeutsch/antisemitisch/antihumanistisch?/ nein?/ Hauptpunkt: das Einzelne kommt nicht zur Geltung.“ Sobald sich Nadlers Theorien und Thesen auf das Individuum bezögen, „muss die Theorie falsch und entstellend werden: Das höhere Recht des Individuums besteht in der Überwindung der Gebundenheiten.“65 Hier verweigert die sich verselbstständigende Bildmacht die politische claritas und bewirkt Ambivalenzen – wie so oft bei Hofmannsthal.

Ist Kultur mit Max Weber „ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter, endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens“,66 so behandelt der frühe Hofmannsthal dieses Problem als eine Frage für Einzelne, eine Frage ästhetischer Souveränität, der Konstruktion des Zusammenhangs im Wissen um das Zusammenhanglose, der philologischen Beschwörung einer geistigen Form von Individualität, die sich jeder philologischen Präzisierung zugunsten einer Beschwörung der funktionellen Wirkung von Lebensaltern entzieht. Diese ästhetische Idee der Erschließung wird im Konzept der ,Ahnen‘ für die Literaturgeschichte funktionalisiert. Die Evidenz sogenannter Lebensalter bewirkt die diskursiv hergestellte Harmonie des vorgespiegelten philologischen Offenbarungserlebnisses, das Hofmannsthal in seiner Habilitationsschrift zu Victor Hugo inszeniert. In der Vorrede heißt es:

Man wird in der folgenden Darstellung die Einzelheit, das biografische und literarhistorische Faktum, fast völlig vermieden finden: es erschien als anstrebenswert, die leitenden Ideen eines künstlerischen und menschlichen Daseins aufzusuchen, welche freilich weder Ideen im philosophischen, noch im politischen Sinne sind, sondern dem ästhetisch-ethischen Gebiete angehören: die individuellen Tendenzen, welche in der Führung des Lebens und in der dichterischen Produktion sich gleichmäßig geltend machen, die aus der Fülle der einzelnen Züge erschlossen, dargestellt aber im Zusammenhange werden können, und deren Einheitlichkeit und tiefe Harmonie eben die literarische Person: Individuum, Werk, Wirkung und Nachwirkung zusammen ausmacht.67

Der Traditionsbestand ist, so die Annahme, über die ,Literarischen Personen’ unhinterfragbar gesichert, eben weil deren Rezeption diese stets erneuert: ein Diskurs ästhetischer Vererbung in nuce. Obwohl Hofmannsthal sich im Modus des ,jungen Ahnen‘ bewegt, seine Texte offensiv als aus den eigenen Lektüren heraus geschriebene darstellt (und damit auch auf ein spezifisches Lesepublikum abzielt), setzt er in den poetologischen Überlegungen das Individuum an die Spitze und vertritt einen emphatischen Autorbegriff.

In dieser Ästhetik der ,Literarischen Person‘ werden zwei Dimensionen bekräftigt: Auf der sichtbaren Ebene stehen die empirische Person, die Einflüsse, denen sie ausgesetzt ist, ihr Produkt und dessen Effekt (einschließlich der Rezeptionsgeschichte der Bücher). Auf der anderen Seite behauptet sich eine vergleichende Literaturgeschichte der Altersstufe, in der ein Text entstanden ist, als Ausdruck eines ,Generationenerlebnisses‘, das Allgemeingültigkeit zu verleihen bestrebt ist. Hofmannsthal behauptet die Integration des Sichtbaren in diese als ,allgemein‘, also als übergreifend angenommene Ebenen des gemeinhin Literaturhistorischen und der Generation. Ein gesellschaftlich Allgemeines – geteilte Lebensbedingungen – verschwindet hinter einem geteilten Erlebnis qua eines Generationenzusammenhangs oder -gegensatzes.68 Dahinter steht die traumatische Kriegserfahrung, die sich in diesem zeitgenössisch breit geteilten Ausdruck (,Generationenerlebnis’) nur indirekt und verbrämt Bahn bricht.

Erst das konkrete ,Erlebnis‘ der dichtenden Person verbürgt in Hofmannsthals Auffassung die Individualität eines Werks, das andernfalls als ,bloßer‘ (naturalistischer) Ausdruck einer Generation keinerlei Wirkung erzielen könne. Dieses Erlebnis ist gleichzeitig brüchig geworden, im eigentlichen Sinn post-klassisch, da es sich nicht mehr aus der Erfahrungstotalität der Ahnen einstellt, sondern der Gegenwart ausgesetzt ist. Gerade diese Brüchigkeit vermeintlich individuellen Erlebens insistiert in Hofmannsthals Schreiben. Im „Dahinsturz“, einer Erfahrung des psychischen Zusammenbruchs anlässlich einer Reise nach Griechenland im Jahr 1907,69 versagt die traditionelle Bildhermeneutik, die das Gesehene als Deutung in ein Überlieferungsgeschehen einstellt.70 Übrig bleibt ein Trümmerfeld der Antike in sinnentleerter Analogie zu Goethes Bericht aus Sizilien als gespenstische Stätte des Nichtvorhandenen. Der Blitz mit allen Begleiterscheinungen einer Ästhetik der Plötzlichkeit erscheint dem Hofmannsthal’schen Betrachter dann, ausgerechnet, im Museum der Akropolis.

Im Folgenden bleibt zu zeigen, wie dieses wahrnehmungstheoretische Muster dichterischer Subjektivität und ,klassischer‘ literarischer Form in den Anthologien und der ästhetischen Erneuerung der Buchkultur zum Spieleinsatz der ,konservativen Revolutionäre‘ gerät, die sich als Formexperimentatoren ,im Kleinen‘, im Wort, verstehen,71 und sich dabei gegen die avantgardistische Materialrevolution der gleichzeitig auf den Plan tretenden Konstruktivisten, Formalisten und Dadaisten verwahren. Sabine Schneider hat für Hofmannsthal unter Berücksichtigung der zeitgenössischen psychophysischen, kunstwissenschaftlichen und ästhetischen Diskurse umfassend dargelegt, inwiefern die wiederkehrenden Chiffren bildpoetologisch lesbar werden und damit einen Beitrag zur Entschlüsselung dessen leisten, was als Ästhetik der konservativen Revolutionäre figuriert.

Die These vom Bild als Anderem der Sprache impliziert […] medialen Reibungswiderstand und setzt voraus, dass ,Bild‘ dabei nicht auf das konventionelle rhetorische Schema der Tropen oder die Erzeugung von Anschaulichkeit eingeengt werden kann, sondern eine heuristische Formel für den Komplex einer alternativen Sprachform ist, deren Faszination in der Verheißung poietischer Innovation und semiotischer Komplexität liegt (nicht aber in vermeintlicher Unmittelbarkeit oder mimetischer Anschaulichkeit).72

Eine solche ,Entgrenzung‘ des Bildbegriffs hat der Hofmannsthalforschung einen produktiven Schub gegeben. So hat Ursula Renner herausarbeiten können, dass der Autor „im Medium der bildenden Kunst die für das eigene literarische Schaffen zentrale Frage nach dem Verhältnis von aisthesis und poiesis“ reflektiere.73 Hofmannsthal führe im Blick auf Bilder zumeist auch einen (impliziten oder expliziten) Metadiskurs über die poetische Funktion von Bildern und Texten.

Der Wirklichkeitsanspruch dieser politischen Ästhetik als fingierter Kulturphilologie stützt sich auf eine Konstruktion, eine Sollensmetaphysik. „Wenn ein Mensch dahin ist, nimmt er ein Geheimnis mit sich: wie es ihm, gerade ihm, – im geistigen Sinn – zu leben möglich gewesen sei.“74 Individuelle Auslegungskunst ist bei Schleiermacher die historische Voraussetzung der Gattungskenntnis, damit überhaupt ein individuelles Werk gestaltet werden kann. So wird die Auslegungskunst auch Teil einer nicht mehr regelgeleiteten Poetik. Hofmannsthal nimmt diesen dialektischen, proto-ästhetischen Ansatz gleichzeitig auf, erzeugt aber auch, gegen Schleiermachers „grammatische“ Hermeneutik, eine Nähe des Hermeneutikers in der „Harmonie des Gegenstands“.75 Im Anschluss an Dilthey wird das Individuelle als Ordnung im Sinn eines Kreuzungspunkts von Wirkungszusammenhängen bestimmt. Die Gestalt wird zum Prinzip der Einheit im historischen Objekt;76 diese Gestalt kann sich etwa auf eine Person und ihre Umgebung, auf eine Person in ihrem Lebensabschnitt, eine Person in ihrem institutionellen Wirkungskreis beziehen.

Der metaphysische Unterbau der mit den Lebensaltern ,Kindheit‘, ,reifer Erwachsener‘ und ,betrachtender Greis‘ verbundenen verallgemeinerten Lebensfunktionen lehnt sich an Konzepte der romantischen Werkkritik an und ist gegen den empiristischen literaturgeschichtlichen Positivismus, die historisch-kritische Philologie,77 gerichtet. Victor Hugos Leben wird in der Rhetorik dieser ästhetischen Philologie Hofmannsthals als glückende Folge von Übereinstimmungen der inneren Natur mit der äußeren Umwelt geschildert. Ein Zitat aus Hofmannsthals Aphorismenband Buch der Freunde78 untermauert die ,ästhetische‘ (tautologische) Logik dieser Hermeneutik des Lebens. „Ein Mann, der mit fünfunddreißig stirbt, ist auf jedem Punkt seines Lebens ein Mann, der mit fünfunddreißig stirbt. Das ist das, was Goethe Entelechie nannte.“79 Dass eine solche hermeneutisch prästabilierte Harmonie der Faktoren einer aus dem Bruch des Lebens im Tod hervorgehenden Dialogizität, die die ,Literarische Person‘ ausmachen, trotzdem nicht ohne ein nationalliterarisches Apriori auskommt, zeigt die Gegenüberstellung von Victor Hugo und Goethe am Ende des zweiten Kapitels von Hofmannsthals Studie.

Das Subjekt seiner literarischen Erregung war niemals ein ganz egoistisches […]; und dem Hörer sagte ein untrügliches Gefühl, dass hier einer sprach, dem das stärkste Menschliche immer gegenwärtig war. Und wenn sich Goethe einem Vertrauten gegenüber mit großartiger Ruhe in der berühmten Wendung aufschließen durfte: ,Meine Sachen können nicht populär werden; sie sind nicht für die Masse geschrieben, sondern nur für einzelne Menschen, die etwas ähnliches wollen und suchen‘, so gilt für Victor Hugo fast das gerade Gegenteil. Der Einzelne wird nur das Allgemeinste seines Daseins hier ausgesprochen finden, aber die große Menge wird sich immer und wieder in ihm zusammenfinden, der mit wundervoller Beredsamkeit auszudrücken gewußt hat, was allen gemeinsam ist und keinem völlig fremd bleiben kann.80

In diesen ästhetischen Suchbewegungen knüpft Hofmannsthal an die Lebenshermeneutik an: „Die realen Lebenskategorien sind [bei Dilthey] zugleich die hermeneutischen Kategorien des Verständnisses von Welt.“81 Einzelerlebnisse mutieren zu Erkenntnis-, tendenziell gar zu Offenbarungserlebnissen einer ästhetischen Philologie. Individuelle Lebens- und geteilte Epochenzeit moderieren diese philologische Dramatik, aus dem Epochen- und Generationenbewusstsein ergibt sich die ,Problemgeschichte‘ einer Dichtung, das ,Literarische‘ einer Person. Die ersten Kapitel von Hofmannsthals Studie82 zu Victor Hugo ,enthüllen‘ unter den Titeln „Lebenslauf / Als Entwickelung der geistigen Form“ eine Stimmungsdramatik der literarischen Person. Darauf folgt eine ausführliche Stil- und Ausdrucksanalyse,83 bei der in der nun empirisch betriebenen philologischen Arbeit am Material der Literatur Victor Hugo als Individuum eine geistige Form erhalten soll.

Die Erschließung einer deutenden Perspektive auf Kultur, so kann man zusammenfassen, geht bei Hofmannsthal zunächst von einer stark wahrnehmungstheoretischen Problematisierung der Subjektivität aus. Die metaphysische Verschränkung einer allgemeinen Funktion der Zeit als umschließender problematischer Gegenwart mit der je konkreten Produktion eines Dichters ist über die Lebensalterfunktion, eine Art ,Generationenerlebnis‘, fixiert. Die Auflösung einer festen hermeneutischen Ausgangsposition (zugunsten des Subjekts als Schnittpunkt der Erfahrungstatsachen und der Generation als begrenzendem Filter) ebenso wie die Verabschiedung der „Darstellung des Ganzen“84 (zugunsten der Annahme der ,Gestalt‘) führen Hofmannsthal in die anthropologische Reflexion.

Die anthropologischen Maximen, innerhalb derer das Bild der ,Literarischen Person‘ konstituiert wird, sind auf eine anthologische Poetik zugeschnitten, die sich auf die Montage von Textfragmenten ausrichtet und damit den Anspruch verbindet, Tradition gleichermaßen als im Buchformat abgeschlossenes ästhetisches Ganzes zu restaurieren und zu präsentieren wie zugunsten einer zeitgenössischen Rezeption zu erneuern.

3.4 Anthologische Verdichtungen: Aphorismus – Geste des Blätterns – Buch der Freunde

Verschiebt man den Fokus weg von der lebensphilosophischen Konstruktion als Offenbarungsphilologie mitsamt ihren problematischen Rückspiegelungen funktionalisierter Lebensalter auf dichterische Erzeugnisse und wendet sich den produktionsästhetischen Effekten zu, zeigen sich interessante Implikationen, die im Folgenden an Hofmannsthals Aphorismenband Buch der Freunde sowie an seinen Zeitschriften und Zeitschriftenprojekten diskutiert werden sollen.

Der Aphorismenband Buch der Freunde erschien 1922 im Insel-Verlag. Das Büchlein versammelt eigene Aphorismen und Kurzessays sowie zitierte Maximen anderer Autorinnen und Autoren; die Hälfte der aus über siebzig Texten entnommenen Zitate stammen von Dichterinnen und Dichtern. Meistens sind es Auszüge aus Briefen, theoretischen oder autobiografischen Texten, Tagebucheinträgen, also aus sich selbst als entlegen demonstrierenden Werkteilen.85 Sprüche französischer und englischer Autoren, es handelt sich fast ausschließlich um Männer, sind in der Originalsprache zitiert. Thematische Eingrenzungen lassen sich leicht erkennen, auch wenn sie nicht durch rahmende Übertitel ausgezeichnet sind. Es geht um allgemeine Maximen des Lebens, um die künstlerische Produktion, um Religion, Politik und um das Verhältnis der Geschlechter. Nachdem Hofmannsthal das aphoristische Material aus seinen Aufzeichnungen zunächst mit Erzählprosa zusammen als fortlaufendes Jahrbuch zusammen mit dem Insel-Verlag projektiert hatte, stellte sich allmählich die Idee eines Aphorismenbuchs ein. Seiner Verlegerin Katharina Kippenberg empfahl er, das Manuskript (wahrscheinlich ein Typoskript) auseinanderzuschneiden. Die Vorlage für Kippenbergs Anordnung der Aphorismen im Buch der Freunde lässt sich nicht mehr rekonstruieren.86

Das Druckbild des Buchs der Freunde mit Blindzeilen zwischen den gesetzten Sprüchen weist von allen Hofmannsthal’schen Publikationen vielleicht am stärksten mimetisch auf seine Tagebücher und Aufzeichnungshefte hin, in denen nicht ein selbstvergegenwärtigendes Schreiben dominiert, sondern abschnittweise abgesetzte Reflexionen, die von Zitaten aus seiner Bibliothek durchsetzt sind. Hofmannsthals umfangreiche Arbeitsbibliothek mit vielen annotierten Büchern87 bildet die Grundlage für die Szenerie der Wiederaufführung eines abstrakten Klassizismus, eines Schreibens in der Ahnenfolge, die sich nicht auf eine beschwörende literarische Ahnenschau reduzieren lässt. Seine Arbeit geht von reflexiven Wendungen an den Texten aus, die konstruktiv als Hermeneutik des Erinnerns, dekonstruierend als zerstörendes Zitieren begriffen werden können.88 In einer brieflichen Äußerung gegenüber Rudolf Pannwitz inszeniert Hofmannsthal die Genese der Aphorismen hingegen unter Ausblendung seiner Arbeitstechnik als eine Art Traumprotokoll: Diese habe er meist in der Nacht und unmittelbar nach dem Aufwachen aufgezeichnet. Vielleicht versucht er sich damit noch einmal in eine spezifisch deutsche Literaturtradition einzureihen – offensichtlich ist, dass die „produktive Anarchie“, das „produktive Nebeneinander“89 dieses Buchs darauf ausgerichtet sind, mit eigenen Maximen einen (negativen) Bezug auf die als krisenhaft erfahrene Nachkriegswirklichkeit aufzubauen.

Der Titel Buch der Freunde schreibt eine Sentenz aus den Aufzeichnungen des 17-jährigen Hofmannsthal von 1891 aus: „Jeder Mensch schreibt seine eigene Biographie; Künstler sein heißt sie verstehen und gekürzt herausgeben. […] Künstler lieben vollendete Kunstwerke nicht so sehr wie Fragmente, Skizzen, Entwürfe und Studien, weil sie aus solchen am meisten fürs Handwerk lernen können.“90 Diese produktionsästhetische Irritation lebensphilosophischer Prämissen bleibt ein Paradigma, das sich bei Hofmannsthal durchzieht. Die – gekürzte – Selbstdarstellung fragmentarisch und wiederum biografisch aufzunehmen, verabsolutiert das Arbeitsprinzip einer anthologischen Edition in einem ästhetischen Modus, indem die Suche nach einem einheitlichen, ,Leben‘ und ,Individuum‘ zur Deckung bringenden Stil den vorhergehenden Bruch und eine fragmentarische Vorstellung von Form voraussetzt.91 Diese Konzeption war auch für eine Rezeption anschlussfähig, die sich besonders in den 1950er Jahren emphatisch auf Hofmannsthals Ästhetik bezog und diese, wie etwa der Dichter und Philologe Michael Hamburger, existenzialistisch las – gleichsam als ,Ersatz‘ für die ,Unmöglichkeit‘ bei jenen Vertriebenen, eine Gedächtniskultur der Shoa jenseits der deutschen Klassik auszubilden.

Das Paradox einer Treue, die eine Form von Untreue darstellt, ist mit einem anderen Paradox verknüpft, das im Hofmannsthalschen Werk gegenwärtig ist, dem Paradox, dass wir nicht wirklich wir selber sein können, bis wir wissen, wie wenig von unserem Ich uns wirklich gehört.92

Hofmannsthals rearrangierendes Schreiben macht sich unterschiedliche Gattungsmodi wie etwa die briefliche Kommunikation als strategisch eingesetztes Spielfeld (und Arsenal) für die literarische Arbeit der Distanzierung als Medialisierung zunutze.93 So heißt es in einer anderen Variante zum künstlerischen Schreiben der eigenen Biografie in Bezug auf die Dichtungstopoi von Haus und Garten:

Wer heute baut, soll nicht einen alten Garten kopieren, sondern von ihm ein paar Wahrheiten ablernen. Irgendwie wird er mit der Anlage seines Gartens seine innere Biographie schreiben, so wie er sie mit der Zusammenstellung seiner Möbel in seinen eigenen Zimmern schreibt.“94

Das moderne Leben verlange nach Fingierungspraktiken. Derer ist die Künstlerperson in der ästhetischen Formwerdung und -einrichtung (als Interieur etwa) bereits gewahr. Im Anschluss an Nietzsche wird der Künstler als Artisten-Philologe charakterisiert, der im basalen Verstehensakt keine psychologische Perspektive einnimmt, sondern sich in die ästhetische Dissonanz der Form einstimmt, um das Individuelle kristallisieren zu lassen. Jene Form, die Hofmannsthal an der ,Literarischen Person‘ Victor Hugos so ungebrochen beschwor, der philologischen Analyse am kontingenten Wortmaterial voranstellte und damit letzten Endes auf die Auslöschung bzw. auf den automatischen Nachvollzug dieser Kontingenz zielte. Wenn bisher das ,Einzelne‘ in seiner eigensinnigen Logik als produktionsästhetisch innovativer Umgang mit der literarischen Tradition begriffen und gegen eine philologische Programmatik ins Feld geführt wurde, die Hofmannsthal nach seiner zurückgezogenen Habilitation letztlich nicht weiterverfolgte, so ist damit auch für eine Betrachtung der Editionstätigkeit als künstlerischer Arbeit argumentiert. Dies ist weniger trivial, als es zunächst klingt, denn die Hofmannsthalrezeption hat dessen editorische Praktiken meist ausschließlich vor der Folie eines nationalpolitischen und -pädagogischen Repräsentationsbegehrens gelesen.95

Zunächst gilt es deshalb, einen weiteren wichtigen materialästhetischen Aspekt in Hofmannsthals poetologischer Figuration und der materialen Basis seiner Argumentation zu analysieren: das rhetorische Muster seiner Kulturkritik. Hofmannsthals Entwurf der Künstlerperson als Repräsentant seiner Kulturkritik ist so zeitgebunden wie gegenwartsentrückt. In der 1906 gehaltenen Rede „Der Dichter und diese Zeit“ bildet das Blättern im Buch die universale Geste des zeitgenössischen Menschen. Das Buch ist einerseits Metapher für das rastlose Erhaschen gespeicherten Wissens und fügt sich damit in die alte Topik des Wissensspeichers. Zum anderen und interessanterweise entwickelt Hofmannsthal den Gedanken einer gleichzeitig materialen und performativen Dimension dieses Blätterns: in seiner Lesart nützt sich mit dem Zerblättern und Abgeblättert-Sein der Bücher gleichzeitig der darin gespeicherte Wert ab. Zerfledderte Bücher markieren eigenartigerweise nicht einfach ein intensiv rezipiertes, sondern ein inflationiertes Wissen. Durch diese flüchtig-nivellierende Nutzung rückt der Akt des Lesens selbst in den Vordergrund: „das Lesen [wird] in unserer Epoche eine Lebenshandlung, eine des Beachtens werte Handlung, eine Geste.“96 Es geht also nicht um die Aneignung von Wissen in der Kulturtechnik des Lesens, sondern um die ästhetische Geste der Flüchtigkeit als Symbol für eine Zeitgenossenschaft, realisiert im durchgeblätterten Buch und in der blätternden Hand. Das durchgeblätterte Buch bildet die Allegorie einer in Hofmannsthals Augen ubiquitär gewordenen Verwertungspraxis, die symbolisch mit einer sich verkürzenden Halbwertszeit des Wissens verknüpft wird. Dem setzt Hofmannsthal seine ästhetische Philologie der Lebensalter der ,Literarischen Person’ entgegen. In deren philologischer Analyse bleibt die Unabschließbarkeit und inhärente dynamische Produktivität ästhetischer Formbildungsprozesse97 als durchdrungener Lebensform98 im künstlerisch tätigen Individuum99 aufgespeichert und kann gewissermaßen modellartig untersucht werden. Auch diese Umstülpung von sozialer Nivellierung des Lesens in eine damit mögliche ,innere‘ Distanzierung der Lesenden, die daraus eine eigenständig-abgesetzte Lebensform entwickeln, eröffnet vielfältige Anknüpfungspunkte.

In Bezug auf den Umgang mit der literarischen Tradition hingegen setzt die Öffnung des Buchs, weg vom Wissens- und Gedankenspeicher hin zur performativen Geste des Blätterns, produktionsästhetische Effekte frei: Diese liegen in der Behauptung, dass zugleich in dieser Geste das Wissen der Bücher selbst veralte. Die im flüchtig Aufgeschnappten, Zitierbaren, im Kleinen, im Kurzen, Herausgezogenen, Abgerissenen zutage tretenden Effekte eröffnen den Blick auf einen Umgang mit Wissen als zukünftig anders zu tradierendem Wissen.100 In dieser Verkürzung auf eine Geste der Wissensaneignung und des Aktualitätsdrangs im angeblätterten und weggelegten Buch zitiert Hofmannsthal gleichermaßen kurrente zeitgenössische Kulturkritik und positioniert sich doch in einem Abstand dazu, indem die Logik dieser kulturkritischen Rhetorik von der materialen Form des Buchs ihren Ausgang nimmt, um auf die allgemeine Dissonanz der Lebensformen hinzuweisen.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Buch der Freunde als eine kontrafaktische Semiose, eine Komödie des nun selbst in der ,Hochreife‘ stehenden Mittvierzigers Hofmannsthal auf die Poetik der ,Erbfolge‘ seiner früheren Jahre und seine inszenatorisch angelegte Kulturkritik, die dazu ebenso viele Begleittöne freilegt wie die ästhetische Philologie Hofmannsthals als Interpret von Victor Hugo.

Das Buch der Freunde ist in seiner polemischen Entgegensetzung zur Gegenwart, die in ihm „für jeden Satz“ geortet wurde,101 keineswegs Ausdruck der ästhetischen Souveränität, die der philologische Literat Hofmannsthal als eine Art letztgültigen Besitz auslegt, der quasi allen inflatorischen Tendenzen auch in der Kultur widerstehen würde – wider alle Ironisierung von Dingen und Menschen, die er in gleichzeitig entstehenden Zeitungsessays Anfang der 1920er Jahre beklagt. Die spruchhaften Konversationen, in aphoristischen Formeln versammelt, treten zwar als allgemeiner Besitz der Sprachnationen Europas auf und erscheinen als geglückte Demonstration eines Einzelnen, wie aus den Traditionen des europäischen Denkens der interkulturelle Austausch nach dem Ersten Weltkrieg wieder reaktiviert werden könnte. Die Inventur des geistig-kulturellen Bestands ist aber in keiner Weise abschließend, sondern gerade in den der Insel-Herausgeberin Katharina Kippenberg überlassenen Setzungen auf Anschlussfähigkeit und intensive Rezeption ausgerichtet. Das Druckbild des Buchs erfordert eine Verlangsamung des Lesens und damit das Gegenteil zur Geste des Blätterns, damit interpretative Brückenschläge zwischen den einzelnen Sprüchen möglich werden. Die Spruchformeln sind ohne jedweden Kommentar, einzig mit dem Autornamen und, in manchen Fällen, einer (ungenau-summarischen) Fundstelle abgedruckt. So werden Spuren ausgelegt, die zugleich das Blättern abbremsen wie animieren: zwischen entfernt gesetzten Aphorismen im Buch der Freunde und im Griff bzw. der Suche nach den Quellenangaben dieser Aphorismen der „Freunde“, die sich zusehends als Buchpersönlichkeiten zu figurieren beginnen. Zum anderen ist dieser tragbare Besitz ein Gegenmodell der Gesamtausgaben und der umfangreichen Bibliothek, aus der sie geschöpft wurden. Das Oktav-Format der Insel-Bücherei ist bereits zur Erscheinungszeit des Buchs der Freunde der Inbegriff für das handliche und leichte, das verkehrsgerechte transportable Büchlein für Momente literarischer Transgression in der Kutsche oder der Trambahn.

Die im Chandos-Brief ästhetisch prätendierte ,Sprachkrise‘, scheiternde ästhetische Transzendenz, wird durch polemische Inaktualität ersetzt. Die von Hofmannsthal im Verbund mit seiner Verlegerin aktiv betriebene Fragmentarisierung – was die Chronologie wie die Thematik der Sprüche, Aphorismen und Sentenzen angeht – steht in einem interessanten Verhältnis zum zeitgleichen kulturkritischen und mit latent antisemitischen Untertönen versehenen Diskurs um die Homologie von ,Geld‘ und ,Schrift‘. Ist das Buch der Freunde ein konservativ-revolutionäres Programm zum Aufbruch aus der ,Sprachkrise‘, Ironisierung der Schrift-Semiose in der inflationären Buchproduktion und ein Vorspiel zur anthologischen Aneignung des Traditionsbesitzes, die Hofmannsthal mit dem verlegerischen Großprogramm der Bremer Presse in den 1920er Jahren anging? Im Prosastück Die Ironie der Dinge (1921 als Teil von Drei kleine Betrachtungen veröffentlicht) wird diese lange eingeübte und an Simmels Philosophie des Geldes (vgl. Kap. 3.8)102 geschulte Form der Kultur- und Gesellschaftskritik für die Gegenwartsdiagnose erprobt. Hofmannsthal changiert darin zwischen einer ästhetischen Betrachtung der Folgen der Inflation für das zeitgenössische politische Geschehen und der ängstlichen Beschwörung der sozialen Konsequenz, die die Geldvermitteltheit auf das geistige (und damit ist gemeint: das etwaig nicht geldvermittelte) Wirken einer intellektuellen ,Elite‘ hat. Die geistige Arbeit könne angesichts der vollkommenen Entwertung kein ,geistiges‘ Gesicht mehr haben, weil deren dem Tauschverkehr bislang entzogen gebliebene soziale Basis ironisiert, ,gleich‘ gemacht und damit auf einen kontingenten Verkehrswert bezogen werde.

Metaphern und Allegorien für das poetische Schaffen, wie sie im ,Schwimmer‘ des Englischen Stils zu Jahrhundertbeginn auftreten und die lyrisch entfaltete Poetik der Vorgeschichte des Frühwerks prägen,103 werden durch eine reflexive Wendung auf die Vorvergangenheit ersetzt. Im Buch der Freunde (1922) ist das ,zusammenhanglos Gewordene‘ dieser Vorvergangenheit als Komödie des produktiven Nebeneinanders aktualisiert und inszeniert. Diese kann aber nur demjenigen klar vor Augen stehen, der in der „Supposition des Quasi-Gestorbenseins“104 für sich die Position des Überlebenden, des im Zustand des Nachlebens Lebenden annimmt. Die ästhetische Konsequenz daraus ist die Spruchsammlung. Im Gleichschritt mit der Semiose der Schrift, der ,Inflationierung‘ der Kultur in einer ironischen Komödie, der Dekonstruktion des repräsentativen Herausgebers und Kriegsschriftstellers der Österreichischen Bibliothek, setzt Hofmannsthal ästhetische, moralische und politische Sentenzen von sich selbst und rund 70 Autoren aus der Weltgeschichte. Nicht mehr nur thematisch wird die aisthesis der Leserinnen und Leser, das flüchtig Wahrnehmbare, das Nervöse in die Stilregister der Moderne eingepasst; auch die poiesis – so deuten es zumindest die Selbstaussagen an – lässt die offene Form des systemlosen Aphorismus, des lyrisch verdichteten Handlungsbilds zu. Hofmannsthal war der Umbruch so stark zu Leibe gerückt, dass sich seine poetischen Verfahren deutlich veränderten. Das Buch der Freunde ist in dieser Hinsicht am stärksten exponiert: Weder die symbolistische ,Gemachtheit‘ der Poesie aus Worten noch ein stimmungsharmonisches souveränes Ästhetentum bestimmen dessen Poiesis, sondern das Nebeneinander „versteckter Mündlichkeit“ (die den Zauber schön geschriebener Bücher ausmache),105 von Traum-Aufzeichnungen, Zitaten aus dem Andreas-Fragment und (teils falsch zugeordneten) Annotaten aus seiner Bibliothek. Sowohl das ,Schöne‘ wie das (nationale) Trauma weiter auf eine ,Empfindungsfähigkeit’ des ästhetischen Ichs zu gründen, schien nunmehr ausgeschlossen.

3.5 Der Gang durch die Sprachdenkmäler: Das Deutsche Lesebuch

Im Gegensatz zu Stefan George hat sich Hofmannsthal weder praktisch noch programmatisch von den Massenmedien seiner Zeit abgewandt.106 Vielmehr werden in seinen literaturkritischen Schriften wie in seinem poetischen Werk Phänomene des medialen Umbruchs in der Sprache wie als Wirklichkeitserfahrung zur Reibungsfläche des Schreibens.107 Als ein früher erklärter Berufsschriftsteller im deutschsprachigen Raum musste er mediale Resonanz erzeugen und war deshalb sehr aufmerksam für gattungswirksame Entscheidungen, sobald diese eine wichtige Rolle für die Rezeption spielen sollten. So hat er beispielsweise in der Zusammenarbeit mit Max Reinhardt und Richard Strauss seine Stücke und Libretti immer wieder umgeschrieben.108 Daneben hat Hofmannsthal Feuilletons in Tageszeitungen veröffentlicht. So ist der berühmte Text Ein Brief (Brief des Lord Chandos an Francis Bacon), der erstmalig im Feuilleton der Berliner Tageszeitung Der Tag erschien, in der Literaturwissenschaft zum emblematischen Text für die moderne Literatur um 1900 geworden.109 Die Anthologien- und Zeitschriften-Projekte Hofmannsthals sind nur unzulänglich beschrieben, werden sie einzig als Traditionsfixierung und Kanonisierungsbegehren in nationalliterarischer Absicht gelesen. Als Publikationsform intervenieren Anthologien in ein literaturpolitisches Feld, das ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts marktförmig organisiert ist und in dem sich entsprechende Distributionsmuster der ,Aufmerksamkeit‘110 herausgebildet haben. Hebbels Diktum von 1854 – „Wir leben in der Zeit der Anthologien […], wir vertragen nur noch die Quintessenz der Quintessenz“111 – hat in diesem Sinn exemplarischen Charakter, weil es auf die Bedeutung dieser Sammlungen für die Konstitution eines breitflächigen literarischen Marktes im 19. Jahrhundert ebenso hinweist, wie darauf, wie im Rahmen kleinfamilialer, aber auch literaturbetrieblicher bürgerlicher Lese- und Tradierungspraktiken welche Literatur (bzw. Dichtung) wahrgenommen, gelesen, besprochen oder als Repräsentationsmittel benutzt wurde. Die dem Marktgeschehen immanente Logik der Verknappung übertrug sich auch auf das Aussehen und die Gestalt der Bücher, die, in Form der anthologischen Sammlungen, dieses Prinzip auch zum medientechnischen Rahmen ihres Inhalts bestimmten. Friedrich Hebbels Essay „Zur Anthologien-Literatur“ (selbst eine Rezension von zwei Anthologien) beginnt denn auch mit medientechnischen Hinweisen auf den Wandel der Buchformate.

Wir leben in der Zeit der Anthologien. Wie die Folianten längst zu Quartanten zusammen schrumpften und die Quartanten dem Groß- und Klein-Oktav wichen, wie das Schweinsleder und der Saffian dem gepreßten Papier Platz machten und die messingenen oder ehernen Krampen, die ehemals so sicher an jedem Thesaurus zu hangen pflegten, wie Schloß und Riegel an der Thür, ganz und gar verschwanden, so hat sich auch das Innere der Bücher vollständig metamorphisiert und manches bloße Register der verschwundenen Periode ist umfangreicher, als jetzt ganze Werke.112

Die von Hofmannsthal verantworteten Anthologien vor und während des Ersten Weltkriegs – die Deutschen Erzähler von 1912 und die Österreichische Bibliothek während der Kriegs- und der frühen Nachkriegszeit113 – entsprechen noch einem Anthologiemodell des 19. Jahrhunderts.114 Die Deutschen Erzähler bieten Erzählungen von Goethe bis Keller, die in keiner bürgerlichen Bibliothek fehlten und demnach „nichts Neues boten“, wie es in zeitgenössischen Reaktionen heißt. Vielmehr standen sie „am Ende einer [bildungsbürgerlichen] Lektüreerfahrung“.115 Die Österreichische Bibliothek sollte die habsburgische plurinationale Reichsidee dem deutschsprachigen Österreich vermitteln. Diese beiden ersten Anthologieprojekte Hofmannsthals bieten, mit Michel Foucault gesprochen, „Geschichte in traditioneller Form“, die die „Monumente der Vergangenheit [memorisiert], sie in Dokumente [transformiert], um sie sprechen zu lassen“116 – um Literatur in Form der Objektivation für ein außerliterarisches, ein politisches Interesse in Anspruch zu nehmen. Im Fall der versammelten Texte deutschösterreichischer, böhmischer, rumänischer usw. Autoren in der Österreichischen Bibliothek ist das angesprochene ,Dokument‘ im Foucault’schen Sinn die Vielsprachigkeit des multinationalen Habsburgerreichs, die für eine politische Zukunft der prekär gewordenen multinationalen Staatsform ,alte‘ Ressourcen aus der Literaturgeschichte ,neu‘ erschließen – beschwören – möchte.

Hofmannsthals Anthologien der 1920er Jahre reduzieren den Anspruch einer literarischen Dokumentation des Zeugnishaften auf ,das Neue‘, indem an einer Kontinuität deutscher literarischer Überlieferung gearbeitet wird, die nicht den üblichen und umlaufenden literaturgeschichtlichen Entwicklungsparadigmen entspricht, sondern geradezu mimetisch von der These einer ,brüchigen‘ bzw. abgebrochenen Überlieferung angetrieben ist. Heute, wo nach Hofmannsthal Ironie über allem schwebe, falle die Nation „wieder in die Einzelnen auseinander, wie sie vor einhundertfünfzig Jahren glorreich in die Einzelnen auseinandertrat.“117

Die Auswahl der in das Deutsche Lesebuch118 aufgenommenen Stücke umfasst Texte in Prosa und fiktionale Prosafragmente. Die Auszüge sind Kunstkritiken, historischen Lebens- und Epochenbildern, essayistischen Erörterungen, philosophischer Prosa und Briefprosa entnommen, deren Entstehung auf das Jahrhundert zwischen 1750 und 1850 beschränkt ist. Das Österreichische als eine ,Vermittlungsform‘, die bei Hofmannsthal nicht frei ist von imperial-rassistischem Dünkel, insbesondere über ,ein zu vergeistigendes Slawisches‘, verschwindet nach dem Ersten Weltkrieg in dieser aktualisierten europäischen Kulturtopografie.119 Organisiert ist das Lesebuch um zentrale Texte Goethes, der mit drei Textstücken vertreten ist und auch in der Vorrede als Zentrum dessen dargeboten wird, was Hofmannsthal als deutsches Jahrhundert 1750–1850 zum Ausdruck bringen möchte. Die ästhetische Philologie Hofmannsthals läuft trotzdem nicht darauf hinaus, die im George-Kreis gepflegte Überhöhung des Dichters als Führer in Texten zu verstehen zu geben, die entscheidende Lebensszenen ausdrücken sollen bzw. das ,Rezeptionserlebnis‘ durch deren geschichtsphilosophische Dignität überhöhen. Hofmannsthal schreibt dem Deutschen Lesebuch sein Verhältnis zu George bzw. zu der für diesen Kreis konstitutiven Anthologie Das deutsche Jahrhundert anders ein. Im Text Platen und Aristophanes von Karl Immermann, der in der Anthologie abgedruckt ist, heißt es im Schlussabschnitt:

Aber ein großer Dichter, wozu man ihn hat emporschrauben wollen, ist er ebenso wenig, als zwanzig gute Gedanken, die jemand hat, aus ihm den großen Denker machen. Ich bleibe also bei meiner Meinung: die ältere lyrische Stimmung wollte sich in Platen noch einmal durch die metrische Form rekonstruieren, sie brachte es auf diesem Wege aber nur zu einer geschmackvollen Anthologie, und die Originalitäten, die sie produzierte, waren Variationen über die gleichen Sätze: Die Schönheit ist schön – und: Ich bin das größte Genie der Zeit.120

Indem Hofmannsthal implizit auf die Textkonstitution Goethes von Wolfskehl und Gundolf im zweiten Band der Anthologie Das Deutsche Jahrhundert Bezug nimmt, wird – im Gegenlicht des paradigmatischen Epigonen Immermann121 und seiner Persiflage auf Platen – die Reduktion auf eine strenge und reine Symbolik als reduktive Ästhetik einer ignoranten Nachwelt doppelt aufs Korn genommen: zum einen in Bezug auf die Konstellation des Nachlebens des 19. Jahrhunderts und seiner durchgehenden ,Verkünstelungs‘- und Selbstreferenzialitätspraktiken;122 zum anderen im Aufruf und der Verwerfung ebendieser Konstellation in den Anthologien, im erneuerten anthologischen Schreiben ausgehend vom George-Kreis. Die von Hofmannsthal in extremis reinszenierte Aufgipfelung der deutschen Literaturgeschichte im personalen Ablauf zwischen Platen, Immermann, dem George-Kreis und ihm selbst spart also alle kontingenten Momente der Rezeptionsgeschichte zugunsten einer Emanation von Autorschaft im Geist der Kritik aus.

Hofmannsthals Darstellungsapriori ist einem Kulturbegriff zugewendet, der literarische Formen als historische Emanationen begreift.123 Erst aus dieser Doppelbewegung erschließt sich ein Verständnis für seine Bemühungen um die Erneuerung historischer Gattungen vor dem Hintergrund seiner Verankerung in der englischen und französischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Diese von seiner Essayproduktion begleiteten und mit begrifflichen Versuchen um Nation, Sprache und Kultur verbundenen Suchbewegungen der Nachkriegszeit allein im Zeichen politischer Krise und ideologischer Erneuerungshoffnungen zu lesen, reicht nicht aus. Die produktiven kritischen Debatten werden dadurch einseitig auf eine Ursache verengt: Ausdruck der Krise und einer mit dieser verbundenen ,religiösen‘ Suche nach neuen politischen Formen zu sein. Die Literatur – oder das Literarische – ist in dieser Perspektive immer schon zugleich funktionalisiert wie ein spiegelbildliches Äquivalent dessen, was gar nie anders sein konnte als fiktiv: „In der Gegenwart, die uns umgibt, ist nicht weniger Fiktives als in der Vergangenheit, deren Abspiegelung wir Geschichte nennen. Indem wir das eine Fiktive durch das andere interpretieren, entsteht erst etwas, das der Mühe wert ist.“124 Die Epistemologie dieser Form geschichtlichen Denkens gewinnt ihren Gegenstand wiederum durch eine visuelle Objektivierung, durch eine Verdoppelung des Zeichenhaften, woraus nach Hofmannsthals Auffassung erst eine die Betrachtenden anregende poiesis entstehen kann.

Die vielen neuen Lesestücke der zweiten Auflage des Deutschen Lesebuchs von 1926 verstärken die charakteristische Rahmung durch den Herausgeber. Der panoptische Charakter der ersten Ausgabe wird in der Anordnung und den Übergängen der Stücke in der zweiten Ausgabe von 1926 deutlicher von wiederkehrenden Zentralmetaphern wie jener des ,Gemüts‘ bestimmt, das zugleich in seiner sprachkulturellen Genealogie herausgestellt wird. Der Herausgeber Hofmannsthal setzt sich als impliziten Autor ein, der mittels der wiederkehrenden Gemüts-Metapher die ins Lesebuch aufgenommenen Texte einer aufgedeckten Wahlverwandtschaft unterstellt oder zumindest jener Affinität zu einer ,tiefen‘ Sprachgläubigkeit, wie sie im verdichtetet wiederkehrenden ,Gemüt‘ artikuliert ist. Die, mit Foucault, ,Memorisierung‘ der Spuren auf ein Außersprachliches hin wird in dieser zweiten Ausgabe des Lesebuchs transformiert zu einem verstärkten Hinweisen auf dasjenige, was die Stücke zwischen den Zeilen miteinander verknüpft – auf das Lesebuch als einen literarischen Gedächtnisraum. Auch in der zweiten Auflage sind die Stücke nicht in die Chronologie ihrer Entstehung eingebunden, trotzdem sind sie deutlicher von der Topik eines ,deutschen Schreibens‘ bestimmt, unterstrichen durch die angefügten „Gedächtnistafeln“125 am Schluss der Ausgabe, die die Autoren in Kurzbiografien in Erinnerung rufen sollen. Hofmannsthal hat nicht nur in seinen Vorarbeiten mit Zitatcollagen und der Anleihe von fremden Texten gearbeitet, sondern auch in den Publikationen. Er hat diese immer wieder in neue Projektkontexte eingefügt, in neuen Konvoluten abgelegt.

Dieser bewegliche Text-Besitz wurde im ,Gemüt‘-Denken verankert. Auch in vielen der abgedruckten Texte der Neuen deutschen Beiträge wird das Gemüt thematisch. Ein Echo darauf bilden die Träume als Aneignungen des hypothetischen, im Gemüt verankerten Besitzes. Die ,Landschaft‘ wird dabei ebenso durch die mimetische Anverwandlungsfähigkeit vorweggenommen, wie Hofmannsthal etwa die Atmosphäre Tirols in einem Brief an seinen Vater mit der Entstehungsphase der Briefe des Zurückgekehrten verknüpft: ,1 Tiroler Sommertag‘126 bringe die Stimmung, um die Novelle schreiben zu können. Dies lässt sich an Paul Valérys création par des principes séparés anschließen (vgl. Kap. 4):127 Der Schriftsteller muss sich in ein mit bestimmten Prävalenzen ausgestattetes Milieu128 begeben. In Hofmannsthals diesbezüglicher Inszenierung spielt insbesondere die ,Atmosphäre‘, das Klima, eine zentrale Rolle; darin aktualisiert sich der hypothetisch universale Besitz in Form der inneren Bilder.

In der zweiten Auflage beschließt ein wortgeschichtlicher Beitrag zur Semantik von ,Gemüt‘ das Deutsche Lesebuch, das sich als Konzept durch die ganze Anthologie zieht. Der Beitrag zieht die Summa aus Hofmannsthals Poetologie der Anthologie, indem einige Philologen und Schriftsteller noch einmal aufgerufen und zitiert werden und indem der von Hofmannsthal beschworene ,Besitz‘ gegen das ,passivisch‘ und fern von Tätigkeit apostrophierte Gemüt gestellt wird. In den Anthologien wird aber genau dieses Gemüt in all seinen Ausleuchtungen als das Verbindende eines deutschen Typus ausgemacht, dessen reflexive Verdichtungen den Schriften von Philosophen und Dichtern um 1800 entnommen sind. Hofmannsthal inszeniert einen entsprechenden Wörterbuchbeitrag von Rudolf Hildebrand aus dem Jahr 1896 dabei im Jahr 1926 als eine verdichtete Anthologie in nuce, indem prägnante Definitionen und Charakteristiken des Gemüts, des Gemüthaften und dessen wortgeschichtlicher Wandel in der Sprachentwicklung des Deutschen mittels der bei Hildebrand eingeschobenen Zitate von Goethe, Schiller, Fichte, Schlegel, Adelung usw. kommentiert werden. Noch einmal paradieren die im Lesebuch aufgenommenen Dichter und Denker am Ende des Buchs quasi in einer Galerie vor dem Lesepublikum vorbei.129

,Gemüt‘ war aber auch die Chiffre für das Scheitern bzw. die Selbstkritik Hofmannsthals in einer Notiz aus dem Jahr 1907 mit dem Titel „Was sind deine Figuren …“: Figuren werden dort als physiognomischer Ausschnitt, Tendenzen und „Gemütsverfassungen“ bezeichnet (etwa Elektra und Kreon), wogegen „in der Gestalt das Problem erledigt [sei].“130 Hiervon ausgehend bezeichnet Gemüt den sprachlich sichtbar werdenden Schnittpunkt der (dramatischen) Figuren, wogegen das Konzept Gemüt der späteren Anthologien gewissermaßen nach außen gewendet und nationalkulturell umadressiert auf die Gestalt ,des‘ Deutschen gerichtet ist.131 Im Gang durch die ausgewählten Sprachdenkmäler soll dessen ,Gestalt‘ vorgestellt, greifbar gemacht werden. Das harmonische Gespräch der (verstorbenen, klassisch gewordenen) deutscher Geister in ,mittlerer Prosa‘ zu beschwören, sie sprichwörtlich als Geister erhaben lesbar zu machen, bildet seinen Gegenstand. Damit bewegt sich Hofmannsthal nicht zuletzt in einem Beschreibungsmuster, wie es in der Tradition der physiognomischen Diskurse verankert ist: „Künstlerische Gestaltproduktion“ wird in einen „wechselseitigen Ästhetisierungs- und Szientifierungsprozess“ eingebunden.132

3.6 Ein ästhetisches Modell: Neue deutsche Beiträge

Die Zahl der deutschsprachigen Zeitschriften mit literarischem und kulturellem Anspruch explodierte in den 1920er Jahren und erreichte während der anbrechenden Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre ihren Höchstwert.133 Ausgehend von Hofmannsthals Postulat der „Wirkungslosigkeit der Schrift“ sollte die Zeitschrift – als Zeit-Schrift, als Forum emphatischer ,Zeit-Genossenschaft‘ – konkreter Schnittpunkt der Pluralität bzw. Ort der ,Versammlung‘ des vom Zerfall Bedrohten werden. Als „exklusiv“, von „höchstem Niveau“ apostrophiert und ans Vorbild des englischen Spectator angelehnt,134 boten die Neuen deutschen Beiträge ein Forum für die mit Hofmannsthal befreundeten Schriftsteller. Jedes Heft sollte „eine geistige Einheit“ sein, legte auf die Typografie ebenso Wert wie auf Textauswahl und -anordnung.135 Auffällig an den von Hofmannsthal verfassten Verlagsankündigungen ist eine Bewegung hin zur Weltliteratur. Neben deutschsprachigen Texten vom Mittelalter bis 1850 wurden in diesem Konzept Orientalia, antike und romanische Texte eingebunden, wobei auf die Mitwirkung von Philologen wie Karl Vossler und Josef Nadler zurückgegriffen wurde. Formales Programm ist der auf Goethe zurückgehende Begriff der ,Gestalt‘, hier auch Ausdruck von Hofmannsthals Ablehnung der ,Unform‘ des Essays zugunsten einer Verwandlung bloßer Materie in ein „zugleich plastisches und transparentes Beziehungsgeflecht“, vom Individuum ausgehende Lebendigkeit statt abstraktem Diskurs, „ein Ganzes über den Einzelheiten“.136 Die in der Zeitschrift veröffentlichten Texte zeigen einen größeren Pluralismus sowohl in den versammelten Gattungen (Auszüge aus Dramen, Lyrik, Essay, Aphorismen) als auch in den aufgerufenen weltliterarischen Bezügen, denen, im Gegensatz zu den Anthologien, keine explizit ,politischen Dokumente‘ einer (wie auch immer ,deutsch‘ verstandenen) konstituierten Tradition unterlegt wurden. Hofmannsthals (und Borchardts) kulturpolitisches Movens der ,Schöpferischen Restauration‘, die er in seiner stark rezipierten Münchner Rede Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation137 (1927) im Hinblick auf einen deutschen und französischen Traditionsbesitz bzw. in der Herausforderung durch den vermeintlichen Abbruch der nationalliterarischen Tradition proklamiert, zeigt sich in den Neuen deutschen Beiträgen kaum.

Das Profil der Neuen deutschen Beiträge wird in einer doppelten Bewegung von der Tradition deutscher Zeitschriftengründungen und der damit verbundenen Form intellektueller Zusammenarbeit abgesetzt. Zum einen – in einer Geste der Demut – von der um 1800 herrschenden, von Goethe, Schiller und den Romantikern verantworteten Zeitschriften Horen und Athenäum, zum anderen von der eigentlichen generationalen Abgrenzungsfolie der 1892 erstmals erschienenen Blätter für die Kunst des George-Kreises, in der „Geist und Strenge“ in einer „vordem nicht vernommenen[n] Sprache“138 zur Jugend gesprochen hätten. Nicht nur sollen die Beiträge Stimmen aus mehreren Generationen versammeln (z.B. den jungen, im Ersten Weltkrieg gestorbenen Hölderlin-Philologen Norbert von Hellingrath und den älteren Theologen Florens Christian Rang u.a.), vielmehr bekunden sie gerade darin eine „,bescheidene[n] Ehrerbietigkeit’ gegen die europäische geistige Welt“.139 Diese wird im Forum der Zeitschrift durch einander fernstehende Protagonisten verkörpert, um so das Konzept der sich aus Individuen zusammensetzenden und darstellenden Zeitschrift zu verdeutlichen.

Dieses Darstellungsideal übersetzt sich in Hofmannsthals Schreiben vielfach in eine aus der Aufklärung bezogene Metaphorik der Versammlung rund um Tische, der Versammlung in und um Bücher: paradigmatisch erkennbar im Prolog zum Stück Die Frau am Fenster, in dem die Funktion des theatralen Vorspiels in ein systematisches Schwanken zwischen intradiegetischer Realität und Theaterfiktion überführt wird. In diesem Prolog werden nach romantischem Vorbild erzählte Zeit und Erzählzeit verschleift, wenn der Dichter als Regisseur in Bildern die Handlung und die Figuren erträumt, die um einen prunkvollen Tisch gruppiert werden.140 Hofmannsthals Stücke präfigurieren damit die überhöhte Vorstellung philologischen Wissens in der ästhetischen Durchdringung von Formen, die dann auch für die kulturpolitischen Anthologien Grundlage und „Methode“ für die Darstellung sind.141

Das Entlegene und insbesondere die – indirekt – in der Zeitschrift gegeneinander antretenden Stimmen aus verschiedenen Generationen widerstreben der Abbildung eines homogenen ,Volksgeistes‘. Die Form der kulturphilologischen Auseinandersetzung mit den Zeitgeistern, deren Stimmen in der Zeitschrift veröffentlicht werden, bietet dagegen eine Bühne der Auseinandersetzung, die nicht durch kritische Wertung und Auflösung dargeboten, sondern eher implizit vollzogen wird.142 Ein vorherrschendes Diskursangebot ist dabei die Physiognomik, die in den 1920er Jahren eines der schillerndsten und ambivalentesten Resonanzfelder ist und von reaktionär-nationalistischen Gruppen und Sekten aufgegriffen wird.143 Interkultureller Bildung wird dadurch ein großer Wert für die Bildung eines ,vergeistigten‘ Publikums zugesprochen. Hofmannsthal stellt unter Beweis, wie stark er die von ihm immer wieder als disparat beschriebenen deutschen und französischen Sprach- und Literaturtraditionen wieder in Beziehung bringen möchte. Der Krisendiskurs nach dem Ersten Weltkrieg wird von Hofmannsthal nicht explizit aufgenommen, sondern als Lücke, als fehlendes ,Generationenerlebnis‘ verbrämt (dessen traumatische Seite nicht explizit eingeblendet wird) und auf die Sprachsituation übertragen: Der Begriff des Dichters sei um die Jahrhundertwende 1800 geprägt worden: Goethe, Herder, Schiller und Rousseau hätten, so Hofmannsthal in einer Gedenkrede auf Beethoven von 1919, ein „gemeinsames Generationenerlebnis“ gehabt. Nun, also 1920, sei die Sprache dafür nicht zu arm, sondern „in ihrem unermesslichen Reichtum geschieht es, dass sie die Menschen nicht zusammen-, sondern auseinanderhält.“144

Die Ambivalenz dieses ,Reichtums‘ erblickte Hofmannsthal nicht zuletzt in der Figur Rudolf Borchardts, mit dem er seit der ersten Begegnung 1902 eine prekäre, aber sich über Jahrzehnte hinziehende Freundschaft und Produktionsgemeinschaft pflegte. Borchardts ,dämonische Natur‘, so Hofmannsthal, lenke dessen philologisches Talent in eine geradezu widerphilologische Praxis kultureller Beschwörung. Borchardt sei ein Philologe mit dichterischem Antrieb, dessen Deutungen zu widerhistorischen Formsetzungen führten145 – hinzuzufügen wäre: Diese treten in einem triumphalistischen Gestus auf, der keinen Widerspruch dulden möchte.

Das verschiedentlich formulierte Ziel für die Zeitschrift unterstreicht ein Textideal, das in der Ankündigung zu den Neuen deutschen Beiträgen146 rekapituliert wird und in den komplementären Begriffen von ,Haltung‘ und ,Tradition‘ zum Ausdruck kommt. Gegen den „Hang zur Abstraktion“ und eine „begrifflich überzüchtete Sprache“, wie sie Hofmannsthal mit dem Essay als Form in Zusammenhang bringt, setzt er, im Rekurs auf Goethe und in gleichzeitiger Anlehnung und Distanzierung von George, die Gestalt. „Kein Essay, sondern eine möglichst kurze, möglichst hohe Darstellung eines einzelnen Dings aus dieser Sphäre oder eines einzelnen Bezugs [ist es, F.S.], der zwischen Dingen dieser Sphäre unter sich oder zwischen diesen Dingen und uns waltet […].“147 Diese Topoi sind zugleich im deutschnationalen Diskurs der Zeit sehr verbreitet und etwa auch von Rudolf Borchardt gegen ein sogenanntes „jüdische[s] Literaturpariatum“148 in Stellung gebracht worden.

Im Dezember 1922149 verdeutlicht Hofmannsthal in einem Brief an Marie Luise Borchardt, die Frau von Rudolf Borchardt, die produktionsästhetischen Voraussetzungen des Zeitschriftenkonzepts. Hofmannsthal bezieht sich im Brief auf sein Anliegen, eine neue Zeitschrift herauszugeben, die den als einmaliges Jahrbuch erschienenen Hesperus von 1909 – ein Gemeinschaftsprojekt von Hofmannsthal, Rudolf Borchardt und Rudolf Alexander Schröder – wiederaufnehmen und weiterführen soll.

Es sollen Dinge darin stehen, die einen nachdenken machen und die einen lachen machen, sonderbare und bedeutende Tatsachen, Witze, Anekdoten – die Beschreibung einer wunderbaren Pflanze[,] die einmal in solcher Vollkommenheit da war, oder eines bestimmten Wetters an einem bestimmten Vormittag, neben einer Anekdote über die heilige Theresa, ich will kleine Geschichten aus dem Boswell hinsetzen, wunderbare Beispiele menschlicher Dummheit, Apophtegmata der Deutschen aus dem Zinkgraef, Fetzen aus Coleridges Table-Talk. […] Denn das sind ja gerade die Abfälle von seiner [Borchardts, F.S.] Tafel, nach denen meine Hündlein schnappen möchten. So habe ich mir ja dies ,Redigieren‘ immer geträumt.150

Dieses Raster der Auswahl und der Impetus auf die „Tatsachen“ misst dem Beiläufigen und Entlegenen einen großen Wert zu. Die Kategorien, die die Auswahl bestimmen sollen, scheinen in Hofmannsthals Intention eher aus der Zusammenstellung selbst zu entstehen, also ein Effekt der Auswahl des Redaktors zu sein. Das Fragmentarische wird zur erkenntnisleitenden Struktur desjenigen, der als Redaktor in Gesamtausgaben bzw., wenn es Zeitgenossen betrifft, in deren gedruckten und ungedruckten Texten zu navigieren versteht. Damit verbunden ist bei Hofmannsthal eine deutliche Reserviertheit gegen die Philologie und die Übersetzung als gelehrte Expertisen, denen er für die Zeitschrift das Entlegene und Abseitige von Freunden und geistig Verwandten vorzieht.151 Fragmentarisieren ermöglicht ihm als redigierendem Produzenten, Bruchstellen zu konstruieren, Übergänge mitzugestalten. Er entspricht dem von Georg Lukács gezeichneten Idealbild des Kritikers als Platoniker:

Manchmal ist mir so, als ob die Ehrlichkeit des echten Kritikers, die geradezu darnach trachtet, mit ihrem Modell nicht eigenwillig umzugehen, es vielmehr um jeden Preis so zu zeichnen, wie es tatsächlich existierte, aus der tiefen Erkenntnis der eigenen Grenzen entstanden ist. Er, der nur Übergänge zu konstruieren vermag, kommt dem Schaffen umso näher, je mehr unbestreitbare Realität und je fester sie ihn bindet.152

Der Plan zu einer selbstständigen Monatsschrift von 1920 zeichnete sich deutlich durch Hofmannsthals Anspruch auf die Herausgeberschaft aus. Während die Notizen von 1904 eine Zusammenarbeit unter Gleichgesinnten als die eigentliche Aufgabe der Zeitschrift formuliert und sich nicht zur Form der Beiträge geäußert hatten, verabschiedet sich die Fassung von 1920 vom Zeitgeist und fordert eine Zusammenarbeit, die einem abstrakteren Begriff von Zeitgenossenschaft folgen solle.

Durchaus entgegen dem Zeitgeist, der negiert wird. Keine Jagd nach dem ungreifbaren Momentanen; der Begriff des Aktuellen als unvorhanden betrachtet. Entgegen allen anderen Revuen, die durch eine hungrig ins unendliche fortrasende Linie versinnlicht werden können, ist die gesuchte Form hier der Kreis. Rhythmische Wiederkehr in jedem Sinne: in der beschränkten Zahl der Mitarbeiter, in den Formen und geistigen Komplexen, die hingestellt – nicht behandelt werden sollen. Nicht haschen nach einer chimären Entwicklung, sondern Hinweis auf geistigen Besitz. Ein höheres Soziales, eine geistige deutsche Gesellschaft darin supponiert.153

Eine negative Bezugnahme auf die Aktualität hatte im früheren Zeitschriftenprojekt nie zur Debatte gestanden. Die Notizen von 1904 waren von der Selbstvergegenwärtigung dessen geprägt gewesen, was literarische oder ,schöpferische‘ Kritik sein sollte. Nun zeichnet sich das Programm dadurch aus, dass es, weniger repräsentativ als die Anthologien der Vorkriegs- und Kriegszeit, den „geistigen Besitz“ hinstellen, nicht etwa vermitteln möchte. Die Zeitschriftengründungen nach dem Ersten Weltkrieg sind Ausdruck einer chaotischen politischen Situation, in der das Vakuum der Funktionseliten die Verlaufsform weltanschaulicher Debatten gleichzeitig befreit und fragmentiert. Aus der politischen und ökonomischen Krisenlage heraus sind Zeitschriften aber zugleich auch ein probates Mittel, sich eines (im Gegensatz zum Buch) preiswerter zu produzierenden kollektiven Forums zu versichern.

Solche Suchbewegungen unter dem Vorzeichen eines ästhetischen Integralismus bringen die Generation der Schriftsteller und Ästheten um 1900 auf einen bereits vielfältig – etwa in der Malerei oder im Buchhandwerk – vorfigurierten Stilbegriff. Beim Philosophen Georg Simmel154 gibt es den interessanten Versuch, die Aporien und Rudimente einer elitär-aristokratischen Form der Kultur hinsichtlich ihres historischen Praxissinns (und damit hinsichtlich ihrer Produktionsmomente) zu überbrücken. Für Simmel ist der Stil das Element historisch-sachgemäßer Anverwandlung der Dinge, das dem reinen So-Sein und Sollen der menschlichen Formung des Stoffs die Note der Zeitgenossenschaft gibt.

3.7 Erbe, Ironie – Bargeld. Hofmannsthal und Simmel

Simmels Begriff des Lebensstils umfasst die komplexen Verhältnisse der Entwicklung der materiellen Kultur in der Zeit und der damit verknüpften, dialektisch ausgeprägten kulturellen Erscheinungen, deren historischer Rhythmus durch das Geld sichtbar wird. „Was die Kultur der Dinge zu einer so überlegenen Macht gegenüber der der Einzelpersonen werden lässt, das ist die Einheit und autonome Geschlossenheit, zu der jene in der Neuzeit aufgewachsen ist.“155 Damit öffnet sich ein Kontrast zu den ,Stilbildern‘ des Lebens der Gegenwart, die ihre analytische Überzeugungskraft aus der Allgemeinheit von Bereichen (oder institutionellen Praxen) ziehen: Geld, Recht, Bildung. Simmel stellt in der empirischen Gegenwartsanalyse die personalen Zuspitzungen dieser allgemeinen Formen in „subjektiv differenzierten Lebensgestaltungen“ fest, „die Ausnutzung ihrer ausgreifenden, allen Interessenstoff ergreifenden Bedeutung für die Praxis des Egoismus, die erschöpfende Entwicklung personaler Unterschiede an diesem nivellierten allgemein zugängigen und gültigen, und deshalb jedem Sonderwillen gegenüber widerstandslosen Material“.156 Diesen Gegenständen widmet Simmel seine bis heute nutzbringend zu lesenden Essays etwa zur Mode oder zum Großstadtleben, die in Folge des differenzialisierenden Zugriffs ein Reflexionsvermögen auf ihre eigene Form beinhalten.

Simmel schrieb der Intellektualität in der Philosophie des Geldes den Status zu, der „subjektive Repräsentant der objektiven Weltordnung“157 zu sein. Da Geld in der modernen Gesellschaft allenthalben als Zweck, als „Haltepunkt des Handelns“158 empfunden werde, drücke dies viele Dinge, die eigentlich den Charakter des Selbstzwecks hätten, zu bloßen Mitteln herunter. „Indem das Geld selbst überall und zu allem Mittel ist, werden dadurch alle Inhalte des Daseins in einen ungeheuren teleologischen Zusammenhang gestellt.“159 Die Entwicklung des Geldwesens schematisiert Simmel als Prozess hin zu einer Rhythmisierung,160 „einer durchgehenden Vergleichmäßigung“,161 die Regungen und Reizungen des Individuums einer transindividuellen Periodizität enthebt. Geld wird als das „Sondergebilde verkörperter Relativität“162 verstanden, das jenseits aller Einseitigkeit jedem wirtschaftlichen Gegenstand „wie ein eigenes Glied zuwachsen kann“.163 Dadurch gerät es in eine historisch zentrale Rolle, die Veränderungen zu markieren, die das soziale Leben bestimmen bzw. in die Richtung seiner Beschleunigung, Verdichtung, Versachlichung und Entpersönlichung treiben. Es stellt das Moment der Objektivität von abgelösten Tauschhandlungen dar, da es von spezifischen Qualitäten der tauschbaren Einzeldinge frei ist und deshalb von sich aus zu keiner wirtschaftlichen Subjektivität ein entschiedeneres Verhältnis hat als zu einer anderen.

Die Produktion mit ihrer Technik und ihren Ergebnissen erscheint Simmel „wie ein Kosmos mit festen sozusagen logischen Bestimmtheiten und Entwicklungen, der dem Individuum gegenübersteht, wie das Schicksal es der Unstätheit und Unregelmäßigkeit unseres Willens tut“.164 Geld sei das durchgreifendste, weil für sich indifferente Mittel für die Überführung eines uns überindividuell zwingenden Rhythmus von Lebensbedingungen (homöostatischer Prozesse wie Essen und Trinken, sexuelles Begehren) in eine Ausgeglichenheit und Schwankungslosigkeit derselben, die den menschlichen Kräften und Interessen eine einerseits individuellere, andererseits sachlichere Bewährung gestatte. Geld formt keinen Antagonismus gegen anderes aus, sondern bewahrt das Umfassende eines allgemeinen Sinns, auch in der Gleichmäßigkeit, mit der es sich den Gegensatzpaaren leiht, wenn sie auseinandertretend ihr allgemeines Verhältnis zum Geld für die Ausgestaltung ihrer Konflikte benutzen.165

Die Potenziale, die eine solche als Rhythmisierung der Kontraste vorgestellte Entwicklung für die Deutung kultureller Formen und Praxen bietet, schreibt Simmel technischen Medien zu (z.B. dem Telegrafen und dem Telefon, der künstlichen Beleuchtung der Städte oder der gedruckten Literatur, die die Versorgung mit intellektueller Anregung biete).166 Eine Form der Rhythmisierung gesonderter Inhalte sieht er in der Schreibmaschine.

Das Schreiben, ein äußerlich-sachliches Tun, das doch in jedem Fall eine charakteristisch-individuelle Form trägt, wirft diese letztere [die Schreibmaschine, F.S.] nun zugunsten mechanischer Gleichförmigkeit ab. Damit ist aber nach der anderen Seite hin das Doppelte erreicht: einmal wirkt nun das Geschriebene seinem reinen Inhalte nach, ohne aus seiner Anschaulichkeit Unterstützung oder Störung zu ziehen, und dann entfällt der Verrat des Persönlichsten, den die Handschrift so oft begeht, und zwar vermöge der äußerlichsten und gleichgültigsten Mitteilungen nicht weniger als bei den intimsten. So sozialisierend auch alle derartigen Mechanisierungen wirken, so steigern sie doch das verbleibende Privateigentum des geistigen Ichs zu umso eifersüchtigerer Ausschließlichkeit.167

Die Fabrikation mechanischer Gleichförmigkeit entäußert den hypostasierten ,Verrat am Persönlichsten‘, dessen sich die Handschrift als emphatisch betonte menschliche Bildungs- und Kulturform in der gleichgültigen ,Anwendung‘ auf alle möglichen geschriebenen Inhalte immer schon schuldig gemacht habe.168

Diese Vorstellung eines technisch evozierten, moralischen Bruchs wird zum interessanten kulturphilologischen Moment, die These durchgreifender Rhythmisierung vormalig gesonderter Lebensinhalte kritisch-analytisch zu nutzen. Die Frage, „ob das Geld nicht nur an diesen Rhythmen teilhat, sondern auch jenes Herrschen oder Sinken der Periodik der Rhythmen des Lebens von sich aus beeinflusst“,169 lässt sich vor diesem Hintergrund als ästhetische Praxis begreifen. „Im Rahmen einer radikal erkenntnis- und wertrelativistischen Kulturphilosophie rückt nämlich bei Simmel Projektion zu einem Zentralbegriff auf, dessen Geltung sich auch auf die Methodenreflexion der Geschichtswissenschaft und die ästhetische Theorie erstreckt.“170 Das Milieu einer fortschreitenden Reflexionskultur führt dazu, dass geteilte begriffliche Vorstellungen vervielfältigt und atomisiert werden, ihre Selbstverständlichkeit (und dadurch auch ihre Appropriation durch gesellschaftliche Leitinstanzen) durchaus zu verlieren imstand sind – und gleichzeitig daraus Potenzial hinsichtlich einer Befragung der ästhetischen Zielform des Werks zum einen, der Medien und der Formen künstlerischer Zusammenarbeit zum anderen geschlagen wird. Hofmannsthal formuliert diese Impulse produktionsästhetisch aus:

Alle ,Werke‘ sind Abfälle: das Streben ist alles. […] [D]er Künstler empfindet immer seine Stärke woanders als in sich. [D]ies scheinbar indiscrete an alles tasten: dies ist die eigentliche Form: nur so wird das Netz so feinmaschig[,] dass auch das völlig unscheinbare erfasst werden kann. […] Der Redacteur zusteuernd auf dunkles nie gesehenes Land: Synthese […]. Es gibt das Momentane der Übereinstimmungen, wellenhaft aufblitzend: ein eigentliches schwer zu fixierendes Niveau des Geistigen, während es gelebt wird. Dieses wird hier gesucht.“171

Über die Universalisierung des Gelds gewinnt Simmel einen kulturellen Begriff des „Symbols“, dessen universale Form zugleich die Praxis der kulturellen Produktion historisch zwingend antreibt: ein von personalen Funktionen losgelöster Begriff des Werts, verkörpert in einer im philosophischen Denken des Westens zugleich immer als in sich selbst inhaltsleer vorgestellten ,Hülle‘. Diese Struktur bestimmt Simmel als „Torhüter des Innerlichsten“,172 indem er sie mimetisch in die Nähe der Sprache rückt. Es gehöre zu den Eigenarten quantitativer Gewalten, dass das Funktionelle, rein Quantitative, das ihre Seinsart sei, auf die qualitativen bestimmten Lebensinhalte treffe und diese zur Zeugung weiterer qualitativ neuer Bindungen animiere.173 Nach Jutta Müller-Tamm wird die Form des historischen Erkennens bei Simmel, paradigmatisch für Diskurse um 1900, auf die absolute Metapher der Projektion bezogen, insofern sich historisches Erkennen als Erleben eines fremden psychischen Zusammenhangs vollzieht. Historische Erkenntnis wird damit als psychische Modalität verstanden, als ein Gefühl für die Richtigkeit gewisser psychischer Konstellationen, das die allgemeine Gültigkeit, den ,Objektivitätscharakter‘ (Simmel) der historischen Erkenntnis ausmacht.174

Hans Blumenberg sieht Simmels Leistung darin, Geld nicht als Wertsubstanz darzustellen, sondern als Ablöser personaler Funktionen. Es sei aufschlussreich, dass Simmel erst eine Philosophie des Geldes geschrieben und an diesem Thema gefunden habe, was ihm gestattete, später vom ,Leben‘ zu sprechen. Geld sollte ursprünglich die Wert-Thematik eröffnen und ,realisieren‘, sie an ein allgemeines Substrat binden, so Blumenbergs Deutung von Simmels Transformation – schließlich habe es ihn auf den Weg des Lebens, der Hypostase des nach Blumenberg inhaltsleersten aller Begriffe geführt. Simmel spreche ungeniert vom metaphysischen Wesen des Geldes: indem es als absolutes Mittel die Möglichkeit aller Werte als den Wert aller Möglichkeit inkorporiere.175

Nach Uwe Hebekus erfährt diese Denkmaschine ,Geld‘ beim Simmel-Leser Hofmannsthal in Form der ,Schrift‘ ihre semiologisch umfassende „ästhetische Ermächtigung“: „Immer ist ,Schrift‘ sozusagen das Leitmedium, was es Hofmannsthal erlaubt, das Pandämonium der Moderne durchgängig als semiotisches Phänomen auszubuchstabieren.“176 Geld sei das Vehikel der Verflüssigung, das in der sittlichen Welt so gut wie in der sozialen Welt nichts als Übergänge schaffe. Wird eine solche negativ charakterisierte Lebensform auf das Feld der Rhetorik übertragen, wird aus dem Übergang „Ironie“.177 Im Geld ist, nach Anselm Haverkamp, eine metaphorische Struktur wirksam, die Umbesetzungsenergien freisetzt und dies jenseits oder unterhalb personaler Funktionen. Das Geld ist auf anthropomorphe Fiktionen nicht angewiesen.178 Simmels Semiose des Gelds zum buchstäblichen reinen ,Lebensmittel‘ in der Sphäre des Intellekts erweist sich in der Reflexion auf die Erbfolge seiner philosophischen Praxis. In seinem Tagebuch schrieb er:

Ich weiß, dass ich ohne geistigen Erben sterben werde (und es ist gut so). Meine Hinterlassenschaft ist wie eine in barem Gelde, das an viele Erben verteilt wird, und jeder setzt sein Teil in irgendeinen Erwerb um, der seiner Natur entspricht: dem die Provenienz aus jener Hinterlassenschaft nicht anzusehen ist.“179

Indem Simmel Vererbung als Metonymie für den Geschichtsdiskurs verwendet, schafft er eine anschlussfähige Gründungsszene für eine formlogisch gedachte Kulturphilologie (und die daraus folgenden Kulturwissenschaften), das emphatisch Dichterische und die Geschichte ihrer vermeintlichen Entäußerung zu ,retten‘ (kritisch), zu restaurieren (politisch) oder durch strategische Methodenwechsel analytisch zu kontrollieren für die Konstruktion von geistesgeschichtlichen Interferenzobjekten (anthologische Genealogien, Genre-Filiationen, kulturvergleichende Formationen). Die Hypostase des Kulturellen nach dem Modell der ,Vererbung‘ gestattet es, das verlorengegangene Erworbene als permanent neu zu aktualisierende Aufgabe zu postulieren. Hofmannsthal, Benjamin und Borchardt folgen im Rekurs auf den George-Kreis letztlich solcherlei Form der Vergegenständlichung in ihrem emphatischen Anspruch, in ihren Publikationsinitiativen und realisierten Anthologien. Sie konzentrieren sich dabei in je unterschiedlicher Weise auf die Frage, wie und ob diese Rhythmisierung an den Kulturprodukten Spuren hinterlässt, die sichtbar werden.180

„Mit der Vergegenständlichung des Geistes ist die Form gewonnen, die ein Konservieren und Aufhäufen der Bewusstseinsarbeit gestattet; sie ist die bedeutsamste und folgenreichste unter den historischen Kategorien der Menschheit. Der ganze Stil des Lebens einer Gemeinschaft hängt vom Verhältnis ab, in dem die objektiv gewordene zur Kultur der Subjekte steht.“181 Was biologisch so zweifelhaft sei, die ,Vererbung‘ des Erworbenen, werde, so Simmel, zur geschichtlichen Tatsache. Hofmannsthal schließt weniger analytisch als kulturkritisch daran an: „Hinter den Rücken des Geldwesens zu kommen, scheint die eigentliche moralische Revolution zu sein, die heute ansteht.“182 Den analytischen Vorgaben Simmels folgend setzt Hofmannsthal die formale Universalisierung des intellektuellen Subjekts und des Geld-Subjekts für gegeben. So dramatisiert er dieses in einer variantenreichen „Gebärdensprache des Geldes“183, etwa in seinem Stück Cristinas Heimreise, im Jedermann oder im Turm. In seinem kulturpolitischen Werk hält er gegen die monetarisierten Stilgesten von Tragödie und Komödie den ,echten‘ Besitz, dessen Versprechen er in den ,gültigen‘ Formaten der Anthologie und der Zeitschrift erblickt. Was Hofmannsthal immer wieder als geistigen Besitz supponiert, der hypothetisch ,alles‘ umfasst und insbesondere in den Traumreflexionen und der Traumpoetik auch für das Werk produktiv gemacht wird, realisiert das Zeitschriftenkonzept der Neuen deutschen Beiträge als ästhetisches Modell.

Jede wirkliche Beziehung hat die Kraft, gewisse Gruppen von Gedanken des Anderen so zu regieren – oder vielleicht existieren diese Gedanken nur durch diese Beziehung, jedenfalls ruft sie sie hervor, sie schafft das geistige Klima, in dem sie existieren können. So besitzt der eine in dem [A]nderen Ländereien, Landschaften, Gärten, Abhänge, deren Leben nur die Strahlen dieses einzigen Sternes speisen und tränken, auch nur dieses Leben erweckt haben.184

Ihrer elitären Stossrichtung zum Trotz liest sich Hofmannsthals Zeitschriftenprojekt deshalb in erster Linie als intellektuelles Kommunikationsangebot in progress. Die Ambivalenz des Projekts steckt in der Emphase auf die Erledigung des Problems in der Gestalt185 – ein Projekt, das in der Bevorzugung ästhetisch offener Formen (wie sie im Brief an Wiegand bzw. an Marie Louise Borchardt zum Ausdruck gebracht sind) aber auch Züge einer Selbstreflexion auf die kulturelle Situation der Gegenwart trägt. Im Format des Briefwerks hat Hofmannsthal die Form zwischenmenschlicher Beziehung auf ihre spezifisch poetologischen Zusammenhänge erprobt und nutzbar gemacht; so hat er das Umlaufen von persönlichen und schriftförmigen Beziehungen als potemkinsche Dorflandschaft bezeichnet.186 Werkfragmente werden ohne Einführung nebeneinandergestellt, wobei der Herausgeberkommentar weniger die einzelnen Bezüge zwischen den Beiträgen stiftet oder erklärt, sondern vielmehr in seinen Vorworten beständig die Leitlinien der Zeitschrift in Erinnerung zu rufen versucht. In den besten Beispielen treten die Beiträge als schöpferische Überbietung einer Tradition auf, wie in Walter Benjamins rezeptionsmächtigem Essay Goethes Wahlverwandtschaften, jener exemplarischen Literaturkritik, die zunächst 1924/25 in Hofmannsthals Neuen deutschen Beiträgen in zwei Teilen abgedruckt wurde. Die Neuen deutschen Beiträge bilden den Versuch, das Gespräch zwischen Generationen verschiedener Intellektueller wieder anzuregen und sich dazu die interkulturellen Potenziale von Goethes Weltliteraturkonzept zunutze zu machen. Die Versammlung von Autoren unterschiedlichen Alters und von Texten scheinbar fernab liegender kultureller Signatur deutet die produktiven Potenziale an, die Hofmannsthal aus der pathetisch bekundeten Ablehnung einer als „Aktualität“187 verstandenen „Gleichzeitigkeit“188 zieht.

3.8 Buchkunst und Anthologisches Schreiben: Die Bremer Presse

Im dynamisierten Raum einer reflexiven Kulturästhetik, wie sie Hofmannsthal von Simmels Philosophie des Geldes und in der Konkurrenzstellung zum George-Kreis bezieht, wird das Buch als anthologisches Traditionsmedium generell neu bewertet. Die kulturkritische Befragung der Ökonomie189 (und die damit verbundene Vorstellung der ,Nivellierung‘ von ,Inhalten‘ gegenüber dem plastisch-holistischen Gestaltdiskurs) verlängert sich auch in eine Debatte über Schriftformen und Typografie. Die äußere Gestalt des Schrifttyps und des Drucks sowie die Textgestalt sollten in Reflexion aufeinander entwickelt werden, getreu der 1923 von Paul Valéry geäußerten Devise, wonach das Buch eine vollkommene Lesemaschine sei:

[D]eren Bedingungen [lassen] sich mit ziemlicher Genauigkeit nach den Gesetzen und Methoden der physiologischen Optik bestimmen und gleichzeitig ist es aber auch ein Kunstgegenstand, ein Ding, aber eines mit eigener Persönlichkeit, das den Stempel eines besonderen Geistes trägt und das hohe Bemühen um eine ausgewogene und bewusste Ordnung verrät.190

In dieser ästhetischen und handwerklichen Perspektive auf Schrifttypen und -typologien – gegen eine Individualisierung der Schriften im „Eigentümlichen und Ungewöhnlichen“, die insbesondere in den Entwicklungen der Akzidenzschriften der Werbewirtschaft geortet wurde –, richtete sich das primäre Interesse auf das Buchformat in seiner material-individuellen Gestalt: die „klare tektonische Gliederung einer Buchseite“.191

Die Bremer Presse wurde 1912 durch den Architekten und Schriftsteller Rudolf Alexander Schröder, den langjährigen Leiter Willy Wiegand und den Altphilologen Ludwig Wolde gegründet und 1921 um einen Verlag ergänzt. Die bis 1932/33 tätige und danach finanziell zusammengebrochene Presse war eines der wichtigsten Glieder in einer Kette von Privatpressen in Deutschland, die die in den 1870er Jahren von England ausgehenden buchkünstlerischen Impulse aufnahm.192 Das Programm bestand in der Exklusivität handwerklicher Buchdruckerkunst. Anders als die Anthologien Georges193 sollte mit der Bremer Presse nicht eine Kreisbildung im literarischen Feld betrieben werden, vielmehr richtete sich das Unternehmen auf die Wiederherstellung von Unverwechselbarkeit der Kunstproduktion im industriellen Zeitalter vermittels ,schöner Bücher‘. Wiegand formulierte es so:

In England, von woher wir die Art des Unternehmens und die Terminologie übernommen haben, bedeutet private press eine private Druckerei, d.h. eine Offizin, die nicht in fremdem Auftrage, sondern für die typografischen und literarischen Interessen des Besitzers arbeitet. Seit William Morris sind die Bestrebungen der englischen private press vorwiegend ästhetische, d.h. auf die Schönheit der Schrift und die Sorgfalt von Satz und Druck gerichtet.194

Verschiedene Privatpressen konzentrierten sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf Druckqualität und Weiterentwicklung der Schriften. Die Bremer Presse stellte sich die Aufgabe, den großen Werken der Weltliteratur „typographische Monumente“ zu errichten.195 Die Vereinigung von Druckauftrag und Druckleitung ergebe „die geistige Einheit des Buchs“, d.h. die Übereinstimmung der literarischen Wahl mit dem Schriftmaterial und der Art seiner Anwendung.196 Die wichtigste Aufgabe, die den deutschen Pressen zufalle, sei die Veredelung der Buchschrift. Wiegand postulierte, dass die Weiterentwicklung der Fraktur- und Antiqua-Schriften lange Zeit steckengeblieben sei. Das gedruckte Wort der ,großen Welt-Literatur‘ verlange eine Gestalt, die bei möglichst nicht-individueller Zeichnung vielfältigen Druckaufgaben gewachsen sein sollte.197 Diese nicht-individuelle Zeichnung motivierte aber gerade die Schriftentwicklung, wie eine zeitgenössische Quelle in der Betrachtung der 1922 fertiggestellten griechischen Type der Bremer Presse bewundernd feststellt: Die Schaffung von Varianten einzelner Buchstaben sollte nach Wiegand ermöglichen, den „Zeichenanschluss innerhalb des Wortes herzustellen.“198 Julius Rodenberg stellt die schriftkomparatistische Leistung dieser Schriftentwicklung heraus, wenn er anmerkt: „Es war mir das umso interessanter, als hier von Wiegand auf eine abendländische Druckschrift das angewandt worden ist, was einer so elastischen Schrift wie z.B. der arabischen mit ihren zahlreichen Buchstabenvarianten von Natur eigentümlich ist, die deshalb auch in Druckwerken nie um den Zeichenanschluss innerhalb des Wortes verlegen zu sein braucht.“199 Diese Unterordnung des Schriftbilds im Zeichen eines harmonischen Leseflusses legt den Fokus auf eine Typografie des ästhetisch Dienenden (vgl. dagegen die entsprechenden Thesen Walter Benjamins in Kap. 5.4 und 5.5).

Das Exposé zur Gründung des Verlags der Bremer Presse von 1920 entwirft selbst eine Art Anthologie: Das literarische Programm sollte alles umfassen, was als Grundlage des heutigen geistigen Lebens empfunden werde: Übersetzungen aus der antiken Literatur, Dichtungen des Mittelalters, bedeutende Werke der deutschen Literatur des 16. bis 19. Jahrhunderts sowie Übersetzungen aus der englischen, französischen und italienischen Literatur.200 Anspruch erhoben die Verlagsleiter ebenso auf den wissenschaftlichen Wert des Programms. Nach anfänglichen Versuchen strebte Wiegand eine immer strengere Gleichförmigkeit an. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sollte die „esoterische Attitüde“ aufgegeben201 und die Buchwerkstatt der Privatpresse 1920 um einen Verlag ergänzt werden. Im Jahrzehnt 1920 bis 1930 legte die Bremer Presse nahezu hundert Bände vor, eine enorme Leistung für ein Kleinunternehmen mit wenigen Mitarbeitern.202 So entwickelte sich die Bremer Presse zur „Königin der deutschen Privatpressen“. Als erstes Buch wurde im November 1913 Die Wege und die Begegnungen von Hofmannsthal herausgegeben. 1917 folgte die Publikation der Übersetzung der Germania von Tacitus durch Rudolf Borchardt. Oedipus, Kleists Robert Guiskard, Tibulls Elegien, Bacons Essay und der Urfaust wurden ab 1919 in Bad Tölz im ehemaligen Landhaus von Thomas Mann konzipiert. Handpressendrucke der Ilias und der Odyssee, der Bibel, der De civitate Dei und der Divina Comedia stehen als Verlagswerke den Anthologien von Hofmannsthal und Borchardt gegenüber: Das Deutsche Lesebuch, Deutsche Denkreden, Ewiger Vorrat deutscher Poesie, Der Deutsche in der Landschaft, Selbstzeugnisse Schillers u.a.m. Im Zuge der Bekanntschaft mit Hofmannsthal war auch Walter Benjamin als Herausgeber einer Anthologie der sprachtheoretischen Schriften Wilhelm von Humboldts vorgesehen, die aus ungeklärten Gründen nicht zustande kam203 – möglicherweise deswegen, weil Benjamin in einem in den Humboldt-Blättern 1928 erschienenen Text Rudolf Borchardt, einen der wichtigsten Verlagsmitarbeiter, als intellektuellen Verräter am kosmopolitischen Gedanken der Humanität geziehen hatte.

Die Verlagsgründung sollte die typografische Arbeitsweise der Bremer Presse auf das preiswerte Buch übertragen, zugleich wurde das literarische Tätigkeitsgebiet ausgeweitet. Die Anthologien zeigten eine typografische Durchbildung und Anordnung, die den Drucken der Presse so nahe wie möglich kommen sollte. Die „einmalige Zusammenarbeit von Handwerkern, Künstlern und Dichtern“ in der Bremer Presse stand unter dem programmatischen Stichwort der „Uneigennützigkeit“ der Schriftgestalt: Die Einbildungskraft des Lesers vor den „geistigen“ Inhalten der Bücher sollte nicht durch eine hervortretende, ,individuelle‘ Schrift behindert werden, diese sollte vielmehr „zurücktreten“, ja „vergessen“ gehen.204 Betrachtet man die einzelnen anthologischen Titel in der Folge ihrer Publikation, wird eine immer strengere Gleichförmigkeit sichtbar. In der Praxis war dieses von geistesgeschichtlichen und kulturpolitischen205 Motiven angetriebene Programm in der Anfangsphase vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs mit einer hohen Experimentieraktivität in der Ausbildung der Schriftgestaltung verbunden. Als Ausgangspunkt wurde dabei vorwiegend auf die Frühdruck-Schriften der venezianischen Renaissance zurückgegriffen.206

Auf Seiten der beteiligten Editoren bzw. der ,philologischen Künstler‘ Schröder, Hofmannsthal und Borchardt207 war diese Stoßrichtung verbunden mit einer künstlerischen Philologie: Texte wurden nicht nach einem positivistischen Vollständigkeitsanspruch der Präsentation aller genetischen (Vor-)Stufen ,hergerichtet‘, sondern unter vergleichenden Aspekten und der durch den Herausgeber verantworteten Synthese. Auffällig ist dabei, dass mit Ausnahme sehr allgemeiner geistesgeschichtlicher Kommentare vielfach auf jede genauere bzw. insbesondere auf eine überprüfbare Darlegung der Genese der Edition verzichtet wurde. Gerade die Anthologien Borchardts wichen der Kritisierbarkeit durch apodiktische Vorgaben aus, erhoben die Ablehnung philologischer Nachvollziehbarkeit geradezu zum Programm. Dadurch setzten sie sich auf der Ebene der editorischen Entscheidungen (etwa in der Bearbeitung von Texten Heinrich Heines und Hölderlins) harscher Kritik aus (vgl. Kap. 6.6).208 Die Editionen standen, wie in der Forschung ausführlich behandelt,209 oft unter restaurativ-nationalpolitischen Prämissen bzw. wurden in den 1920er Jahren unter solchen rezipiert. Dies blieb wiederum nicht ohne Einfluss auf die Selbstwahrnehmung der Macher der Bremer Presse: 1927, im Umfeld von Hofmannsthals Schrifttums-Rede an der Universität München, betonte Wiegand die Differenz zwischen Antiqua und Fraktur in Bezug auf die zwischen deutschen und romanischen Sprachräumen unterschiedlichen Prozesse des Lesens, ohne allerdings diese These näher auszuführen oder mit Beispielen aus der Druckgeschichte zu belegen.210 Noch 1964 konstatierte Hans Adolf Halbey rückblickend:

Bei dem Unterfangen der Bremer Presse [ging es] um den ,Charakter‘ der Schrift. Das ist eine ganz und gar deutsche Haltung. In keinem anderen Land hat es in neuerer Zeit so viele voneinander verschiedene Schriftkünstler gegeben, die das Gleiche auf unterschiedliche Weise wollten und erreichten, nämlich sich selbst charakteristisch in der Schrift auszudrücken. Verbunden ist dies mit dem literarischen und bildkünstlerischen Expressionismus. Die Bremer Presse sei deutsch und „in dieser Form englisch niemals möglich gewesen.211

Es sei hier, ohne weiter darauf einzugehen, nur darauf hingewiesen, dass dieser Zusammenhang seine konstitutiven Gründungsszenen in der Engführung von ,Schreiben‘ und ,Physiognomie‘ im 18. Jahrhundert hat.212

Die Stichworte ,nüchtern‘, ,fest‘, ,sachbezogen‘ und ,distanzierend‘ zur Charakterisierung der Schriftgestalt der Drucke und Bücher der Bremer Presse weisen auf den literarhistorischen Zusammenhang, von dem in den Zeugnissen der Mitarbeiter nicht oder nur ex negativo die Rede ist: die Ablehnung bzw. der negative Bezug auf expressionische Schriftgestaltungen der Avantgarde. In der Zirkulation der Schriftgestalten zwischen Akzidenzdruck und kunsttypografisch interessierten Zeitschriften sowie der Genese literaturhistorischer bzw. literaturpolitischer Etiketten und Programme standen die konservativen Revolutionäre der Bremer Presse aber nicht weit weg von anderen literaturpolitisch agierenden Gruppen. Der programmatische Humanismus bediente sich zwar emphatisch dieser Konzepte – die ethischen Maximen der Literaturproduktion und – gestalt unterschieden sich dabei aber nicht grundsätzlich von jenen Texten, die in den 1920er Jahren als ,neusachliche‘ figurierten und deren Programm es war, sich einen ,nüchternen‘ Blick auf die Gegenwart anzueignen.

Planetarische Kontemporaneität lautet das Hofmannsthal’sche Stichwort für diesen Ebenenwechsel hin zu vermeintlicher Nüchternheit der Nachkriegszeit. Im Buch der Freunde äußert sich die Ablehnung einer gleichsam vom transnationalen Individuum der Weltliteraturen aufs Nationale übertragenen Gewalt eines Sprachzustands. Mit ,Nation‘ ist bei Hofmannsthal weniger ethnische Herkunft als gemeinsame Sprachtradition gemeint. Die Vertiefung des Sprachdenkens bzw. einer als aufs Nationale verschoben wahrgenommenen Sprachkrise lässt sich nicht auf einen völkischen Ethnopluralismus reduzieren. Eine wichtige Stelle für diesen Befund findet sich in der Vorrede Hofmannsthals zu seiner Anthologie Wert und Ehre deutscher Sprache (1927): In der gesammelten Herausgabe deutscher Schriften von Justus Georg Schottel bis Jacob Grimm wertet Hofmannsthal die „gegenwärtige deutsche Verkehrssprache“ als „ein Konglomerat von Individualsprachen“, worin nur das Individuum „fallweise mit seiner Magie [die Worte, F.S.] zu bändigen“ vermöge.213 Weil diese Individualsprachen jeweils unübertragbar seien, „kann man deutsch nicht korrekt schreiben“. „Man kann nur individuell schreiben, oder man schreibt schon schlecht.“214 An die Stelle einer geselligen Sprache sei eine Gebrauchssprache getreten.

Ausgehend von dieser Basis einer geschichtlich verbürgten objektiven Unmöglichkeit, gegenwärtig korrektes Deutsch zu schreiben, setzt Hofmannsthal seine ästhetische Hoffnung auf die Fernwirkung, die die hohen dichterischen Sprachdenkmäler und die Volksdialekte aufeinander haben würden – dort werde die Nation geschichtlich wieder ,einziehen‘ können.215 Diesen pseudomagischen Zug bildet Hofmannsthal insofern ab, als er auf die chronologische Anordnung der Reden verzichtet, um das entsprechende rezeptionsästhetische Erlebnis zu evozieren. Die damit prätendierte Sprachentwicklung insinuiert ein quasi magisches Zusammenschießen zu einer geistigen Ordnung, die auch eine politische Neuordnung insinuiert, deren konkrete Gestalt aber ausgespart bleibt. Heinz Hiebler bringt dies zusammen mit dem „Gedankenspuk“, den Hofmannsthal in seinem Sprachbuch zum Zweck eines kulturpolitischen Schulterschlusses der deutschen Nation im formgewordenen Geist einer gemeinsamen Sprache ohne gattungsmäßige Grenzziehung zwischen literarischer und wissenschaftlicher Prosa inszeniert. Hofmannsthal beschwöre ein „Bacchanal von Gespenstern“, stilisiere die Literatur zum Rettungsanker und Ursprung der Nation.216

Gleichwohl bringt dieses restauratorische Gebaren Möglichkeiten einer produktiven Rezeption. Die ,offene Form‘ treibt den Problemkomplex produktionsästhetisch voran. Ist Hofmannsthal gegenüber dem Essay217 als programmatischer Form der Verflüssigung218 skeptisch eingestellt, so kommt Aphorismen, Zitaten und dem anthologischen Medium eine geradezu gegensätzliche Funktion zu: Die ,babillots‘ werden zu Problemkernen einer Gedächtnisprosa Hofmannsthals, die der narrativen Anschaulichkeit entgegenstehen und dem Ausdruck geben, was auf dem Deckblatt seines Korpus Die Briefe des Zurückgehrten steht: „Der Zustand des modernen Individuums ist Verzweiflung.“219 Der zusammengeraufte ,Zitatenschatz‘ als vermeintliches Werk stimmiger Fügung in einem vereinheitlichten ,nationalen Corpus‘ verwandelt sich zur ungegliederten komödiantischen Bestandsaufnahme in ,Traumprotokollen‘. Werkästhetisch zeigt sich dies insbesondere am Andreas-Komplex, den Hofmannsthal nach Jahrzehnten erfolgloser Versuche, diesen Roman zu beenden, schließlich als Steinbruch für verschiedene Werke benutzte. In seinen Nachkriegsprojekten stellt Hofmannsthal einer systematisch als abgerissen verstandenen Traditionsperspektive auf die deutsche Kultur diese kleinen Sammlungen entgegen, um ein individuelles Lektüremodell zu erinnern, das gerade durch die Kriegsanthologien und die eigenen Propagandareden beschädigt worden ist.

Geselligkeit als Basis eines interkulturellen Gesprächs zwischen als geschlossen imaginierten Sprach- und Kulturräumen prägt den Aphorismenband Buch der Freunde wie die nachfolgenden anthologischen Projekte. Die Funktion der demütigen Autorität, die sich bei Hofmannsthal in einer Geste der Ergänzung des Lebens durch die Kunst äußert, hat im anthologischen Schreiben eine Art Nullpunkt. Die für Anthologisierungsbemühungen in Anspruch zu nehmende Kanonizität und die zugrundeliegende Vorstellung einer in hierarchischem Sinn Geschichtlichkeit prätendierenden Literatur bestätigen zum einen den machtvollen Anspruch auf Beherrschung des (literarischen und politischen) Gedächtnisfelds und lassen sich in diesem Sinne gerade für den avancierten Weiterentwickler Hofmannsthal deshalb als poetologischen Rückfall verzeichnen. Zum anderen tritt im Gedanken eines prima vista reaktionären, auf die Verklärung der Vergangenheit bezogenen literarisch-kulturellen Ordnungsgefüges auch die innere Pluralität hervor, die seine Poetik einer Überbietung der Tradition ohne tabula rasa vollzieht.

Damit steht der ,Ahnenkünstler‘ im Kontext einer kritischen Reformulierung einer Denkmalkunst, wie sie im nun folgenden Zwischenspiel von Kapitel 4 verdichtet und fallweise an einer Reihe von ästhetischen Positionen besprochen werden soll. Methodisch verändere ich dabei meinen argumentativen Gestus und verlasse die eher kommentierend-darstellende zugunsten einer interpretierenden Betrachtungsweise, wie sie einer Lektüre angemessen ist.

1

Vgl. Tamara Reitmeier: Herausgeberschaften, in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 82–84.

2

Vgl. spezifisch Jutta Müller-Tamm: Abstraktion als Einfühlung. Zur Denkfigur der Projektion in Psychophysiologie, Kulturtheorie, Ästhetik und Literatur der frühen Moderne, Freiburg/Br. 2005; Hans-Georg von Arburg: „Ein sonderbares Gespinst von Raum und Zeit.“ Zur theoretischen Konstitution und Funktion von ,Stimmung‘ um 1900 bei Alois Riegl und Hugo von Hofmannsthal, in: Kerstin Thomas (Hg.): Stimmung. Ästhetische Kategorie und künstlerische Praxis, Berlin/München 2010, S. 13–30.

3

Vgl. Hugo von Hofmannsthal: Die Idee Europa, in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze II, S. 127–129.

4

Hugo von Hofmannsthal: Entstehung der Neuen deutschen Beiträge, KA XXXVI, S. 810.

5

Vgl. Hugo von Hofmannsthal: Drei kleine Betrachtungen [1921], in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze II, S. 138–149.

6

In der Mitte der 1970er Jahre angelaufenen Kritischen Ausgabe erschienen zuletzt der Band XL Bibliothek (2012), der Band XXXVI Herausgebertätigkeit (2017) sowie, zum Abschluss der Gesamtausgabe, Band XXXV mit Hofmannsthals späten Essays (2022). Auffällig ist, dass etwa im Gegensatz zur Kritischen Robert Walser-Ausgabe auch in den jüngst erschienenen Bänden konsequent auf jede Handschrift-Abbildungen verzichtet wurde.

7

Hugo von Hofmannsthal: Ad me ipsum, in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze III, S. 598–627. Hofmannsthal übergab diese halböffentliche Stellungnahme zu seinem Werk 1916 an seinen Dichter-Kollegen Max Mell und 1926 auch an den Germanisten Walther Brecht. Dieser veröffentlichte nach Hofmannsthals Tod 1930 das Aufzeichnungskonvolut, das danach, wie Matthias Mayer in seiner nützlichen Werkübersicht schreibt, zum „ebenso unentbehrliche[n] wie gefährliche[n] Schlüssel für die Hofmannsthal-Interpretation geworden ist“, Mayer: Hugo von Hofmannsthal, S. 174.

8

Vgl. Christoph König: Hofmannsthal. Ein Dichter unter Philologen, Berlin/New York 2001, S. 384–388; Michael Woll: Hofmannsthals „Der Schwierige“ und seine Interpreten, Göttingen 2019.

9

Michael Woll: Wissenschaft, in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 396–400, hier. S. 359.

10

Die Hauptfigur in Hofmannsthals Drama Der Thor und der Tod.

11

Richard Alewyn: Über Hugo von Hofmannsthal, Göttingen 1964, S. 62.

12

Die beiden Zitate bei Alewyn: Über Hugo von Hofmannsthal, S. 63.

13

Vgl. Sandro Zanetti: Avantgardismus der Greise? Spätwerke und ihre Poetik, München 2011, S. 190–198.

14

Der in pathologisierender Absicht aufgenommene Stil-Begriff Agambens bezieht sein Potenzial aus der in „weitestem Sinn physiognomischen Ekphrasis“ kunstwissenschaftlicher und kulturkritischer Konzepte der 1920er Jahre bei Autoren wie Wilhelm Fraenger, Hans Sedlmayr und Hans Prinzhorn; Hans-Georg von Arburg/Benedikt Tremp/Elias Zimmermann: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Physiognomisches Schreiben. Stilistik, Rhetorik und Poetik einer gestaltdeutenden Kulturtechnik, Freiburg/Br. 2016, S. 7–18, das Zitat auf S. 11.

15

Beide Zitate in Zanetti: Avantgardismus der Greise, S. 195.

16

So das Konzept von König: Dichter unter Philologen, S. 11.

17

Vgl. ebd., S. 10–11.

18

Zanetti: Avantgardismus der Greise, S. 187; dort findet sich auch ein Abriss der Forschungs- und Theoriegeschichte.

19

Vgl. Woll: Hofmannsthals „Der Schwierige und seine Interpreten“, S. 13, 187–195, 299–302.

20

Vgl. gerafft Mayer: Hugo von Hofmannsthal, S. 6: Hofmannsthal habe dem Chandos-Brief nie die außergewöhnliche Stellung zugebilligt, die man später mit ihm verband.

21

Lorenz Jäger: Politik und Gestik bei Hugo von Hofmannsthal, in: Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 2/1994, S. 181–222.

22

Vgl. ebd.; die Forschungsgeschichte bei Michael Woll: Wissenschaft, S. 396–401 und Konrad Heumann: Nachlass/Editionen/Institutionen, in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 401–406.

23

Vgl. auch Woll: Hofmannsthals „Der Schwierige“ und seine Interpreten.

24

Peter Szondi: Das lyrische Drama des Fin de Siècle [1978], Frankfurt/M. 2001.

25

Ebd., S. 342.

26

Ebd., S. 258.

27

Vgl. Peter Szondi: Schleiermachers Hermeneutik heute, in: Ders.: Schriften II [1978], Frankfurt/M. 2001, S. 106–131.

28

Hugo von Hofmannsthal: Aufzeichnungen aus dem Nachlass [1906], in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze III, S. 473. Vgl. auch das Selbstzeugnis in einem „Imaginäre[n] Brief an Carl Burckhardt“ im Konvolut der Selbstreflexionen Ad me ipsum: „Ich staune, wie man es [das Jugendœuvre, F.S.] hat ein Zeugnis des l’art pour l’art nennen können. – Wie hat man den Bekenntnischarakter, das furchtbar Autobiographische daran übersehen können[?]“, Hofmannsthal: Ad me ipsum, S. 623.

29

Vgl. Woll: Hofmannsthals „Der Schwierige und seine Interpreten“. Michael Wolls Dissertation versucht anhand von Hofmannsthals Komödie Der Schwierige Werk, Autorenforschung und Wissenschaftsgeschichte systematisch und je aufeinander bezogen darzustellen und aus dieser Bezogenheit heraus zu deuten. Dies ergibt interessante Einsichten in die Geschichte der Hofmannsthalforschung und ihrer Institutionen.

30

Vgl. Woll: Wissenschaft, S. 397–398.

31

König: Dichter unter Philologen, S. 13.

32

Anna-Katharina Gisbertz: Selbstdeutungen, in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 89–95, hier S. 89; dort auch das Zitat aus Hofmannsthal: Ad me ipsum (ab ca. 1916), KA XXXVII, S. 117–158, hier S. 150.

33

Wilhelm Hemecker/Konrad Heumann: Vorbemerkung, in: Dies. (Hg.): Hofmannsthal. Orte, Wien 2014, S. 10.

34

Hugo von Hofmannsthal: Diese Rundschau (1904), KA XXXIII, S. 234–239 und 803–817, hier S. 804; die ganze Kritik von Alfred Kerr ist abgedruckt in Wunberg (Hg.): Hofmannsthal im Urteil seiner Kritiker, S. 132–135.

35

Hofmannsthal: Diese Rundschau, KA XXXII, S. 234–235.

36

Vgl. Max Kommerell: Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik. Klopstock, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul, Hölderlin [1928], Frankfurt/M. 1981.

37

Vgl. umfassend dazu Hiebler: Hofmannsthal und die Medienkultur.

38

Vgl. dazu seine Essays und der Nachruf zu Dilthey.

39

Eugen Rosenstock-Huessy: Lehrer oder Führer? Zur Polychronie des Menschen, in: Die Kreatur 1/1926, S. 52–85, hier S. 55 und 61.

40

David E. Wellbery: Die Opfer-Vorstellung als Quelle der Faszination. Anmerkungen zum Chandos-Brief und zur frühen Poetik Hofmannsthals, in: Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 11/2003, S. 281–310.

41

Georg Lukács: Die Seele und Formen [1909], Bielefeld 2011, S. 59.

42

Schneider: Verheißung der Bilder, S. 24.

43

Als Ableitung von der Konzeption der ,Schreibszene‘ bzw. der ,Schreib-Szene‘; vgl. Stingelin: Einleitung: „Schreiben“, Fußnote 87. Auch das Lesen ist natürlich nicht einfach ein mit sich selbst identischer Akt, sondern in ein voraussetzungsreiches Ensemble von Praktiken eingelassen.

44

Hugo von Hofmannsthal: Erfundene Gespräche und Briefe, KA XXXI, S. 273. Die Klammerbemerkung am Ende des zitierten Abschnitts ist ein Kommentar Hofmannsthals zum Handlungskonzept.

45

Das Verstörende solcher Entfremdungserfahrungen wird bei Benjamin anhand des materiellen Ensembles von Schauspielerkörper und Filmkamera ästhetikgeschichtlich analysiert; zum wichtigen Begriff des Tests in den verschiedenen Fassungen von Benjamins Kunstwerk-Aufsatz, vgl. Lindner, Benjamin-Handbuch, bes. S. 243–244.

46

So die Deutung bei Joachim Seng: „Andreas“ (Fragment 1930), in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 299–302.

47

Beide Zitate bei Hofmannsthal: Erfundene Gespräche und Briefe, KA XXXI, S. 249.

48

Vgl. Schuster: „Kunstleben“. Zur Kulturpoetik des Briefs um 1900.

49

Hugo von Hofmannsthal an Marie von Gomperz, 8.4.1892, zit. n. Schuster: „Kunstleben“. Zur Kulturpoetik des Briefs um 1900, S. 82.

50

Hofmannsthal: Ad me ipsum, S. 622.

51

Hofmannsthal: Poesie und Leben [1891], zit. n. Mayer: Hugo von Hofmannsthal, S. 148.

52

Vgl. Heinz Hiebler: Im Steinbruch der Dichtung. Hugo von Hofmannsthals Bibliothek (Rezension zu Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe. Bibliothek, hg. v. Ellen Ritter, Frankfurt/M. 2011), IASLonline (28.9.2014); http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3801, letzter Zugriff: 15.4.2022.

53

Darauf werde ich in der Diskussion von Benjamins Hofmannsthalrezeption zurückkommen, die – so eine vorläufige These – nach Hofmannsthals Tod in seiner Kritik der literaturgeschichtlichen Bücher von Max Kommerell (Der Dichter als Führer der Klassik von 1930 und Jean Paul von 1933) fortgesetzt wird. Das vorherrschende Motiv dieser Rezeption bildet die Hofmannsthal zugeschriebene ,Sprachlosigkeit‘, vgl. Kap. 5.6. Die dabei wirksamen Intentionen für die Produktion Benjamins in den 1930er Jahren sind von der Forschung keineswegs ausgeschöpft, insbesondere in der Verknüpfung der Briefanthologie Deutsche Menschen mit der Passagenarbeit. „Was nie geschrieben wurde, lesen“, Benjamins in der Passagenarbeit verwandtes Motto aus Hofmannsthals Tor und Tod von 1897, erscheint als messianische Formel der Umkehr einer universalen Opferlogik, wie sie in den Gesprächen zwischen Rang, Hofmannsthal und Benjamin diskutiert wird – und immer verbunden bleibt mit Fragen des Publizierens und der Publikationsformate. Der materialästhetische Aspekt und die damit verbundenen Produktions- und Publikationslogiken aus Benjamins Passagenarbeit wären vor dem Hintergrund der Situation im Ersten Weltkrieg und den Zeitschriftenprojekten der 1920er Jahre noch einmal neu zu denken.

54

Hofmannsthal: Erfundene Gespräche und Briefe, KA XXXI, S. 498–499.

55

Hugo von Hofmannsthal/Florens Christian Rang: Briefwechsel (1905–1924), in: Die neue Rundschau, 70, 3/1959, S. 402–448; Wellbery: Opfer; vgl. auch Benjamin: GB II.

56

Theodor W. Adorno: George und Hofmannsthal. Zum Briefwechsel: 1891–1906, in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I. Prismen, Ohne Leitbild, Frankfurt/M. 2003, S. 195–237, hier S. 234.

57

Hugo von Hofmannsthal: Englischer Stil, in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze I, S. 565–572, hier S. 571. Vgl. Hugo von Hofmannsthal: Augenblicke in Griechenland, in: Ders.: Gesammelte Werke, Erzählungen, Erfundene Gespräche und Briefe, Reisen, S. 603–628, hier S. 616.

58

Hermann Broch, zit. n. Michael Hamburger: Das Fragment: Ein Kunstwerk? In: Hofmannsthal. Jahrbuch der europäischen Moderne 3/1995, 305–318, hier S. 314.

59

Zur gleichen Zeit fasst Robert Walser in seinem Prosastück Greifensee die ästhetische Wahrnehmungsproblematik, die sich auf das Erleben des Subjekts beruft, sehr ähnlich – ebenfalls durch die Perspektive eines Schwimmers. Vgl. den Aufsatz von Hubert Thüring: Zur Poetik zweier früher Texte Robert Walsers: „Greifensee“ (1899) und „Glück“ (1900), in: Felix Christen/Thomas Forrer/Martin Stingelin/Hubert Thüring (Hg.): Der Witz der Philologie. Rhetorik – Poetik – Edition, Frankfurt/M./Basel 2014, S. 140–162.

60

Arburg: „Ein sonderbares Gespinst von Raum und Zeit“, S. 18.

61

Vgl. ebd., S. 18–23.

62

So das Konzept des Soziologen Karl Mannheim, vgl. Parnes/Vedder/Willer: Das Konzept der Generation, S. 246 und passim.

63

Dies spiegelt sich in einer für Hofmannsthal notorischen Maxime: „The whole man must move at once“; dazu Brian Coghlan: „The whole man must move at once“. Zum Persönlichkeitsbild des Menschen bei Hugo von Hofmannsthal, in: Hofmannsthal-Forschung 8/1985, S. 29–47. Es handelt sich um einen von Hofmannsthal „auch sonst mit Vorliebe zitierten Spruch“ (vgl. Briefwechsel Hugo von Hofmannsthal/Eberhard von Bodenhausen, S. 262) des Engländers Richard Steele aus der Zeitschrift Spectator von 1711, den er über Georg Christoph Lichtenbergs Sudelbücher kennenlernte; vgl. Sabine Schneider: Die Briefe des Zurückgekehrten (1907/08), in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 329–335, hier S. 330.

64

Durchaus in der Nähe zu den geistesgeschichtlichen Werken der Wissenschaftler im George-Kreis. Dazu der Abriss der George’schen Traditionspolitik in Kap. 2.1 dieser Arbeit. Hofmannsthal hat seiner 1901 zurückgezogenen, aber von ihm selbst 25 Jahre später veröffentlichten Habilitationsschrift ein entsprechendes Modell ästhetischer Philologie entwickelt, das von Christoph König zum umfassenden produktionsästhetischen Modell erklärt wurde; vgl. König: Dichter unter Philologen.

65

Hugo von Hofmannsthal: Zu Josef Nadlers „Literaturgeschichte“, KA XXXIV, S. 147–151, hier S. 148. Zu Nadlers Antisemitismus, vgl. König: Dichter unter Philologen, S. 259–262.

66

Heinz Schlaffer: Der Zusammenhang des Zusammenhanglosen, in: Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken 58, 663/2004, S. 590–597, hier S. 596.

67

Hofmannsthal: Studie über die Entwicklung des Dichters Victor Hugo (1901), KA XXXII, S. 220–264, hier S. 222.

68

Zur komplexen Diskursgeschichte des Begriffs der Generation als eines Konzepts der Objekt- wie der epistemischen Metasprache im 19. und frühen 20. Jahrhundert, vgl. Parnes/Vedder/Willer: Das Konzept der Generation, bes. S. 10–20, 188–217.

69

Hofmannsthal: Augenblicke in Griechenland, in: Ders.: Gesammelte Werke, Erzählungen, Erfundene Gespräche und Briefe, Reisen, S. 618.

70

Vgl. Friedmar Apel: Evidenz vor dem Abgrund. Hofmannsthals Reisebilder, in: Helmut Pfotenhauer/Sabine Schneider/Wolfgang Riedel (Hg.): Poetik der Evidenz. Die Herausforderung der Bilder um 1900, Würzburg 2005, S. 67–75, hier S. 70.

71

Vgl. Rudolf Borchardt: Schöpferische Restauration, in: Ders.: Reden, S. 230–253, hier S. 252; vgl. Kap. 6.4.

72

Schneider: Verheißung der Bilder, S. 23.

73

Ursula Renner: „Die Zauberschrift der Bilder“. Bildende Kunst in Hofmannsthals Texten, Freiburg/Br. 2000, S. 503.

74

Hugo von Hofmannsthal: Buch der Freunde, KA XXXVII, S. 9–62, hier S. 27.

75

Vgl. Szondi: Schleiermachers Hermeneutik, S. 127–128.

76

König: Geschichte und Historismus, S. 7.

77

Vgl. Ebd., S. 6.

78

Vgl. die gesonderte Diskussion dieses 1922 erschienenen Aphorismenbands.

79

Hofmannsthal: Buch der Freunde, KA XXXVII, S. 14.

80

Hofmannsthal: Studie über die Entwicklung des Dichers. Victor Hugo, KA XXXII, S. 251–293, hier S. 258.

81

Heinrich Anz: Hermeneutik und Individualität. Wilhelm Diltheys hermeneutische Position und ihre Aporien, in: Hendrik Birus (Hg.): Hermeneutische Positionen. Schleiermacher – Dilthey – Heidegger – Gadamer, Göttingen 1982, S. 68.

82

Vgl. Hofmannsthal: studie über die Entwicklung des Dichers. Victor Hugo, KA XXXII, S. 251–293.

83

Vgl. Ebd., S. 293–320.

84

König: Geschichte und Historismus, S. 7.

85

Vgl. Rainer Noltenius: Hofmannsthal – Schröder – Schnitzler. Möglichkeiten und Grenzen des modernen Aphorismus, Stuttgart 1969, S. 20.

86

Vgl. den Kommentar zu Hofmannsthal: Buch der Freunde, in: Ders.: KA XXXVII, S. 169–171.

87

Vgl. Hiebler: Im Steinbruch der Dichtung.

88

Vgl. Heinz Hiebler: Hofmannsthal als kreativer Leser, in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 87–89, hier S. 88.

89

Hugo von Hofmannsthal: Zeugnisse zum Buch der Freunde, KA XXXVII, S. 293–294.

90

Hugo von Hofmannsthal: Aufzeichnungen aus dem Nachlass [1891], in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze III, S. 331.

91

Als Insistenz der Bezugsumkehr in Form von Neueinsätzen hat Sandro Zanetti dies für eine Poetik der Spätwerke in seiner Studie Avantgardismus der Greise anschaulich gemacht.

92

Hamburger: Hugo von Hofmannsthal, S. 51.

93

Vgl. die Ausführungen Jörg Schusters zur Briefpoetik Hofmannsthals und Rilkes, die als ein ,Sich Einrichten’ im modernen Leben begriffen wird; Schuster: „Kunstleben“. Zur Kulturpoetik des Briefs um 1900, S. 28–34.

94

Hugo von Hofmannsthal: Gärten [1906], in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze I, S. 577–584, hier S. 581.

95

Ebensowenig hat die Benjaminforschung die Übertragungseffekte zwischen Benjamins und Hofmannsthals produktionsästhetischem Umgang mit der literarischen Tradition eingehend analysiert; die Übernahme anthologischer Praktiken durch Benjamin wurde meist wiederum auf den nationalpolitischen Aspekt reduziert, als kritische, camouflierte Intervention und Kontrafaktur in Bezug auf die Kulturpolitik der Nazis (Deutsche Menschen), vgl. bes. Kap. 2.2.

96

Hugo von Hofmannsthal: Der Dichter und diese Zeit, KA XXXIII, S. 127–148, hier S. 132–133.

97

Vgl. Rüdiger Campe: „Die tiefste Bestätigung des Daseins der Dissonanz“. Emil Boutroux und Georg Simmel in der „Theorie des Romans“, in: Rüdiger Dannemann/Maud Meyzaud/Philipp Weber (Hg.): Hundert Jahre „Transzendentale Obdachlosigkeit“. Georg Lukàcs’ „Theorie des Romans“ neu gelesen, Bielefeld 2018, S. 25–36.

98

Eva Geulen hat den Begriff der Lebensform für das Verhältnis von Giorgio Agamben zur negativen Dialektik Adornos untersucht. „Dem Gedanken bleibt die Möglichkeit – und vielleicht ist es die einzige Möglichkeit, die ihm überhaupt bleibt – seine eigene Unmöglichkeit zu denken, dieselbe zum Gegenstand des Gedankens zu machen. Es käme dann für den Gedanken darauf an, zu denken, dass er sich von der Entstellung nicht befreien kann. Das mag seine einzige Möglichkeit sein; in jedem Fall aber ist es eine Möglichkeit, die sich allein im und für das Denken ergibt. Das eigene Insistieren auf einem Immer-schon-zu-spät könnte sich einerseits dem Versuch verdanken, das Privileg der Möglichkeit durch seine Umkehr negierend zu entmachten und dabei aus der Unmöglichkeit vielleicht doch noch eine Möglichkeit zu gewinnen.“ Eva Geulen: Wirklichkeiten, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten: Zum Problem der Lebensform bei Giorgio Agamben und Theodor W. Adorno, in: MLN 3, 125/2010, S. 642–660, hier S. 643.

99

Vgl. David E. Wellbery: Form und Idee. Skizze eines Begriffsfeldes um 1800, in: Jonas Maatsch (Hg.): Morphologie und Moderne. Goethes ,Anschauliches Denken‘ in den Geistes – und Kulturwissenschaften seit 1800, Berlin 2014, S. 17–42, hier S. 19.

100

Vgl. Gamper/Mayer: Erzählen, Wissen und kleine Formen, bes. S. 11–15, 19–20.

101

Böschenstein: Das „Buch der Freunde“, S. 274.

102

Vgl. Mayer: Hugo von Hofmannsthal, S. 67–71; Friedmar Apel: Die Ambivalenz der Anomie. Hugo von Hofmannsthals „Verse, auf eine Banknote geschrieben“, in: Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 20/2012, S. 161–172; Lorenz Jäger: Zwischen Soziologie und Mythos, S. 95–107.

103

Vgl. die Forschungsbeiträge von Ralf Simon: Die Szene der Einfluß-Angst und ihre Vorgeschichten. Lyrik und Poetik beim frühen Hofmannsthal, in: Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 20/2012, S. 37–77 und Zanetti: Lyrisch aus der Kulisse der Historie treten, S. 141–160.

104

Hofmannsthal: Ad me ipsum, S. 605.

105

Hofmannsthal: Schöne Sprache [1921], in: KA XXXV, S. 45–48, hier S. 46.

106

Vgl. dazu die umfassende Studie von Hiebler: Hofmannsthal und die Medienkultur.

107

Vgl. Schneider: Verheißung der Bilder.

108

Vgl. Konstanze Heiniger: „Ein Traum von großer Magie“. Die Zusammenarbeit von Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt, München 2015.

109

Vgl. Mayer: Hugo von Hofmannsthal, S. 84, 88, 91, 94–95, 101–102; vgl. ausführlich Hiebler: Hofmannsthal und die Medienkultur.

110

Vgl. Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München 1998.

111

Friedrich Hebbel: Zur Anthologien-Literatur.

112

Ebd.

113

Die Deutschen Erzähler erschienen 1912 im Insel-Verlag. Die Anthologie ist eine auch nach den damaligen zeitgenössischen Maßstäben konventionelle Auswahl von berühmten Erzählungen der klassischen Moderne von Goethe bis Keller.

114

Vgl. die Einführung in Kap. 1.

115

Vgl. Knödler: Rudolf Borchardts Anthologien, S. 134: „Heute, da sowohl die Kenntnis der klassischen deutschen Erzählungen als auch ihr Vorhandensein in den Haushalten nicht mehr vorausgesetzt werden können, hat das Buch eine neue Bedeutung bekommen, denn es bietet nun eine Art Basis- oder Anfängerkanon und steht als solcher nicht mehr wie bei Hofmannsthal und seinen Zeitgenossen am Ende einer Lektüreerfahrung, sondern an deren Anfang.“

116

Michael Foucault: Archäologie des Wissens [1969], Berlin 2013, S. 15.

117

Hugo von Hofmannsthal, zit. n. Straubel: Zum Museum der Literatur, S. 44.

118

Hugo von Hofmannsthal (Hg.): Deutsches Lesebuch, Bd. 1, München 1922 ; ders. (Hg.): Deutsches Lesebuch, Bd. 2, München 1923. Eine Neuauflage erschien 1926, für diese wurden einige Texte ausgetauscht bzw. erweitert, zu einigen Autoren wurden biografische Hinweise ergänzt.

119

Vgl. Schneider: Österreich/Mitteleuropa, S. 125–126.

120

Hofmannsthal: Deutsches Lesebuch, Bd. 2, S. 95.

121

Immermanns Monumentalroman Die Epigonen (1836) inszeniert „Epigonalität in Form einer Depotentialisierung klassischer und romantischer Leihgaben“ mittels einer Metaphorik der „Verwaltung“: Die Epigonen erweisen sich als eine Sippschaft von Plagiatoren, die – und das ist das Neue – im Namen späterer, glücklicherer Generationen handelt“, Philipp Theisohn: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte, Stuttgart 2009, die Zitate auf S. 363 passim.

122

Vgl. Theisohn: Plagiat, Kap. X Die Erben, bes. S. 363–376.

123

Vgl. die rezeptionsmächtige Kritik von Rudolf Borchardt an Stefan Georges Gedichtzyklus Der siebente Ring, in: Ders./Hofmannsthal/Schröder: Hesperus; wieder in: Borchardt: Prosa I, S. 68–105. Vgl. Kap. 2.1. Diese Kritik Borchardts und insbesondere ihr Hinweis auf die immanente ,Gewalt‘ des Georgeschen Stils in seiner resoluten Ausblendung aller technischen Konstitution der Dichtung wurde für Benjamins und Adornos Bild von George stilprägend, insbesondere für die auffällige Historisierung Georges als eines ,Epochenphänomens‘ bei Benjamin. Sie war der Ausgangspunkt des späteren Versuchs von Benjamin und Adorno in den 1930er Jahren, den Jugendstil literatursoziologisch als Regression der Technik auf die Umweltbedingungen des Hochkapitalismus zu lesen. Die Perspektive dieser Kritik scheint in Hofmannsthals Ansinnen, ästhetische ,Szenen‘ wiederaufzuführen und damit einer historischen Kritik zugänglich zu machen, vorgeprägt. In einem Brief an Adorno aus der Entstehungsphase des Baudelaire-Aufsatzes benennt Benjamin den Jugendstil gar als den Fluchtpunkt, von dem her die Moderne als ganze untersucht werden solle.

124

Hofmannsthal: Buch der Freunde, KA XXXVII, S. 28–29.

125

Vgl. den Kommentar zum Deutschen Lesebuch, KA XXXVI, S. 1030–1031, 1065–1077; vgl. Hofmannsthal: Deutsches Lesebuch, 2., erw. Aufl.

126

Hofmannsthal: Briefe des Zurückgekehrten, KA XXXI, S. 416: „Mein ziemlich bescheidener Wunsch wäre 1–1,5 schöne sommerliche Tage in Tirol zu erleben, einer bestimmten kleinen Prosaarbeit wegen – die diese Stimmung braucht“ (Hugo von Hofmannsthal an seinen Vater, 14.7.1907).

127

Vgl. Hans-Georg von Arburg: ,Gefrorene‘ oder ,stumme‘ Musik? Zur Kritik eines Denkbildes für Architektur bei Goethe, Nietzsche und Valéry, in: Andreas Beyer/Ralf Simon/Martino Stierli (Hg.): Zwischen Architektur und literarischer Imagination, Paderborn 2013, S. 243–272.

128

Ein in der Soziobiologie des 19. Jahrhunderts und auch im Naturalismus zentrales Konzept, das Hofmannsthals kulturell anverwandelt.

129

Hofmannsthal: Deutsches Lesebuch, 2., erw. Aufl., S. 304–311.

130

Hugo von Hofmannsthal: Was sind deine Figuren, KA XXXI, S. 472.

131

Vgl. Hugo von Hofmannsthal: Neue Deutsche Beträge, KA XXXVI, S. 54–68, hier S. 55.

132

Arburg/Tremp/Zimmermann: Einleitung, S. 10.

133

Vgl. Fritz Schlawe: Literarische Zeitschriften 1910–1933, Stuttgart 1962, S. 1.

134

Vgl. ebd., S. 29–30.

135

Hugo von Hofmannsthal: Ankündigung des Verlags Bremer Presse, in: Herausgebertätigkeit, KA XXXVI, S. 50–52, hier S. 50; vgl. Jochen Strobel: Neue deutsche Beiträge (1922–1924), in: Mayer/Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch, S. 375–377, hier S. 375.

136

Strobel: Neue deutsche Beiträge (1922–1924), S. 377.

137

Vgl. Kap. 1.4.

138

Hofmannsthal: Herausgebertätigkeit, KA XXXVI, S. 55.

139

Hofmannsthal: Herausgebertätigkeit, KA XXXVI, S. 55, Anf. i.T.

140

Vgl. Juliane Vogel: Schattenland des ungelebten Lebens. Zur Kunst des Prologs bei Hugo von Hofmannsthal, in: Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 1/1993, S. 165–181.

141

Strobel: Neue deutsche Beiträge, S. 377.

142

Alfred Brust funktioniert dies in seiner Rezension des 1. Hefts der Neuen deutschen Beiträge (wiederabgedruckt in: Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 106–107) in einen geschichtsphilosophischen Kurzschluss von Volk und Mensch um, indem er den von Hofmannsthal aufgerufenen Gestaltdiskurs physiognomisch umdeutet.

143

Vgl. Heiko Christians: Gesicht, Gestalt, Ornament: Überlegungen zum epistemologischen Ort der Physiognomik zwischen Hermeneutik und Mediengeschichte, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 74, 1/2000, S. 84–110. Weniger auf die offen politischen Deutungsangebote als hinsichtlich der diskurskonstituierenden Funktion für Ästhetisierungs- und Szientifizierungsprozesse wird der physiognomische Diskurs untersucht in Arburg/Tremp/Zimmermann (Hg.): Physiognomisches Schreiben.

144

Hugo von Hofmannsthal, zit. n. Straubel: Zum Museum der Literatur, S. 44; vgl. ebd., S. 43–44.

145

Eine ähnliche Debatte wiederholt sich ein Jahrzehnt später zwischen Benjamin und Adorno in der brieflich geführten Auseinandersetzung um Benjamins Passagen-Exposé und seinen Baudelaire-Aufsatz.

146

Vgl. Hofmannsthal: Herausgebertätigkeit, KA XXXVI, S. 54–68 (verschiedene Vorbemerkungen des Herausgebers Hugo von Hofmannsthal zu einzelnen Heften).

147

Hugo von Hofmannsthal an Willy Wiegand und Ludwig Wolde, 28.1.1922, in: Hofmannsthal: Herausgebertätigkeit, KA XXXVI, [Zeugnisse zu den Neuen deutschen Beiträgen], S. 887–889, hier S. 889.

148

Brief an Hugo von Hofmannsthal, 2.8.1919, in: Rudolf Borchardt/Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel, Bd. 1, hg. v. Gerhard Schuster, München 2014, S. 249–262, hier S. 260.

149

Vgl. Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 101–102.

150

Hugo von Hofmannstthal, zit. n. ebd., S. 102.

151

Borchardt hat sich nur abschätzig zur Zeitschrift Neue deutsche Beiträge geäußert, zu der er auch kaum beitrug. Dies mag persönliche Gründe haben, da Borchardt und Hofmannsthal nach Borchardts Veröffentlichung der Festschrift Eranos zu Hofmannsthals 50. Geburtstag 1924 eine schwere Krise in ihrer Freundschaft durchmachten; Matz: Eine Kugel im Leibe, S. 77–78; Briefwechsel Borchardt/Hofmannsthal; Sprengel, Herr der Worte, S. 301–302.

152

Lukács: Die Seele und die Formen, S. 54.

153

Hofmannsthal: Varianten und Erläuterungen zur Herausgebertätigkeit, KA XXXVI, S. 825.

154

Vgl. Jäger: Zwischen Soziologie und Mythos, S. 95–101.

155

Georg Simmel: Philosophie des Geldes [1900], Frankfurt/M. 1993, S. 627.

156

Ebd., S. 612.

157

Ebd., S. 592.

158

Ebd. S. 593.

159

Ebd., S. 594.

160

Vgl. das Habilitationsprojekt „Rhythmus und Lebensform 1870–1940“ von Thomas Forrer, Universität Luzern; https://www.unilu.ch/fakultaeten/ksf/institute/seminar-fuer-kulturwissenschaften-und-wissenschaftsforschung/kulturwissenschaften/forschung/postdoc-projekt-verfasser-thomas-forrer-rhythmus-und-lebensform-1870–1940/ (letzter Aufruf: 15.04.2022).

161

Simmel: Philosophie des Geldes, S. 680.

162

Ebd., S. 716.

163

Ebd., S. 695.

164

Ebd., S. 651.

165

Vgl. ebd., S. 691 und 694.

166

Vgl. ebd., S. 652.

167

Ebd.

168

Vgl. ebd.

169

Ebd., S. 676–677.

170

Müller-Tamm: Abstraktion als Einfühlung, S. 253.

171

Zit. n. ebd., S. 238 (Herv. i. Orig.).

172

Simmel, Philosophie des Geldes, S. 653.

173

Ebd., S. 653–654.

174

Vgl. Müller-Tamm: Abstraktion als Einfühlung, S. 300.

175

Vgl. Hans Blumenberg: Geld oder Leben. Eine metaphorologische Studie zur Konsistenz der Philosophie Georg Simmels (1976), in: Ders.: Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. v. Anselm Haverkamp, Frankfurt/M. 2001, S. 177–192, hier S. 191.

176

Uwe Hebekus: Ästhetische Ermächtigung. Zum politischen Ort der Literatur im Zeitraum der klassischen Moderne, Paderborn/München 2009, S. 144.

177

Ebd., S. 146.

178

Vgl. Anselm Haverkamp: Geld und Geist. Die Metapher des Geldes und die Struktur der Offenbarung, in: Dirk Baecker (Hg.): Kapitalismus als Religion, Berlin 2003, S. 184. Haverkamp sieht bei den für ihn wichtigsten Theoretikern der ästhetischen Moderne, Hans Blumenberg und Umberto Eco, vollführte Parallelaktionen zwischen Geld und Geist. Blumenberg erkenne diese bei Paul Valéry, Umberto Eco bei James Joyce. Dabei geht es Haverkamp, mit Aristoteles, um die „in Religion und Kapitalismus unterschiedlich genutzte quasi-transzendentale Strukturvoraussetzung, die bei Eco und Blumenberg eine metarhetorische, im rhetorischen Sinne technische Voraussetzung ist, in der – das ist die These – die allegorische Struktur des Offenbarungsdiskurses in die metaphorologische ,Durchtechnisierung‘ der Lebenswelt als einer kapitalistischen übergeht“ (ebd., S. 179).

179

Georg Simmel: Fragmente und Aufsätze aus dem Nachlass, München 1923, S. 1, zit. n. Blumenberg: Geld oder Leben, S. 192.

180

Vgl. dazu in anderer, aber verwandter Perspektive und in Bezug auf Riegl und Hofmannsthal, von Arburg: „Ein sonderbares Gespinst von Raum und Zeit“, S. 19.

181

Simmel: Philosophie des Geldes, S. 627–628.

182

Hofmannsthal: Buch der Freunde, KA XXXVII, S. 45.

183

Jäger: Zwischen Soziologie und Mythos, S. 95.

184

Hugo von Hofmannsthal an Helene Nostitz, 2.4.1907, in: Hugo von Hofmannsthal/ Helene von Nostitz: Briefwechsel, hg. v. Oswalt von Nostitz, Frankfurt/M. 1965, S. 33.

185

Vgl. Annette Simonis: Gestalttheorie von Goethe bis Benjamin. Diskursgeschichte einer deutschen Denkfigur, Köln/Weimar/Wien 2001.

186

Vgl. Brief den Brief von Hofmannsthal an Beer-Hofmann vom 13.5.1895, in: Hugo von Hofmannsthal/Richard Beer-Hoffmann: Briefwechsel, hg. v. Eugene Weber, Frankfurt/M. 1972, S. 47; vgl. Simmel: Philosophie des Geldes, S. 593. Vgl. die genaue Analyse der Briefwechsel Hofmannsthals bei Schuster: „Kunstleben“. Zur Kulturpoetik des Briefs um 1900.

187

Darauf wird sich Benjamin in seinem brieflichen Begleitschreiben bei der Übersendung seines Aphorismenbuchs Einbahnstraße an Hofmannsthal 1928 beziehen: „Eine Bitte aber liegt mir Ihnen gegenüber am Herzen: in allem Auffallenden der inneren und äußeren Gestaltung nicht einen Kompromiß mit der ,Zeitströmung‘ sehen zu wollen. Gerade in seinen exzentrischen Elementen ist das Buch wenn nicht Trophäe so doch Dokument eines inneren Kampfes, von dem der Gegenstand sich in dem Worte fassen ließe: Die Aktualität als Revers des Ewigen in der Geschichte zu erfassen und von dieser verdeckten Seite der Medaille den Abdruck zu nehmen.“ (Walter Benjamin an Hugo von Hofmannsthal, 8.2.1928, GB III, S. 331–332, hier S. 331). So Benjamins durchsichtiger Versuch, sich an Hofmannsthals Poetik anzulehnen.

188

Hofmannsthal: Einleitung des Herausgebers der Neuen deutschen Beiträge, KA XXXVI, S. 56.

189

Deren Genealogie hat etwa Giorgio Agamben nachgezeichnet, vgl. Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (Homo sacer II.2), Berlin 2010.

190

Paul Valéry, zit. n. Roland Reuss: Die Mitarbeit des Schriftbilds am Sinn, in: Neue Zürcher Zeitung, 3.2.2011; https://www.nzz.ch/die_mitarbeit_des_schriftbildes_am_sinn-1.9331415 (letzter Aufruf: 31.8.2022).

191

Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 96–97.

192

Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 11.

193

Vgl. die Rivalität zwischen Rudolf Borchardt und Stefan George, die sich in den Buchprojekten abzeichnete; mit den relevanten verbürgten Zitaten aus den Briefwechseln dargestellt bei Bulang: Die „Bremer Presse Bücher“, bes. S. 157–159.

194

Willy Wiegand, in: Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 16–17.

195

Josef Lehnacker: Die Bremer Presse. Königin der deutschen Privatpressen, München 1964, S. 112.

196

Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 18.

197

So die Erinnerung des langjährigen Mitarbeiters der Bremer Presse, Lehnacker: Die Bremer Presse, S. 113.

198

Willy Wiegand, zit. n. Julius Rodenberg: Deutsche Pressen. Eine Bibliographie, Zürich 1925, S. 56.

199

Ebd.

200

Vgl. Knödler: Rudolf Borchardts Anthologien, S. 149.

201

Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 12.

202

Vgl. ebd., S. 13. Für Rudolf Alexander Schröder bildete die Herausgabe der De civitate Dei von Augustus die größte buchkünstlerische Leistung; vgl. ebd., S. 27.

203

Vgl. Brodersen: Nachwort. Ein Wörterbuch der Humanität, S. 476.

204

Willy Wiegand: Die Bremer Presse, in: Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, die Zitate S. 16 passim.

205

Vgl. Hugo von Hofmannsthal an Anton Kippenberg, in: Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel mit dem Insel-Verlag 1901–1929, hg. v. Gerhard Schuster, Frankfurt/M. 1985, S. 723.

206

Vgl. Lehnacker: Die Bremer Presse, S. 113.

207

„Es wäre ein eigenes Thema – zweifellos von literaturgeschichtlichem Reiz – einem solchen Typus des Editors und seiner Verbindung mit der Verlagsgeschichte des 20. Jahrhunderts nachzugehen“, so Middell: Vom Umgang des Dichters, S. 117. Dies kann in meiner Arbeit nicht geleistet werden; vielmehr versuche ich, die Querbeziehungen zwischen Werkästhetiken und anthologischen Editionen sowie die entsprechenden Beziehungskonstellationen für ein erweitertes Verständnis fruchtbar zu machen, das aber auf die Ästhetiken von Hofmannsthal, Borchardt und Benjamin beschränkt bleiben muss.

208

Die Buchproduktion lässt sich im Archiv nicht mehr nachvollziehen: im Zweiten Weltkrieg wurden Druckerei und Archiv in der Münchner Georgenstraße durch eine Bombe zerstört.

209

Zusammenfassend Middell: Vom Umgang des Dichters; Wagner-Zoelly: Die „Neuen Deutschen Beiträge“; Wolfram Mauser: „Die geistige Grundfarbe des Planeten“. Hugo von Hofmannsthals „Idee Europa“, in: Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 2/1994, S. 201–222.

210

Vgl. Wiegand: Über Schrift und Sprache [1927]; ein Auszug davon in: Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 25–26. Diesem angetönten Zusammenhang wird an anderer Stelle nachgegangen, wo ich ausgehend von der Debatte zwischen Hofmannsthal, Florens Christian Rang und Benjamin die Implikationen für die Schrift- und Publikations-Ästhetik aufweise.

211

Hans Adolf Halbey: Die Bremer Presse als buchkünstlerisches Phänomen in heutiger, kritischer Sicht [1964], in: Volke/Zeller (Hg.): Buchkunst und Dichtung, S. 96–98, hier S. 98.

212

Vgl. Hans-Georg von Arburg: His master’s characters. Zum physiognomischen Problem der Handschrift bei Lavater, in: Ders./Tremp/Zimmermann (Hg.): Physiognomisches Schreiben, S. 21–46.

213

Hofmannsthal: Wert und Ehre deutscher Sprache, KA XXXVI, S. 116–120, hier S. 117.

214

Ebd.

215

Ebd.

216

Hiebler: Hofmannsthal und die Medienkultur, S. 165.

217

Adorno lässt den kritischen französischen Essay im Werk von Sainte-Beuve beginnen; vgl. Theodor W. Adorno: Der Essay als Form, in: Ders.: Noten zur Literatur (GS 11), S. 9–33, hier S. 12.

218

Adorno: Der Essay als Form, S. 18.

219

Hofmannsthal: Die Briefe des Zurückgekehrten, KA XXXI, S. 416; vgl. Schneider: „Die Briefe des Zurückgekehrten“, S. 329–335.

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Anthologisches Schreiben

Eine ästhetisch-politische Konstellation bei Hugo von Hofmannsthal, Walter Benjamin und Rudolf Borchardt