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Sechs Thesen

1. Kulturelle Prozesse verstehen wir gewöhnlich in Ansehung ihrer Bedeutungen. Sinnprozesse zeigen sich als Verkörperungen, Darstellungen, Inszenierungen und Diskurse, in Medien der Symbolisierung, der Verbreitung, Übertragung und Speicherung, wie auch durch Techniken der Hervorbringung und Gestaltung, d.h. eines ununterbrochenen Geschehens des Lesens, der Wiederholung, Kommunikation und Archivierung. Dazu gehören ebenso ästhetische Vorgänge wie Handlungen, Institutionen, Rituale und wissenschaftliche Theorien. Der alleinige Fokus auf Bedeutungen scheint dabei die Universalität des Verstehens und entsprechend der Praxis ihrer Lesbarkeit sicher zu stellen. Die Frage ist jedoch, welche Grenzen des Verstehens es gibt – ob dergleichen wie Sinnloses, Unverständliches oder Undarstellbares existiert, ohne sofort die Paradoxie aufzuwerfen, dass der Mensch, wie Roland Barthes es pointiert hat, noch den „Sinn des Sinnlosen“, des Unverständlichen oder Undarstellbaren hervorbringt und sich verständlich machen muss.

2. Wo dem Verstehen ein derart universeller Status zugeschrieben wird, rückt die Kategorie des „Sinns“ in die Rolle eines Aprioris. Gegen die These vom Sinnapriori und entsprechend der Transzendentalität des Symbolischen – in dem Sinne, wie Peirce gesagt hat, dass alles Denken ein Denken in Zeichen sei – möchte ich kein „Außen“ oder „Sinnanderes“ – im Sinne der Vorgegebenheit eines „Realen“ – behaupten (das würde bedeuten, zwischen dem Sinn und dem Nichtsinn eine Grenze zu ziehen und zwei distinkte Regionen zu unterscheiden: das Verstehbare hier und das Unverständliche oder Undarstellbare dort); genauso wenig möchte ich mich der umgekehrten Strategie anschließen und beim Nichtverständlichen anfangen, um zum Verstehbaren im Sinne einer stets noch bevorstehenden Aufgabe zu gelangen (dann wäre Sinn aufgegeben und die Aufgabe des Verstehens ausschließlich an seiner Negation zu bemessen und von dort her zu bestimmen). Vielmehr sind Verstehen wie Nichtverstehen in ihrem Vorrang nicht vorzuentscheiden.

3. Stattdessen ist von einer internen Verschränkung zwischen Verstehen und Nichtverstehen auszugehen, von einem Nichtverstehen im Verstehen. Ausgangspunkt bildet die grundlegende Paradoxie, die jede kulturelle Praktik und jeden kulturellen Ausdruck durchzieht, nämlich die Tatsache, dass ihr Gehalt ebenso immateriell ist wie die Praktiken materialiter gesetzt werden müssen, um als solche funktionieren und bedeuten zu können. Das gilt auch dort, wo die Bedeutung als Effekt einer Struktur aufgefasst wird. Materialität und Setzung verweisen dabei auf die Seite des „Dass“ (quod), der Existenz, die im Sinne des ex-sistere als Ereignis gefasst werden muss, während Funktion, Sinn, Struktur oder Effekt die Seite der Relationalität der Zeichen, des „Was“ oder „Wie“ (quid) aufrufen, die den Ort des Verstehens allererst defi nieren. Beide zusammen entfalten eine genuine Duplizität, die sich als Duplizität als ebenso irreduzibel erweist wie sich ihre beiden Seiten zueinander inkommensurabel verhalten.

4. Die Duplizität markiert einen Riss, eine Spaltung des Sinns, des Verstehens, der prinzipiell nicht zu heilen ist. Die Spaltung kann als Differenz zwischen Sagen und Zeigen markiert werden. Beide Seiten verhalten sich zueinander wie querstehende Modi: „Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden“, heißt es bei Wittgenstein. Wir haben es folglich mit einem Chiasmus zu tun, der die Manöver und Bewegungen des Verstehens fortlaufend vereitelt. Selbst wo wir glauben, etwas verstanden zu haben oder uns im Dialog zu treffen, wo konsensuelle Einigkeit besteht und scheinbar keine Fragen offen blieben, treibt der Chiasmus beharrlich weiter sein Unwesen, zerschneidet im selben Moment die Verständnisse und lässt ihre Identitäten zerfallen, weil ihr Anderes, das, was sich nur zeigen kann – wie die Modalitäten der Anwesenheit des anderen Menschen, seine stimmliche Präsenz usw. –, je schon entgangen ist.

5. Der Chiasmus selbst ist unanzeigbar, allenfalls indirekt aufweisbar. Einzig Spuren und die Arbeit am Negativen lassen auf ihn aufmerksam werden. „Posthermeneutik“ kann als Name solcher Aufmerksamkeiten aufgefasst werden. Sie bedeutet den Versuch, die „andere“, ebenso verdeckte und „negative“ wie „ekstatische“ und hervorspringende Seite im Verstehen jeweils zur Geltung zu bringen und mithin das mit einzubeziehen, was nicht ein Verstehen ist, aber ins Verstehen hineinragt, was nicht Zeichen ist, aber notwendige Voraussetzung aller Zeichenprozesse und ihrer Deutung bleibt, was nicht Sinn ist, aber die Bedeutungen untergräbt und sich gerade dadurch exponiert – was folglich kein Mediales darstellt, aber alle Medialität mitprägt. Es offenbart sich in dem, was sich als „Ex-sistenz“ im Gegensatz zur „bloßen Existenz“, der bestimmungslosen Gegebenheit einer Sache, adressieren lässt. Es handelt sich um ein Negatives, aber nicht Negierbares, das aus sich heraussteht, aufscheint und dem sich gerade deshalb nicht zu entschlagen ist.

6. Die Domäne der „Aufmerksammachung“ auf ein solches nichtnegierbares Negatives ist auf einzigartige Weise die Kunst. Darin liegt ihre Autonomie, ihr immerwährender Skandal, ihr Bruch mit dem Semiotischen und Hermeneutischen, der Textur der Zeichen. Ihr Prinzip ist die Entfaltung jener Differenzen bzw. das Ausspielen der Spaltungen, die den Chiasmus gleichsam beleben, so dass sie als eine „Meisterin der Paradoxa“ fi guriert – z.B. durch die Entleerung der Figur, durch Changierung zwischen Zweck und Zwecklosigkeit, durch die systematische Inszenierung von Inversionen und Sprüngen, die ihr Gemeinsames darin besitzen, dass sie überall den Chiasmus zwischen Sagen und Zeigen ausbeuten, ohne ihn je zugleich beherrschen oder bemeistern zu können.

In: Erzeugen und Nachvollziehen von Sinn
In: Es gibt Kunstwerke - Wie sind sie möglich?
In: Kunst und Wissenschaft
In: Die Gegenstände unserer Kindheit
In: Form follows data
Medialität und Bildlichkeit
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Grundlegung einer medien-philosophischen Theorie der Bildlichkeit.
Bild und Bildlichkeit bilden zentrale Themen derzeitiger philosophischer, kunstwissenschaftlicher, medientheoretischer und kulturwissenschaftlicher Debatten. Dennoch bleibt der Begriff des »Bildlichen«, verstanden als ein theoretisches Prinzip, das alle Formen der Sichtbarmachung und Veranschaulichung umfasst, merkwürdig unscharf und ungeklärt. Unter dem Titel »Ikonizität« legt der Autor eine umfassende medienphilosophische Analyse des Begriffs vor, der vor allem eine zentrale Leistung des Bildlichen - im Unterschied zur diskursiven Rede - in den Vordergrund stellt: das Zeigen. Ausgehend von einer »Logik des Zeigens« geht es um eine Revision des besonderen Erkenntnisstatus des Bildlichen jenseits von Sprache und Diskursivität - das Bild als Ort »nichtpropositionalen« Wissens, das seine eigene Weise der Argumentation und Reflexivität behauptet. Dazu behandelt der Autor nicht nur Kunstbilder, Installationen, visuelle Medienkunst, Film und Video, sondern auch technische Bilder sowie den Bildgebrauch in den Wissenschaften.
Materialität, Präsenz, Ereignis
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In: Übersetzen und Rahmen
Beiträge zur Theorie des Darstellens
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Die Künste verwenden nicht nur unterschiedliche Medien, sie setzen sie auch unterschiedlich ein. Medientheorie kann sich darum nicht nur auf eine Theorie der jeweils zum Einsatz kommenden Techniken beschränken, sie muß sich vor allem in einer Theorie der Darstellung verorten. Dabei kreisen die meisten der hier versammelten Beiträge um die Thematik von Sagen und Zeigen. Beide kommen als disparate Modi medialen Darstellens in unterschiedlichen Medien wie Schrift, Bild, Ton oder Zahl zum Ausdruck. Entsprechend stehen im Zentrum der Beiträge sowohl die theoretische Begründung der strukturellen Differenz zwischen Sagen und Zeigen als auch die Beschreibung ihrer unterschiedlichen Leistungen in Literatur, Musik, bildender Kunst oder Architektur. Sie betreten damit das offene Feld zwischen Ästhetik, Semiotik und Darstellungstheorie einerseits und zwischen Kunst- und Medienphilosophie andererseits.
Author:

This essay is concerned with a reinterpretation of Theophrastus von Hohenheim’s (Paracelus) and Jakob Böhme’s ‚theory of signature‘ (Signaturenlehre). In contrast to common interpretations, it is considered from the angle of the opposition of symbollon and semeion. While the first category, symbollon, refers on an act of unification of divided parts that constitute one sign, the latter category, semeion, deals with conventional meaning. ‚Semiotic signs‘ always require interpretations, ‚symbolic signs‘ show meanings. The article argues that ‚showing‘ – in a mere Wittgensteinian sense in contrast to ‚saying‘ – turns out to be the key to understand the ‚theory of signature‘. From this perspective, the ‚theory of signature‘ could be a foundation of ‚phaenomenological semiotics‘. That means that it finds its starting-point in perception and aesthetics instead of denotation or signification. Its method is analogy. Thus, it can be compared with artistic work that gains various experiences through forms, materials, and figures (‚Gestalten‘), and not evidences by means of valid propositions about the world

In: Signatur und Phantastik in den schönen Künsten und in den Kulturwissenschaften der frühen Neuzeit